10 Invasive Arten. Bruno Baur und Wolfgang Nentwig



Ähnliche Dokumente
Biodiversität Posten 1, Erdgeschoss 3 Lehrerinformation

WAS finde ich WO im Beipackzettel

Zeichen bei Zahlen entschlüsseln

Berechnung der Erhöhung der Durchschnittsprämien

Auswertung des Fragebogens zum CO2-Fußabdruck

Markus Demary / Michael Voigtländer

Lineargleichungssysteme: Additions-/ Subtraktionsverfahren

1 MIO ÖSTERREICHISCHE SKIFAHRER SCHÜTZEN SICH BEREITS MIT HELM - UM MEHR ALS IM VORJAHR

Weltweite Wanderschaft

Welchen Weg nimmt Ihr Vermögen. Unsere Leistung zu Ihrer Privaten Vermögensplanung. Wir machen aus Zahlen Werte

Die neue Aufgabe von der Monitoring-Stelle. Das ist die Monitoring-Stelle:

Professionelle Seminare im Bereich MS-Office

Was ist Sozial-Raum-Orientierung?

Gemeinsam können die Länder der EU mehr erreichen

«Eine Person ist funktional gesund, wenn sie möglichst kompetent mit einem möglichst gesunden Körper an möglichst normalisierten Lebensbereichen

Was meinen die Leute eigentlich mit: Grexit?

Sind Faultiere wirklich faul?

Nicht über uns ohne uns

Das große ElterngeldPlus 1x1. Alles über das ElterngeldPlus. Wer kann ElterngeldPlus beantragen? ElterngeldPlus verstehen ein paar einleitende Fakten

Gemeinsame Erklärung zur inter-kulturellen Öffnung und zur kultur-sensiblen Arbeit für und mit Menschen mit Behinderung und Migrations-Hintergrund.

6 Schulungsmodul: Probenahme im Betrieb

Gesundheitsgefährdung durch Ambrosia artemisiifolia

Schärfere Haftung in Sachen Umwelt.

geben. Die Wahrscheinlichkeit von 100% ist hier demnach nur der Gehen wir einmal davon aus, dass die von uns angenommenen

Wie oft soll ich essen?

Kulturelle Evolution 12

Info: Blütenpflanzen. Narbe. Blütenkronblatt. Griffel. Staubblatt. Fruchtknoten. Kelchblatt

Ist Fernsehen schädlich für die eigene Meinung oder fördert es unabhängig zu denken?

Behörde für Bildung und Sport Abitur 2008 Lehrermaterialien zum Leistungskurs Mathematik

Gutes Leben was ist das?

Computeria Rorschach Mit Excel Diagramme erstellen

Papa - was ist American Dream?

Verband der TÜV e. V. STUDIE ZUM IMAGE DER MPU

Alle gehören dazu. Vorwort

Unterschiedliche Verkehrsmittel Lehrerinformation

Psychologie im Arbeitsschutz

SWP-FONDSVERMITTLUNG. AKTUELLES: LEONIDAS XI - Windfonds Frankreich. Auszug aus dem Leonidas Newsletter vom 11. Februar 2013

Die Theorie der Praxis. Die Welt ist so komplex, dass man sie mittels bloßer Wahrnehmung nicht erfassen kann.

Stammdaten Auftragserfassung Produktionsbearbeitung Bestellwesen Cloud Computing

Primzahlen und RSA-Verschlüsselung

Es gilt das gesprochene Wort. Anrede

Was sind Jahres- und Zielvereinbarungsgespräche?

Behindert ist, wer behindert wird

Binärdarstellung von Fliesskommazahlen

Meinungen der Bürgerinnen und Bürger in Hamburg und Berlin zu einer Bewerbung um die Austragung der Olympischen Spiele

Osteoporose. Ein echtes Volksleiden. Schon jetzt zählen die Osteoporose und die damit verbundene erhöhte Brüchigkeit der Knochen

Bei der Tagung werden die Aspekte der DLRL aus verschiedenen Perspektiven dargestellt. Ich habe mich für die Betrachtung der Chancen entschieden,

Lerntext Pflanzen 1. Was sind Pflanzen?

Übungsaufgaben Prozentrechnung und / oder Dreisatz

Neophyten. Zwei Beispiele aus dem Schwarzwald

200,- Euro am Tag gewinnen Konsequenz Silber Methode Warum machen die Casinos nichts dagegen? Ist es überhaupt legal?

