Auf dem Wege zur Akademikergesellschaft? Wandel der Bildungsbeteiligung im Spiegel von Bildungsindikatoren
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- Robert Brinkerhoff
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1 Auf dem Wege zur Akademikergesellschaft? Wandel der Bildungsbeteiligung im Spiegel von Bildungsindikatoren "Indikatoren zur beruflichen Bildung. Stand, Diskussionen und Entwicklungsperspektiven der indikatorengestützten Berufsbildungsberichterstattung " 21. /22. April 2016, Bonn Informationen unter
2 Prof. Dr. Andrä Wolter Auf dem Wege zur Akademikergesellschaft? Wandel der Bildungsbeteiligung im Spiegel von Bildungsindikatoren Gemeinsame Fachtagung von BIBB und DIPF: Indikatoren zur beruflichen Bildung Bonn, 21./22. April 2016
3 Anlass: Akademisierung als neues Schlagwort (1) Ausweitung des Indikatorenspektrums über die berufliche Bildung hinaus (allgemeine Bildungsindikatoren und Hochschulindikatoren) (2) Anhaltender Wandel in der Bildungsbeteiligung veränderte Allokation zwischen beruflicher Bildung u. Hochschulbildung (3) Diese Entwicklung wird oft mit dem konfusen Schlagwort der Akademisierung belegt. (4) Teil einer langsamen Erosion historisch etablierter Grenzziehungen zwischen beruflicher und akademischer Bildung ( Entgrenzung ). 2
4 Akademisierung : begriffliche Konfusion (1) Ugrading : Akademisierung beruflicher Ausbildungsgänge, insbesondere im Schulberufssystem (2) Wandel der Bildungsbeteiligung, insbesondere bei der Ausbildungswahl (3) Akademisierung der Arbeitswelt: zunehmende Besetzung von Arbeitsplätzen, die nicht an eine formelle Qualifikation gebunden sind, mit Hochschulabsolvent/-inn/en (vertikale Substitution) (4) Dequalifizierung: Unterwertig beschäftigte Hochschulabsolventen/- innen (z. B. Bachelors) in Positionen, die keinen H-abschluss erfordern (5) Folge: zunehmender Anteil Hochqualifizierter in der (erwerbstätigen) Bevölkerung (Teichler: towards a highly qualified society ) (6) Öffnung der Hochschule für Berufstätige (ohne herkömmliche schulische Studienberechtigung) (7) Akademisierung des Bildungskapitals: höherer Anteil an Studierenden mit akademischer Bildungsherkunft 3
5 Welche Bildungsindikatoren? (1) Bildungsbeteiligung und Abschlussstrukturen im Schulbereich (2) Bildungsvorstellungen in der Bevölkerung (gesellschaftliches Bildungsbewußtsein ) (3) Ausbildungswahl und Ausbildungsentscheidungen für alle Optionen und Alternativen ( systemisch ) (4) Hochschulstrukturen (Institutionstypen, Studienangebote usw.) (5) Studienberechtigte und Studienanfänger/innen (6) Abschlüsse, Absolvent/inn/en im Hochschulbereich (7) Übergänge in den Beruf und beruflicher Verbleib von Hochschulabsolvent/inn/en 4
6
7 Absolventen/Abgänger allgemeinbildender und beruflicher Schulen 2006 bis 2012 nach Abschlussarten (in % der jeweils gleichaltrigen Bevölkerung)* Quelle: Bildungsbericht
8 In % Anteil der Schulabgänger/-innen mit Studienberechtigung an der Alterskohorte, Studienberechtigte mit allg. Hochschulreife Studienberechtigte mit Fachhochschulreife Studienberechtigte insgesamt Quelle: Statistisches Bundesamt, bis 1992 nur BRD, ab 1992 Gesamtdeutschland
9 in % Hochschulexpansion: Entwicklung der Studienanfängerquote Bereinigt um G8-Effekt 10 0 Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Hochschulstatistik
