Am 29. September 2016 fand nachmittags

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1 60 Jahre Bw-Luftwaffe Einmarsch der Truppenfahnen aller Lw-Abordnungen zum Appell Am 29. September 2016 fand nachmittags ein militärischer Appel aus Anlass des 60jährigen Bestehens der Bundeswehr-Luftwaffe auf dem Flugplatz Nörvenich statt. Abordnungen aller Verbände der Luftwaffe waren mit ihren Truppenfahnen vertreten und ein Musikkorps umrahmte den Appell mit einigen Musikstücken und zuletzt als Abschluss mit der Nationalhymne. Der Inspekteur der Luftwaffe Karl Müllner und der frühere Inspekteur der Lw ( ) und späterer Deputy Supreme Allied Commander Europe der NATO General Eberhard Eimler ( ) schritten die Front der angetretenen Soldaten ab und hielten anschließend beachtenswerte Reden. Rede Generalleutnant Karl Müllner anlässlich des Zentralappells 60 Jahre Luftwaffe Sehr verehrte Damen und Herren, sehr geehrte politische Vertreter aus Stadt und Land! Sehr geehrte Gäste aus Gesellschaft, Wirtschaft und Kirchen! Liebe Kameraden der Bundeswehr und unserer verbündeten Streitkräfte! Ich freue mich sehr, dass wir das 60-jährige Jubiläum unserer Luftwaffe heute hier beim Taktischen Luftwaffengeschwader 31 Boelcke feiern, denn gerade Nörvenich symbolisiert den so wichtigen Dreiklang aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Hier erhielten am 2. Januar 1956 die ersten Freiwilligen der Luftwaffe ihre Ernennungsurkunden. Die am 1. Oktober 1957 aufgestellte 1. Staffel ist die älteste Jagdbomber- und Kampfstaffel der Deutschen Luftwaffe. Das Jagdbombergeschwader 31 wurde am 19. Januar 1959 als erster Luftwaffenverband von der NATO überprüft und dem Bündnis unterstellt. Das Geschwader, das im April 1961 nach dem Jagdflieger Oswald Boelcke benannt wurde, meldete sich 1962 als erster Verband der Luftwaffe mit dem Starfighter einsatzbereit, wurde als erstes Geschwader mit dem 9

2 GenLt Karl Müllner bei seiner Rede Tornado ausgestattet und auch Ende 2009 als erstes Jagdbombergeschwader mit dem Eurofighter ausgerüstet. Das ist ein beeindruckender Teil unserer Luftwaffengeschichte, auf die die Angehörigen dieses Verbandes jeden Tag weiter aufbauen und die wir alle heute hier zusammen fortschreiben: Als angetretene Truppe, mit Musik, den Truppenfahnen unserer Luftwaffe, dem Ehrenzug aber auch Ihnen, den Gästen des heutigen Appells. Gemeinsam feiern wir 60 Jahre Luftwaffe dies ist ein mehr als würdiger Anlass. Denn Generationen von Luftwaffen-Soldatinnen und Soldaten und zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Luftwaffe haben viel erreicht, seitdem im September 1956 die ersten Flugzeuge mit deutschen Hoheitsabzeichen in ihren Einsatzauftrag starteten. Vor allem schnell musste der Aufbau der ersten Jahre vorangehen, damit die noch junge Luftwaffe ihren Beitrag zur Verteidigung des Bündnisses leisten konnte. Gelungen ist der Aufbau zwar, aber er hatte auch einen hohen Preis. Denn der Betrieb der Anfangsjahre war risikoreich und forderte auch Opfer. Wir gedenken daher an einem Tag wie heute ehrend all jenen, die in 60 Jahren Luftwaffe den Dienst für Ihr Vaterland mit dem Tode bezahlen mussten. Wir gedenken Ihrer in Trauer, aber auch in der Gewissheit, dass durch ihren Einsatz unsere Nation in Selbstbestimmung ihre Einheit wiedererlangen konnte und uns heute unsere Freiheit selbstverständlich geworden ist. Doch zunächst zurück zum Beginn des Kalten Krieges. In der NATO-Strategie der Massive Retaliation spielten insbesondere die Luftstreitkräfte eine zentrale Rolle. Gerade deswegen war für die Luftwaffe die Zusammenarbeit mit der US-Airforce weg- 10

