Bewusstsein und Willensfreiheit im menschlichen Entscheiden und Tun
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1 Bewusstsein und Willensfreiheit im menschlichen Entscheiden und Tun (3. Kernthema, Nachbardisziplinen ) Dr. Bettina Walde Philosophisches Seminar Johannes Gutenberg-Universität Mainz walde@uni-mainz.de
2 Gliederung Das Trilemma des Leib-Seele-Problems und die kausale Relevanz bewusster, mentaler Zustände und Vorgänge Empirische Studien zur Widerlegung der Willensfreiheit und der kausalen Relevanz des Mentalen Implizite Voraussetzungen einer empirischen Widerlegung der Willensfreiheit Skizze einer alternativen Erklärung zur Willensfreiheit und zur kausalen Relevanz des Mentalen 2
3 Der Leib-Seele-Dualismus und seine Schwierigkeiten Starke Position des Leib-Seele- Dualismus seit Descartes: Geist und Gehirn liegen zwei Arten von Entitäten zugrunde. Aber wie löst man das Trilemma des Leib-Seele-Problems auf? Wie erklärt man die Wechselwirkung zwischen beiden Bereichen? René Descartes ( ) 3
4 Das Trilemma des Leib-Seele-Problems 1 Bewusste, geistige Zustände, Vorgänge und Ereignisse sind dem Wesen nach verschieden von physikalischen Zuständen, Vorgängen und Ereignissen. 2 Bewusste, geistige Zustände, Vorgänge und Ereignisse sind im Bereich des Physikalischen kausal wirksam. 3 Der Bereich des Physikalischen ist kausal geschlossen jedes physikalische Ereignis wird durch andere physikalische Ereignisse verursacht (nicht etwa durch nicht-physikalische Ereignisse). 4
5 These 2: Die kausale Relevanz des Mentalen Kausale Relevanz bewusster, mentaler Zustände Beeinflussung des eigenen Entscheidens und Verhaltens durch Bewusstsein Therapie Willensfreiheit Verantwortungszuschreibung 5
6 Die Naturalisierung des Geistes im 20. Jahrhundert These: Bewusste, geistige Zustände, Vorgänge und Ereignisse bilden eine Teilmenge der physikalischen Zustände, Vorgänge und Ereignisse. Aber wie erklärt man Bewusstsein (also etwas Subjektives) durch objektiv erfassbare Vorgänge? Gilbert Ryle ( ) David M. Armstrong (* ) Wie erklärt man Intentionalität und die Repräsentation von Inhalten durch neuronale Vorgänge? 6
7 Hinwendung zum Eliminativismus und Epiphänomenalismus am Beispiel der Willensfreiheit Entscheidungen und Handlungen scheinen unbewusst initiiert zu werden (Haggard/Eimer 1999, Libet 1985) Unbewusste Reize beeinflussen die Entscheidungen und Handlungen (z. B. Bargh&Barndollar 1996, Wendt-Kürschner&Goschke (in Vorbereitung) Gefühl der Urheberschaft und tatsächliche Urheberschaft können auseinander fallen (z.b. Wegner&Wheatley 1999, Wegner 2002); Willentlichkeit als Kausalattribution 7
8 Empirische Widerlegung der Willensfreiheit? Zwölf Jahre nachdem H.Kornhuber und L.Deecke erstmals das Bereitschaftspotential gemessen hatten, dachte sich Benjamin Libet einen Versuch aus, um die Existenz des freien Willens zu beweisen die Durchführung der ersten Versuche im März 1979 förderte jedoch ganz anderes zutage Benjamin Libet (* ) 8
9 Empirische Studien - Libet Versuchspersonen sollen zu frei gewählten Zeitpunkten einen Finger bewegen, und zwar wann immer sie den Drang ( urge ) dazu verspüren (Moment, in dem der freie Wille Handlungsimpuls - auftritt), auf einer Oszilloskop-Uhr datieren sie das Auftreten 60 eine Sek. entspricht 43 msek.; Umlaufzeit: 2,56 sek
10 Empirische Studien - Libet Ermittlung des Bereitschaftspotentials Mittels Elektromyogramm wird der Beginn der Muskelaktivität gemessen (Elektrode am Handgelenk) Von diesem Zeitpunkt ausgehend erfolgt die Ableitung des Bereitschaftspotentials (langsame negative Potentialverschiebung, die vor einer willentlichen Bewegung auftritt); 10
11 Empirische Studien - Libet Ergebnis Der Beginn des Bereitschaftspotentials liegt einige hundert Millisekunden vor dem Zeitpunkt, zu dem die Personen angaben, einen Handlungsimpuls ihren freien Willen - zu spüren! 11
12 Bewusstsein und Physiologie: Das intuitive Alltagsmodell Willensentscheidung / Wunsch Handlung Kausaler Zusammenhang bewusste Ebene 0 msec körperliche Bewegung/Handlung physiologische Ebene 12
13 Bewusstsein und Physiologie: Libets Resultat Willensentscheidung / Wunsch Handlung kausal? bewusste Ebene msec Bereitschaftspotential msec 0 msec körperliche Bewegung/Handlung physiologische Ebene 13
14 Bewusstsein und Physiologie: Mögliche Schlussfolgerungen Willensfreiheit gibt es nicht, denn (I) (deterministische Argumentationslinie) Entscheidungen und Handlungen sind durch unbewusste Faktoren determiniert, daher gibt es keine Willensfreiheit. (II) (epiphänomenalistische Argumentationslinie) Bewusste Willensentscheidungen haben keine kausale Relevanz sie sind epiphänomenal, daher gibt es keine Willensfreiheit. 14
15 Die kausale Relevanz des Mentalen Kausale Relevanz bewusster, mentaler Zustände Beeinflussung des eigenen Entscheidens und Verhaltens durch Bewusstsein Therapie Willensfreiheit Verantwortungszuschreibung 15