Mehr Geld verdienen! Lesen Sie... Peter von Karst. Ihre Leseprobe. der schlüssel zum leben. So gehen Sie konkret vor!

Workshop: Wie ich mein Handikap verbessere erfolgreich Leben mit Multiple Sklerose!

allensbacher berichte

Qualität und Verlässlichkeit Das verstehen die Deutschen unter Geschäftsmoral!

Kinderarmut. 1. Kapitel: Kinderarmut in der Welt

Die Gesellschaftsformen

ONLINE-AKADEMIE. "Diplomierter NLP Anwender für Schule und Unterricht" Ziele

Kreativ visualisieren

Ziel- und Qualitätsorientierung. Fortbildung für die Begutachtung in Verbindung mit dem Gesamtplanverfahren nach 58 SGB XII

WIR MACHEN SIE ZUM BEKANNTEN VERSENDER

informieren Steht die Schweiz vor einer Hyperinflation? Tagung der Finanzverwaltern/innen der Thurgauer Gemeinden, 24.

infach Geld FBV Ihr Weg zum finanzellen Erfolg Florian Mock

Prozessbewertung und -verbesserung nach ITIL im Kontext des betrieblichen Informationsmanagements. von Stephanie Wilke am

Tutorial: Homogenitätstest

Wasserkraft früher und heute!

Örtliche Angebots- und Teilhabeplanung im Landkreis Weilheim-Schongau

Anhand des bereits hergeleiteten Models erstellen wir nun mit der Formel

Schnittstelle DIGI-Zeiterfassung

Bekommen durch Ansteckung. H Human Beim Menschen. Acquired I D. Schwäche des Immunsystems. Schwäche des Immunsystems.

Guide DynDNS und Portforwarding

Und was uns betrifft, da erfinden wir uns einfach gegenseitig.

IMMOBILIENMARKT Arbeitsauftrag

9 Auto. Rund um das Auto. Welche Wörter zum Thema Auto kennst du? Welches Wort passt? Lies die Definitionen und ordne zu.

Fehler und Probleme bei Auswahl und Installation eines Dokumentenmanagement Systems

Die Dateiablage Der Weg zur Dateiablage

PTV VISWALK TIPPS UND TRICKS PTV VISWALK TIPPS UND TRICKS: VERWENDUNG DICHTEBASIERTER TEILROUTEN

Das Lazarus-Verfahren - 1 oder auch EOR-Verfahren ( Enhanced Oil Recovery)

Eva Douma: Die Vorteile und Nachteile der Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit

Evangelisieren warum eigentlich?

Lichtbrechung an Linsen

Manager. von Peter Pfeifer, Waltraud Pfeifer, Burkhard Münchhagen. Spielanleitung

Die Wirtschaftskrise aus Sicht der Kinder

60,7 46,5 38,2 36,3. 18,1 *deflationiert mit USA-Lebenshaltungskostenindex

Diese Broschüre fasst die wichtigsten Informationen zusammen, damit Sie einen Entscheid treffen können.

Eigenen Farbverlauf erstellen

Chemotherapie -ein Bilderbuch für Kinder

Persönliche Zukunftsplanung mit Menschen, denen nicht zugetraut wird, dass sie für sich selbst sprechen können Von Susanne Göbel und Josef Ströbl

Reizdarmsyndrom lindern

40-Tage-Wunder- Kurs. Umarme, was Du nicht ändern kannst.

PKV-Info. Lohnt der Wechsel innerhalb der PKV?

Zwischen Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz abgestimmte deutsche Übersetzung

Hygiene und Infektionsvorbeugung

FORSCHUNGSTELEGRAMM November 2015 (Nr. 12/15)

1. Einführung Erstellung einer Teillieferung Erstellung einer Teilrechnung 6

PCD Europe, Krefeld, Jan Auswertung von Haemoccult

impact ordering Info Produktkonfigurator

Die Post hat eine Umfrage gemacht

Transkript:

