Geistig behindert und psychisch krank?! Und nun? Eine Einführung in das Thema aus der Sicht des psychiatrischen Fachkrankenhauses
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- Edwina Hofmeister
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1 Geistig behindert und psychisch krank?! Und nun? Eine Einführung in das Thema aus der Sicht des psychiatrischen Fachkrankenhauses Dr. Claudia Gärtner Fliedner Krankenhaus Ratingen
2 Aufbau Definition und Einteilung Epidemiologische Daten ICD 10 Medizinische Versorgungssituation Diagnostische Herausforderungen Die psychiatrische Untersuchung Der Psychopathologische Befund
3 Definitionen WHO-Definition: -Abweichung der Intelligenzleistung von mehr als zwei Standardabweichungen von einer statistisch als normalverteilt vorausgesetzten Intelligenz in der Allgemeinbevölkerung -Beeinträchtigung der Fähigkeit des adaptiven Verhaltens ICD 10-Definition -eine sich in der Entwicklung manifestierende, stehen gebliebene oder unvollständige Entwicklung der geistigen Fähigkeiten, mit besonderer Beeinträchtigung von Fertigkeiten, die zum Intelligenzniveau beitragen, wie z.b. Kognition, Sprache, motorische und soziale Fähigkeiten -Für die endgültige Diagnose muss sowohl eine Störung im Intelligenzniveau als auch der Anpassung an die Anforderungen des alltäglichen Lebens bestehen
4 Einteilung Leichte Intelligenzminderung: IQ Anteil: 80% Mittelschwere Intelligenzminderung: IQ Anteil: 12% Schwere Intelligenzminderung: IQ Anteil: 7 % Schwerste Intelligenzminderung: IQ 0 19 Anteil: <1% Lernbehinderung: IQ: 70 84
5 Prävalenz von psychischen Störungen bei Menschen mit GB Psychische Störung (allgemein) Prävalenz Normalbevölkerung (%) Prävalenz Menschen mit GB (%) Anzahl der Menschen mit GB (n) Psychische Störung allgemein 22, Demenz Alzheimer Typ (non Down) (Down) Schizophrene Psychose 0, Depression 2 1,3 3, Bipolare Störung Zwangsstörungen 1 1 3, Persönlichkeitsstörungen lt. WHO: 3 4 mal erhöhtes Risiko an einer psychischen Krankheit zu leiden traumatische Erfahrung ca % Möller 2003, Deb et al. 2001, Reynolds 1997 National Institute for Mental Health 2005
6 Formen psychischer Störungen im engeren und weitesten Sinne bei Menschen mit einer geistigen Behinderung Psychische Störungen im engeren Sinne: Die Krankheitsbilder sind mit Diagnosen nach ICD-10 ausreichend zu beschreiben Problemverhalten/Verhaltensauffälligkeiten: Verschiedenartige Verhaltensweisen oder Störungsbilder, die nicht durch eine ICD-10 basierte Diagnose ausreichend zu erklären sind Verhaltensphänotyp: Bestimmte Verhaltensweisen sind durch eine genetische Ursache des Behinderungsbildes mitbestimmt oder determiniert (Epilepsiebezogene psychische Störungen)
7 ICD 10 F00-F09 Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen F10-F19 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen F20-F29 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen F30-F39 Affektive Störungen F40-F48 Neurotische, belastungs- und somatoforme Störungen F50-F51 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren F60-F69 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen F70-F79 Intelligenzstörungen F80-F89 Entwicklungsstörungen F90-F98 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
8 Stationäre Versorgung Pro Einrichtung durchschnittlich 18 Betten zur Verfügung Größter stationärer Behandlungsbereich: Berlin Herzberge (32 Betten) Kleinster stationärer Behandlungsbereich: Hamburg (12 Betten) Ausgehend von 18 Betten: durchschnittlich 153,7 vollstationäre Aufnahmen (Jahr 2002) Einzugsbereiche der Abteilungen: Einwohner Versorgungsdefizit! Nur ein kleiner Teil der Menschen mit geistiger Behinderung wird durch Spezialbereiche versorgt. Die Mehrheit wird fast ausschließlich auf allgemeinpsychiatrischen Stationen akutpsychiatrisch behandelt Spezialbereiche an psychiatrischen Krankenhäusern in NRW: Bedburg-Hau, Dortmund, Hemer, Langenfeld, Lippstadt, Münster, Warstein Schanze 2005
9 Ambulante Versorgung Seit 2002 Zahl der Spezialambulanzen deutlich angewachsen Bundesweit ca Klienten pro Quartal Sowohl Anbindung an psychiatrischen Kliniken mit und ohne stationären Spezialbereich Als auch in psychiatrischen Fachabteilungen an Allgemeinkrankenhäusern Schanze 2005
10 Strukturelle und methodologische Besonderheiten in der Diagnostik bei GB Besondere Merkmale Interpretation der Auffälligkeiten Diagnostisch-methodische Probleme
