Was bleibt übrig vom e-business
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- Leopold Gerstle
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1 University of St.Gallen From the SelectedWorks of Hubert Oesterle July 30, 2001 Was bleibt übrig vom e-business Hubert Oesterle Available at:
2 Was bleibt übrig vom E-Business? Die alten und doch neuen Realitäten der vernetzten Wirtschaft / Kompendium der neuen BWL / Von Hubert Österle Der Hype ist gebrochen: Technologiewerte fallen ins Bodenlose; Dot-coms verschwinden; Manager werden ausgetauscht; E-Business-Projekte werden gestoppt; Konservative atmen auf. Ist der Spuk vorbei? Die Finanz- und Unternehmenswelt hat in den vergangenen fünf Jahren viele, meist konkurrierende Ideen und Vorhaben mit Milliarden Euro und bisweilen wenig Geschäftsverständnis finanziert. Die Bereinigung war vorhersehbar und notwendig. Jetzt beginnt die Realisierungswelle. Die ökonomischen Grundregeln sind geblieben. Die Wirtschaftlichkeit von Geschäftslösungen, nicht ihre technische Mach- oder Wünschbarkeit, ist entscheidend. Nicht animierende, bunte Internetseiten, sondern Kundennutzen steht im Mittelpunkt. Schlanke, schnelle Prozesse ohne Medienbrüche und über Unternehmen und Länder hinweg eröffnen neue wirtschaftliche Dimensionen. Ein eindrückliches Beispiel für neue Unternehmensstrukturen findet sich im Handel elektronischer Komponenten bei Firmen wie Arrow Electronics, Avnet oder Marshall Industries. Aus Zwischenhändlern, deren Wertschöpfung vor allem in der Lagerung und Feinverteilung von elektronischen Komponenten lag, entstanden durch Vernetzung und Multimedia in den neunziger Jahren Dienstleistungsunternehmen mit einem umfangreichen Portfolio elektronisch und persönlich erbrachter Leistungen. Dazu zählen Multi-Vendor-Produktkataloge mit komfortabler Suchhilfe, Bedarfsprognosen und Stücklistenauflösung für die Kunden, Supply Chain Services wie beispielsweise Vendor Managed Inventory oder Online-Design und -Test von Komponenten. Eine netzbasierte "Community of Electronics Engineers" (enen.com) mit Branchenneuigkeiten, Produktankündigungen, NetSeminars und so weiter ist derart erfolgreich, daß sie von Marshall als eigenes Unternehmen ausgegliedert wurde. Alle führenden Händler elektronischer Komponenten bieten inzwischen derartige Services an. Viele dieser Dienstleistungen sind heute keine Differenzierungsmerkmale mehr, sondern schlicht die Voraussetzung für Geschäftsbeziehungen. Darüber hinaus kommt es zu einem eigentlichen Wettbewerb neuer Services mit Zusatznutzen für die Kunden. Anbieter, die nicht mithalten können, verschwinden vom Markt, worauf die beachtliche Liste von Akquisitionen beispielsweise durch Avnet (siehe hinweist. Mittlerweile gibt es in allen Branchen intensive Bemühungen, die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen ähnlich zu organisieren. Es entstehen Business Collaboration Infrastructures (Marktplätze, Exchanges). Covisint bietet zum Beispiel neben vielen anderen Services einen virtuellen Projektraum für firmenübergreifende Projektarbeit und einen Bedarfsprognose-Service (SupplySolution). Das kann die Branchenstrukturen verändern. Ein weiteres Beispiel, diesmal aus dem Consumer-Bereich, soll dies erläutern. Der Besitz eines Autos umfaßt vielfältige Tätigkeiten mit unterschiedlichsten Lieferantenbeziehungen. Leistungsintegratoren schaffen Kundennutzen durch das aufeinander abgestimmte Angebot möglichst vieler der benötigten Informationen (zum Beispiel Fahrzeugausstattungen und Versicherungstarife), Dienstleistungen (Probefahrt, Reparatur) und Produkte (Auto, Treibstoff). Basierend auf dem Wissen über den Kunden passen sie Leistungen auf dessen individuellen Bedürfnisse an. Das Internet-Portal bildet die Schnittstelle zwischen Kunde und Anbieter, faßt also alle Leistungen zusammen. Netzwerkgeräte wie GPS, Mobiltelefon oder das Motor-Management-System bringen die Services an den Ort des