QUARTALSBERICHT. Projektland: Tschechische Republik SCHLAGZEILEN

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1 QUARTALSBERICHT Projektland: Tschechische Republik Quartal/Jahr: II/2012 SCHLAGZEILEN 1. Die Regierungskoalition zerfiel, die Regierung setzt ihre Arbeit trotzdem fort 2. Korruptionsaffäre eines führenden sozialdemokratischen Politikers 3. Der Streit um die Eigentumsrückgabe an die Kirchen 4. Kernenergie als Zankapfel zwischen der Tschechischen Republik und einigen Nachbarländern? 5. Politbarometer ) Die Regierungskoalition zerfiel, die Regierung setzt ihre Arbeit fort Die Mitte-Rechts-Regierungskoalition, die nach den Parlamentswahlen im Jahre 2010 aus drei Parteien der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), der Partei TOP 09 und der Partei Öffentliche Angelegenheiten (VV) gebildet worden war, ist im April 2012 zerfallen. Grund waren eine ganze Reihe von Korruptionsaffären der kleinsten Koalitionspartei der VV. Der einflussreichste VV-Politiker, Vít Bárta, hatte einige VV-Abgeordnete bestochen, um sie dazu zu bewegen, dass sie trotz abweichender Meinung für Gesetzentwürfe stimmen sollten, die Bárta im Parlament durchsetzen wollte. Einige Betroffene haben sich an die Polizei gewandt. Nach entsprechenden Ermittlungen wurde der ganze Fall an das Gericht weitergeleitet. Um die Aufmerksamkeit von dieser Affäre abzulenken, begann die VV in der Regierungskoalition die Arbeit des Kabinetts zu kritisieren und stets neue populistische Bedingungen zu stellen, ohne deren Erfüllung die VV nicht mehr in der Koalition bleiben wollte. Diese Erpressungsmethode war jedoch nicht erfolgreich. Die beiden anderen Koalitionspartner die ODS und die TOP 09 erklärten eindeutig, diese Bedingungen, die dem Koalitionsvertrag widersprachen, würden nicht akzeptiert. Sollte die VV trotzdem darauf bestehen, wären die ODS und die TOP 09 bereit, die Regierungskoalition aufzugeben und mit vorgezogenen Parlamentswahlen einverstanden zu sein. Dies wiederum wollte die VV nicht akzeptieren, weil dies mit Sicherheit bedeutet hätte, dass diese Partei dem Hanns-Seidel-Stiftung_Quartalsbericht_Tschechische Republik_II_2012 1

2 nächsten Parlament nicht angehören würde. Außerdem versprach Vít Bárta, dass er im Falle einer Verurteilung sein Abgeordnetenmandat aufgeben wird. Er wurde verurteilt, legte dagegen Berufung ein und entschied sich im Parlament zu bleiben. Dies löste nicht nur bei den Koalitionspartnern, sondern auch innerhalb der VV heftige Proteste aus. Das alles führte dazu, dass 8 VV-Abgeordnete, angeführt von Frau Karolina Peak, die im Kabinett für die Gesetzgebungsproblematik zuständig war, die Partei verlassen haben. Sie erklärten ihre Bereitschaft, die Regierung nach wie vor zu unterstützen. Um eine eigene Parlamentsfraktion zu gründen, fehlten noch zwei Abgeordnete. Einige VV-Abgeordnete erklärten, sie würden zwar der neuen Gruppierung LIDEM vorerst nicht beitreten, aber sie seien entschlossen, die Regierungskoalition zu unterstützen. Am 27. April stellte dann Premier Necas im Abgeordnetenhaus die Vertrauensfrage. Für die Regierung stimmten 105 Abgeordnete, 93 dagegen. Die geschrumpfte VV- Fraktion stimmte gemeinsam mit der Opposition also mit den Sozialdemokraten (ČSSD) und Kommunisten (KSČM) und wurde zum Bestandteil der Opposition. 2. Die Korruptionsaffäre von David Rath, einem der führenden sozialdemokratischen Politiker Mitte Mai brach eine der größten Korruptionsaffären der letzten Jahre aus. Die Polizei nahm einen der einflussreichsten sozialdemokratischen Politiker, David Rath, fest, kurz nachdem er von seinen Komplizen Schmiergelder in Höhe von umgerechnet etwa Euro erhalten hatte. Es handelte sich um Schmiergelder von Firmen, die auf Grund manipulierter Ausschreibungen große Aufträge in den Bereichen Bauwesen, Krankenhausausstattung und Krankenhausversorgung gewonnen hatten. Kurz danach entdeckte die Polizei in seiner Wohnung ein Versteck, in dem Banknoten im Wert von umgerechnet etwa 1,2 Millionen Euro gefunden wurden. David Rath war vor einigen Jahren Gesundheitsminister für die ČSSD, er ist nach wie vor Abgeordneter und gleichzeitig Hauptmann eines der größten sich selbst verwaltenden tschechischen Regierungsbezirke Mittelböhmen. Wie es sich nach seiner Verhaftung herausgestellt hat, beeinflusste er auch die Arbeit der Verwaltungsorgane in seinem Regierungsbezirk, die für die Verteilung der Fördermittel aus den EU- Förderprogrammen zuständig waren, mit dem Ziel, jene Bewerber um die Dotationsmittel der EU siegen zu lassen, die bereit waren ihn zu belohnen. Trotz all dieser Fakten lehnte er es ab, sein Abgeordnetenmandat niederzulegen und verlangte von der Parlamentsführung, ihn an der nächsten Sitzung des Abgeordnetenhauses teilnehmen zu lassen. Das ist unter teilweise dramatischen und gleichzeitig komischen Umständen passiert. In einer Rede vor den Mitgliedern des Abgeordnetenhauses sagte Hanns-Seidel-Stiftung_Quartalsbericht_Tschechische Republik_II_2012 2

