# 6: Das nationale Asylrecht im europäischen Kontext
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- Hertha Simen
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1 WS 2016/17: Vorlesung Einführung in das Aufenthalts- und Asylrecht # 6: Das nationale Asylrecht im europäischen Kontext Dr. Johannes Eichenhofer, Berlin 1
2 Überblick I. Rechtsquellen im Asylrecht - Überblick II. III. IV. Internationales Recht: GFK und EMRK Europäisches Recht: Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) Nationales Recht: Das deutsche Asylsystem (Überblick) V. Fazit und Ausblick 2
3 I. Rechtsquellen im Asylrecht - Überblick 3
4 Völkerrecht insb. Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) / Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Europarecht z.b. Dublin-Verordnung, Qualifikationsrichtlinie (EU-QualR) Nationales Recht insb. Artikel 16a Grundgesetz (Verfassungsrecht) + AsylG, AsylbLG, AufenthG (einfaches Recht) 4
5 II. Internationales Recht: GFK, AEMR und EMRK 5
6 1. Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) 6
7 Die Genfer Flüchtlingskonvention Grundstein des Flüchtlingsrechts Unterzeichnet 1951 nach dem 2. Weltkrieg Heute: 148 Unterzeichnerstaaten Was regelt die Konvention?! Definition der Flüchtlingseigenschaft (deklaratorisch)! Rechte und Pflichten von Flüchtlingen! Non refoulement Was ist das Zusatzprotokoll von 1967?! Erweitert zeitlichen und geographischen Anwendungsbereich der GFK UNHCR: Hüter der GFK GFK ist Basis des europäischen Asylsystems
8 Flüchtling ist gemäß Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) eine Person, die...aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb eines Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes sie nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen sie nicht in Anspruch nehmen will. Die Flüchtlingseigenschaft wird im Rahmen eines Asylantrags geprüft. Bezeichnung vor Zuerkennung des Flüchtlingsstatus: Asylsuchende / Schutzsuchende / AsylbewerberInnen / AsylantragstellerInnen 8
9 2. Die Europäische Menschenrechtskonvention 9
10 Die Europäische Menschenrechtskonven3on Unterzeichnet 1950 gilt in allen 47 Mitgliedsstaaten des Europarats Über Umsetzung wacht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Enthält u.a. Recht auf Leben, Verbot Folter und der grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung sowie Recht auf Familien- und Privatleben 10
11 III. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem 11
12 1. Die Entstehung des europäischen Asylsystems 12
13 Die Entstehung des europäischen Asylsystems Migrationskontrolle = Ausdruck staatlicher Souveränität Territorialitätsprinzip im Flüchtlingsrecht Entstehung eines europäischen Asylsystems = direkte Folge des Zusammenwachsens der EG/EU Gemeinsamer Wirtschaftsmarkt führt zur Öffnung der Binnengrenzen (Schengener Abkommen von 1985) Innereuropäische Freizügigkeit machte gemeinsame Außengrenzkontrolle sowie Regelungen zur Migrationskontrolle erforderlich!
14 Die Entstehung des europäischen Asylsystems Globale Krisen in den 80er und 90er Jahren führen zu verstärkten Fluchtbewegungen nach Westeuropa Schengener Durchführungsübereinkommen (1990): Einige Staaten verständigen sich auf gemeinsame Visaregelungen + Regelungen zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit (heute: Schengener Grenzkodex VO (EG) Nr. 562 / 2006 v ) Das Dubliner Übereinkommen (1990) zur Regelung der Zuständigkeit für Asylverfahren (heute: Dublin-III-Verordnung) verfolgte vor allem zwei Ziele:! one state only (kein forum shopping )! no refugees in orbit! Verursacherprinzip
15 Die Entstehung des europäischen Asylsystems 1992 (Vertrag von Maastricht): Drei-Säulen-Struktur: Dritte Säule = Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI) betrifft Asyl- und Migrationspolitik 1997 (Vertrag von Amsterdam): Vergemeinschaftung der dritten Säule " EG ist für Asyl- und Migrationspolitik zuständig und darf erstmals Mindestnormen erlassen (vgl. Art. 63 EGV a.f.) 2009 (Vertrag von Lissabon): Abschaffung der Drei-Säulen-Struktur " statt EUV und EGV nunmehr: EUV und AEUV; " Grundrechtecharta (GRCh) tritt in Kraft Rechtsquellen:! Europäisches Primärrecht (AEUV, EUV, GRCh)! Europäisches Sekundärrecht (RL en, VO en), u.a. 15
16 Die Entstehung des europäischen Asylsystems Kompetenzen im Asyl- und Migrationsrecht wurden schrittweise auf die EG/EU übertragen 3 Phasen der (sicherheitspolitisch geprägten) Harmonisierung:! : Programm von Tampere! : Haager Programm! : Stockholmer Programm Schaffung und Überarbeitung von Richtlinien + Verordnungen zu Mindeststandards für Aufnahme, Verfahren und Anerkennung
