Praktische Dermatologie
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- Stefan Beck
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1 3/2015 Juni C Praktische Dermatologie
2 Therapieoptionen bei ausgedehnten proliferativen frühkindlichen Hämangiomen im Wandel der Zeit: 2015 versus 1985 Laura Pohl, C. Raulin Summary The treatment options for extensive proliferative infantile hemangiomas have expanded and changed enormously in recent years. We compare casuistic therapeutic options between 1985 and today. Since 2008, the systemic administration of propranolol, with first applications representing off-label use, proved valuable in practice. Since 2014, the Beta-adrenoceptor blocking drug Hämangiol was approved in Europe for the treatment of infantile hemangiomas. The therapy is characterized by good tolerability and a high response rate. Important for the administration is an immediate start of therapy after diagnosis, given thorough evaluation of the hemangioma subtype as well as the clinical course prior to diagnosis. Keywords Infantile hemangioma, Beta-adrenoceptor blocking, propranolol therapy. Zusammenfassung Die Therapiemöglichkeiten bei ausgedehnten proliferativen infantilen Hämangiomen haben sich in den letzten Jahren enorm erweitert und dadurch dramatisch verändert. Wir vergleichen kasuistisch die therapeutischen Optionen zwischen 1985 und heute. Abb. 1: Fall 1 Mai 1985, post partum Abb. 2: Fall 1 Juni 1985 Seit 2008 hat sich die systemische Gabe von Propranolol, zuerst im Off-Label- Use eingesetzt, bewährt wurde das Propranolol (Hämangiol ) in Europa für die Behandlung von frühkindlichen Hämangiomen zugelassen. Die Therapie zeichnet sich durch eine gute Verträglichkeit und eine hohe Ansprechrate aus. Entscheidend ist nach möglichst frühzeitiger Diagnosestellung und der Bestimmung des Hämangiomtyps sowie der klinischen Verlaufsentwicklung der unmittelbar darauf folgende Therapiebeginn. Schlüsselwörter Frühkindliche Hämangiome, Betablocker, Propranolol-Therapie. Kasuistiken Fall 1: 1985 Bei dieser im Mai 1985 geborenen Patientin war direkt post-partum ein auffälliger, für den Verlauf richtungsweisender, weißer Randsaum im Bereich der rechten Gesichts- und Kopfhälfte sichtbar (Abb. 1). Retrospektiv kann dieser als initiales Zeichen eines aggressiv wachsenden Hämangioms gewertet werden. Kurz nach der Geburt kam es nach Angaben der Eltern interessanterweise zum vollständigen Verschwinden der Hautveränderungen. Zwei Monate nach der Geburt trat das Hämangiom wieder auf und zeigte in den Folgewochen ein dramatisches Wachstum mit Ausbildung tiefliegender Hämangiomanteile im Bereich des rechten Auges und der rechten Oberlippe (Abb. 2). Im Dezember 1986 wurde eine Behandlung mit oralen Kortikosteroiden (Scherisolon, Anfangsdosis 10 mg) für jeweils drei Wochen durchgeführt, wodurch die Rückbildungsphase des Hämangioms eingeleitet beziehungsweise verstärkt wurde. In den darauffolgenden Jahren bildete sich das Hämangiom kontinuierlich zurück (Abb. 3), bis im Alter von 11 Jahren keine weitere Involution mehr festgestellt werden konnte. 264 Omnimed Verlag derm (21) 2015