3 weisend - wegweisend vor allem für die Auswahl der Waffensysteme und die fliegerische Ausbildung. Mitte der 60er Jahre plante man innerhalb der NATO die neue Strategie der Flexible Response, die eine abgestufte konventionelle Reaktion vorsah. Die hohe Einsatzbereitschaft und die sofortige Reaktionsfähigkeit der Luftwaffe blieben trotz Strategiewechsel von besonderer Bedeutung. Bis in die letzten Jahre des Kalten Krieges waren die boden- und luftgestützten Teile der Luftwaffe rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, in hoher Einsatzbereitschaft. Erst das friedliche Ende des Kalten Krieges, beendete diesen Einsatzauftrag und führte die Gegner von einst zueinander. Die Luftstreitkräfte der NVA wurden zwar aufgelöst und nur wenige ausgewählte Waffensysteme, wie beispielsweise die MiG-29, in die Luftwaffe übernommen. Viel bedeutender war jedoch, dass die Luftwaffe fast Angehörige der ehemaligen NVA als Zeitsoldaten übernahm, von denen letztlich als Berufssoldaten eine neue soldatische Heimat in unserer Luftwaffe fanden. Auch die Verlegung ganzer Verbände aus der alten Bundesrepublik in die neuen Bundesländer hat sicherlich dazu beigetragen, dass die Armee der Einheit einen wichtigen Beitrag zur deutschen Einheit selbst leistete. Für mich steht hierbei außer Frage, dass unser besonderes Selbstverständnis als Team diesen Prozess des Zusammenwachsens erheblich erleichtert hat. Der Armee der Einheit folgten die Jahre, die für die Bundeswehr mit dem Stichwort Armee im Einsatz beschrieben werden. Einsatzarmee dieser Begriff kennzeichnet für die Luftwaffe jedoch nicht die ganze Wirklichkeit. Denn für die Luftwaffe hatte sich schon mit der Wiedervereinigung viel verändert: Als einen sichtbaren Schritt der vollen deutschen Souveränität hatten wir ab dem 19. November 1990 die Aufgabe des Air Policing übernommen, welche bis dahin in erster Linie durch unsere amerikanischen Verbündeten wahrgenommen wurde. Auch haben wir uns seit dieser Zeit, trotz der zu zahlenden Friedensdividende, konsequent auf die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen, die gestiegenen Erwartungen und größere Verantwortung des wiedervereinigten Deutschlands ausgerichtet. Ziel war es, die Luftwaffe modular und flexibel aufzustellen, um den erwarteten Beitrag an internationalen Einsätzen leisten zu können. Und unsere Luftwaffe wurde im Einsatz gefordert: Auf dem Balkan beispielsweise im Rahmen der Operationen Deliberate Force und Allied Force, in Afghanistan bei ISAF und heute RS, in Afrika bei Einsätzen wie der Operation Pegasus in Libyen und heute in Mali oder kürzlich bei AF TUR in der Türkei oder bei Counter Daesh über Syrien und dem Irak. Vergessen werden darf dabei jedoch nicht, dass der Einsatz für unsere Luftwaffe von Anbeginn gelebte Realität war. So war es eben unsere Luftwaffe, die bereits 1960 Hilfsgüter nach Marokko geflogen hat, um nach einer Erdbebenkatastrophe den Menschen vor Ort zu helfen. Es folgten Hilfsflüge nach Äthiopien und in den Iran. Über die Jahrzehnte hinweg haben Soldaten der Luftwaffe in zahlreichen humanitären und Katastrophen-Einsätzen Menschen in Not geholfen, so dass wir heute mit Stolz auch auf eine lange Tradition humanitärer Einsätze zurückblicken können. Doch es waren nicht nur diese Hilfsflüge, die den Einsatzcharakter der Luftwaffe seit jeher bestimmten: Denn seit Beginn der 60er Jahre war die Luftwaffe im Rahmen der integrierten NATO-Luftverteidigung permanent im Dauereinsatz. So führten die Verbände der Luftraumüberwachung rund um die Uhr die Jagdgeschwader und die Flugabwehrraketenverbände, die in den Luftraum der NATO eingedrungene gegnerische Luftfahrzeuge des damaligen Warschauer Pakts abgefangen oder bekämpft hätten. Die Luftwaffe war in allen Jahrzehnten ein Garant für Sicherheit und Stabilität und hat sich in der NATO sowie über Europa hinaus ihren Ruf als verlässliche und leistungsstarke Luftstreitmacht erworben. 11

