5. Registerinformation Myotone Dystrophien 9/2016
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- Paul Sternberg
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1 5. Registerinformation Myotone Dystrophien 9/2016 Sehr geehrte Patienten und Angehörige! Bei der Myotonen Dystrophie als multisystemische Erkrankung können neben der Muskultur weitere Organsysteme betroffen sein. In den letzten Registerinformationen haben wir bereits einige dieser Organsysteme und deren mögliche Funktionsstörungen bei einer Myotonen Dystrophie erläutert (Herz- Kreislaufsystem, Verdauungstrakt, die Atmung und verschiedene Stoffwechselvorgänge). In dieser Ausgabe soll nun auf die mögliche Beteiligung des zentralen Nervensystem bei der DM Erkrankung eingegangen werden. Insbesondere das häufige Symptom der Tagesmüdigkeit soll hier erläutert werden. Informationen zum derzeitigen Behandlungsstandard bei der Myotonen Dystrophie Beteiligung des zentrales Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) Die Beteiligung des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) stellt einen besonders wichtigen klinischen Aspekt der DM1 und DM2 dar. Die Hirnfunktionen (Wahrnehmung, Gedächtnis, Sprache, Konzentration und Aufmerksamkeit) können in ganz unterschiedlicher Art und Weise bei beiden DM Formen eingeschränkt sein. Insbesondere DM1 Patienten können Verhaltensveränderungen wie z.b. eine Zurückgezogenheit, Apathie (Antriebsschwäche) mit deutlichem Eigeninitiativverlust und möglicherweise Vernachlässigungstendenzen zeigen. 1 Impressum Friedrich-Baur-Institut Ludwig-Maximilians-Universität Ziemssenstr. 1a D München germany@dm-registry.org
2 Eine übermäßige Tagesmüdigkeit stellt ein sehr häufiges Symptom bei DM Patienten dar. Neben einer zerebralen Funktionsstörung muss bei diesem Symptom auch immer eine Beeinträchtigung der Atmung als Ursache oder als symptomsteigerndes Moment in Erwägung gezogen werden bzw. differentialdiagnostisch ausgeschlossen werden. Im nächsten Abschnitt soll noch einmal auf dieses Symptom wegen seiner hohen Relevanz und seiner nicht ganz eindeutigen Ursächlichkeit gesondert eingegangen werden. Einige Patienten (hier DM2 Patienten häufiger als DM1 Patienten) zeigen eine depressive Symptomatik, die teilweise auch als Reaktion auf die Grunderkrankung und ihre Einschränkungen zu verstehen ist. Neben der rein klinischen Beobachtung dieser zahlreichen neuropsychologischen Symptome bei DM Patienten, konnten bei DM Patienten auch Strukturveränderungen des Gehirns durch eine Bildgebung (zum Beispiel durch eine Magnetresonanztomographie) nachgewiesen werden, wobei den einzelnen Symptomen bislang nur selten typische Strukturveränderungen zugeordnet werden konnten. Eine mögliche ZNS-Beteiligung stellt häufig für den Patienten selbst aber auch für die Angehörigen des Patienten - eine erhebliche Belastung dar. Sie kann die Lebensqualität deutlich mindern und wiederum sehr negative Auswirkungen auf die körperliche Symptomatik haben. Sie muss daher in der Betreuung von DM-Patienten unbedingt ausreichend Beachtung finden. Die Behandlung von Verhaltensstörungen oder kognitiven Funktionsstörungen erfordert einen komplexen Behandlungsansatz, bei dem Experten aus der Neuropsychologie, Verhaltens- und Sozialtherapie zusammenarbeiten sollten. Bei ausgeprägter, depressiver Symptomatik kann neben einer psychotherapeutischen Behandlung eine medikamentöse Therapie mit Antidepressiva (wie Amitriptylin, Mirtazapin, und Cipramil) notwendig sein. Die genannten Antidepressiva können unter Umständen auch einen positiven Effekt