3 Rath, er sei eigentlich nur ein kleiner Fisch, eigentlich ein Opfer und deutete an, dass die erwähnten Finanzmittel vielleicht zur Finanzierung der bevorstehenden Wahlkampagne der Sozialdemokraten bei den für Mitte Oktober anberaumten Wahlen zu den Vertretungsorganen der 14 tschechischen regionalen Selbstverwaltungskörperschaften benutzt werden sollten. Dies war zwar wahrscheinlich nicht der Fall, aber trotzdem gab es bei den Sozialdemokraten Aufruhr. Sie wurden aufgefordert, ihre Finanzsituation offen zu legen. Die Affäre Rath ist trotz aller Brisanz nicht der einzige Fall von Korruption. Von Korruption und Vetternwirtschaft werden auch andere Parteien heimgesucht. Dies ist umso schlimmer, als die politische Glaubwürdigkeit und Unversehrtheit der Politiker besonders wichtig sind in einer Zeit, da man der Bevölkerung Geduld und Opferbereitschaft bei der Umsetzung von unpopulären Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen z.b. in den Bereichen Gesundheitswesen und Soziales abverlangt. 3) Der Streit um die Eigentumsrückgabe an die Kirchen Seit 2010 war die Mitte-Rechts-Koalition bestrebt, das Problem der Eigentumsrückgabe an die in der Tschechischen Republik wirkenden Kirchen endgültig zu lösen. Federführend waren dabei die beiden großen Parteien ODS (Ministerpräsident Petr Necas ist übrigens ein praktizierender Katholik) und die TOP 09 (viele ihrer Mitglieder kamen von der Christlich-Demokratischen Union KDU-CSL), bei der VV war die Einstellung zu diesem Problem nicht eindeutig. Nach langen Verhandlungen gelang es dem Kabinett schließlich, einen Gesetzentwurf vorzubereiten, der eine vernünftige Kompromisslösung darstellte. Trotzdem wurde dieses Gesetz zur Zielscheibe heftiger Kritik der Kommunisten, Sozialdemokraten, eines Teils der VV-Abgeordneten sowie verschiedener Historiker und Juristen. Das war nicht überraschend, da in Tschechien % der Menschen praktisch Atheisten sind und außerdem gewisse historische Reminiszenzen noch immer eine Rolle spielen. Trotz alledem gelang es der Regierung, das Gesetz im Abgeordnetenhaus durchzusetzen, was als historische Leistung einzuschätzen ist. Die linksgerichtete Opposition und einige VV-Politiker waren dagegen teils aus Überzeugungs- teils aus taktischen Gründen. Sie wollten sich bei den Gegnern der Restitutionen anbiedern, um politisches Kapital zu gewinnen. Die Sozialdemokraten haben deshalb im Abgeordnetenhaus nie dagewesene Obstruktion betrieben, um die Abstimmung über das Gesetz möglichst lange hinauszuzögern. Der Grund war einfach. Das im Abgeordnetenhaus gebilligte Gesetz muss noch vom Senat des Parlaments gebilligt werden. Da dort die Sozialdemokraten die absolute Mehrheit haben, gilt als sicher, dass dieses Gesetz abgelehnt und an das Abgeordnetenhaus zurück geschickt wird, das noch einmal abstimmen muss und zwar minimal mit 101 Stimmen, um das Gesetz definitiv zu verabschieden. Das Ziel der Sozialdemokraten ist es, die Annahme des erwähnten Gesetzes so zu verschieben, dass es zu Hanns-Seidel-Stiftung_Quartalsbericht_Tschechische Republik_II_2012 3

