II. Politische Ökonomie
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- Barbara Waldfogel
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1 Grundzüge der Wirtschaftspolitik 6-1 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2009) II. Politische Ökonomie 6. Mehrheitswahl und Abstimmungsgleichgewicht 6.1 Einführung und Grundlagen Die Politische Ökonomie (Public Choice) liegt im Schnittpunkt von Nationalökonomie und Politikwissenschaft inhaltlich befasst sie sich mit dem Gebiet der politischen (Wahl-) entscheidungen methodisch verwendet sie den ökonomischen Maximierungsansatz und wendet ihn auf den Bereich der politischen Entscheidungen an dieser methodische Ansatz führt zu einer kritischeren (weniger naiven ) Sicht auf den politischen Entscheidungsprozess als die konventionelle Wohlfahrtstheorie (Kap. 2-5), die im Staat einen monolithischen, benevolenten Diktator sieht. grundlegende Arbeiten der modernen politischen Ökonomie Kenneth Arrows Unmöglichkeitstheorem (1951) zeigt, dass es keine konfliktfreie und konsistente soziale Präferenzordnung gibt ( Kap. 2.3) zentrales Modell des politischen Wettbewerbs zwischen Parteien durch Anthony Downs (1957) Kap. 7
2 Grundzüge der Wirtschaftspolitik 6-2 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2009) kritische Analyse der Ergebnisse des Parteienwettbewerbs durch Buchanan/Tullocks Calculus of Consent (1962) grundlegende Trennung: 1. Modelle der direkten Demokratie, in denen die Bürger politische Entscheidungen unmittelbar fällen ( Kap. 6) 2. Modelle der repräsentativen (indirekten) Demokratie, in denen die Bürger Parteien bzw. Politiker wählen, die dann politische Entscheidungen treffen ( Kap. 7) in beiden Demokratieformen erfolgt die politische Entscheidung meist durch die einfache Mehrheitsregel: Eine einfache Mehrheit (50.01%) ist mindestens notwendig, um zu verhindern, dass gleichzeitig eine Politik (P ) und ihr Gegenteil ( P ) angenommen wird. Die einfache Mehrheitsregel hat geringere Entscheidungsund Transaktionskosten, als wenn eine breitere Mehrheit verlangt wird. Die einfache Mehrheitsregel hat aber hohe Ausschlusskosten, da potenziell fast die Hälfte der Bevölkerung ihren Willen nicht bekommt. = die einfache Mehrheitsregel ist gut für politische Tagesentscheidungen geeignet, aber nicht für grundlegende (Verfassungs-) Entscheidungen der Gesellschaft.
3 Grundzüge der Wirtschaftspolitik 6-3 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2009) 6.2 Zyklische Mehrheiten und Medianwählertheorem die Möglichkeit zyklischer Mehrheiten, d.h. die Nicht- Existenz eines eindeutigen Wahlgleichgewichts, ist ein zentrales Thema in der Public Choice Literatur. Es taucht erstmals beim Marquis de Condorcet (1785) auf und wird systematisch bei Duncan Black (1948) und Kenneth Arrow (1951) behandelt. Zentrale Aussage: wenn die Präferenzen von mindestens einem Wähler (V ) mehrgipfelig sind, kann Mehrheitswahl zu zyklischen (nicht eindeutigen) Mehrheiten führen. Wiederaufnahme des Beispiels aus Kap mit mehrgipfeligen Präferenzen von Wähler 2 ( Abb. 6.1) Ergebnis: bei paarweiser Abstimmung ergeben sich zyklische Mehrheiten x > y > z > x. Je nachdem, in welcher Reihenfolge die Alternativen zur Abstimmung gestellt werden, ergibt sich eine andere mehrheitlich gewählte Politik. Dies ist genau das gleiche Problem, das sich bei Arrow (1951) in der fehlenden Transitivität einer sozialen Präferenzordnung niederschlägt.