Geschehens. Der Mobilitätsanbieter produziert die benötigten Leistungen in den seltensten Fällen selbst, sondern bezieht sie von diversen Zulieferern. Baustein Kundenprozeß Das Unternehmen der vernetzten Wirtschaft geht vom Kundenprozeß aus. Dieser bestimmt die Produkte und Dienstleistungen, die der Kunde zur Lösung seines Problems benötigt. Im Falle von Avnet ist der Kunde beispielsweise Ericsson. Der Kundenprozeß umfaßt die Suche und Evaluation einer Antenne, Design und Test, Bedarfsvorhersage, Bestellung, Lagerhaltung, Produktion, Wartung und Abrechnung. Avnet übernimmt für Ericsson unter anderem das Supply Chain Management für
3 elektronische Komponenten ( In unserem Beispiel aus dem Consumer-Bereich kann der Kundenprozeß die gesamte Mobilität abdecken oder aber nur Teile wie Autokauf, Fahren oder Autobetrieb (siehe Graphik). Die Vernetzung bringt einen Quantensprung auf dem Weg vom Produktverkäufer zum Lösungsanbieter. Das wird ganze Branchen grundlegend verändern. Automobilhersteller (zum Beispiel GM in senseabledriving.com mit onstar.com), Autohändler (AutoByTel), Autozeitschriften (AutoBild.de) und Internetshops (CarPoint) haben damit angefangen, nicht nur den Kauf eines Autos, sondern alle Produkte, Dienstleistungen und Informationen von der Auswahl über den Betrieb bis zur Entsorgung aus einer Hand anzubieten. Ziel ist nicht der günstigste Preis, sondern neuer Kundennutzen (Bequemlichkeit und Zeitersparnis). Verstehe den Kundenprozeß! Das bedeutet die Grenzen des Verkaufens überschreiten und mit dem Kunden dessen Prozesse verstehen lernen. Decke den gesamten Kundenprozeß ab! Der Kunde erwartet die Problemlösung - sei es der Einbau von Antennen oder das Autofahren - aus einer Hand, damit er sich auf seine Kernkompetenz konzentrieren kann. Biete Leistungen mit Zusatznutzen! Höchste Kreativität ist gefordert, um aus dem Verständnis des Kundenprozesses Leistungen abzuleiten, die dem Kunden zusätzlichen Nutzen stiften. Baustein Kundenprozeßportal Im Kundenprozeßportal werden alle Dienstleistungen im Rahmen des Kundenprozesses zusammengefaßt und über eine Website für den Kunden aufbereitet. Der Kunde erhält somit eine einzige Anlaufstelle, auch wenn viele der Services weiterhin nicht rein elektronisch, sondern persönlich erbracht werden. Der Fokus liegt auf der Bereitstellung von Wissen (siehe zum Beispiel Cisco oder Enen). Wer ist der Anbieter eines Kundenprozeßportales, also beispielsweise der Mobilitätsanbieter? Ein mächtiger Lieferant, etwa ein Automobilhersteller? Ein Konsortium wie bei Covisint? Ein Medienunternehmen (z. B. AutoBild.de)? Oder ein neu gegründetes Unternehmen wie MSN für CarPoint? Diese Frage wird sich je nach Branche und Machtverteilung im Markt unterschiedlich beantworten. Ein Unternehmen kann versuchen, selbst einen Prozeß oder Teilprozeß vollständig anzubieten, Allianzen mit anderen Unternehmen suchen oder seine Produkte und Dienstleistungen auf möglichst vielen Kundenprozeßportalen verankern. Naheliegend ist es, bestehende Kundenbeziehungen durch zusätzliche Services auszubauen. Definiere das Leistungsportfolio! Die unternehmerische Herausforderung, neue nutzenstiftende Leistungen zu kreieren, kann nur durch Verständnis des Kundenprozesses und überlegendes Lösungs- Know-how gemeistert werden. Bestimme die Rolle des Unternehmens im Kundenprozeßportal! Das Unternehmen kann sich entweder für die Strategie des Leistungsintegrators entscheiden und ein Kundenprozeßportal aufbauen oder als Zulieferer für die dominanten Portale etablieren. Schaffe die kritische Masse an Leistungen und Lieferanten! Der Kunde beschafft bei dem Lieferanten, der ihm bei vergleichbaren Preisen die beste Unterstützung und die größte Auswahl bietet. Schaffe die kritische Masse an Kunden! Die Lieferanten bedienen den Leistungsintegrator, der die meisten Kunden erreicht. Die Entwicklungs- und Betriebskosten müssen auf möglichst viele Transaktionen verteilt werden.