10 Ist die OECD schuld? (1) Mehr Studienanfänger/innen sind eine bildungs- und arbeitsmarktpolitisch erwünschte Entwicklung. (2) Sie geht aber über alle bildungspolitischen Zielzahlen hinaus. (3) Resultat einer Interferenz intendierten u. nicht-intendierten Wandels (4) Besondere Brisanz: hohe Eigendynamik und Irreversibilität begrenzte politische Steuerbarkeit dieser Entwicklung (5) Hohe Kontinuität der Expansion seit den 1950er Jahren (6) Teil eines globalen Wandels, auf unterschiedlichem Niveau und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit (7) Politische Interventionen nur vorübergehende Sonderfaktoren: doppelte Abi-jahrgänge u. Aussetzen der Wehrpflicht (8) Von primärer Bedeutung ist die zunehmende Statusdistributionslogik von Bildungsentscheidungen. 9
11 Statusdistributionslogik von Bildungsentscheidungen (1) Nachfrageseite Strukturwandel der Bildungsnachfrage: Anhaltender Wandel der schulischen Bildungsbeteiligung: Marktführerschaft des Gymnasiums Steigendes Bildungsaspirationsniveau: höhere Schulbildung als gesellschaftliche Grundausstattung Instrumentelles Bildungsbewußtsein: Bildung als Instrument für Aufstieg und Lebensführung/-chancen Meritokratische Dynamik enthält eine Wettbewerbsu. eine Berechtigungskomponente Wirkt sich in veränderten Bildungsentscheidungen aus 10
12 Statusdistributionslogik von Bildungsentscheidungen (2) Verstärkt durch den Strukturwandel der Angebotsseite: Verstärkung der Expansion durch die höheren Bildungserträge akademischer Bildung nach wie vor enger Zusammenhang von Bildung und Lebenschancen Alle pessimistischen Arbeitsmarktszenarien für Hochschulabsolvent/inn/en haben sich nicht bestätigt bislang (!) kein Sättigungseffekt auf dem Arbeitsmarkt Akademisierung als neue Variante eines altes Bedrohungsszenario? (3) Verstärkt durch eine größere institutionelle Offenheit des deutschen Bildungssystems viele Wege führen zum Abitur bzw. zur Hochschule 11
13 Tertiary students per capita, regional averages, Source: Schofer/Meyer
14 60 Anteil der Personen mit Hochschulabschluss an der 25- bis 64jährigen Bevölkerung für ausgewählte OECD-Staaten (in %) Australien Österreich Kanada Finnland Frankreich Deutschland Niederlande Schweden Schweiz Vereinigtes Königreich USA Quelle: OECD-EAG 2015, S. 55; eigene Darstellung
15 Neuzugänge in Berufsausbildung und Studium, StudienanfängerInnen insgesamt SchülerInnen im schulischen Berufsbildungssystem AusbildungsanfängerInnen im dualen System AnfängerInnen im Übergangssystem
16 Realer Wandel oder statistisches Artefakt? (1) Wendepunkt in der deutschen Bildungsgeschichte (Martin Baethge)? (2) Bildungshistorisch vollzieht sich die statistische Konvergenz zwischen beruflicher und akademischer Bildung bereits seit den 1950er Jahren (hohe Nachhaltigkeit des Wandels). (3) Bis in die jüngere Vergangenheit waren die Abstände noch so groß, dass diese Entwicklung nicht zu einem öffentlichen Thema wurde. (4) Bei einem Vergleich sollten nicht duales System und Hochschule gegenübergestellt, sondern alle vier Sektoren betrachtet werden. (5) Erhebliche Nachfragepotenziale im Übergangssystem? (6) Kontroverse um Studienanfängerzahlen: mit oder ohne internationale Studierende? 15
17 Realer Wandel oder statistisches Artefakt? (7) Über die Hochschulen erfolgt eine Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt: Die Internationalisierung der Hochschulen erfolgt auch mit dem Ziel der Erschließung von Fachkräftepotenzialen. Etwa die Hälfte der internationalen Studierenden verfolgt eine Bleibeperspektive in Deutschland. (8) Von Studienanfängern ist nicht auf entsprechende Absolventenzahlen zu schließen. (9) Hinter der Einheitlichkeit der Bezeichnung der Studienabschlüsse verbirgt sich angesichts der Diversifizierung und Spezialisierung der Studiengänge eine große Vielfalt der Profile und Kompetenzen. 16