4 einem heißen Thema vor den für Mitte Oktober anberaumten Regionalwahlen wird. Dabei will man sich der oben erwähnten kirchenunfreundlichen Mentalität vieler Bürger bedienen, um in den Wahlen wieder den Sieg zu erringen. Eine ähnliche Taktik hat sich für die Sozialdemokraten schon einmal gelohnt, z.b. bei den Regionalwahlwahlen vor vier Jahren. Damals haben sie die Themen der Regionalpolitik ganz außen vor gelassen und sich nur auf heftige Kritik an der damaligen Mitte- Rechts-Regierung konzentriert, die die Praxisgebühren in Höhe von sage und schreibe umgerechnet 1,- Euro eingeführt hat. Die damals in 13 Regierungsbezirken regierende ODS erlitt eine totale Niederlage und die Sozialdemokraten siegten dank dem Versprechen, sie würden allen Patienten die 1,- Euro Gebühr gleich nach dem Arztbesuch zurückzahlen. Der Erfinder dieser Taktik war übrigens der bereits erwähnte spätere Hauptmann von Mittelböhmen David Rath. Der nutzte die bis jetzt weit verbreitete Überzeugung vieler Bürger aus, dass das Gesundheitswesen sich nie nach ökonomischen Gesetzen richten dürfe. 4. Kernenergie ein Zankapfel zwischen der Tschechischen Republik und einigen Nachbarländern? Tschechische Medien informierten über den in der zweiten Juni-Hälfte in der SZ veröffentlichen Artikel des tschechischen Außenministers Karel Schwarzenberg, in dem er sich gegen die Attacken aus Österreich, Deutschland und besonders aus Bayern gegen den Ausbau des Kernkraftwerks Temelin in Südböhmen verwahrte. Er pochte auf die Souveränitätsrechte Tschechiens und kritisierte namentlich die Haltung der Partei der Grünen im bayerischen Landtag. Es ist damit zu rechnen, dass dieses Problem die Politik beider Länder und daher auch deren gegenseitige Beziehungen in Zukunft in irgendeiner Form und in irgendeinem Maße beeinflussen wird. Die Situation in Deutschland (und Bayern) einerseits und in der Tschechischen Republik andererseits ist nämlich ganz unterschiedlich. Während in Deutschland nach wie vor ein allgemeiner Konsens zu herrschen scheint, dass man aus der Kernenergie aussteigen soll, ist es in Tschechien umgekehrt. In der Gesellschaft gibt es keine relevanten Gruppen von Atomgegnern. Die Partei der Grünen war während der 22 Jahre nach der Wende nur einmal im Parlament vertreten, wobei einer der Abgeordneten, der für diese Partei gewählt wurde, Karel Schwarzenberg war. In den Parlamentswahlen 2010 lagen die Grünen deutlich unter der 5 % Hürde. Auch die meisten Umfragen zeigen, dass die Grünen nach wie vor unter 5 % liegen. Atomausstieg ist in Tschechien im Moment kein Thema, zumal die Förderung erneuerbarer Energiequellen z.b. der Fotovoltaik so teuer ist, dass es den tschechischen Staatshaushalt spürbar belasten würde. In den zuständigen Regierungsstellen ist man daher in dieser Frage gelinde gesagt sehr zurückhaltend. Gleichzeitig verfolgt man mit Interesse die in Deutschland stattfindende Diskussion zu diesem Thema. Hanns-Seidel-Stiftung_Quartalsbericht_Tschechische Republik_II_2012 4

5 5) Politbarometer Wenn Mitte Juni gewählt worden wäre, hätte die politische Rangliste laut einer am veröffentlichten Meinungsumfrage der Agentur Factum Invenio folgendermaßen ausgesehen: ČSSD 27,7 % Stimmen 59 Sitze im Parlament KSČM 17,1 % Stimmen 45 Sitze ODS 16,6 % Stimmen 43 Sitze TOP 09 13,0 % Stimmen 32 Sitze KDU-ČSL 6,2 % Stimmen 12 Sitze SPOZ 5,5 % Stimmen 9 Sitze Die SPOZ ist eine sozialdemokratisch orientierte Partei, die den ehemaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Miloš Zeman unterstützt und ihn als den neuen Staatspräsidenten haben will. Die Ergebnisse der Meinungsumfrage zeigen, dass die beiden konservativen Parteien die ODS und TOP 09 die Last der Reformen tragen, welche genauso unvermeidlich wie unpopulär sind. Dagegen ist der populistisch geprägte Widerstand gegen die Reformen, wie ihn die Sozialdemokraten (ČSSD) und Kommunisten (KSČM) pflegen, beim Wähler wesentlich populärer. Die Wahlaussichten von SPOZ sind im Zusammenhang mit der Affäre Rath gestiegen, weil mehrere ČSSD-Wähler eben zu SPOZ wechselten. In naher Zukunft ist zu erwarten, dass die ČSSD und KSČM von der Haltung Europas Linken profitieren werden, da die Politik des neuen französischen Präsidenten Hollandes weniger sparen mehr wachstumsfördernde Maßnahmen umsetzen für die linksgerichteten politischen Kräfte im Projektland ein willkommenes Argument und Vorbild ist. Jindrich Mallota Der Autor ist Leiter der Vertretung der Hanns-Seidel-Vertretung in Prag, Tschechische Republik IMPRESSUM Erstellt: Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.v., Copyright 2012 Lazarettstr. 33, München Vorsitzender: Prof. Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Staatsminister a.d., Senator E.h. Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf Verantwortlich: Christian J. Hegemer, Leiter des Instituts für Internationale Zusammenarbeit Tel. +49 (0) Fax iiz@hss.de, Hanns-Seidel-Stiftung_Quartalsbericht_Tschechische Republik_II_2012 5