auf bestehende Muskelschmerzen, und im Falle des Amitriptylins zusätzlich auf eine bestehende Tagesmüdigkeit haben. Übermäßige Tagesmüdigkeit (Hypersomnie) und Erschöpfungssyndrom (Fatigue Syndrom) Das Symptom einer übermäßigen Tagesmüdigkeit, die sogenannte Hypersomnie beschreibt ein vermehrtes Schlafbedürfnis während des Tages trotz ausreichenden Nachtschlafes. Der Patient berichtet meist, dass er tagsüber häufig das Problem habe, sich wachzuhalten, vermehrt Schlafphasen während des Tages benötige, oder aber auch immer wieder unwillkürlich insbesondere bei monotonen Tätigkeiten einschlafe. Hiervon abzugrenzen ist das ebenfalls bei DM Patienten häufige Erschöpfungssyndrom (Fatigue-Syndrom), das letztlich nicht mit der zuvor beschriebenen erhöhten Einschlafbereitschaft einhergeht, sondern vielmehr aufgrund eines Gefühls der dauerhaften Erschöpfung zur Einschränkung in der Bewältigung alltäglicher Tätigkeiten führen kann. Durch Schlaf kann dieses Gefühl der Erschöpfung nicht behoben werden. Im dem Patientenregister wird im Patientenfragebogen die Frage gestellt: Beein- 2
3 Prozent 5.Registerinformation Myotone Dystrophie 9/2016 trächtigen Sie derzeit Müdigkeit oder Tagesschläfrigkeit bei Ihren normalen täglichen Aktivitäten? Von 211 DM 2 Patienten geben 50% an, durch diese Symptomatik nur leicht beeinträchtigt zu sein, 30% fühlen sich hierdurch sehr eingeschränkt und 20% verneinen diese Symptomatik. Unter den 216 DM 1 Patienten wird diese Frage mit fast identischer Verteilung beantwortet, 31 % fühlen sich durch die Müdigkeit und Tagesschläfrigkeit sehr eingeschränkt und 49% nur leicht DM1 DM2 Mit der Folge einer Atemantriebsstörung (zentralen alveolären Hypoventilation) Mit der Folge eines gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus (zentrale Hypersomnie) Verhaltensanomalien mit sehr unregelmäßigem Schlafrhythmus, nicht günstigem Schlafverhalten Atemmuskelschwäche mit schlafbezogener Hypoventilation (unzulängliche Atmung für einen ausreichenden Gasaustausch des Organismus) oder Verengung der Luftwege wegen Rachenschwäche und obstruktiver Schlafapnoe und damit ein nicht erholsamer nächtlicher Schlaf (siehe 4. Registerinformation 6/2016). Abb. 1 : Einschränkung der DM- Registerpatienten durch Müdigkeit oder Tagesschläfrigkeit Mit dieser Fragestellung kann letztlich nicht zwischen der übermäßigen Tagesmüdigkeit und dem Erschöpfungssyndrom differenziert werden. Die Auswertung der Daten spiegelt aber wider, welchen hohen Stellenwert diese Symptome für DM1 und DM2 Patienten haben. Die übermäßige Tagesmüdigkeit kann das führende Symptom darstellen und für viele Patienten eine bedeutende Auswirkung auf die Lebensqualität des Patienten aber auch der Angehörigen haben. Dieses Symptom kann unterschiedliche Ursachen haben: Ursachen im Zentralen Nervensystem : Liegt dieses Symptom der übermäßigen Tagesmüdigkeit bei einem Patienten vor, so sind die eben genannten Ursachen hierfür differentialdiagnostisch zu beurteilen. Immer sollte das Vorliegen einer Atemmuskulaturschwäche und/oder eines Schlafapnoesyndrom ausgeschlossen werden, bevor von einer Ursache im zentralen Nervensystem ausgegangen werden kann. Beruht die Tagesmüdigkeit auf eine Sauerstoffunterversorgung tagsüber oder nachts, kann möglicherweise eine nichtinvasive Beatmung zu einer Reduzierung dieses Symptoms führen (siehe 4. Registerinformation 6/2016). Ebenso bedacht werden muss, dass ein übermäßiger Alkohol- und Koffeingenuss, gewisse Medikamentenebenwirkungen und schlechte Schlafgewohnheiten für dieses Symptom unterstützend oder sogar ursächlich sein können. Die Vermeidung dieser Faktoren und eine klare Tagesstruk- 3