3 Abb. 3: Fall 1 Februar 1989 Abb. 4: Fall 1 Januar 1996 Im Januar 1996 stellte sich die Patientin bei uns vor (Abb. 4). Wir behandelten die Patientin in einem Zeitraum von 12 Monaten insgesamt siebenmal mit dem gepulsten Farbstofflaser (Wellenlänge 585 nm, Pulsdauer 0,5 ms). Durch die Farbstofflaserbehandlung kam es zur vollständigen Beseitigung der teleangiektatischen Residuen (Abb. 5). Narbige Strukturen und tiefliegende Hämangiomanteile im Bereich des rechten Auges und der rechten Oberlippe konnten durch die Farbstofflaser-Therapie dagegen kaum beeinflusst werden (Abb. 5) (5). Fall 2: 2015 Anamnese Die kleine Patientin wurde neun Tage nach Geburt bei uns mit der Frage einer Lasertherapie vorgestellt. Nach Angaben der Eltern hatten die Hautveränderungen an der rechten Gesichtshälfte bereits bei Geburt bestanden. Diese seien nun allerdings deutlich auffälliger, erythematöser und teleangiektatischer geworden. Ein überproportionales Wachstum in der Fläche war nicht erkennbar. Es handelte sich um ein termingerecht geborenes Mädchen in gutem Allgemeinzustand ohne Komorbiditäten. Abb. 5: Fall 1 Januar 1997 Befund Auf der rechten Gesichtshälfte zeigte sich ein noch im Hautniveau befindliches initiales Hämangiom, welches durch teleangiektatische Gefäßerweiterungen und ein diffus unterlegtes Erythem gekennzeichnet war und noch keine angiomatösen tiefen Anteile aufwies. Charakteristisch für das Vorliegen eines infantilen Hämangioms in der Proliferationsphase fand sich, analog zum Fall 1, ein deutlich erkennbarer ebenfalls pathognomonischer heller Randsaum sowie Teleangiektasien unterschiedlicher Dicke (Abb. 6). Diagnose Ausgedehntes initiales proliferatives infantiles Hämangiom der rechten Gesichtshälfte Klinischer Verlauf Aufgrund unserer Diagnose»initiales proliferatives infantiles Hämangiom«überwiesen wir die Patientin direkt an eine mit der Hämangiomtherapie vertraute Kinderklinik, mit der Bitte, eine systemische Propranololtherapie einzuleiten. Die Patientin wurde noch am gleichen Tag dort vorstellig. Jedoch wurde dort zunächst die Verdachts- derm (21) 2015 Omnimed Verlag 265
4 Abb. 6: Fall Abb. 7: Fall diagnose eines N. flammeus gestellt und zum Abwarten geraten. Bei der Kontrolle zwei Wochen später zeigte sich eine deutliche Wachstumstendenz in die Höhe sowie eine intensive Rotfärbung (Abb. 7), weshalb dann auch von Seiten der Klinik unsere Diagnose bestätigt und die systemische Propranololtherapie eingeleitet wurde. Die zuvor prominente Gefäßzeichnung wurde durch das Erythem und das Höhenwachstum überdeckt. Somit verzögerte sich leider die Einleitung der Propranololtherapie um zwei Wochen auf die 4. Lebenswoche. Bei der Kontrolluntersuchung bei uns zeigte sich nach vier Monaten systemischer Propranololgabe erfreulicherweise eine deutliche Regredienz (Abb. 8). Diskussion Das infantile Hämangion betrifft zirka 4% aller Säuglinge unter einem Jahr. Als Risikofaktoren gelten niedriges Geburtsgewicht, vorzeitige Geburt und weibliches Geschlecht (6, 9). Zirka 85% der lokalisierten klassischen Hämangiome sind oberflächlich (kutan) gelegen; etwa 1 2% sind tiefliegende (subkutane) Hämangiome. Gemischte Hämangiome (ca. 12%) treten nicht selten erst als oberflächliche Hämangiome auf, bevor dann im weiteren Verlauf die tiefe Komponente erkennbar wird (1). Vor der Einführung der systemischen Propranololtherapie standen bei der Behandlung