SWR2 DIE BUCHKRITIK SWR2 MANUSKRIPT. Jacek Dehnel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya. von Renate Schmidgall aus dem Polnischen übersetzt

Transkript

1 ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Jacek Dehnel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya von Renate Schmidgall aus dem Polnischen übersetzt Hanser Verlag 19,90 Euro Rezension von Marta Kijowska Montag, (14:55 15:00 Uhr)

2 Marta Kijowska SPRECHERIN: Er war erst acht oder neun, als er erfuhr, warum die Straße, in der er zur Welt gekommen war, die Straße der Enttäuschung hieß. Er erfuhr es aus einem Gespräch, das er zufällig belauscht hatte. Doch auch dann war er der Ansicht, dass sein Vater eine eigene Erklärung dafür hatte: SPRECHER: Mein Vater davon bin ich überzeugt, auch wenn er es nie direkt gesagt hat war immer der Meinung, die Straße heiße so, weil ich, Javier, in einem Haus dieser Straße zur Welt gekommen bin. SPRECHERIN Nein, das klingt nicht nach einem vielversprechenden Anfang. Jedenfalls nicht aus dem Mund eines Mannes, der ein schwaches Selbstbewusstsein und einen so berühmten Künstler wie Francisco Goya zum Vater hat. Vierundzwanzig Kinder hat der spanische Maler mit seiner Frau Josefa gezeugt, doch überlebt hat nur er: Javier, ein hübscher, doch seltsam passiver und willensschwacher Junge. Über sein späteres Leben ist kaum mehr bekannt, als dass er auch Maler wurde. Und dass die Beziehung zwischen ihm und seinem Vater alles andere als einfach war. So ist Jacek Dehnels Roman als ein Psychogramm dieser

3 problematischen Beziehung zu verstehen auch wenn dies ursprünglich nicht unbedingt die Absicht des Autors war, wie er sagt: O-TON JACEK DEHNEL: Kiedy pisalem Saturna, zalezalo mi... SPRECHER: Als ich mit der Arbeit an Saturn begann, ging es mir nur darum, eine bestimmte Art Vater-Sohn-Verhältnis zu zeigen. Ich wollte von einer Familie erzählen, in der sich alle lieben und gleichzeitig gegenseitig zerstören. Die Familie Goya diente mir dafür nur als Folie. Je länger ich aber schrieb, desto öfter sah ich, dass die biographischen Fakten exakt zu meinem Ansatz passten. Es war wirklich Goyas Leben. Seine gesamte Aura war genauso düster wie ein Teil seiner Bilder. Und auch die Bilder selbst, die etwas Klebriges und Widerwärtiges an sich haben, passten zu dieser Geschichte. SPRECHERIN: Diese Düsterheit resultiert in Dehnels Roman allerdings nicht so sehr aus den Ereignissen in Goyas Leben, sondern aus seinem persönlichen Charakter. Der geniale Maler erscheint hier als der Inbegriff schlechter Eigenschaften, als ein egoistischer Tyrann, Vielfraß und Flegel, der seine wahren Erfolge durch erfundene potenziert und seinen einzigen Sohn als permanenten Versager hinstellt. SPRECHER: Ist das wirklich mein Sohn? Dieser Schwächling, der immer träger wurde, bleich wie die Wand durchs Haus schlich und keinen Ton von sich gab? Dieses Etwas?

4 SPRECHERIN: Javiers Urteil über seinen Vater fällt nicht minder hart aus, und im Grunde schneidet in diesem Buch keine der Figuren gut ab. Doch das beeinträchtigt den Reiz des Romans in keiner Weise. Dieser Reiz liegt unter anderem darin, zu verfolgen, mit wieviel Geschick und Phantasie Dehnel mit Goyas Biographie umgeht. Am meisten interessiert ihn dabei die Herkunft der Schwarzen Bilder: Früher wurde angenommen, Goya habe sie selbst an die Wände seines Landhauses Quinta del Sordo gemalt heute wird seine Urheberschaft oft angezweifelt. Und Dehnel macht ganz einfach Javier zum Schöpfer der Schwarzen Bilder. Dabei unterbricht er die Handlung immer wieder durch Beschreibungen dieser Wandgemälde, die zugleich als Javiers innere Monologe gestaltet sind. Sie sollen ihm helfen, von seinem übermächtigen Vater loszukommen. Manchmal wie in der Beschreibung des titelgebenden Saturn wendet er sich dabei sogar direkt an ihn: SPRECHER: Was gibt es Größeres auf der Welt als deinen Appetit? Sechs hast du schon gefressen, jetzt verschlingst du das siebte. Du spuckst, rülpst und schimpfst auf den kopflosen Körper, den du mit den muskulösen Fingern so zerquetschst, dass deine Knöchel weiß werden und die Kinderhaut platzt und unter ihr dickes, helles Blut herausspritzt. SPRECHERIN: So eindrucksvoll Javiers Bildkommentare auch sind ihre therapeutische Funktion wird für den Leser nicht immer ersichtlich. Sonst aber verdient Jacek Dehnels Buch großes Lob: Die Auswahl der Fakten aus Goyas umfangreicher Biographie ist

5 sorgsam durchdacht, der Erzählstil präzise und gleichzeitig sehr farbig und plastisch was bei einem Autor wie Jacek Dehnel, der selbst Maler werden wollte, auch nicht sonderlich verwundert. Der Roman Saturn wurde von Renate Schmidgall aus dem Polnischen übersetzt, ist im Hanser Verlag erschienen und kostet Euro.