Therapieziele bei Demenz
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- Dirk Grosse
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1 9. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) Berlin, September 2012 Wiss. Symposium: Sterben mit Demenz Therapieziele bei Demenz PD Dr. med. Dr. phil. Ralf J. Jox Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Ludwig-Maximilians-Universität München
2 Gliederung 1. Herausforderung für die Palliativmedizin 2. Krankheitsverläufe 3. Therapieziele 4. Herausforderungen Jox - DGP Berlin
3 Demenz 36 Mio. Demenzkranke weltweit, 1,1 Mio. in Deutschland Quelle: Daten der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Human Mortality Database Jox - DGP Berlin
4 Definition Demenz ist ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler höherer kortikaler Funktionen, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache, Sprechen und Urteilsvermögen im Sinne der Fähigkeit zur Entscheidung. Das Bewusstsein ist nicht getrübt. Für die Diagnose einer Demenz müssen die Symptome nach ICD über mindestens 6 Monate bestanden haben. Die Sinne (Sinnesorgane, Wahrnehmung) funktionieren im für die Person üblichen Rahmen. Gewöhnlich begleiten Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation die kognitiven Beeinträchtigungen; gelegentlich treten diese Syndrome auch eher auf. S3-Leitline Demenz (DGN, DGPPN) Jox - DGP Berlin
5 Palliative Care für Demenz Demenzen: Chronisch-progrediente, lebensbedrohliche Krankheiten Kein kurativer Ansatz möglich Psychische, physische, soziale und spirituelle Probleme, nur multiprofessionell behandelbar Besondere Belastung für Angehörige: - 7,4h tgl. durchschnittliche Betreuungszeit - 85% der Betreuenden sind Frauen - 40faches Risiko für Depression World Alzheimer Report 2009 Jox - DGP Berlin
6 Wann Palliative Care? Präsympt./prädiktive Diagnose Diagnose Änderung des Therapieziels Tod Rehabilitation Palliation Lebenserhalt Integrierte Therapie (kurativ + palliativ) Sterbebegleitung Trauerbegleitung Nach Murray SA et al, BMJ 2005 Jox - DGP Berlin
7 Gliederung 1. Herausforderung für die Palliativmedizin 2. Krankheitsverläufe 3. Therapieziele 4. Herausforderungen Jox - DGP Berlin
8 Syndrom und Krankheiten Demenz = Syndrom Neurodegenerative Demenzerkrankungen Vaskuläre Demenzerkrankungen Alzheimer, Frontotemporale D. (Tauopathien), Lewy-Körper-D., Parkinson (Synukleopathien), Creutzfeldt-Jakob, Sekundäre Demenzerkrankungen MS, Rheumatologische / endokrine Erkrankungen, HIV Strategischer Infarkt, Multi-Infarkt-D. Subkortikale vaskuläre D. CADASIL Jox - DGP Berlin
9 Verläufe Vaskuläre Demenz, Hochbetagte M. Parkinson, HIV Alzheimer- Demenz Multiinfarkt- Demenz Aus: JR Lunney et al, JAMA 2003; 289(18), Jox - DGP Berlin
10 Symptome Kognition: Kognitive Defizite (Gedächtnis, Orientierung, Aphasie ) Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten, Apraxie Personen nicht erkennen Emotion/Sozialverhalten: Wesensänderung, Impulsivität, Hypersexualität Essstörungen Anderes: Halluzinationen, Depression, Suizid Schlafstörung, Epilepsie, motorische Störungen, Schmerz Jox - DGP Berlin
11 Gliederung 1. Herausforderung für die Palliativmedizin 2. Krankheitsverläufe 3. Therapieziele 4. Herausforderungen Jox - DGP Berlin
12 Therapieziele Lebensqualität Erhalt residualer Fähigkeiten/Ressourcen Verlangsamung der Krankheitsprogression Gesundheitliche u. familiäre Vorausplanung Symptomkontrolle (psychisch, physisch) Verbesserung des sozialen Netzwerks Förderung eines friedlichen / würdigen Sterbens Jox - DGP Berlin
13 Klärung der Therapieziele Welches Therapieziel will der Patient erreichen? Alternatives Therapieziel? Ist dieses Therapieziel realistisch erreichbar? ja nein Indikation Wille des Patienten Rechtfertigt der Nutzen dieses Therapieziels die Risiken und Belastungen der Maßnahmen, die nötig sind, um das Ziel zu erreichen? nein - Ärztliches Urteil und Empfehlung - Dialog mit Patient und Angehörigen - Beurteilung des Patienten (o. seines Vertreters) ja Maßnahme durchführen, Therapieziel überprüfen Jox RJ et al, J Med Ethics 2012 Jox - DGP Berlin
14 Gliederung 1. Herausforderung für die Palliativmedizin 2. Krankheitsverläufe 3. Therapieziele 4. Herausforderungen Jox - DGP Berlin
15 Krankheitsbeginn Frühdiagnose: Effekt auf Lebensqualität? Advance Care Planning (ACP): Retrospektive Mortalitätsstudie (Belgien): nur 11% Demenzkranker hatten Stellvertreter, nur 45% führten Gespräche mit Hausarzt Meeussen et al ACP korreliert mit palliativer Therapie am Lebensende Vandervoort et al 2012 ACP-Programme speziell für Demenzkranke sollten entwickelt und evaluiert werden Jox - DGP Berlin
