Einführung in die Medizinethik (2+3)

Transkript

1 Einführung in die Medizinethik (2+3) Der Renner: "Prinzipienethik" Medizinische Alltagsethik Professor Dr. Bettina Schöne-Seifert

2 Typen von Ethik-Theorien (grob und mit Beispielen) 1 Konsequentialismus-Familie 2 Deontologische Theorien 3 Tugendethik / (Pflegeethik) 4 "Prinzipienethik" als Kompromiss-Lösung? 2

3 "kohärentistisches" Begründen "Überlegungsgleichgewicht" Ethische "Großtheorien" & Theoriefragmente Prinzipien Regeln Einzelfall-Urteile Intuitionen 3

4 Lösungen finden vor dem Hintergrund eines ethischen Pluralismus Ein etablierter Vorschlag: Prinzipienethik von Beauchamp und Childress, 2013 (7. Auflage) Die Grundidee: vier Prinzipien "mittlerer Reichweite"

5 Kohärentismus in der Medizinethik: Vier Prinzipien mittlerer Reichweite 1 Respekt vor Selbstbestimmung Autonomy 2 Fürsorge-/ Wohltätigkeit Beneficence 3 Schadenvermeidung Nonmaleficence 4 Gerechtigkeit Justice Beauchamp/Childress: Principles of Biomedical Ethics

6 Zur Illustration eines Prinzipienkonflikts Der Fall "Putz" (BGH-Urteil Juni 2010) 6

7 Prinzipien mittlerer Reichweite: erste Anmerkungen 1. Wohltätigkeit / Fürsorge (beneficence) o der Motor der ganzen Medizin o Ziele: Heilung, Linderung, Vorbeugung Verhinderung vorzeitigen Sterbens gesundheitsbezogene Lebensqualität o Achtung: Lebensqualität nicht zu eng sehen! 7

8 Prinzipien mittlerer Reichweite: erste Anmerkungen 2. Nicht-Schaden (nonmaleficence) Abgrenzungen? nicht aktiv schädigen Schaden beseitigen Schaden vorbeugen Wohl befördern Nicht: töten, Leid zufügen, beeinträchtigen, behindern, beleidigen, kränken... (iatrogen) 8

9 Prinzipien mittlerer Reichweite: erste Anmerkungen 3. Verteilungsgerechtigkeit Solidarische Finanzierung (gewollt!) Fairer Umgang mit Knappheit problematische Finanzierungsmodelle? problematische Anreize? "die Priorisierungsdebatte" 9

10 Prinzipien mittlerer Reichweite: erste Anmerkungen 4. Respekt vor Autonomie/Selbstbestimmung o Moralische Autonomie vs Lebensgestaltungs-Autonomie o Autonomie als Recht/ Wert der westlichen Moderne (Aufklärung) o Wichtigster Kontext in der Medizin: informed consent 10

11 Autonomie Selbstbestimmung als... "Frau/Herr im eigenen Haus sein" Fähigkeit Charakter- oder Lebensideal Faktum Gegenstand eines juridischen/ moralischen Anrechts 11

12 Isaiah Berlin "Two Concepts of Liberty" (1969): "Ich will, dass mein Leben und meine Entscheidungen von mir abhängen und nicht von irgendwelchen äußeren Mächten [...]. Vor allem möchte ich meiner selbst als eines denkenden, wollenden, aktiven Wesens bewusst sein, möchte verantwortlich für meine Entscheidungen sein und sie aus meinen eigenen Ideen und Absichten erklären können." 12

13 Handlungs-Autonomie zb beim "Informed consent" Standard-Voraussetzungen 1. Einsichts- und Urteilsfähigkeit 2. Hinreichendes Verstehen 3. Freiheit von Zwang & Druck & Manipulation 13

14 Selbstbestimmung... (häufige Missverständnisse) 1 fällt nicht vom Himmel Ärzte als Garanten 2 ist nicht der einzige Grund für Respekt. 3 Abwehrrechte als Veto * (Zitat Putz/Thöns ) 4 keine direkt. Implikation von Anspruchsrechten 5 Delegieren von Entscheidungen erlaubt 14