4 Grundzüge der Wirtschaftspolitik 6-4 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2009) Nutzen Menge Abbildung 6.1: Mehrgipfelige Präferenzen und zyklisches Abstimmungsverhalten
5 Grundzüge der Wirtschaftspolitik 6-5 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2009) Das Medianwählertheorem (D. Black, 1948) Wenn (i) die Abstimmung über ein eindimensionales Problem erfolgt und (ii) alle Wähler eingipfelige Präferenzen in Bezug auf diese Dimension haben ( transitive soziale Präferenzordnung), dann gibt es ein eindeutiges Abstimmungsgleichgewicht bei der Position des Medianwählers. Interpretation: Bedingung (i) bedeutet, dass die Alternativen auf einer Gerade gereiht werden können. Bedingung (ii) bedeutet, dass mit zunehmender Entfernung vom Optimalpunkt der Nutzen monoton sinkt. ( Abbildung 6.2) Dann gilt, wegen der Definition des Medianwählers (V 3 ), dass sein Optimalpunkt m von mindestens der Hälfte aller Wähler gegenüber jedem Punkt x < m vorgezogen wird. Analog wird m auch von mindestens der Hälfte der Wähler gegenüber jedem y > m vorgezogen. = Der Optimalpunkt des Medianwählers setzt sich durch und ist ein Gleichgewicht, da er unabhängig von der Abstimmungsreihenfolge gegen keinen anderen Optimalpunkt verlieren kann. Warum gilt dies nicht mehr, wenn ein Wähler mehrgipfelige Präferenzen hat? Gibt es dann grundsätzlich kein Wahlgleichgewicht?
6 Grundzüge der Wirtschaftspolitik 6-6 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2009) Nutzen Nutzen Menge Menge Abbildung 6.2: Medianwähler und Wahlgleichgewicht
7 Grundzüge der Wirtschaftspolitik 6-7 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2009) 6.3 Zwei-dimensionale Entscheidungen und Stimmentausch mehrere Wähler haben jeweils ein starkes Interesse an einem bestimmten Projekt. Beispiel: Projekt X: Transrapidstrecke in Bayern; Projekt Y : Transrapidstrecke in NRW. Wähler Projekt X Projekt Y A 2 2 B 5 2 C 2 5 Summe bei separater Mehrheitsabstimmung über jedes Projekt werden X und Y nicht durchgeführt wenn B und C (implizit) Stimmen tauschen können, werden X und Y durchgeführt: B und C gewinnen auf Kosten von A im Beispiel ist der Stimmentausch effizienzerhöhend, wenn die Auszahlungsmatrix kardinal messbare und interpersonell vergleichbare Nutzenänderungen angibt genauso gut kann Stimmentausch aber effizienzsenkend sein. Im Beispiel: Auszahlung sei -3 für alle Wähler, die nicht von einem Projekt X und Y profitieren!
8 Grundzüge der Wirtschaftspolitik 6-8 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2009) Ergebnis (Bernholz, 1973): Eine Situation mit Anreizen zum Stimmentausch existiert nur bei einer intransitiven gesellschaftlichen Präferenzordnung. Wie ist die Bewertung von Projektpaaren durch die Wähler? Paar Projekte Wähler A Wähler B Wähler C 1 (X,Y) (X, Y) ( X, Y) Paar 1 (X, Y) gegen Paar 2 (X, Y): Wer gewinnt? Paar 2 (X, Y) gegen Paar 3 ( X, Y): Wer gewinnt? Paar 3 ( X, Y) gegen Paar 1 (X,Y): Wer gewinnt? Fazit: Der Grund für eine intransitive soziale Präferenzordnung liegt hier in der Mehrdimensionalität des Entscheidungsproblems. Ein eindeutiges Abstimmungsgleichgewicht kommt nicht zu Stande, obwohl die Präferenzen eingipfelig sind (nur 2 Bewertungszustände bei jedem Projekt).