4 Baue Kundenprofile auf! Wesentlicher Erfolgsfaktor ist das Wissen über die Bedürfnisse der Kunden. Binde den Kunden mit speziellen Services! Je enger und automatisierter die Zusammenarbeit zwischen Kunden und Portal ist, desto höher wird die Eintrittsbarriere für Konkurrenten. Baustein Geschäftsnetzwerk Die Vernetzung verändert die Machtverhältnisse in Geschäftsnetzwerken (Supply Chains, Wertschöpfungsnetzen) gravierend. Einerseits können Unternehmen viel leichter als früher global beschaffen und verkaufen. Das Netz ermöglicht es, neue Kunden und Lieferanten mit wenig Aufwand zu erreichen. Value added services wie im Beispiel Avnet bedeuten andererseits, daß die beteiligten Unternehmen ihre Prozesse aufeinander abstimmen und sich so eng aneinander binden. Der große Durchbruch kooperativer Prozesse wie etwa des Supply Chain Managements wird erst stattfinden, wenn sich die Teilnehmer eines Geschäftsnetzwerkes auf gemeinsame Standards geeinigt haben. Das ermöglicht den Schritt von der Eins-zu-eins-Verbindung zur M-zu-n-Verbindung und damit eine drastische Reduktion der Kosten zur Entwicklung eines kooperativen Prozesses. Häufig wird eine Defacto-Standardisierung durch den mächtigsten Marktteilnehmer stattfinden, an dessen dominantem Kundenprozeßportal sich das Geschäftsnetzwerk ausrichtet. Bestimme die Rolle im Wertschöpfungsnetzwerk! Ausschlaggebend ist, welche Leistungen das eigene Unternehmen im Vergleich zu Konkurrenten einzeln oder in Kombination am effizientesten erbringen kann. Fokussiere auf die Kernkompetenzen! Ein einzelnes Unternehmen muß sich auf wenige Prozesse konzentrieren, diese aber global anbieten. Entwickle die Netzwerkfähigkeit des Unternehmens! Jede Fusion, jedes Outsourcing, jeder neue Diensteanbieter führt zu einer Neuverteilung der Leistungen. Es kommt daher auf die schnelle Reaktion dank einer hohen Netzwerkfähigkeit an. Wähle das Netzwerk mit dem größten Potential! Ein früher Eintritt in ein Geschäftsnetzwerk verbessert die Chance, eine dominante Rolle übernehmen zu können. Baustein - E-Services Covisint hat mit SupplySolution einen E-Service integriert, der aus den Enterprise Resource Planning Systemen von Unternehmen Absatzzahlen, Bedarfszahlen und Absatzprognosen extrahiert und über eine Datenbank autorisierten Lieferanten zur Verfügung stellt. Diese können so besser auf den Bedarf ihrer Kunden reagieren. SupplySolution ist ein typisches Beispiel für den rapide wachsenden Markt von E-Services. Allein für den Zahlungsverkehr hat das Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen über 130 E-Services gefunden. Andere E-Services sind beispielsweise Business Partner Directories, Produktkataloge, Trustservices oder Logistikdienste. Sogenannte Marktplätze oder Exchanges haben angefangen, E-Services zu bündeln. Sie liefern damit die Instrumente zur effizienten Realisierung von kooperativen Prozessen. Die so entstehende Business Collaboration Infrastructure ist das elektronische Verkehrssystem der vernetzten Wirtschaft. Die exorbitanten Börsenbewertungen von Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, reflektieren die Erwartungen, welche Analysten an die Rolle dieser Infrastrukturen haben. Nutze vorhandene Dienste anstelle von Eigenentwicklung! Setze dabei auf Marktmacht! Es geht nicht um die technisch perfekteste und modernste Lösung, sondern um die Überlebensfähigkeit im Markt.
5 Entwickle eigene E-Services! Verfügt ein Unternehmen für einen bestimmten Service über führendes Know-how und hat es Chancen, einen Service global durchzusetzen, so kann es selbst in den Markt der E-Service-Anbieter einsteigen. Zur Person Hubert Österle Prof. Dr. Hubert Österle studierte und promovierte an den Universitäten Innsbruck, Linz, Erlangen- Nürnberg und Dortmund. Es folgte eine Tätigkeit in der Systemberatung der IBM Deutschland. Professor an der Universität St. Gallen, Gründer und Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik. Gründung und Leitung des Forschungsprogrammes Business Engineering HSG. Mitbegründer und Chief Technology Officer der Information Management Group (IMG). Literatur Österle, H., Fleisch, E., Alt, R. (Hrsg.), Business Networking in der Praxis, Springer, Berlin et al Österle, H., Winter, R. (Hrsg.), Business Engineering - Auf dem Weg zum Unternehmen des Informationszeitalters, Springer, Berlin et al Frankfurter Allgemeine Zeitung, , Nr. 174 / Seite 25
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