die ehre der strizzis

Transkript

1 24 25 die ehre der strizzis Alles ist blutrot, überall wo man hinsieht. So hatte ich mir das lang erwartete Treffen wirklich nicht gewünscht. Nicht nur die vom Sonnenuntergangslicht angestrahlten Sinterfahnen der Never Sleeping Wall, auch das Gesicht von Tommaso Tamagnini hat dieselbe Farbe. Er ist ausser sich vor Wut. Schon verständlich, als Capo Comissione der legendären Scalatore Nostra in Sizilien kann er keine fremde Familie in seinem Territorium dulden. Schon gar nicht, wenn ihm ein grosser Teil seiner Wand weggenommen wird... Wörds Albert Leichtfried Pics Klaus Kranebitter Die Tiroler Mafia beim Verhandeln (v.l.n.r.): Horst Schilcher, Paul Mair, Veronika und Albert Leichtfried. Drei Bohrmaschinen und hunderte Bolts waren mit im Gepäck. Scalatore Nostra Familie Capo Capo Comissione Consiglieri Patrone Picciotti Sizilianische Klettermafia Basisorganisation Boss Oberhaupt einer Provinz / mehrere Familien Berater Beschützer einfache Mitglieder Festessen im Baglio don Bartolo in Castelluzzo.

2 26 an die ereignisreichen letzten Tage zurück. Wie es sich für eine Familienreise gehört, starteten Vroni, Mira und ich gut organisiert in Richtung Süden. Der Bus war mit der üblichen Ausrüstung für größere Angelegenheiten voll gepackt. Ein Treffen mit sizilianischen Picciotti, welche wir schon aus dem Frühjahr kannten, war geplant und organisiert. Die Pferdeflüsterin Bianca und ihre Consiglieri freuten sich über unsere Ankunft. Am Hafen von Livorno trafen wir Padrino Horst, der uns ab der Fährenfahrt nach Palermo ständig begleitete. Da man aber in Palermo nie sicher sein kann, was auf einen zukommt, fuhren wir so schnell wie möglich weiter an einen absolut sicheren Ort bei San Vito lo Capo. Geschützt von der Nordwand des Monte Monaco stellten wir am Camping La Pineta unsere Busse ab. Um weniger aufzufallen, kamen Paul und Marisa erst ein paar Tage später. Die Ankunft weiterer Picciotti aus Tirol war im Laufe unseres knapp vierwöchigen Aufenthaltes vorgesehen. Zum Eingewöhnen verbrachten wir einige vollwertige Klettertage an den verschiedenen Sektoren der mehrere Kilometer langen Wandflucht des Salinella Camping und dessen Fortsetzung nach Norden, der Scogliera di Salinella. Mit ausgelaugten Unterarmen traf ich die Entscheidung, dass sich nun auch unsere Bohrmaschinen an die sizilianische Luft zu gewöhnen hatten. Wie es sich für richtige Ehrenmänner gehört, probierten mein Padrino und ich gemeinsam eine neue Linie im Toprope. Im Teamwork fand sich die Lösung rasch und Horst motivierte mich, die Route sofort einzubohren. Ehrensache, der Sektor Pineta bekam eine ästhetische 7c+ dazu. Horstl s Vibes sind eben ehrenwerte Vibes. Nun hatten sich alle eingewöhnt, wir konnten in Custonaci mit unserem Auftrag beginnen. An der bis zu hundert Meter hohen Wand ist organisiertes Vorgehen notwendig. Bei den Probebohrungen im Frühjahr war wenig Zeit, daher entstand die unbeschreibbar schöne Tears of Freedom (7a+) von unten. Für den großen Auftrag wählten wir den Weg von oben. Zwei Tage und einige komplizierte Seilmanöver später waren die nächsten Routen mit bis zu sechzig Klettermetern eingerichtet. In unserem Auftrag gerade erst einmal richtig warm gelaufen, stand schon der Capo Comissione da. Es schien, als sei alles vorbei, bevor es richtig angefangen hatte. Unerwarteter Weise verlief das Treffen ohne Verluste. lbert windet sich durch die griffarme Struktur von Horstl s Vibes (7c+). Erstbegehung im Sektor Pineta, Salinella Camping. I ch hänge noch am Statikseil und bohre die letzten Bolts des Tages, während meine Consiglieri mit den Verhandlungen beginnen. Es ist doch alles per geregelt worden, oder? In der Stunde der Wahrheit ist jedoch alles anders. Die Verhandlungen sind hart, Tommaso fühlt sich von uns angegriffen. Zum Glück ist Horst dabei, unser Padrino hat uns schon in so manchen brenzligen Situationen beschützt. Wie es sich zwischen zwei ehrenwerten Familien gehört, wird die Sache unter den Capos allein geregelt und es dauert eine Weile, bis die Sache geklärt ist: Die Scalatori erhalten von uns Routeninformationen und eine Einladung zum gemeinsamen Klettern, dafür lassen sie uns weiterbohren. Passend zum unwirklichen Licht macht sich ein leichtes Lächeln in den Gesichtern der gesamten Runde breit. Erst jetzt merke ich die Spannung auf meiner Haut. Eine schweißgetränkte Bohrstaubschicht verleiht mir ungewöhnliche Bräune. Erleichtert denke ich 27 Albert wartet auf Nachschub. Restaurant in San Vito lo Capo.