15 Alltagsethik: Orientierungen? Standesethik, zb: Hippokratischer Eid Genfer Gelöbnis "Professionalismus"-Bewegung [...] Dimensionen ärztlicher Verantwortung: Patient Gesellschaft Gesundheitssystem Medizinische Wissenschaft 15

16 Professionelle Kompetenz mit lebenslangem Lernen 2 Ehrlichkeit mit Patienten 3 Schweigepflicht 4 adäquates Beziehungsverhalten 5 Qualitätsverbesserung 6 gerechte Verteilung endlicher Ressourcen 7 Weiterentwicklung med. Wissens 8 ehrlicher Umgang mit Interessenskonflikten 9 professionelle Zusammenarbeit 16

17 Revision Genfer Gelöbnis 10/2017 Titel 17

18 Pat.-Kommunikation: mit Respekt und auf Augenhöhe Informed Consent Rolle als Student/Famulant! Fehlerkultur Bewusstsein für Nocebo-Effekte 18

19 Schweigepflicht Schon im Hippokratischen Eid ( v.chr.): "Was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb meiner Praxis im Umgang mit Menschen sehe und höre, das man nicht weiterreden darf, werde ich verschweigen und als Geheimnis bewahren 19

20 Schweigepflicht o Die ärztliche Schweigepflicht gilt mit Bezug auf jeden Patienten über dessen Tod hinaus auch gegenüber Angehörigen o Verletzungen der ärztlichen Schweigepflicht können rechtliche Relevanz haben

21 (...) 2.2 Reichweite Die ärztliche Schweigepflicht umfasst alle Tatsachen, die nur einem bestimmten, abgrenzbaren Personenkreis bekannt sind und an deren Geheimhaltung der Patient ein verständliches, also sachlich begründetes und damit schutzwürdiges Interesse hat. Sie ist grundsätzlich auch gegenüber anderen Ärzten, Familienangehörigen des Patienten sowie eigenen Familienangehörigen zu beachten. Auch nach dem Tod des Patienten besteht die ärztliche Schweigepflicht fort. 21

22 Schweigepflicht Im Dienste von: - informationellem Selbstbestimmungsrecht - individuellem Patientenvertrauen - anamnestisch kundiger = guter Medizin - Allgemeininteresse wichtig: Zuverlässigkeit! Ausnahmeregelungen transparent und im Anwendungsfall mitzuteilen 22

23 Schweigepflicht heute: verändertes Konzept ggü. Hippokratischen Zeiten große Behandlungs-Teams hochgradig gefährdet durch: o "ausfransende" Teams o Dritt-Interessen o moderne Kommunikationstechniken Datenschutz in der digitalen Medizinwelt ist ein gesondertes Thema von immenser Bedeutung 23

24 Rechtliche Basis der ärztlichen Schweigepflicht (1) Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (ableitbar aus Art 1.I +2.I GG) (2) Strafrecht insbes. 203 StGB (3) Berufsrecht MBO LÄKn (4) plus: Zivil-, Arbeits-, Sozialrecht 24

25 Schweigepflicht Herausforderungen im Alltag o Aufzug/Flurgespräche; Telefonate; Privatleben o Ausnahmen o Entpflichtung durch den Patienten o Gesetze (Meldepflicht) o Eigenschutz o Höhere rechtliche/ethische Güter

26 Schweigepflicht: Fälle o Angehörigen-Fall: HIV-Patient informiert Partnerin nicht o Fremdschaden-Fall: Der Germanwing- Kopilot o Minderjährige will die Pille/ ist schwanger

27 Lesetipp 27

28 ... (häufige Missverständnisse) 1 fällt nicht vom Himmel Ärzte als Garanten 2 ist nicht der einzige Grund für Respekt. 3 Abwehrrechte als Veto * (Zitat Putz/Thöns ) 4 keine direk. Implikation von Anspruchsrechten 5 Delegieren von Entscheidungen erlaubt 28

29 Medizinethik für Studierende in Münster (1) GTE (Vorlesung und Seminare ab Mai) (2) Wahlfach-Veranstaltungen (3) In jedem SoSe: Ringvorlesung Medizinethik (4) Doktorarbeiten 29

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31 DANKE FÜRS ZUHÖREN! Auf Wiedersehen am um 10:15 Fröhliche Ostern!!