4 Sehr geehrte Gäste, liebe Kameraden, 60 Jahre Luftwaffe lassen uns zurückblicken: Aufbaujahre, Kalter Krieg und dann die Epochenwende des Mauerfalls ordnen unsere Geschichte der ersten Jahrzehnte. Doch auch wenn die Wiedervereinigung hierbei als eine Epochengrenze dienen kann, führt der Versuch, die Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges trennscharf abzugrenzen und als die Jahre des Einsatzes zu kennzeichnen, in die Irre. Vielleicht sind andere Ansätze überzeugender? Gibt es eine Epoche des Starfighters, des Tornados, oder des Eurofighters? Leitete rückblickend die Kosovo Air Campaign im Jahr 1999 eine neue Periode ein, weil hier erstmals unter Kampfbedingungen fliegende Einsatzverbände der Luftwaffe zum Einsatz kamen? Wird in einigen Jahren der erste Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge der Male-Klasse in Afghanistan als Wendepunkt der Luftwaffengeschichte bezeichnet werden? Vielleicht haben sogar einzelne Personen die Kraft, als prägende Begründer einer Zeitspanne zu dienen. Begründet beispielsweise der durchsetzungsstarke Inspekteur und Modernisierer, General Steinhoff, mit seinem entschlossenen Handeln eine Ära? Ich komme hier zu einer anderen Erkenntnis, denn mir beweist der Rückblick auf 60 Jahre Luftwaffe vielmehr eins: Es gibt im Kern durchgängig nur EINE Luftwaffe. Eine Luftwaffe, die sich dadurch auszeichnet, dass wir uns gemeinsam über sechs Jahrzehnte den stets neuen Herausforderungen mutig gestellt haben. Eine Luftwaffe, die sich dadurch auszeichnet, dass sich unser grundsätzlicher Auftrag trotz allem ebenso wenig gewandelt hat, wie unser besonderes Selbstverständnis, das uns als Team Luftwaffe von anderen trotz Streitkräftegemeinsamkeit dann doch unterscheidet. Und das ist schon gut so. Sehr verehrte Damen und Herren, sehr geehrte Gäste, liebe Kameraden, alle heute Anwesenden, die an den Erfolgen der vergangenen sechs Jahrzehnte mitgewirkt haben - von der Aufbaugeneration bis hin zu den Soldatinnen und Soldaten, die sich aktuell ihren herausfordernden Aufgaben stellen. Sie alle tragen, prägen, formen und gestalten ein und dieselbe Luftwaffe. Unsere gemeinsame Geschichte lässt sich nicht trennen und teilen. Die jungen Soldaten schreiben unsere Geschichte fort und bauen hierbei auf dem Erreichten auf. Auch daher freue ich mich gemeinsam mit Ihnen allen sehr, dass Herr General Eberhard Eimler nun zu uns sprechen wird. Sie, lieber Herr General Eimler, schlagen eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft - mit Ihrer Rede, aber auch mit Ihrem Handeln in den Jahren, in denen Sie Führungsverantwortung in unserer Luftwaffe getragen haben. Sie haben Tradition begründet, die bis in die Gegenwart und Zukunft reicht. Ihr Einsatz erfolgte in dem Verständnis, dass jeder seinen besonderen Anteil am gemeinsamen Erfolg hat und jeder Einzelne gebraucht wird. Dies ist unsere DNA - unser identitätsstiftendes Selbstverständnis, das durch die Jahrzehnte Bestand hat und haben wird. Hochmotivierte, Frauen und Männer, die mit ihrer Professionalität, ihrem Leistungswillen und ihrem Gemeinschaftsgeist die Luftwaffe seit jeher auszeichnen, prägen unsere Luftwaffe in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dies gibt uns die Gewissheit, auch kommende Herausforderungen zu meistern! In diesem Verständnis schauen wir auch heute nach vorne und haben 60 Jahre nach unserer Stunde Null allen Grund, mit Selbstbewusstsein und Optimismus in die Zukunft zu blicken. Für diese - für unsere gemeinsame - Zukunft wünsche ich uns und der Luftwaffe alles Gute sowie Hals- und Beinbruch. 12