3 28 29 Paul beobachtet die Zubereitung der Fische für den Grill, Grotta Mangiapane. Zufrieden besprechen wir bei unserem täglichen Treffen im Cafe Pino die weiteren Schritte. Liegt frischer Duft sizilianischen Cappuccinos in der Luft, fallen Entscheidungen leichter. Projekte klettern in Custonaci ist angesagt und zwar an einem ganz besonderen Ort. Beim Besuch der verschiedenen Marmorwerke einer Familie aus einem ganz anderen Geschäftszweig in Custonaci sollte der Blick auf das offene Meer nicht fehlen. Vor dem mehrere Kilometer breiten Strand versteckt sich neben der Grotte Mangiapane ein wahres Juwel. Bis zu hundert Meter hoch erstreckt sich dort eine leicht überhängende Wandflucht, durchzogen mit Wasserstreifen in den verschiedensten Farben, übersäht mit unglaublichen Sinterstrukturen. Man gewöhnt sich erst nach Tagen an die mächtige, eindrucksvolle Wand. An diesem magischen Platz verbringen wir Stunden. Einfach nur dort sein und am Wandfuß sitzend, auf das unendlich weite Meer hinausstarren, ist bereits ein bleibendes Erlebnis. Der größte Eindruck wird in den Momenten kurz vor Sonnenuntergang eingesaugt. Das Licht in der exakt nach Westen ausgerichteten Wand scheint im Minutentakt alle Spektralbereiche zwischen Gelb und Dunkelrot zu durchwandern. Die Sinterfahnen wirken dabei surreal, fast kitschig. Mit einer Gänsehaut dazusitzen, um die Sonne bei ihrem Weiterweg zu fixieren, ist völlig normal. Die Eindrücke sind groß an einem Klettertag in der Never Sleeping Wall. Daher ist es auch erforderlich, dass sich ein Erstbegeher ausdrucksstarke Namen für seine Routen an diesem Wunderwerk der Natur ausdenkt, um nicht von den jahrtausende alten Sintern ausgelacht zu werden. Vroni gelingt es mit Conscious change (6b+) ihre wieder gewonnene Liebe zum Klettern auszudrücken. Einschlafen wird man in Pauls Long sleep (6b+) und Silent sleep (6a+) sicher nicht, sein Coaching endet nämlich mit dem direkten Bezug. Mitten in der Nacht, wenn sich im Schlaf die Gedanken zu einer Idee entwickeln, fallen mir meistens die besten Routennamen ein. Im Andenken an Keith Flint, Leadsänger von The Prodigy, beschreibt Evil lurks behind every man s heart (8a) all die bösen Gedanken über die Tatsache, warum ich den Stand unbedingt erst fünfzig Meter über dem Boden setzen musste. Wer nach rund 80 Zügen am Sintermonster ankommt, weiß genau was ich meine. Die Crux von Superman (7c+/8a) löst sich am besten mit einem Doppeldynamo zu einer guten Leiste für die rechte Hand. Der kurze Moment, scheinbar fliegen zu können, trägt stark zur Namensgebung bei. Ein ständig feuchter, schwarzer Sinter und die Tatsache, nach dem Kontakt mit diesem nicht mehr chalken zu können und im Anschluss durch eine widerspenstige Passage an kleinsten Leisten zu müssen, macht die Namensfindung einfach: Il patrone nero (8a/a+) ist in Summe eine wunderschöne Route voller Abwechslung, so wie alle Routen an der Never Sleeping Wall. Albert in der genialen Route Il patrone nero (8a/+). Another first ascent.