11 Besondere Merkmale Einschränkungen in der Kommunikation - Vermindertes Sprachverständnis - Verminderter sprachlicher Ausdruck - Dysarthrien - Individueller Jargon/Neologismen Einschränkung in der Introspektionsfähigkeit - Beantwortung der Fragen nach sozialer Erwünschtheit - Fremdanamnese unabdingbar Einschränkung der Kooperationsbereitschaft - Angst - Fehlende Einsicht in die eigene Erkrankung und die Notwendigkeit einer Untersuchung Schmidt und Meir, 2. überarbeite Auflage 2013
12 Interpretation der Auffälligkeiten Beschwerden häufig unspezifisch Auffälligkeiten häufig nur in einem Setting zu beobachten Klassische psychische Symptome können hervorgerufen werden durch körperliche Beschwerden Missdeutung entwicklungsspezifischer Symptome wie z.b. Zusich-selbst-Sprechen, Phantasiespiele, Phantasiegefährten als psychotische Symptome Schmidt und Meir, 2. überarbeite Auflage 2013
13 Diagnostisch methodische Probleme Erhöhte Basisrate auffälligen Verhaltens - Auffälligkeiten, ohne dass eine behandlungsbedürftige Erkrankung vorliegt (Unruhe) Seidel, 2000 Diagnostic overshadowing - Psychopathologische Phänomene werden fälschlicherweise dem üblichen Verhaltensrepertoire zugeordnet Sturmey, 1999 Baseline exaggeration - Der Beginn einer psychischen Erkrankung kann vorbestehende Verhaltensauffälligkeiten quantitativ verstärken Sovner, 1986
14 Diagnostisch methodische Probleme Underreporting - Durch Minderung des Sprachverständnisses und der Sprach- /Sprechfähigkeiten können psychopathologische Phänomene nicht oder nur unzureichend mitgeteilt werden (Zwangsphänomene, Störungen der Ich-Grenze) Cognitive disintegration - In Stresssituationen kann es zu Unterbrechung des Informationsprozesses kommen, was sich als bizarres Verhalten und psychotische Symptomatik darstellen kann Sturmey, 1999
15 Die psychiatrische Untersuchung Anamnese Krankheitsanamnese - derzeitige Beschwerden - zeitliche Abfolge u. Verlauf - spezielle Anamnese Biographie Soziale Anamnese Medizinische Anamnese Familienanamnese Fremdanamnese Befund psychopathologischer Befund internistisch/neurologischer Befund testpsychologischer Befund Zusatzbefunde EEG Bildgebung (z.b. CCT, MRT, PET) Blut- u. Liquordiagnostik Diagnose
16 Der psychopathologische Befund Bewusstseinsstörungen Störungen der Orientierung Kognitive Störungen Gedächtnisstörungen Formale Denkstörungen Befürchtungen und Zwänge Wahn Sinnestäuschungen Ich-Störungen Störungen des Affektes Antrieb/Psychomotorik Beurteilung der Suizidalität Zirkadiane Besonderheiten
17 Der psychopathologische Befund Sozialer Rückzug Soziale Umtriebigkeit Aggressivität Suizidalität Selbstbeschädigung Mangel an Krankheitsgefühl Mangel an Krankheitseinsicht Ablehnung der Behandlung Pflegebedürftigkeit Schlaf- und Vigilanzstörungen Appetitstörungen
18
19 Risikofaktoren für die Entstehung psychiatrischer Erkrankungen bei Menschen mit GB Biologische Faktoren Genetische Anfälligkeit Strukturelle Störung des Frontallappens Interaktion zwischen Umwelt und körperlicher Störung (Motorik, Sensorik, Sprache) Epilepsie Hypophysendysfunktion Psychologische Faktoren Beeinträchtigte Intelligenz Beeinträchtigtes Gedächtnis aufgrund der Temporalhirnschädigung Beeinträchtigtes Urteilsvermögen und Antriebsmangel aufgrund der Frontalhirnschädigung Geringere Belastungsfähigkeit Schlechtes Selbstbild Unreife Abwehrmechanismen (z.b. Regression) unter Stress Unfähigkeit zur Problemlösung mit abstraktem Denken Erlernte dysfunktionale oder ungewöhnliche Copingstrategien Mangel an haltgebender emotionaler Unterstützung
20 Risikofaktoren für die Entstehung psychiatrischer Erkrankungen bei Menschen mit GB Soziale Faktoren Über- oder unterforderndes Milieu Konflikte mit Familienmitgliedern oder Mitbewohnern oder Betruern Problem im Zusammenhang mit mangelhafter sozialer Unterstützung Schwierigkeiten, erfüllende Beziehungen einzugehen Probleme, eine Arbeit oder Beschäftigung zu finden Körperlicher oder seelischer Missbrauch Mangel an geeigneter sozialer Belastung und Unterstützung durch andere Fehlende Integration in die Gesellschaft, Stigmatisierung und Diskriminierung Verlust eines Angehörigen und andere kritische Lebensereignisse Wechsel/Änderungen in der unmittelbaren Umgebung, in der Familie und bei den Helfern Stress der Betreuer
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