des Abg. Hans-Ulrich Sckerl und Thomas Oelmayer GRÜNE
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1 14. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abg. Hans-Ulrich Sckerl und Thomas Oelmayer GRÜNE und Antwort des Justizministeriums Praxis der Telefonüberwachung 2005 Kleine Anfrage Wir fragen die Landesregierung: 1. Wie ist die Tatsache zu erklären, dass in der Zeit von 1995 bis 2005 die Zahl der angeordneten Telefonüberwachungen von 723 auf 2091 Fälle angestiegen ist? 2. Führte die höhere Zahl an Telefonüberwachungsmaßnahmen auch zu einer höheren Erfolgsquote auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung? 3. In wie vielen Fällen der Telefonüberwachungen 2005 handelte es sich um Mobilfunktelefone? 4. In wie vielen Fällen der 2005 angeordneten Telefonüberwachungsmaßnahmen wurden die Betroffenen von der Telefonüberwachung informiert? 5. Bei welchen Delikten dauerte die Telefonüberwachung länger als drei Monate? 6. Gab es im Jahr 2005 Telefonüberwachungen im Bereich der Terrorismusbekämpfung und ggf. wie viele? 7. Wurden Telefonüberwachungen, bezogen auf das Jahr 2005, durch Gerichtsentscheidungen für rechtswidrig erklärt und ggf. wie viele? Sckerl, Oelmayer GRÜNE Eingegangen: / Ausgegeben: Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter:
2 Begründung Nach dem Bericht der Landesregierung über Umfang und Erfolg von Telefonüberwachungsmaßnahmen 2005 ist die Zahl der Telefonüberwachungsmaßnahmen in den letzten zehn Jahren von 723 um 189 % auf 2091 angestiegen. Mit Ausnahme der Jahre 1997 und 2003 wurden in diesem Zeitraum jedes Jahr mehr Telefone abgehört. Dieser stetige Anstieg der Telefonüberwachung ist besorgniserregend und erklärungsbedürftig. Es ist zu befürchten, dass dieser darauf zurückzuführen ist, dass die Hemmschwelle für die Anordnung von Telefonüberwachungsmaßnahmen jährlich geringer wird. Gemäß 101 StPO sind die Beteiligten von der Telefonüberwachung zu benachrichtigen, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, der öffentlichen Sicherheit, von Leib oder Leben einer Person sowie der Möglichkeit der weiteren Verwendung eines eingesetzten nicht offen ermittelnden Beamten geschehen kann. Diese Benachrichtigungspflicht wurde in der Vergangenheit oft verletzt und muss in der Praxis der Telefonüberwachung in Baden-Württemberg immer wieder überprüft werden. Antwort Mit Schreiben vom 8. September 2006 Nr A/0172 beantwortet das Justizministerium im Einvernehmen mit dem Innenministerium die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie ist die Tatsache zu erklären, dass in der Zeit von 1995 bis 2005 die Zahl der angeordneten Telefonüberwachungen von 723 auf 2091 Fälle angestiegen ist? Zu 1.: Die wesentlichen Gründe für diese Entwicklung hat die Landesregierung bereits im Bericht zur Telefonüberwachung 2005 und in den Vorjahresberichten dargelegt. Insbesondere auf dem Hintergrund der Feststellungen des Max- Planck-Institus für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg zur Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den 100 a, 100 b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen hält es die Landesregierung für empirisch belegt, dass die Zunahme der Überwachungsmaßnahmen ganz maßgeblich auf die rasanten Entwicklungen im Mobilfunkmarkt zurückzuführen ist. Die Zahl der Mobilfunknutzer und damit auch die Zahl der Telefonanschlüsse hat sich drastisch erhöht. Die Zahl von 2,48 Millionen Mobilfunkteilnehmern in Deutschland im Jahr 1994 hat sich bis zum Jahr 2004 auf 71,32 Millionen Teilnehmer vervielfacht, was nahezu dem Dreißigfachen des Ausgangswerts entspricht (Quelle: Informationszentrum Mobilfunk). Es ist heutzutage nicht mehr die Ausnahme, sondern entspricht vielmehr der Regel, dass Verdächtige nicht mehr allein über einen Festnetzanschluss, sondern zusätzlich mindestens über einen, nicht selten über mehrere Mobilfunkanschlüsse verfügen. Oftmals nutzen Straftäter bewusst gleichzeitig mehrere Telefonanschlüsse (insbesondere im Bereich des Mobilfunks), wechseln ihre Anschlüsse und/oder greifen auf Anschlüsse Dritter zurück, um Überwachungsmaßnahmen zu unterlaufen. Dies bringt es notgedrungen mit sich, dass die mit der Ermittlungsmaßnahme angestrebten Erfolge gegebenenfalls nur bei der Anordnung der Überwachung aller Anschlüsse eines Betroffenen erreicht werden können, was zwangsläufig zu einem Anstieg bei der Anzahl der Überwachungsmaßnahmen führen muss. Es gab etwa Fallgestaltungen, bei denen es aus den ge- 2