16 Folgen der kausalen Irrelevanz des Mentalen Kausale Relevanz bewusster, mentaler Zustände Beeinflussung des eigenen Entscheidens und Verhaltens durch Bewusstsein Therapie Willensfreiheit Verantwortungszuschreibung 16
17 Folgen der kausalen Irrelevanz des Mentalen Kausale Relevanz bewusster, mentaler Zustände Beeinflussung des eigenen Entscheidens und Verhaltens durch Bewusstsein Therapie Willensfreiheit Verantwortungszuschreibung 17
18 Folgen der kausalen Irrelevanz des Mentalen Kausale Relevanz bewusster, mentaler Zustände Beeinflussung des eigenen Entscheidens und Verhaltens durch Bewusstsein Therapie Willensfreiheit Verantwortungszuschreibung 18
19 Empirische Widerlegung der Willensfreiheit? Soziologie Wunsch Entscheidung Handlung Alltagstheorie Kognitionspsychologie Neurowissenschaften kognitive Strukturen, die die Merkmale von Personen realisieren; Neurophysiologische Vorgänge; Physik Prozesse der physikalischen, atomaren Ebene; 19
20 Empirische Widerlegung der Willensfreiheit? Wie lassen sich die unterschiedlichen Beschreibungsebenen widerspruchsfrei zueinander in Beziehung setzen? Insbesondere: Muss man tatsächlich die kausale Relevanz des Mentalen und die Willensfreiheit aufgeben? Oder lassen sich die empirischen Resultate auch anders erklären? Hängt die Interpretation der empirischen Resultate womöglich von theoretischen Vorannahmen ab? 20
21 Epistemischer Libertarismus Skizze eines alternativen Modells
22 Epistemischer Libertarismus I Die Relevanzbedingung Bewusste, mentale Zustände müssen Eingang in den Bereich des Physikalischen finden. Mögliche Ausformulierung: als Monismusbedingung Alle bewussten, mentalen Zustände sind (ontologisch) physikalische Zustände. Dies ist vereinbar mit ihrer epistemischen Irreduzibilität. 22
23 Epistemischer Libertarismus I Die Relevanzbedingung Erforderlichkeit der Bedingung verhindert den Erfolg der epiphänomenalistischen Argumentationslinie (empirische Studien); Man kann nun erklären, weshalb früher einmal bewusste, mentale Zustände unbewusst wirken und Handlungen ohne erneute, bewusste Entscheidung auslösen können; 23
24 Epistemischer Libertarismus I Die Relevanzbedingung frühere Wünsche, Überzeugungen und Absichten mit zeitlich weiter entfernten Handlungszielen Willensentscheidung / Wunsch Handlung kausal? bewusste Ebene msec Bereitschaftspotential msec 0 msec körperliche Bewegung/Handlung Physiologische Ebene 24
25 Epistemischer Libertarismus II Die Bedingung der geeigneten Determination Freie Entscheidungen sind nicht nicht-determiniert (Zufall!), sondern sie müssen auf bestimmte Weise zustande gekommen sein! 25
26 Epistemischer Libertarismus II Die Bedingung der geeigneten Determination Erforderlichkeit der Bedingung Die Bedingung ist alleine nicht hinreichend für Willensfreiheit! (Regress-Problem: wer bestimmt die personalen Präferenzen, höherstufigen Wünsche etc. einer Person?) Verdeutlicht den Fehler der deterministischen Argumentationslinie: Diese geht von Determination in einer Richtung aus. 26
27 Epistemischer Libertarismus III Die epistemische Offenheit der Zukunft Freie Entscheidungen müssen auch solche sein, von denen die Person glaubt, dass sie auch eine andere Entscheidung hätte treffen können (epistemischer Indeterminismus). Empirische Hypothese: Die Überzeugung, frei aus Alternativen auswählen zu können, veranlasst Personen, Abwägungsprozesse durchzuführen, die sie ohne die Überzeugung nicht durchführen würde dadurch entsteht tatsächlich mehr Freiheit im Sinne von mehr Optionen, zwischen denen das System entscheiden kann (Entstehung von Kontrolle durch die epistemische Offenheit der Zukunft). 27
28 Epistemischer Libertarismus III Die epistemische Offenheit der Zukunft Erforderlichkeit der Bedingung Erklärt die alternativen Möglichkeiten, mit denen Freiheit einher geht; 28
29 Zusammenfassung Empirische Studien führen nur dann zum Epiphänomenalismus (also zur kausalen Irrelevanz bewusster, mentaler Zustände) wenn man zuvor einen ontologischen Dualismus voraussetzt. Ein neurobiologischer Determinismus alleine ist kein Problem es kommt darauf an, auf welche Weise das Entscheiden und Tun von Personen neuronal bestimmt ist. Das gänzliche Fehlen von Determination führt zum Zufall. Soziale und psychologische Praktiken und Konstrukte, die auf einer kausalen Relevanz bewusster, mentaler Zustände basieren, sind daher keineswegs obsolet alles hängt von den impliziten Vorannahmen ab, die bei der Interpretation der empirischen Studien gemacht werden! 29
30 Zusammenfassung Wenn Theorie und Fakten nicht zusammen passen, ändere die Fakten! Einstein, A. 1948, Quantenmechanik und Wirklichkeit. 30
31 Danke!
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