Arbeit, Krankheit, Invalidität, Diskriminierung Was sollten Menschen mit einer chronischen Krankheit beachten?
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- Matilde Koch
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1 Arbeit, Krankheit, Invalidität, Diskriminierung Was sollten Menschen mit einer chronischen Krankheit beachten? Prof. Dr. Kurt Pärli
2 Agenda 1 Das Thema im grösseren Kontext 2 Das Dreisäulensystem 3 Versicherungsschutz bei Krankheit und Unfall 4 4. Krankheits- oder unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit - wer bezahlt den Lohn (wie lange, wieviel?) 5 Und was gilt bei (drohender) Invalidität? 6 Diskriminierungsschutz 7 Schutz für Arbeitnehmende mit Morbus Bechterew im Lebensverlauf eines Arbeitsverhältnisses 8 Zusammenfassendes Fazit Universität Basel, Juristische Fakultät 2
3 1. Das Thema im grösseren Kontext Sozialverfassung Sozialstaat Sozialpolitik Soziale Sicherheit Sozial- Versicherung Arbeitsrecht Sozialhilfe Universität Basel, Juristische Fakultät 3
4 2. Das Drei Säulen Konzept Quelle: vorsorgeexperten.ch; Stand: 2015 Universität Basel, Juristische Fakultät 4
5 3. Versicherungsschutz bei Krankheit und Unfall Merkmale der obligatorischen Krankenversicherung nach KVG - Versicherungspflicht, Anknüpfung an den Wohnsitz - Finanzierung durch Kopfprämien / Prämienverbilligung - Kostenbeteiligungen der Versicherten - Leistungen bei Krankheit (subsidiär bei Unfall): - Massnahmen der Diagnostik, Therapie, Medikamente, Spitalaufenthalt - Massnahmen müssen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein - Zusatzversicherungen: - Krankentaggeldversicherung (nach KVG) - Zusatz zur Krankenpflegeversicherung (nach Versicherungsvertragsgesetz, VVG, Privatrecht) - Krankentaggeldversicherung nach VVG Merkmale der obligatorischen Unfallversicherung - Versicherungspflicht für alle Arbeitnehmer/innen (nicht für Selbständigerwerbende) - Berufsunfall: Alle Arbeitnehmer/innen, Nichtberufsunfall; nur wenn 8 Std./Woche bes. - Finanzierung Berufsunfallvers. durch Arbeitgeber, Nichtberufsunfall durch Arbeitnehmer - Keine Kostenbeteiligungen der versicherten Arbeitnehmer - Leistungen (u.a.): - Alle notwendigern medizinischen Massnahmen zur Behebung der Unfallfolgen - Taggelder (Lohnausfall), IV-Renten, Integritätsenschädigungen Titel Vortrag, Autor, DD.MM.YY Universität Basel, Juristische Fakultät 5
6 4. Krankheits- oder unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit - wer bezahlt den Lohn (wie lange, wieviel?) Arbeitsrechtlich: - Art. 324a OR, drei Wochen im ersten Dienstjahr, danach eine angemessene längere Zeit - Art. 324b OR, Lohnfortzahlungspflicht entfällt, wenn eine obligatorische Versicherung mindestens 4/5tel des Lohnes ersetzt - Im öffentlichen Personalrecht regelmässiger längere Lohnfortzahlung - In vielen Arbeitsverhältnissen bestehen Krankentaggeldversicherungen (i.d.r. 80% des Lohnes) - Probleme bei der Krankentaggeldversicherung: - Gesundheitsvorbehalte, Risikoausschlüsse - Leistungsverweigerung der Taggeldversicherung was gilt jetzt? Bei Unfall: - Die obligatorische Unfallversicherung bezahlt ein Taggeld von 80% des Lohnes ab dem 3. Tage - Dauer: Bis zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit oder Anspruch auf eine IV-Rente Universität Basel, Juristische Fakultät 6
7 5. Und was gilt bei (drohender) Invalidität? Leistungen der Invalidenversicherung (u.a.): - Medizinische Massnahmen (für Minderjährige) - Massnahmen der beruflichen Integration - Früherkennung/Früherfassung - Vorbereitung auf die berufliche Integration - Umschulung - Berufsberatung - Kapitalhilfe - Rentenleistungen (Höhe analog AHV-Renten, ggf. Anspruch auf eine Rente der Penionskasse oder Ergänzungsleistungen (siehe Folie Drei-Säulensystem) - Grundsatz: Eingliederung vor Rente - Wichtig: Schadenminderungspflicht, Pflicht zur Selbsteingliederung Universität Basel, Juristische Fakultät 7