3 nannten Gründen in einem Verfahren mit zehn Betroffenen erforderlich wurde, 51 Telefonanschlüsse zu überwachen. Im Festnetzbereich beeinflusst die zunehmende Verbreitung von ISDN-Anschlüssen die Anzahl der Überwachungen. Denn pro Maßnahme sind aus technischen Gründen insoweit immer mindestens drei Anschlüsse zu überwachen. Zu sehen ist auch, dass in den letzten zehn Jahren die Zahl der in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfassten Straftaten von auf um knapp 5 % angestiegen ist. Schon immer ist die Mehrzahl der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen dem Bereich der Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität zuzurechnen. Bei der illegalen Einfuhr von Betäubungsmitteln nach 30 Abs. 1 Nr. 4 BtmG (Katalogtat nach 100 a Satz 1 Nr. 5 StPO) zeigt sich beispielsweise, dass die registrierten Fälle in diesem Deliktsbereich in den letzten zehn Jahren von 491 auf 1576 um über 220 Prozent angestiegen sind. Gleiches ist im Bereich der gewerbsmäßigen Schleusungskriminalität festzustellen, ebenfalls ein typischer Anwendungsbereich für die Telekommunikationsüberwachung. Hier hat sich in den letzten 9 Jahren wenn auch bei geringen Fallzahlen eine Zunahme von über 650 Prozent ergeben (1997: 13 Fälle, 2005: 98 Fälle). Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass der Anstieg der Überwachungszahlen als Trend in den 90er Jahren international festgestellt werden kann. Hierbei bewegt sich Deutschland im Vergleich der relativen Häufigkeit der Anordnungen pro der Wohnbevölkerung unter den kontinentaleuropäischen Ländern im Mittelfeld. 2. Führte die höhere Zahl an Telefonüberwachungsmaßnahmen auch zu einer höheren Erfolgsquote auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung? Zu 2.: Belastbare statistische Daten, aufgrund derer sich die Frage der Kausalität zuverlässig beantworten ließe, liegen nicht vor. Die Landesregierung ist auch der Ansicht, dass sich solche nicht sinnvoll erheben ließen. Folgendes ist in vorliegendem Zusammenhang aber zu betonen: Die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung kommt gemäß 100 a Satz 1 StPO u. a. nur dann in Betracht, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Aufgrund dieses Subsidiaritätsgrundsatzes wird die Maßnahme nach 100 a, 100 b StPO zur ultima ratio, die erst dann zum Einsatz kommen kann, wenn die Ermittlungen auf anderer Weise keinen Erfolg gezeitigt haben. In dem bereits angesprochenen Gutachten des Max-Planck-Instituts in Freiburg ist auch festgestellt worden, dass die Telekommunikationsüberwachung als wichtiges und unabdingbares Ermittlungsinstrument einzuschätzen ist, das in bestimmten Bereichen nachvollziehbare und grundlegende Erfolge erzielt, insbesondere etwa im Bereich der so genannten Transaktionskriminalität. Ein klassischer Fall dieses Kriminalitätsfeldes, bei dem die strafrechtlich relevanten Transaktionen Kommunikation unter den Beteiligten voraussetzen, sind die bereits in der Antwort zu Frage 1 angesprochenen Betäubungsmittelstraftaten. Wie schon in den Jahren zuvor kam es in diesem Bereich bei weitem zu den meisten Überwachungsmaßnahmen. Betrachtet man die Strafverfolgungsstatistik, so kam es bei den Betäubungsmittelstraftaten im Jahr 2005 auch zu einer Zunahme der Zahl der Verurteilten im Vergleich zum Vorjahr 3