10 Invasive Arten Bruno Baur und Wolfgang Nentwig

Invasive Arten 325 Zusammenfassung Durch die weltweit gestiegene Mobilität und den globalisierten Handel werden seit rund 500 Jahren immer mehr Arten von anderen Kontinenten in neue Lebensräume gezielt eingeführt oder zufällig verschleppt. Ein Teil dieser nicht-einheimischen Arten (Neobioten) zeigt nach einiger Zeit negative Auswirkungen auf die Umwelt. Dokumentiert sind ökonomische, ökologische und manchmal auch gesundheitliche Schäden. Von den 11 000 Neobioten Europas kommen mindestens 825 in der Schweiz vor. Davon gelten zurzeit 107 als invasiv. Eine typische Eigenschaft von Neobioten ist die grosse zeitliche Verzögerung zwischen dem ersten Auftreten und einer explosionsartigen Vermehrung. Meist werden Neobioten erst nach einer Eingewöhnungsphase von Jahrzehnten oder Jahrhunderten invasiv. Dann ist aber eine erfolgreiche Bekämpfung äusserst schwierig und sehr teuer. Neobioten haben das Potenzial, als Konkurrenten die einheimischen Arten negativ zu beeinflussen. Sie können auch als Prädatoren auftreten oder Pathogene und Parasiten übertragen, an denen im Unterschied zu den resistenten Neobioten die einheimischen Arten sterben. Hybridisierung mit nah verwandten einheimischen Arten kann zum Verlust der genetischen Identität einheimischer Arten führen. Neobioten gelten weltweit inzwischen als eine der schwerwiegendsten Bedrohungen der einheimischen Biodiversität. Eingeführte Arten erhöhen zwar auf nationaler Ebene zunächst die Artenzahl; in den betroffenen Lebensräumen bewirken sie in der Folge jedoch oft eine Abnahme der einheimischen Artenvielfalt. Ein Wandel der Biodiversität, der auf Arten zurückzuführen ist, die biogeographisch unüberwindbare Grenzen mit menschlicher Hilfe umgehen, muss als negativ beurteilt werden. Diese nicht-einheimischen Arten können nicht als Bereicherung der einheimischen Biodiversität angesehen werden, sondern müssen genau beobachtet und wenn nötig bekämpft werden. Anders verhält es sich mit europäischen Arten, die ihr Verbreitungsgebiet innerhalb von Europa auf natürliche Weise verändern. Beispielsweise wandern zurzeit zahlreiche Arten aus dem Mittelmeergebiet in die Schweiz ein, weil der Klimawandel die Umweltbedingungen in den Lebensräumen zu ihren Gunsten verschoben hat. Diese Arten sind wie einheimische Arten zu behandeln. Es ist nun wichtig, einerseits bestehende Rechtsvorschriften endlich umzusetzen, und andererseits Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung sowie die Öffentlichkeit über die wissenschaftlichen Fakten zum Thema invasive Arten mehr als bisher zu informieren. Nur durch eine vermehrte Sensibilisierung der Bevölkerung und durch die breite Verankerung von Vorbeuge- und Verursacherprinzipien sowie der konsequenten Durchführung von Massnahmen ist es möglich, die zunehmende Gefährdung der einheimischen Biodiversität durch nicht-einheimische und invasive Arten zu mindern. Abb. 1: In den letzten Jahrzehnten hat die Anzahl Neobioten und invasiver Arten stetig zugenommen. Neobioten können zwar die Zahl der in der gesamten Schweiz erfassten Arten erhöhen; in den betroffenen Lebensräumen bewirken sie jedoch in den meisten Fällen eine Abnahme der einheimischen Biodiversität. Das Bild oben zeigt einen intakten Uferstreifen (Birs BL); im Uferstreifen unten dominiert der Staudenknöterich (Reynoutria japonica) (Fotos: Bruno Baur).

326 Wandel der Biodiversität in der Schweiz Tab. 1: Die Einflussfaktoren invasiver Arten. Alle Aussagen zur Biodiversität beziehen sich auf die Anzahl Arten in einer Lebensgemeinschaft. Zeichenerklärung: Zweitletzte Spalte: siehe Seite 411. Letzte Spalte: Der Einfluss nimmt zu. Einflussfaktor Untersuchte Artengruppen Auswirkungen auf Biodiversität bis 2010 Konkurrenz Vögel, Fische, Insekten, Mollusken, Blütenpflanzen Prädation Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische, Schnecken, Insekten, Krebstiere, Blütenpflanzen Pathogene und Parasiten Hybridisierung Pilze, Blütenpflanzen, Krebstiere, Säugetiere, Vögel Fische, Säugetiere, Vögel, Blütenpflanzen Zukünftige Entwicklung des Einflussfaktors Tab. 2: Wandel der Biodiversität durch invasive Arten seit 1900. Alle Aussagen zur Biodiversität beziehen sich auf die Anzahl Arten in einer Lebensgemeinschaft. Zeichenerklärung: siehe Seite 411. Auswirkungen Untersuchte Organismengruppen Aquatische Organismen Vögel? Fische Insekten Krebstiere Gefässpflanzen

