12. Wahlperiode
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- Ruth Weiß
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1 12. Wahlperiode Antrag der Abg. Dr. Walter Caroli u. a. SPD und Stellungnahme des Staatsministeriums Weiterentwicklung der Europäischen Union Inhaltliche Positionen der Landesregierung zur Grundrechtscharta und der künftigen Zuständigkeitsverteilung zwischen Europa, Bund und Ländern Antrag Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten, 1. in welcher Weise das Land Baden-Württemberg konkret in die Erarbeitung der Europäischen Grundrechtscharta eingebunden ist; 2. welche Auffassung die Landesregierung im Rahmen dieser Beteiligung bzgl. des konkreten Inhalts der Grundrechtscharta vertritt und welche konkreten landespolitischen Erfahrungen und Auffassungen die Landesregierung dabei einbringt; 3. zu welchen inhaltlichen Zuständigkeitsfeldern des Landes nach der Kompetenzverteilung des GG, getrennt nach ausschließlicher, konkurrierender und Rahmengesetzgebung, die EU seit dem Maastrichter Vertrag Regelungen erlassen hat, bei denen nach Auffassung der Landesregierung aufgrund regionaler Besonderheiten vorrangig eine Regelung durch den sachnäheren Landtag bzw. die Landesregierung gerechtfertigt gewesen wäre; 4. in welchen konkreten sachlichen Regelungsbereichen nach Auffassung der Landesregierung die Länder als regionale Entscheidungsträger künftig eigene Zuständigkeiten gegenüber EU und Bund behalten bzw. erhalten sollen Dr. Caroli, Bebber, Birgit Kipfer, Lorenz, Birzele, Junginger SPD Eingegangen: / Ausgegeben:
2 Begründung Dieser Antrag dient der konkreten Information darüber, wie sich die Regelungszuständigkeiten der Bundesländer durch vorrangige Entscheidungen der EU seit dem Maastrichter Vertrag verändert haben und welche konkreten thematischen Regelungsbereiche nach Auffassung der Landesregierung die Länder als regionale Entscheidungsträger künftig wieder gegenüber Bund und EU als eigene Entscheidungszuständigkeiten behalten bzw. erhalten sollen. Schließlich soll über die konkreten inhaltlichen Positionen der Landesregierung zur Grundrechtscharta der Europäischen Union berichtet werden. Stellungnahme Mit Schreiben vom 10. Mai 2000 Nr. V nimmt das Staatsministerium zu dem Antrag wie folgt Stellung: 1. In welcher Weise ist das Land Baden-Württemberg konkret in die Erarbeitung der Europäischen Grundrechtscharta eingebunden? Nach dem Beschluss des Europäischen Rates in Köln vom 3./4. Juni 1999 soll die Charta der Europäischen Grundrechte von einem Gremium unter maßgeblicher Beteiligung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente ausgearbeitet werden. Die Bundesregierung hat erreicht, dass die nationalen Parlamente mit jeweils zwei Mitgliedern in dem Gremium vertreten sind. Für Deutschland entsenden Bundestag und Bundesrat jeweils einen Vertreter. Der Bundesrat hat hierfür den Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei des Freistaats Thüringen benannt, der seine Aufgabe im Konvent in Abstimmung mit den anderen Ländern wahrnimmt. Das Land ist in diesem Rahmen an der Ausarbeitung von Länderpositionen zur Grundrechtscharta beteiligt. Eckpunkte dazu wurden im Beschluss des Bundesrates vom 17. März 2000 (Bundesrats-Drucksache 47/00) festgehalten, der vom Land mitgetragen wurde. 2. Welche Auffassung vertritt die Landesregierung im Rahmen dieser Beteiligung bzgl. des konkreten Inhalts der Grundrechtscharta und welche konkreten landespolitischen Erfahrungen und Auffassungen bringt sie dabei ein? Die Landesregierung betrachtet die Grundrechte als Ausdruck gemeinsamer Werte- und Rechtsüberzeugungen innerhalb der Europäischen Union. Sie befürwortet eine in sich geschlossene und verständliche Darstellung der für europäisches Handeln maßgeblichen grundrechtlichen Verbürgungen in einer Europäischen Grundrechtscharta. Damit wird die in Artikel 6 EU-Vertrag festgelegte Achtung der Grundrechte konkretisiert und zugleich die Identität der Europäischen Union gestärkt und Orientierungen für die Beitrittskandidaten vermittelt. Die Europäische Grundrechtscharta gewinnt Bedeutung vor allem für die europäischen Organe und Institutionen. Nach Auffassung der Landesregierung kann ihr Ziel nicht die Harmonisierung der in den Mitgliedstaaten geltenden Grundrechte sein. Die Europäische Union muss auch in Zukunft die nationalen Grundrechtstraditionen als wichtigen Ausdruck des Staatsverständnisses der sie tragenden Mitglieder achten und respektieren. Die für dieses Jahr vorgesehene feierliche Erklärung der Europäischen Grundrechte zeitigt noch keine unmittelbaren Rechtswirkungen. Erst ihre 2