4 um 11,1 %. Mit einer absoluten Zahl von Verurteilten wegen Betäubungsmitteldelikten wurde im Jahr 2005 ein Stand erreicht, der so bis ins Jahr 1996 zurück noch nicht zu verzeichnen war. Nicht belegt ist in diesem Zusammenhang freilich, in welchen dieser Fälle eine Telekommunikationsüberwachung eine entscheidende Rolle gespielt hat. Hinzuweisen ist im Übrigen noch darauf, dass es in der überwiegenden Zahl der bei den Staatsanwaltschaften geführten und im aktuellen Berichtszeitraum abgeschlossenen Verfahren, in denen eine Telekommunikationsüberwachung stattgefunden hatte, wieder zu einer Anklage wegen einer Katalogtat gekommen ist (konkret: in 60,5 % der bis zum 1. März 2006 abgeschlossenen Verfahren). 3. In wie vielen Fällen der Telefonüberwachung 2005 handelte es sich um Mobilfunktelefone? Zu 3.: Gesonderte Erhebungen hierzu liegen lediglich bei der Polizei (Landeskriminalamt), nicht jedoch bei der Justiz vor. Die absoluten polizeilichen Zahlen beinhalten aber etwa auch Anordnungen nach 100 a, b StPO durch Staatsanwaltschaften und Gerichte außerhalb Baden-Württembergs. Hinreichend gesichert ist jedoch, dass mehr als 75 % aller Überwachungen die Mobilfunknetze betrafen. 4. In wie vielen Fällen der 2005 angeordneten Telefonüberwachungsmaßnahmen wurden die Betroffenen von der Telefonüberwachung informiert? Zu 4.: Gemäß 101 StPO sind die Beteiligten von der getroffenen Maßnahme nach 100 a, 100 b StPO zu benachrichtigen. Diese Benachrichtigung kann allerdings so lange zurückgestellt werden, als mit ihr eine Gefährdung des Ermittlungszwecks, der öffentlichen Sicherheit, von Leib und Leben einer Person sowie der Möglichkeit der weiteren Verwendung eines eingesetzten nicht offen ermittelnden Beamten einhergehen kann. In wie vielen Fällen der im Jahr 2005 angeordneten Überwachungsmaßnahmen eine Benachrichtigung der Beteiligten nach diesen Kriterien bereits erfolgen konnte, ist statistisch nicht erhoben. 5. Bei welchen Delikten dauerte die Telefonüberwachung länger als drei Monate? Zu 5.: Wie im Bericht der Landesregierung zur Telefonüberwachung 2005 dargestellt, haben in 95 Verfahren Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen länger als drei Monate gedauert. Das entspricht einem Anteil von 12,2 % der Verfahren, in denen derartige Maßnahmen durchgeführt wurden. Zu der Frage, auf welche Verdachtsdelikte sich die Überwachungsmaßnahmen in diesen Verfahren jeweils bezogen, liegen demgegenüber keine statistischen Zahlen vor. Nachträglich ließe sich dies nur noch mit einem unverhältnismäßigen Aufwand feststellen. 4
5 6. Gab es im Jahr 2005 Telefonüberwachungen im Bereich der Terrorismusbekämpfung und ggf. wie viele? Zu 6.: Die Verfolgung von Terrorismusstraftaten im formellen Sinne ( 129 a, 129 b StGB) obliegt primär der Bundesanwaltschaft (vgl. 142 a, 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG). Zu den dort im Jahr 2005 anhängig gewesenen Ermittlungsverfahren liegen hier keine Erkenntnisse vor. Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass es im Jahr 2005 Verfahren gab, die zunächst bei einer baden-württembergischen Staatsanwaltschaft anhängig waren und im Zusammenhang mit dem sich erst im Verlauf des Verfahrens ergebenden Verdacht auf Straftaten nach 129 a, 129 b StGB an den Generalbundesanwalt abgegeben worden sind. Es ist auch möglich, dass es in solchen Fällen schon vor Abgabe des Verfahrens zur Anordnung und Durchführung von Telefonüberwachungsmaßnahmen kam. Entsprechende Fallkonstellationen werden bei den Staatsanwaltschaft des Landes allerdings nicht gesondert statistisch erfasst. Eine dahin gehende nachträgliche Auswertung der Einzelfälle wäre auch hier mit einem noch vertretbaren Verwaltungsaufwand nicht zu bewältigen. 7. Wurden Telefonüberwachungen, bezogen auf das Jahr 2005, durch Gerichtsentscheidungen für rechtswidrig erklärt und ggf. wie viele? Zu 7.: Von den im Jahr 2005 durchgeführten Telefonüberwachungsmaßnahmen wurde keine durch Gerichtsentscheidung für rechtswidrig erklärt. Dr. Goll Justizminister 5
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