5 Rede General a.d. Eberhard Eimler anlässlich des Zentralappells 60 Jahre Luftwaffe Herr General, meine Damen, meine Herren, Kameraden! Wenn wir heute der Luftwaffe, allen aktiven Angehörigen und denen, die in den sechs Dekaden ihren Dienst geleistet haben, zum 60. Bestehen gratulieren, gehen meine Gedanken zuerst an die Flugzeugführer und Kameraden aller Dienstbereiche, die in Ausübung ihrer Pflicht ihr Leben ließen. Ich gedenke derer, die in der Aufbauphase, in der Zeit des Kalten Krieges und der Kampfeinsätze im Ausland nicht mehr nach Hause kamen und derer, die schwere gesundheitliche Schäden erlitten. Ich gedenke ihrer Frauen und Familien. 60 Jahre Luftwaffe rufen persönliche Erinnerungen wach. Blicke ich als Soldat und viereinhalb Jahre als Inspekteur der Luftwaffe zurück, so könnte ich auf Vieles verweisen, das dem Anlass des Jubiläums gerecht werden würde. Auch wenn 60 Jahre Luftwaffe zurück zur Aufstellung der ersten Einheit hier in Nörvenich und zu meiner Einberufung im Jahr 1956 führen, bietet der Rückblick auf einen anderen Tag eine noch bessere Möglichkeit, die Brücke zur Vergangenheit zu schlagen. Nur kurz nach meiner Pensionierung erlebte ich den Tag der Deutschen Wiedervereinigung, der im Vorfeld nicht nur Politiker verbündeter Staaten, sondern auch hochrangige Offiziere, mit denen ich seit Jahren in der Allianz zusammen arbeitete, veranlasste, ihre ernsthaften Bedenken zur Wiedervereinigung und der vermeintlichen Wiedererstarkung Deutschlands zu äußern. Was sie nicht hinderte, die Bruchstücke, die meine Frau und ich aus der Berliner Mauer brachen, als Erinnerungsstück anzunehmen. Der Kalte Krieg, der meine ganze Dienstzeit prägte, war überwunden. Deutschland hatte seinen Weg gefunden - aus Trennung und Blockkonfrontation zu einem geeinten und international geschätzten Partner in Freiheit und Wohlstand. Das Ende des Kalten Krieges war aber nicht General a.d. Eberhard Eimler das Ende der Geschichte - die nie abgeschlossen ist. Wir betrachten die Geschichte nicht aus der Sicht eines distanzierten Historikers, sondern erleben, wie die Soldatinnen und Soldaten der Luftwaffe auf der Geschichte der vergangenen Jahre aufbauen und sie aktiv fortschreiben. Das Motto des heutigen Tages hat der Inspekteur vorgegeben: ein Zusammenstehen mit stolzem Blick auf die Erfolgsgeschichte von 60 Jahren. Daher dürfen Sie von mir weder eine gedankenschwere, wehmütige Ansprache erwarten, noch einen ermüdenden chronologischen Rückblick. Natürlich möchte ich mich mit den alten Weggefährten, über deren Anwesenheit ich mich sehr freue, an die gemeinsam erlebte und gestaltete Zeit erinnern. Aber wichtiger ist mir der Versuch, den jungen Soldatinnen und Soldaten, die zum Zeitpunkt meiner Pensionierung noch nicht einmal geboren waren, Geschichte nahe zu bringen, erfahrbar zu machen. Ich schaue zurück auf Erlebnisse meiner Dienstzeit, mit dem Ziel, meine Geschichte mit dem heute und morgen zu verbinden. Es war der Traum vom Fliegen, der mich meinen Zivilberuf aufgeben ließ, sehr zum Widerwillen meiner Frau, die einen Elektroingenieur geheiratet hatte. Und zum Ärger, wie ich glaube, meiner Vorgesetzten, die mich zur Marine einzogen. 13