9 Grundzüge der Wirtschaftspolitik 6-9 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2009) 6.4 Alternativen zur Mehrheitswahl Wahlverfahren für die Wahl zwischen wechselseitig ausschließbaren Alternativen (z.b. Kandidaten für ein öffentliches Amt) Mehrheitswahl: Wahl des Kandidaten, der von einer Mehrheit der Wähler auf den 1. Platz gesetzt wird. Mehrheitswahl mit 2. Wahlgang: Ausscheidungswahl zwischen den beiden Erstplatzierten des 1. Wahlgangs. Im 2. Wahlgang entscheidet größere Zahl der Stimmen. Pluralitätswahl: Der Kandidat, der von den meisten Wählern auf den 1. Platz gesetzt wird, gewinnt. Condorcet Kriterium: Wahl des Kandidaten, der in paarweiser Abstimmung gegen alle Konkurrenten eine einfache Mehrheit der Stimmen erhält (gibt es keinen Kandidaten, der sich in paarweiser Abstimmung gegen alle anderen durchsetzt, gibt es keinen Condorcet Sieger) Borda-Punktesystem: Jeder Wähler reiht die Kandidaten ordinal und vergibt 1, 2,..., m Punkte an m Kandidaten. Der Kandidat mit der höchsten Punktezahl gewinnt.
10 Grundzüge der Wirtschaftspolitik 6-10 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2009) Pluralitätswahl vs. Condorcet-Kriterium 5 Wähler erstellen Reihenfolge über 4 Alternativen (X,Y,Z,W) Rang V 1 V 2 V 3 V 4 V 5 1 X X Y Z W 2 Y Y Z Y Y 3 Z Z W W Z 4 W W X X X Wer gewinnt bei Pluralitätswahl? Wer gewinnt nach dem Condorcet-Kriterium? Condorcet-Kriterium vs. Borda-Punktwertung 5 Wähler entscheiden zwischen 3 Alternativen (X,Y,Z) Rang V 1 V 2 V 3 V 4 V 5 1 X X X Y Y 2 Y Y Y Z Z 3 Z Z Z X X Wer ist der Condorcet-Sieger? Wer gewinnt nach dem Borda-Punktesystem? Fazit: Entscheidungsregeln sind wichtig!
11 Grundzüge der Wirtschaftspolitik 6-11 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2009) Die Einstimmigkeitsregel Bei der Einstimmigkeitsregel wird die Zustimmung aller Wähler gefordert. Dies bedeutet maximale Verhandlungskosten, aber auch breitestmögliche Akzeptanz des Vorschlags. Analogie zum Pareto Kriterium: Einstimmigkeitserfordernis (Vetorecht) bedeutet, dass es bei dem Vorschlag (oder der Reform) keine Verlierer geben darf. Beispiel: n 1 Raucher und n 2 Nichtraucher im Zug müssen entscheiden, ob das Rauchen erlaubt oder verboten ist. Fall A: Der Zug besteht aus nur 1 Wagon. Konfliktsituation: keine Einstimmigkeit und keine dritte Alternative ist möglich ungefähr gleiche Intensität der Präferenzen = Mehrheitswahl dominiert Fall B: Der Zug besteht aus 2 Wagons. Einstimmigkeit möglich, da dritte Alternative existiert: je ein Wagen für Raucher und für Nichtraucher Mehrheitswahl kann zu Tyrannei der Mehrheit führen, da die Mehrheit ein Interesse hat, sich auf beide Wagons zu verteilen
12 Grundzüge der Wirtschaftspolitik 6-12 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2009) = Mehrheitswahl kann kreative, Pareto-verbessernde Lösungen verhindern, Einstimmigkeitsregel dominiert Fazit: Mehrheitswahl und Einstimmigkeit können in jeweils unterschiedlichen Situationen die bessere Entscheidungsregel sein. Anwendung der Einstimmigkeitsregel: UN-Sicherheitsrat, EU (Verfassung, Steuern) Diskussion: Umfang der Einstimmigkeitsregel in der EU?
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