17 2. Das Gemeinsame Europäischen Asylsystem (GEAS) 17
18 Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) Institutionen: 1. Europäisches Asylunterstützungsbüro (EASO) und 2. EU Grenzschutzagentur (FRONTEX) Richtlinien: 1. Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU) 2. Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) 3. Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU) 4. Massenzustromsrichtlinie 5. Rückführungsrichtlinie Verordnungen: 1. EURODAC-Verordnung 2. Dublin III-Verordnung (EU-VO Nr. 604/2013; davor: Dubliner ÜK 1990, Dublin-II-VO 2003)
19 Die Qualifikationsrichtlinie 1. Regelungen zum Inhalt des zu gewährenden Schutzes " Asylantrag in der EU = Antrag auf internationalen Schutz " Internationaler Schutz = Flüchtlingsschutz nach GFK + subsidiärer Schutz " Subsidiärer Schutz: erweitert Schutz nach der GFK, da drohende Menschenrechtsverletzung nicht an ein bestimmtes persönliches Merkmal anknüpfen muss 2. Regelungen zu Rechten nach Zuerkennung von Flüchtlingsschutz oder subsidiärem Schutz " Recht auf Zugang zu Bildung / zum Arbeitsmarkt " Sozialhilfe 19
20 Die Asylverfahrensrichtlinie: Regelung einheitliche Mindeststandards für den Ablauf des Asylverfahrens in den Mitgliedstaaten Recht auf persönliche Anhörung (Art. 14) Recht auf Rechtsschutz ( Art. 19 ff.) Die Aufnahmerichtlinie: Regelung einheitliche Mindeststandards für die Aufnahme von Asylsuchenden Unterbringung Recht auf Zugang zu Bildung / zum Arbeitsmarkt Regelungen zur Inhaftierung von Asylsuchenden 20
21 Die Dublin III-VO: Regelung der Zuständigkeit für Anträge auf internationalen Schutz 1. Minderjährige: Art. 8 Dublin III-VO 2. Familienangehörige (Kernfamilie): Art. 9 bis 11 Dublin III-VO 3. Aufenthaltstitel / Visum: Art. 12 Dublin III-VO 4. Einreise und / oder Aufenthalt: Art. 13 Dublin III-VO 5. Visafreie Einreise: Art. 14 Dublin III-VO 6. Antrag im internationalen Transitbereich eines Flughafens: Art. 15 Dublin III-VO 21
22 Befindet sich eine Person nicht in dem für sie zuständigen Staat, kann sie grundsätzlich dorthin überstellt werden! Ausnahmen: systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen! EGMR und EuGH 2011! Seit 2011: Keine Überstellungen nach Griechenland! Früher Selbsteintritt, seit Dublin-III: Fortsetzung der Zuständigkeitsprüfung - Art. 3 (2) Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung! Bei geplanten Abschiebungen besonders Schutzbedürftiger nach Italien - sowohl i.r.v. Dublin als auch bei Anerkannten - gelten besondere Bedingungen (BVerfG und EGMR 2014) Keine Überstellung besonders Schutzbedürftiger nach Malta Umstritten zwischen den Gerichten: u. a. Italien, Bulgarien, Ungarn 22
23 Probleme des Dublin-Systems da kaum legale Zugangswege: Regelzuständigkeit der Mittelmeeranrainer, Bulgarien und Ungarn, über die irreguläre Einreisen erfolgen Europäische Asylverfahrens- und Aufnahmerichtlinie legen zwar einheitliche Mindeststandards fest, aber in der Realität schwanken die Standards und Lebensbedingungen sehr stark: Teilweise keine menschenwürdigen Aufnahmebedingungen / fairen Asylverfahren ( systemische Mängel u.a.) Keine einheitliche Anerkennungspraxis Keine Freizügigkeit nach Anerkennung 23
24 Zugang zu Schutz in der EU? # Territorialprinzip im Flüchtlingsrecht " Keine int. Rechtsnorm regelt effektiv die Frage des Zugangs zum Schutz für Asylsuchende im Sinne eines Rechts auf Einreise # Das Asylparadox in der EU: Internationaler Schutz Verfahrensrechte Qualität des Asylverfahrens Stärkung der Rechte von Asylsuchenden und Flüchtlingen - Ausweitung von Migrationsund Grenzkontrollen - Asylsuchende unterfallen der allgemeinen Visumspflicht Frontex Visa Blacklist Carrier Sanctions
25 Aktuelle Herausforderungen der europäischen Asylpolitik Zugang zu Schutz! Einhaltung von Menschenrechtsstandards beim Grenzschutz! Fehlende legale Zugangswege! Lösung: hum. Visa? Resettlement? Aufnahmeprogramme? Familiennachzug? Verteilung! Dublin gescheitert! Aufgrund fehlender legaler Zugangswege: Regelzuständigkeit der Mittelmeeranrainer, Bulgarien und Ungarn, über die irreguläre Einreisen erfolgen)! Keine Freizügigkeit nach Anerkennung! Lösung: Free Choice? Relocation? Verteilungsquote? (Mindest-)Standards! Asylverfahrens- und Aufnahmerichtlinie legen einheitliche Mindeststandards fest, aber! teilweise keine menschenwürdigen Aufnahmebedingungen / fairen Asylverfahren ( systemische Mängel u.a.) + keine einheitliche Anerkennungspraxis! Lösung?