4 turierung mit der Beachtung einer sogenannten Schlafhygiene (dieser Begriff umfasst unter anderem, dass ein täglicher Mittagsschlaf nicht länger als 45 Minuten dauern sollte) stellen erste Maßnahmen dar, das Symptom zu lindern. Bei der Erarbeitung einer klaren Strukturierung des Tages und auch bei der Einhaltung eines geregelten Tagesablaufes kann eine Verhaltenstherapie eine kontrollierende und unterstützende Wirkung zeigen. Bei einer stark ausgeprägten und damit sehr einschränkenden Tagesmüdigkeit stellt das rezeptpflichtige Modafinil (Handelsname Vigil) eine medikamentöse Therapiemöglichkeit dar. In Europa ist dieses Medikament nur für das sogenannte Narkoleptische Syndrom zugelassen und muss also in diesem Falle außerhalb des eigentlich zugelassenen Indikationsgebietes vom Arzt verschreiben werden (Off-Label Use). Alternativ können auch Medikamente wie Methylphenidat (Handelsname Ritalin) und Amitriptylin versucht werden. Neues aus der Forschung Fragebogen-Studie zum Thema Lese- Rechtschreibschwäche bei DM1 und DM2 (Kristina Stahl) Bei der seit 2014 laufenden Fragebogenstudie konnte die Datenerhebung Ende letzten Jahres abgeschlossen werden und die Auswertung der Daten ist zu großen Teilen erfolgt. Es haben insgesamt 288 Patienten, hiervon 131 DM1 Patienten und 157 DM2 Patienten an dieser Studie teilgenommen. Diese hohe Teilnehmerzahl, das große Engagement und Interesse der Patienten, die Offenheit, mit der teilnehmende Patienten Fragen zu persönlichen Erfahrungen beantwortet haben, haben uns beeindruckt und sehr gefreut. Die Arbeit wurde uns hierdurch deutlich erleichtert. Wir danken sehr herzlich! Neben der Fragestellung, wie häufig eine Lesestörung (Dyslexie) bzw. Lese- /Rechtschreibschwierigkeiten bei Patienten mit Myotonen Dystrophien sind, untersucht die Studie auch das Bildungsniveau bei DM-Patienten. Bei allen Fragestellungen wird zwischen den beiden Erkrankungstypen DM1 und DM2 differenziert. Im Rahmen dieser Studie beantworteten die Patienten Fragen zu ihrer Schul- und Berufsausbildung, und bearbeiteten einen standardisierten Lese- /Rechtschreibschwäche (LRS)-Fragebogen. Einige DM 1 Patienten absolvierten zusätzlich einen standardisierten Lese- /Rechtschreibetest und IQ-Test. Aus den gesammelten Daten ließ sich ermitteln, dass eine Dyslexie und auch eine kombinierte Lese-/Rechtschreibstörung bei DM1-Patienten deutlich häufiger auftritt als in der durchschnittlichen Normalbevölkerung. Zusätzlich zeigten sich bei DM1 Patienten im LRS- Fragebogen mehr Hinweise auf Schwierigkeiten im Bereich Lesen und Rechtschreibung als bei DM2- Patienten. Dagegen weicht aber die prozentuale Verteilung des höchst erreichten Schulabschlusses und der weiteren beruflichen Qualifizierung bei DM1- und DM2-4
5 Patienten nur geringfügig voneinander ab ((Fach-)Hochschulreife: 50,4% der DM1 Patienten und 48,3% der DM2 Patienten; (Fach-) Hochschulabschluss: 25% der DM1 Patienten und 23% der DM2 Patienten). Einige Ergebnisse der Studie erschienen kürzlich in der April-Ausgabe der Zeitschrift Fortschritte der Neurologie - Psychiatrie unter dem Titel Ausbildung und berufliche Qualifikation von Erwachsenen mit Myotonen Dystrophien eine fehlgeleitete Wahrnehmung durch die Facies myopathica? Sollten Sie bei sich oder Ihren Kindern Auffälligkeiten im Bereich Lesen und Rechtschreibung feststellen, können Sie sich auf folgender Seite weiter zu dem Thema LRS/Legasthenie informieren: München, September
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