6 Nur nach dem Hinweis, wieder ins Zivilleben zurückkehren zu wollen, wurde ich zur Luftwaffe versetzt. Die Begeisterung für die Fliegerei war ein wesentliches Leitmotiv meiner gesamten Dienstzeit, sowohl als Fluglehrer, als Verbandsführer, Stabsarbeiter und auch als Inspekteur. Und ich lernte und erkannte, dass Spitzenleistung in der Luft und am Boden die Zusammenarbeit und Höchstleistung aller Dienstgrade erfordert. Und ich gewann eine weitere Erkenntnis: Es war Heilig Abend 1971, ich war Kommodore des Leichten Kampfgeschwaders 42 in Pferdsfeld, dem heutigen Taktischen Luftwaffengeschwader 73 Steinhoff in Laage, und machte, mit Weihnachtskleinigkeiten in der Tasche, eine späte, nächtliche Runde über den Flugplatz. Alles war in Ordnung, bis ich im Shelter-Bereich auf einen jungen Flieger stieß, der dort Wache hielt. Er hatte Tränen in den Augen. Er war das erste Mal in seinem Leben zu Weihnachten nicht zu Hause und allein in der Finsternis. Ich versuchte, ihm die Wichtigkeit seines Auftrages zu erläutern und ihm Mut zuzusprechen. Das gelang mir wohl, denn er meldete, er werde seine Pflicht tun. Das, wurde mir bewusst, das ist das Team Luftwaffe, in dem jeder Einzelne unmittelbar in Verantwortung steht und das Ganze mitprägt. Es ist die Erkenntnis, dass wir unsere Luftwaffe mit unserem Handeln, unseren Entscheidungen und unserem Einsatz gestalten und somit Tradition begründen. Wenn wir heute 60 Jahre Luftwaffe feiern, können wir feststellen, dass dies sehr gut gelungen ist. Wir haben eine eigene Tradition begründet, die Generationen verbindet, Identität sichert und Brücken zwischen Vergangenheit und Zukunft schlägt. Meine Entscheidung, Soldat werden zu wollen, fiel inmitten einer aufgeheizten Debatte um die deutsche Wiederbewaffnung. Die Entscheidung fiel nicht leicht und wurde auch in meinem Bekanntenkreis mit Skepsis gesehen, gehöre ich doch zur sogenannten Flakhelfergeneration und habe viele Freunde in den letzten Tagen des 2.Weltkrieges verloren. Soldaten sind Mörder und Ohne mich waren die Schlagworte der Zeit, in der wir sogar angewiesen wurden, in Uniform nur zu mehreren auszugehen. Schwer war es auch für die Frauen, die Ablehnung in der Nachbarschaft und zusätzliche Lasten auf sich nahmen, damit ihre Männer die damals noch graue, wenig attraktive Uniform, anziehen konnten. Noch vor meinem letzten Diensttag als aktiver Soldat bewies der Fall der Mauer, dass das komplexe Gefüge aus glaubwürdiger Verteidigungsfähigkeit und Entspannungsbereitschaft, aus nuklearer Abschreckung und konventioneller Abwehrfähigkeit, erfolgreich war. Wir alle kennen den hohen Preis, den die Luftwaffe dafür zahlen musste. Wir erinnern uns an die Starfighter-Krise, an die Abstürze im täglichen Flugbetrieb, an den Absturz einer Transall mit einer ganze Flugabwehrraketen-Crew auf Kreta. Wir wollen die Erinnerung an diese Kameraden und Freunde - auch in der Öffentlichkeit - wach halten. Rückblickend bleiben diese Jahrzehnte vor allem eine Geschichte der erfolgreichen Kriegsverhinderung. Noch ein Blick zurück: Wir waren die Ersten, die nach dem Krieg wieder deutsche Uniformen anzogen, hatten amerikanische, britische und kanadische Fluglehrer und Ausbilder, flogen durch ganz Europa und waren erstaunt, nichts von den erwarteten Ressentiments zu spüren. Wir waren in der Familie der Luftwaffen von Beginn an aufgenommen und in die alliierte Kommandostruktur integriert. Wir erkannten, dass wir auch Botschafter des neuen Deutschlands waren. Wir flogen zusammen und bildeten gemeinsam den Luftverteidigungsgürtel entlang der innerdeutschen Grenze. Wir schlossen Freundschaften, die weit über die Pensionierung hielten. Ein Erlebnis steht für viele: Anlässlich eines Aufenthaltes bei NAMFI, dem gemeinsamen Raketenschießplatz auf Kreta, saß am Nebentisch einer kleinen Strandtaverne ein älterer Mann in der typischen Landestracht. Ich war in Uniform. Nach einem Zögern ließ er mich durch den Wirt fragen, ob er mich zu einem Glas Wein einladen darf. Natürlich nahm ich an. 14