3 förmliche Einbeziehung in die europäischen Verträge führte zu einer Bindung im strikten Rechtssinne. Im Hinblick darauf sollten allerdings bereits jetzt nur solche Grundrechte aufgenommen werden, die später auch bindende Wirkung entfalten können. Die Verankerung politischer Handlungsziele würde die Aufgabe der Grundrechtscharta verfehlen. Sie liefen auch dem von der Landesregierung bei der laufenden Regierungskonferenz verfolgten Ziel zuwider, die Kompetenzen der europäischen Organe zu präzisieren. Die Regelungen in der Grundrechtscharta dürfen nicht zu einer Erweiterung der europäischen Kompetenzen führen. Die im Grundgesetz verbürgten Grundrechte haben in Deutschland zu unitarischen Tendenzen in der Gesetzgebung geführt. Aufgrund dieser Erfahrungen legt die Landesregierung besonderen Wert darauf, dass durch europäische Grundrechtsgewährleistungen nicht Zuständigkeitsabgrenzungen durchbrochen werden. Die Europäischen Grundrechte dürfen nicht zu vereinheitlichender europäischer Rechtsetzung führen. 3. Zu welchen inhaltlichen Zuständigkeitsfeldern des Landes nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes, getrennt nach ausschließlicher, konkurrierender und Rahmengesetzgebung hat die EU seit dem Maastrichter Vertrag Regelungen erlassen, bei denen nach Auffassung der Landesregierung aufgrund regionaler Besonderheiten vorrangig eine Regelung durch den sachnäheren Landtag bzw. die Landesregierung gerechtfertigt gewesen wäre? Seit dem Vertrag von Maastricht stellt Art. 5 Absatz 2 EG-Vertrag klar, dass in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig wird, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können. Die deutschen Länder gehen davon aus, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht nur zugunsten der nationalen Regierungen wirkt, sondern zusammen mit der in Artikel 6 Abs. 3 EU-Vertrag festgelegten Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten auch die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften vor ungerechtfertigter europäischer Rechtssetzung schützt. Das bedeutet, dass immer dann, wenn aufgrund der besonderen Sachnähe eine Regelung durch das Land angezeigt wäre, dieses nach dem Subsidiaritätsprinzip auch zuständig ist, sofern nicht im EG-Vertrag oder im Grundgesetz ausdrücklich andere Zuständigkeitsregelungen getroffen sind. Würde die EU in einem solchen Falle tätig, verletzte sie das Subsidiaritätsprinzip. Die Länder greifen mögliche Verstöße gegen das Subsidiaritätsprinzip bei EU-Vorhaben im Rahmen von Stellungnahmen des Bundesrats auf, der insoweit Sachwalter ihrer Interessen gegenüber der Bundesregierung und der Europäischen Union ist. Seit In-Kraft-Treten des Vertrages von Maastricht erfasst das Sekretariat des Bundesrates jedes Jahr diejenigen seiner Beschlüsse, die Rügen bezüglich des Subsidiaritätsprinzips enthalten. Eine Aufschlüsselung nach ausschließlicher, konkurrierender und Rahmengesetzgebung erfolgt dabei nicht, weil das Subsidiaritätsprinzip unabhängig von den mitgliedstaatlichen Zuständigkeitsregelungen gilt. Außerdem ist zu dem frühen Zeitpunkt, zu dem die europäischen Vorhaben behandelt werden, häufig noch nicht klar, welche der bundesstaatlichen Ebenen soweit ein entsprechender EU-Rechtsakt tatsächlich zustande kommt für die eventuelle Umsetzung in nationales Recht zuständig wäre. Für europäische Regelungen ist typisch, dass sie Maßnahmen sowohl im Bereich des Bundes als auch der Länder notwendig machen. Der Bund ist häufig für die gesetzgeberische Umsetzung zuständig, während den Ländern die Ausführung zukommt. 3
4 In der Anlage ist die aktuelle Aufstellung des Sekretariats des Bundesrates beigefügt, in der sämtliche europäische Vorhaben aufgeführt sind, die nach Auffassung des Bundesrates im Jahre 1999 zu Subsidiaritätsbedenken Anlass gegeben haben. 4. In welchen konkreten sachlichen Regelungsbereichen sollen nach Auffassung der Landesregierung die Länder als regionale Entscheidungsträger künftig eigene Zuständigkeiten gegenüber EU und Bund behalten bzw. erhalten? Die Regierungschefs der Länder sind übereingekommen, einen Bericht der Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Sachsen über Grundsätze zur Zukunft des Föderalismus in der Europäischen Union: Wahrung der Länderzuständigkeiten im Kompetenzgefüge der EU als Leitlinie ihren gemeinsamen Bemühungen um die Wahrung der Länderbelange innerhalb des bundesstaatlichen und europäischen Kompetenzgefüges zugrunde zu legen. In dem Bericht wird verlangt, dass den Ländern ein Gesamtbestand an Kompetenzen verbleibt, der die Voraussetzung dafür bietet, dass die vom Grundgesetz garantierte Eigenstaatlichkeit der Länder mit Leben erfüllt wird. Die Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes gewährleistet einen derartigen Gesamtbestand an Kompetenzen. Sie lag in ihren wesentlichen Elementen als geltendes Verfassungsrecht bereits den Zustimmungsgesetzen zu den Europäischen Verträgen zugrunde. Danach sind die Zuständigkeiten der Länder insbesondere in folgenden Bereichen zu wahren: Regionaler und sozialer Strukturausgleich innerhalb des Landes, Förderung der Wirtschaftsstandorte, Raumplanung, Infrastruktur, Öffentlicher Personennahverkehr, Regionaler Schienenverkehr, Fragen der Daseinsvorsorge (Wasser, Abwasser, Abfall), Gesundheitswesen, Kulturförderung, Wissenschaft, Bildung, Forschung, Medien, Innere Sicherheit, Wohlfahrtspflege, Verwaltungs- und Finanzhoheit. Die Landesregierung setzt sich im Rahmen der Regierungskonferenz zur Reform der europäischen Verträge mit Nachdruck dafür ein, dass die genannten Politikbereiche weiter von den Ländern wahrgenommen werden können. So haben die Regierungschefs der Länder am 24./25. März 2000 eine Stellungnahme zur Regierungskonferenz verabschiedet, in der entsprechende Vorkehrungen gefordert werden. Dr. Menz Staatssekretär 4
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