4 30 31 Der stark überhängende Abschlusssinter nach 80 Zügen hat s in sich. Albert im Sintermonster Evil lurks behind every man s heart (8a), Erstbegehung an der Never Sleeping Wall. Nach den erfolgreichen und eindrucksvollen Tagen in Custonaci ist es Zeit für eine Familienbesprechung. Das Restaurant Baglio don Bartolo, welches sich etwas abgelegen in Castelluzzo befindet, ist der ideale Platz um ungestört verhandeln zu können. Meine Consiglieri wollen mehr Bolts. Ich bin auf harte Verhandlungen gefasst. Nach einem üppigem Mahl und gutem Rotwein ist die Verhandlung leicht gewonnen. Ich behalte meine Bolts und schlage vor, sie für eine Mehrseillängenroute zu verwenden. Meine Consiglieri stimmen zu und schon am nächsten Tag schleppen Paul und ich das Material zum Einstieg der Nordwand des Monte Monaco. Eigentlich sollte es ein Erholungstag werden. Keine übermäßige Anstrengung und keine Angst werden als Tagesziel festgelegt. Meine Vorgabe, die Route von unten und in Zeiten der Wirtschaftskrise mit möglichst wenig Bolts auszustatten, lassen uns jedoch am Tagesziel vorbeigehen. Nach zwei Seillängen kehren wir wieder auf den Boden zurück und bereiten uns auf den Gesamtdurchstieg der zweihundert Meter hohen Wand vor. Ein paar Tage später sind wir zurück und ich setze den begonnen Stil bis unter ein etwa fünf Meter ausladendes Dach fort. Übersät mit Stalaktiten thront es mitten in der gut strukturierten Wand. Der Weiterweg scheint ungewiss. Ich entschließe mich für die direkte Variante über das Dach. Sinter für Sinter arbeite ich mich nach außen zur Dachkante. Jetzt kommt der spannendste Moment. Was ist über der Dachkante? Zum Glück, wie von Hand gemacht, befindet sich im passenden Abstand zur Kante eine kleine Leiste in der glatten Wand. Ich bin erleichtert, die Route ist frei kletterbar. Oberhalb des Daches ist die Wand länger als erwartet, das Ende zieht sich etwas. Gerade noch rechtzeitig schaffen wir es, beim letzten Tageslicht auf die Terrasse am Ausstieg zu gelangen. Die surreale Never Sleeping wall.

5 32 Als wir uns den Abstiegsweg ansehen, dämmert es bereits und ich muss bald meine Stirnlampe einschalten. Paul hat an Stelle der Stirnlampe lieber seine Sonnenbrille mitgenommen. Man weiß ja nie, was einen in einer Nordwand erwartet. In tiefschwarzer Nacht suchen wir unseren Weg zwischen den Dornensträuchern. Es dauert, bis wir am Campingplatz eintreffen, die restlichen Consiglieri warten schon ungeduldig. Beim Rotpunktversuch wenige Tage danach herrschen perfekte Bedingungen. Ich darf meine bisher schönste Mehrseillängenroute aus dem Dornröschenschlaf befreien. La lingua pura (7c/6c obl.), die reine Sprache, erzählt von der Schönheit der Route und deren sauberen Begehung. Wir haben unsere Sache in Sizilien gemacht. Alle Aufgaben sind in ehrenvoller Weise erledigt. Zum Abschluss lädt uns die bereits bekannte Familie, welche im Pferdebereich tätig ist und unter der Leitung von Pferdeflüsterin Bianca Reimer steht, zu einer Abschlussgrillfeier ein. Durch einschlägige Beziehungen findet die Feier in der normal nicht zugänglichen Grotta Mangiapane statt. Umgeben von Palmen und bei lauer Abendbrise stellt sich am Grillfeuer eine ganz besondere Stimmung ein. Eine unbeschreibliche Stimmung, die ganze Zeit wirkt sie schon an diesem einzigartigen Platz mit diesen einzigartigen Leuten. Ein wahrlich traumhafter Klettertrip geht gebührend zu Ende. TRAVEL INFOS Info Sizilien - San Vito lo Capo Anreise Per Flugzeug nach Palermo (eine Stunde nach San Vito) oder Trapani (30 Minuten nach San Vito). Oder per Fähre von Livorno, Genua oder Neapel. Unterkunft Verschiedene Campingplätze, Ferienwohnungen und Hotels in San Vito lo Capo: Verpflegung San Vito lo Capo bietet alles an moderner Infrastruktur, Supermärkte, Restaurants, etc. Führer Di Roccia di Sole, Klettern in Sizilien, Versante Sud 2009 (nicht mehr ganz aktuell). Alle Updates: com, Homepage von Jim Titt oder (nicht mehr ganz aktuell) Albert in der vierten Seillänge von La lingua pura (7c), 200m an der Monte Monaco Nordwand - genialer Fels, geniale Tour, genialer Stil. Vroni in ihrer Kreation Concious change (6b+) an der Never Sleeping Wall - schöne Formen wo immer man hinsieht. Citta del Marmo - Custonaci gilt als Stadt des Marmors, wie dieser Boulder beim Kreisverkehr am Ortseingang zeigt. Ein Late Night Solo war nicht wegzudenken. Mafioso Paul am Straßenrand.