7 Es stellte sich heraus, dass er während des 2. Weltkrieges als Partisan gegen die deutsche Wehrmacht kämpfte und zu der Gruppe gehörte, die den deutschen Befehlshaber entführte. Jeder kämpfte für sein Land, sagte er, gut, dass wir heute vereint in einem Boot sitzen. Und, er sei stolz mit einem deutschen Soldaten ein Glas Wein trinken zu können. 60 Jahre Luftwaffe bedeuten auch Quantensprünge in der Technik und den Waffensystemen, verbunden mit sich ständig ändernden Anforderungen an unser technisches Personal. Von der F-86 und F-84 zum Eurofighter, vom Radiokompass zur Computernavigation, von der 20mm Zwillingsflak zur Patriot, eine endlose Liste. Wir Inspekteure hatten als Abteilungsleiter in der damaligen Ministeriums-Struktur die Verantwortung für den Bedarf unserer Teilstreitkraft. Wir hatten mit unserem Stab die Taktischen Forderungen zu stellen, diese im Ministerium und auch im Verteidigungs- und Haushaltsausschuss des deutschen Bundestages zu begründen und zu vertreten. Einige dieser Projekte wie Patriot, ECR-Tornado, Eurofighter und andere gehören heute zur Standard-Ausrüstung der Luftwaffe. Es war kurz nach meinem Dienstantritt als Inspekteur, als ich meinen Antrittsbesuch beim amtierenden Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl, machte, der erst wenige Monate im Amt war und gerade von seinem ersten Auslandsbesuch, der ihn nach Moskau führte, zurückgekommen war. Er fragte mich nach dem Stand der Luftwaffe und meinen Vorstellungen. Ich antwortete ihm: Herr Bundeskanzler, Sie regieren ein schönes Haus mit solidem Fundament, aber leider ohne sicheres Dach. Ich erklärte den Zustand unserer Nike und Hawk-Raketen und dass wir dringend ein Jagdflugzeug benötigten. Das nahm er zur Kenntnis; es war der erste politische Schritt zum Jäger 90, zum Eurofighter. Mit der Frage der öffentlichen Anteilnahme und Wahrnehmung dessen, was die Soldatinnen und Soldaten der Luftwaffe täglich leisten, will ich schließen. Als ich 1983 zum Inspekteur ernannt wurde, habe ich den Heißen Herbst der Großdemonstrationen gegen den NATO-Doppel- Der Überflug der Waffensysteme der Bw-Luftwaffe 15

8 Unterstützen Sie jetzt den Betrieb fliegender BW-Oldtimerflugzeuge / beschluss erlebt und erinnere mich an die Heftigkeit der Diskussion um die Wiederbewaffnung Deutschlands 1956, und auch an die harten Auseinandersetzungen um den Tiefflug-Lärm, die landesweit bis in die Parlamente ausgefochten wurden. Aus dieser Perspektive freue ich mich zu sehen, welchen selbstverständlichen Zuspruch unsere Soldatinnen und Soldaten heute erhalten. Sitzblockaden tausender Demonstranten wurden abgelöst von einer Vielzahl von Besuchern bei Tagen der offenen Tür. Dieser Rückhalt erfreut auch uns Ehemalige. Es ist gemeinsamer Verdienst aller und soll Ihnen, den Aktiven, Ansporn sein, sich selbstbewusst den kommenden Herausforderungen zu stellen. Sie schreiben unsere Geschichte im siebten Jahrzehnt fort. Dazu wünsche ich Ihnen sprichwörtlich,,hals - und Beinbruch. Danke! Als Abschluss des Appells überflogen alle Waffensysteme der Luftwaffe den Appellplatz in einer losen Formation und gaben einen Überblick in die Vielzahl der derzeitig im Einsatz stehenden fliegenden Waffensysteme, angefangen von Hubschraubern und Transportern bis hin zu Tornados und Eurofightern. Ein Empfang fand anschließend in einer neuen Halle im Eurofighter-Bereich des Fliegerhorstes statt. Die Gäste wurden hier in einer launigen Rede vom Inspekteur noch einmal herzlich begrüßt. Unverständlich war, dass aus unbekannten Gründen nur sehr wenige Kommodores und Kommandeure aus der Zeit des Kalten Krieges eingeladen waren. Obwohl in beiden Reden die Assignierung unserer Luftwaffe in die NATO, sogar die einsatzmäßige direkte Unterstellung der Luftverteidigungseinheiten betont wurde, fehlte aber am dritten Fahnenmast am Appellplatz die NATO-Flagge. Bilder PIZLw/ W.G. 16