18 Erosion traditioneller Grenzziehungen zwischen beruflicher u. akademischer Bildung (1) Erwerb der Studienberechtigung nicht nur mit der Perspektive Studium: steigender Anteil von Studienberechtigten unter Neuzugängen in der beruflichen Bildung (2) Anerkennung beruflicher Kompetenzen beim Hochschulzugang (als Beitrag zur Durchlässigkeit): KMK 2009 (3) Starke Zunahme dualer Studiengänge und der Zahl der Studierenden in dualen Studiengängen (4) Förderung flexibler Studienangebote für Berufstätige: berufsbegleitend, Fernstudium, Anrechnung (5) Veränderter Auftrag der Hochschulen: von individueller Persönlichkeitsentwicklung zur Employability (6) Veränderte Ausbildungs- und Studienerwartungen v. Studierenden (7) Zuwachs privater Hochschulen mit passgenauen Angeboten, neue Kooperationsformen ( Franchising ) im Hochschulbereich (8) Neues Interesse an Studienabbrechern/-innen 17
19 Einige Indikatoren (1) Der Anteil der Personen mit Hochschulreife unter den Neuzugängen in der beruflichen Bildung hat sich von 2000 bis 2014 erhöht: - in der dualen Ausbildung von 15,8 auf 21,3 %, - im Schulberufssystem von 19,2 auf 22,4 %. (2) Der Anteil dualer Studiengänge ist von 10,5 (2013) auf 12,2 % (2016) gestiegen, an Fachhochschulen von 23,6 (2013) auf 28,2 % (2016). (3) Ca. 10 % aller MA-studiengänge sind weiterbildend. Die Zahl der Zertifikatsprogramme wächst ebenfalls. (4) Der Anteil der Studierenden in Fernstudiengängen ist von 2,9 (2000) auf 4,6 % (2014) gestiegen. (5) Die Mehrzahl der Studierenden orientiert sich auf eine außerhochschulische Berufstätigkeit: nur noch 5 % wollen bestimmt eine wiss. Karriere verfolgen ( wiss. Nachwuchs). 18
20 Institutionelle Struktur des Hochschulsystems 19
21 Anteil nicht-traditioneller Studienanfänger/-innen an allen Studienanfängern,
22 Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten 1993 bis 2013 nach Art des beruflichen Abschlusses (in %) Quelle: IAB, Bildungsbericht
23 Tätigkeitsverlauf aller Absolventinnen und Absolventen in den ersten 60 Monaten, (Mehrfachnennung, in %) Quelle: Sächs. Absolventenstudie 2006/7 (II 2013) 22
24 Angemessenheit der Erwerbstätigkeit fünf Jahre nach dem Studienabschluss, nach Art des Abschlusses, Art der Hochschule und ausgewählten Fachrichtungen, Jahrgang 2005 (in %) Quelle: Nationaler Bildungsbericht
25 Adäquanz der ersten Erwerbstätigkeit, nach Abschlussart und Fachrichtung, Erstbefragung Sachsen 2013 (in %) Quelle: Sächs. Absolventenstudie 2013 (I) 24
26 Adäquanz der ersten Erwerbstätigkeit, nach Abschlussart und Fachrichtung, Erstbefragung Sachsen 2013 (in %) Quelle: Sächs. Absolventenstudie 2013 (I) 25
27 EINIGE OFFENE FRAGEN (1) Wird das Abitur/die Hochschulreife für die Mehrzahl der Jugendlichen zum schulischen Regelabschluss? (2) Deutet sich im Wandel der Bildungsbeteiligung ein grundlegender Wandel des deutschen Qualifikationsmodells Transformation von der beruflichen Bildung zur Hochschulbildung an? (3) Wird die Entwicklung anhalten oder einen Gipfel/Wendepunkt ( ceiling ) erreichen? (4) Liegt ein Problem in der Koppelung von Abitur und Hochschulzugang? Wäre Entkoppelung ein Ausweg? (5) Korrespondiert die Entwicklung der Bildungsbeteiligung mit der Entwicklung des Arbeitskräfte- und Qualifikationsbedarfs? (6) Was bedeutet diese Entwicklung für das Konzept Öffnung der Hochschule für Berufstätige? 26
28 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 27
Prof. Dr. Andrä Wolter
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