von sehr ausgedehnten und aggressiv wachsenden Hämangiomen neben äußerlichen Behandlungen (Kryotherapie, gepulster Farbstofflaser, gepulster Alexandritlaser, gepulster oder interstitieller Nd:YAG-Laser) nur begrenzte systemische Therapieoptionen zur Verfügung. Im Off-Label- Use wurden Kortikosteroide, Interferon alpha und Vincristin eingesetzt. Die externe Therapie war zumeist bei tiefliegenden flächigen Hämangiomen nicht ausreichend, das Nebenwirkungsprofil und die Ansprechrate bei den systemischen Therapien unbefriedigend. Es gab zahlreiche therapieresistente Fälle, in denen das Wachstum trotz intensiver Therapieversuche nicht aufgehalten werden konnte (12). Nach Cremer et al. werden lokalisierte Hämangiome nach ihrem Typ in oberflächliche, tiefliegende und Mischfor- 266 Omnimed Verlag derm (21) 2015
5 Abb. 8: Fall men unterteilt. Bis zirka zum 10. Lebensjahr kommt es spontan in 50% der Fälle zu einer kompletten (mit und ohne Narbenbildung), in 30% zu einer partiellen und in 20% zu keiner Rückbildung (2). Typische Residuen sind deformierende Narben und atrophische Hautbezirke mit Teleangiektasien (7). Propranolol gilt aktuell als Erstlinientherapie bei proliferativen infantilen Hämangiomen, wenn diese lebens- oder funktionsbedrohend sind, ulzerieren oder bleibende Schäden hervorrufen können (3). Dies ist bei zirka 12% der infantilen Hämangiome der Fall (8). Als Kontraindikationen gelten unter anderem Frühgeburt, Asthma und Bronchospasmus, AV-Block II/III, Bradykardie, niedriger Blutdruck, Herzversagen, Neigung zu Hypoglykämie, Phäochromozytom und Raynaud-Syndrom. Als seltene Nebenwirkungen können bei der systemischen Gabe von Propranolol Diarrhö, periphere Kälte und Schlafstörungen auftreten. Insgesamt liegt jedoch eine gute Verträglichkeit vor. Die Expertengruppe»infantiles Hämangiom«empfiehlt eine Kontrolle von Herzfrequenz und Blutdruck bei Therapiestart sowie bei Dosissteigerungen. Eine zweistündige Beobachtung sei ausreichend. Die therapeutische Dosis beträgt 3 mg/kg/d, in zwei separaten Dosen zu je 1,5 mg/kg mit einer Mahlzeit zusammen verabreicht (4). Unsere Kasuistik zeigt, dass ein möglichst frühzeitiger Therapiebeginn bei aggressiv wachsenden Hämangiomen für das kosmetische Ergebnis außerordentlich bedeutsam ist. Störenden Narben und bleibenden Deformationen kann durch einen frühen Therapiestart vorgebeugt werden (10). Das proliferative, aggressiv wachsende Hämangiom lässt sich häufig an einem charakteristischen hellen Randsaum erkennen (siehe Pfeile in Abb. 1 und Abb. 6). Dieser kann bereits vor sichtbaren Rötungen auftreten. Charakteristisch ist zudem eine prominente Gefäßzeichnung, welche bereits bei Geburt vorliegen kann. Diese ist nahezu pathognomonisch für ein Hämangiom und das Unterscheidungsmerkmal zur Differenzialdiagnose Naevus flammeus. Beim N. flammeus bestehen die Hautveränderungen durchgehend seit Geburt und sind meist dermatombezogen und homogen angelegt. Die Ausdehnung der Läsionen verändert sich nicht. Veränderungen der Erythemintensität sind aufgrund Durchblutungsveränderungen möglich, jedoch finden sich keine sichtbaren Teleangiektasien und kein heller Randsaum. In den Leitlinien zur Therapie von Hämangiomen im Säuglings- und Kleinkindesalter finden sich zudem