8 6. Diskriminierungsschutz Verankerung des Diskriminierungsschutzes für Menschen mit Behinderung: - UN-Behindertenkonvention - Von der Schweiz ratifiziert - Kennt einen weiten Behinderungsbegriff - Verpflichtet die Vertragsstaaten zu umfangreichen Massnahmen für Menschen mit Behinderung, u.a. zu Massnahmen gegen Diskriminierung von Behinderten im Erwerbsleben - Bundesverfassung, Art. 8 Abs. 2 und 4 - Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung - Gesetzgebungsauftrag = - Bundesgesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung - Rechte auf Nachteilsausgleich im Bereich Verkehr, Bau, Bildung - Gilt nicht für private Arbeitsverhältnisse Universität Basel, Juristische Fakultät 8
9 7. Schutz für Arbeitnehmer/innen mit Morbus Bechterew im Lebensverlauf eines Arbeitsverhältnisses (1) Anstellung - Keine Informationspflicht über die Diagnose sofern und soweit eine Arbeitsfähigkeit vorliegt - Fragerecht der Arbeitgeberin, soweit die konkrete und aktuelle Arbeitsfähigkeit betroffen ist - Notwehrrecht der Bewerber/innen bei unzulässigen Fragen - Taggeldversicherung und weitergehende berufliche Vorsorge stehen mehr Informationen zu als dem Arbeitgeber - Problematischer Datenaustausch Arbeitgeber/Versicherung - Vertragsfreiheit vorherrschend, kein (wirksamer) arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz für Menschen mit vorbestehenden Krankheiten bei der Anstellung (im Gegensatz zu Lösungen in anderen Staaten) Universität Basel, Juristische Fakultät 9
10 7. Schutz für Arbeitnehmer/innen mit Morbus Bechterew im Lebensverlauf eines Arbeitsverhältnisses (2) Beschäftigung - Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin, Pflicht zum Gesundheitsschutz und Persönlichkeitsschutz der Arbeitnehmer/innen (OR 328 und ArG 6 und VO) - Pflicht, Erkrankungen am Arbeitsplatz zu vermeiden - Pflicht zur Rücksichtnahme auf gesundheitlich angeschlagene Arbeitnehmer/innen, z.b. durch Anpassung der Arbeitszeit (soweit betrieblich möglich) - Verpflichtungen zum Teil weitgehend, z.b. BGE 132 III 257, generelles betriebliches Rauchverbot zum Schutze eines Rauchallergikers - Pflicht zur Kooperation mit der IV (Art. 7c IVG in Verb. mit OR 328) - Besondere Freizeit / Lohnfortzahlung: - Arzt- und Therapiebesuche müssen möglich sein (OR 329a, aber Lohnzahlungspflicht nur im Rahmen von Art. 324a OR oder bessere GAV-Lösungen) - Lohn bei Krankheit: OR 324a / Taggeldversicherungen Universität Basel, Juristische Fakultät 10
11 7. Schutz für Arbeitnehmer/innen mit Morbus Bechterew im Lebensverlauf eines Arbeitsverhältnisses (3) Kündigungsschutz - Zeitlicher Kündigungsschutz (Sperrfristen) nach Art. 336c OR - Kündigung wegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ist während der Sperrfrist nichtig - Sperrfrist: - Im ersten Dienstjahr 30 Tage - Im zweiten bis fünftem Dienstjahr 90 Tage - Ab sechstem Dienstjahr 180 Tage - Nach Ablauf der Sperrfrist läuft die ordentliche Kündigungsfrist - Sachlicher Kündigungsschutz - Kündigung ist gültig, aber missbräuchlich = Arbeitgeberin muss eine Entschädigung von maximal sechs Monatslöhnen bezahlen - Missbrauchsgründe u.a.: Persönliche Eigenschaften (also auch Krankheiten) ohne Einfluss auf das Arbeitsverhältnis Titel Vortrag, Autor, DD.MM.YY Universität Basel, Juristische Fakultät 11
12 8. Zusammenfassendes Fazit Die Schweiz ist ein Sozialstaat, Verankerung in der Verfassung Das schweizerische Arbeits- und Sozialversicherungsrecht kennt einen auch im weltweiten Vergleich guten bis sehr guten Krankenversicherungsschutz (Dank der obligatorischen Krankenversicherung) mildert die negativen Folgen der hohen Prämien (zum Teil) durch Prämienverbilligungen ab ist lückenhaft hinsichtlich Lohnfortzahlung bei Krankheit..ist gut ausgestattet, wenn eine Arbeitsunfähigkeit wegen Unfall vorliegt setzt auf Wiedereingliederung vor Rente in der Invalidenversicherung (mit unterschiedlichem Erfolg) ist ein historisch gewachsen und bedarf bei jeder substantiellen Änderung der Zustimmung des Souveräns. Universität Basel, Juristische Fakultät 12
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