26 III. Das deutsche Asylsystem (Überblick) 26
27 Das Asylrecht im deutschen Grundgesetz Asylrecht seit 1949 im Grundgesetz verankert Beschränkungen durch den sog. Asylkompromiss 1992/93! Aus Artikel 16 GG wird Art. 16 a GG! Art. 16a Absatz 2: Auf das Asylrecht kann sich nicht berufen, wer aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist = MS der EU, Norwegen und Schweiz! Konzept der sicheren Herkunftsstaaten wird eingeführt! Flughafenverfahren wird eingeführt (= Schnellverfahren im Transitbereich eines Flughafens)! Asylbewerberleistungsgesetz wird geschaffen 27
28 Überblick der Rechtsquellen in Deutschland: Grundgesetz (Art. 16a GG) Einfache Gesetze, v.a.! AufenthG regelt Aufenthalt von Asylantragstellern, Schutzberechtigten und sonstigen Drittstaatsangehörigen (zuständig: Ausländerbehörde)! AsylG regelt Asylverfahren (zuständig: BAMF)! AsylbLG regelt Sozialleistungen für Asylsuchende (zuständig: Sozialamt) Rechtsverordnungen! AufenthV! BeschV Allgemeine Verwaltungsvorschriften (AVV)! Zum AufenthG! Zum AsylVfG 28
29 Das Asylverfahren in Deutschland Wenn bei Einreise, Antragstellung oder Anhörung Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates bestehen wird ein Dublin- Verfahren eingeleitet! Der Asylantrag wird dann nicht inhaltlich zu den Fluchtgründen geprüft, solange nicht feststeht, dass Deutschland zuständig ist! 29
30 Das Dublin-Verfahren im deutschen Asylverfahren Asylantragstellung oder Aufgriff einer Person ohne Papiere BAMF prüft, ob Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (= Dublin-Verfahren ) Erst nach Feststellung der Zuständigkeit erfolgt die Anhörung zu den Fluchtgründen und die inhaltliche Prüfung des Asylantrags Bei Feststellung der Unzuständigkeit ergeht in der Regel ein ablehnender Bescheid (Asylantrag unzulässig ) und eine Überstellung in den zuständigen MS wird eingeleitet 30
31 Zuständigkeit von Deutschland = Asylantrag wird inhaltlich geprüft: 1. Flüchtlingseigenschaft nach der GFK 2. Asyl nach dem Grundgesetz (Artikel 16a GG) 3. Subsidiärer Schutz nach Europarecht 4. Nationale Abschiebungsverbote 31
32 V. Fazit und Ausblick
33 Wichtigste Lerninhalte: Grundstein des internationalen Flüchtlingsrechts = GFK von 1951 als direkte Folge der Schrecken des 2. Weltkrieges Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS)! Entstehung aufgrund des (wirtschaftlichen) Zusammenwachsens der EU / der innereuropäischen Freizügigkeit! GEAS geregelt durch Richtlinien und Verordnungen! Asylantrag im europäischen Kontext: Antrag auf internationalen Schutz! Größte Herausforderungen in der EU: Zugang, Verteilung und einheitliche (Mindest-)Standards Deutschland:! AsylR im GG + Regelungen im AsylG, die von internationalem und europäischem Recht geprägt sind! Überblick über Ablauf des Asylverfahrens und Schutzformen! Unterschied zwischen Konzept sicherer Drittstaaten und Konzept sicherer Herkunftsstaaten
34 Zur Vertiefung: Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, Handbuch zu den europarechtlichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration, 2014 (online abrufbar unter Heinhold, Hubert: Recht für Flüchtlinge, von Loeper Literaturverlag 2015 Schott-Mehrings, Tillmann: Asylverfahren und Dublin III für die Grenzpolizei, Lübecker Medien Verlag 2015 Zur Vorbereitung auf die nächste Stunde:! Lesen: Basisinformationen Nr. 1: Das Asylverfahren, Informationsverbund Asyl und Migration (online verfügbar unter: Publikationen/Basisinformationen/Basisinf1.pdf) 34
35 Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
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