weitere Differenzierungskriterien: die Entstehung der Hämangiome erfolgt meist postnatal, wohingegen vaskuläre Malformationen meist bei Geburt angelegt sind. Bei Hämangiomen findet meist eine rasche Größenzunahme statt, bei vaskulären Malformationen eher nicht. Jedoch betonen auch hier die Experten, dass gerade die Differenzierung zwischen Vorläuferläsionen und Naevus-flammeus-artigen Läsionen zum frühen Zeitpunkt nicht immer unzweifelhaft möglich ist. Hier sind sehr engmaschige klinische Kontrollen mit Ultraschalluntersuchung und Duplexsonografie notwendig (11). Wir würden hierfür in kritischen Fällen wöchentliche Intervalle empfehlen. Aufgrund des günstigen Nebenwirkungsprofils empfiehlt sich auch bei diagnostischer Unsicherheit, sofern das Hämangiom für eine Farbstofflasertherapie zu weit fortgeschritten ist, die möglichst frühzeitige Einleitung der systemischen Propranolotherapie. derm (21) 2015 Omnimed Verlag 267
6 Literatur 1. Cremer H (1998): Klassifikation der benignen vaskulären Tumoren des Gefäßendothels im Kindesalter. In: Kautz G, Cremer H (eds): Hämangiome. Diagnostik und Therapie in Bild und Text. Springer, Berlin, Heidelberg, New York, Cremer HJ, Djawari D (1995): Frühtherapie der kutanen Hämangiome mit der Kontaktkryochirurgie. Tägl Prax 36, Drolet BA, Frommelt PC, Chamlin SL, Haggstrom A, Bauman NM, Chiu YE, Chun RH, Garzon MC, Holland KE, Liberman L, MacLellan-Tobert S, Mancini AJ, Metry D, Puttgen KB, Seefeldt M, Sidbury R, Ward KM, Blei F, Baselga E, Cassidy L, Darrow DH, Joachim S, Kwon EK, Martin K, Perkins J, Siegel DH, Boucek RJ, Frieden IJ (2013): Initiation and use of propranolol for infantile hemangioma: report of a consensus conference. Pediatrics 131 (1), Epub 2012 Dec (2014): Fachinformation Hämangiol, Stand April 5. Greve B, Jung EG, Kautz G, Raulin C (1997): Teleangiektatische Residuen rückgebildeter Hämangiome Behandlung durch den gepulsten Farbstofflaser. Akt Dermatol 23, Hartzell LD, Buckmiller LM (2012): Current management of infantile hemangiomas and their common associated conditions. Otolaryngol Clin North Am 45, Jung EG (1989): Hämangiome. In: Jung EG (Hrsg): Dermatologie. Hippokrates, Stuttgart, Kilcline C, Frieden IJ (2008): Infantile hemangiomas: how common are they? A systematic review of the medical literature. Pediatric dermatology 25, Léauté-Labrèze C, Prey S, Ezzedine K (2011): Infantile haemangioma: part I. Pathophysiology, epidemiology, clinical features, life cycle and associated structural abnormalities. J Eur Acad Dermatol Venereol 25, Léauté-Labrèze C (2014): Proliferatives infantiles Hämangiom. Kindgerechte Propranolol-Trinklösung ist neuer Therapiestandard. Beilage in»der Hautarzt«, Band 65, Heft Deutsche Dermatologische Gesellschaft mit der AG Pädiatrische Dermatologie (2007): Hämangiome im Säuglings- und Kleinkindesalter. Leitlinie Hämangiom online. loads/pdf/0710haemang.pdf 12. Raulin C, Greve B (2003): Laser und IPL- Technologie in der Dermatologie und Ästhetischen Medizin. 2. Auflage, Schattauer, Stuttgart, 133 Anschrift für die Verfasser: Dr. med. Laura Pohl MVZ Dres. Raulin und Kollegen GbR Kaiserstraße Karlsruhe derma@raulin.de Praktische Dermatologie 268 Omnimed Verlag derm (21) 2015
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