16 Beispiel Randomisierte Studie, n = 309 Patienten > 80 J. Nach 6 Monaten 56 : Präferenzen respektiert bei 86% (ACP) vs. 30% (kein ACP) Angehörige (ACP): Stress, Angst, Depression Jox - DGP Berlin
17 Symptomkontrolle Schmerzen oft unerkannt und unbehandelt - S3-Leitlinie 2009 (106 S.): nichts zu Schmerz/-therapie! - Messung und Erfolgskontrolle? - Therapieprotokolle? Medikamente? Fixierungen oft unnötig und kontraproduktiv PEG bei Demenz schädlich (Sampson EL et al. 2009) Prospektive Studie: 323 Demenzkranke in US-Pflegeheimen (18 Mo) - 55%, Essprobleme 85%, Fieber 52%, Pneumonie 41% - 46% Dyspnoe, 39% Schmerzen - 40% 1 belastende Intervention 3 Mo vor (v.a. wenn Angehörige nicht informiert über Prognose und Komplikationen) Mitchell SL et al. NEJM 2009 Jox - DGP Berlin
18 Lebensende Palliativversorgung in Pflege- und Altersheimen? Hospizversorgung? Verlegung Heim Hospiz? Johnson et al. 2012: 5% entlassen nach >6 Mo, 95% nach ø 12 d Unterstützung der Angehörigen: spezifische Programme? Krankenhaus-Versorgung bei Krisen? US-Studie: kogn./funkt. eingeschränkte Pflegeheimbewohner: - 19% hatten belastende Verlegungen in den letzten 3 Lebensmonaten, - v.a. wenn keine PV vorhanden, - Korrelation mit PEG, Intensivstation, hochgradige Dekubiti Gozalo et al. NEJM 2011 Jox - DGP Berlin
19 Ethik Wie lässt sich Selbstbestimmung ermöglichen? Umgang mit natürlichem Willen : z.b. Nahrungsverweigerung, Lebenswille vs. PV? Umgang mit Suizidwünschen und Fragen nach Suizidhilfe? Deutscher Ethikrat 2012 Jox - DGP Berlin
20 Versorgung in Deutschland 2012 Magensonde (v.a. PEG) bei 6% der stationären und 4% der ambulanten Pflegepatienten Quasi alle Bewohner sterben in den Einrichtungen, aber 17% der Einrichtungen haben (noch) kein Konzept zur Sterbebegleitung Selbstbestimmung der Bewohner wird in 85% der Einrichtungen berücksichtigt Jox - DGP Berlin
21 Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
22 Stellvertretung Fähigkeit zu eigener Entscheidung Krankheitsprozess Tragweite und Komplexität der Entscheidungen Zunahme rechtlicher Betreuungen und Vorsorgevollmachten Betreuungsverfahren (amtliche Erhebung) Jox - DGP Berlin
23 Stellvertretung: Studie Wie unterscheiden sich Angehörige und Berufsbetreuer bei Therapie-Entscheidungen für Demenzkranke? Empirische Studie an Hand typischer Fallbeispiele: Entscheidung über PEG-Sonde / Herzschrittmacher 16 Angehörige von Demenzkranken (Selbsthilfegruppen), 16 Berufsbetreuer von Demenzkranken (Betreuervereine) Methode des lauten Denkens: Tonaufnahme Verschriftlichung Textanalyse Jox RJ et al. (2011) Int J Geriatr Psychiatr Jox - DGP Berlin
24 Stellvertreter im Vergleich FREMDBETREUER Rationales Vorgehen Sachlich-distanziert Fokus: Patientenautonomie Absprache mit Arzt Häufig Anfrage ans Gericht ANGEHÖRIGE Intuitives Vorgehen Bezug zur eigenen Haltung Fokus: Patientenwohl Absprache im Familienkreis Keine Anfrage ans Gericht Professionelle Rolle Existenzielle Rolle Jox RJ et al. (2011) Int J Geriatr Psychiatr Jox - DGP Berlin
25 Entscheidungen im Vergleich Keine Therapieeinwilligung Therapieeinwilligung Beide Fälle Fall Schrittmacher Fall PEG-Sonde n = Angehörige Fremdbetreuer Jox RJ et al. (2011) Int J Geriatr Psychiatr Jox - DGP Berlin
26 Indikation und Magensonde Angestrebte Therapieziele: Verlängerung des Lebens Besserer Ernährungsstatus Mehr Lebensqualität Weniger Wundliegen Verschlucken verhindern Durchfall, Übelkeit, Erbrechen Hautentzündungen Weniger Zuwendung Oft Fixierung Sampson EL et al. (2009) Cochrane Databse Syst Rev. Jox - DGP Berlin
27 Aktuelles Verhalten Lebenseinstellung Frühere Aussagen Personale Faktoren Situative Faktoren Sicht der Angehörigen Sicht des Arztes Sicht der Pflegenden Verhalten des Patienten Jox RJ et al. (2011) Int J Geriatr Psych 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 Relatives Gewicht bei Entscheidungsfindung Jox - DGP Berlin
28 Advance Care Planning Strukturierter, langfristiger Kommunikationsprozess Angebot an chronisch Kranke oder Betagte Beratung durch Sozialarbeiter, Pflegende, Ärzte orientiert an Therapiezielen und Patientenwünschen Dokumentation: Werteanamnese, Vorsorgevollmacht, PV, ärztliche Notfallpläne Vernetzung mit Arzt, Klinik, Heim, Rettungsdienst Dokumente für alle leicht zugänglich Jox - DGP Berlin
29 Literatur Jox RJ: Sterben lassen: Über Entscheidungen am Ende des Lebens. Hamburg: Edition Körber-Stiftung 2011 Borasio GD et al.: Patientenverfügung: Das neue Gesetz in der Praxis. Stuttgart: Kohlhammer 2011 Jox - DGP Berlin
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