Invasive Arten 327 10.1 Biologische Invasionen Im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte haben sich die Arten an die jeweiligen Umweltbedingungen angepasst. Auf ihr natürliches Ausbreitungsgebiet bezogen, werden diese Arten als einheimisch bezeichnet. Verbreitungsgebiete sind aber vor allem an ihren Rändern dynamische Gebilde. In erdgeschichtlichen Zeiträumen verändern sich die klimatischen Bedingungen und Lebensräume der Arten und damit auch ihr Ausbreitungsareal. So hat die nacheiszeitliche Wiederbesiedlung eisfreier Gebiete nach dem Rückzug der Gletscher bei vielen Arten zu einer Arealausdehnung geführt, die teilweise heute noch andauert. Dies ist ein natürlicher Prozess. Auch der aktuelle Klimawandel wird zur Veränderung der Verbreitungsgebiete zahlreicher Arten führen (Kap. 11). Im Gegensatz zu klimabedingten Arealausdehnungen erreichten mit der Eroberung und Besiedlung neuer Gebiete durch den Menschen viele Pflanzen und Tiere andere Kontinente. Die Barrierewirkung von biogeographisch unüberwindbaren Grenzen wie Ozeanen, Wüsten oder Gebirgen wurde durch das gezielte Einführen (z. B. als Zierpflanze) oder durch das zufällige Verschleppen (z. B. mit importierten Gütern) umgangen. Manche Arten konnten in Gebieten weit ausserhalb ihres ursprünglichen Verbreitungsgebietes Fuss fassen. Ausgangspunkt des weltweiten Personen- und Warenverkehrs war die «Entdeckung» Amerikas im Jahr 1492. Die durch menschliche Aktivitäten unabsichtlich oder absichtlich nach 1492 in neue Lebensräume gebrachten Arten werden als nicht-einheimisch oder gebietsfremd bezeichnet. Bei nicht-einheimischen Pflanzen spricht man von Neophyten, bei Tieren von Neozoen und bei Pilzen von Neomyceten. Der Oberbegriff für alle gebietsfremden Organismen lautet Neobioten. Ein Teil der Neobioten kann sich an den neuen Standorten stark vermehren und negative Auswirkungen auf die Umwelt haben. Diese so genannten invasiven Arten verursachen ökonomische und ökologische Schäden. Wirtschaftliche Schäden können im Bereich der Land- oder Forstwirtschaft auftreten (etwa als Unkräuter, Pflanzenschädlinge, Pilze oder Krankheitserreger, z. B. der Feuerbrand an Obstbäumen), sie können die Tierhaltung betreffen (z. B. Parasiten, Krankheiten), sie können die Infrastruktur schädigen (z. B. durch Verstopfen von Wasser leitungen und Kühlrohren) oder die menschliche Gesundheit beeinträchtigen (z. B. durch Krankheitserreger, Parasiten, Pollen oder durch Verletzungen). Ökologische Schäden betreffen die Gefährdung und Verdrängung von einheimischen Arten durch Konkurrenz, Prädation oder die Übertragung von Krankheiten oder Parasiten. Auch die Hybridisierung nicht-einheimischer mit verwandten einheimischen Arten, die dadurch ihre arteigene Identität verlieren, zählt zu den negativen ökologischen Auswirkungen. Die durch invasive nicht-einheimische Arten reduzierte einheimische Artenvielfalt wirkt sich schliesslich direkt oder indirekt auf den Zustand und die Funktion der Ökosysteme aus. Dies kann man beispielsweise dort gut beobachten, wo der Japanische Knöterich (Reynoutria japonica), die Kanadische Goldrute (Solidago canadensis) oder die Robinie (Robinia pseudoacacia) Lebensräume durch dichte Bestände nachhaltig verändern, die einheimische Vegetation verdrängen, Erosion fördern oder den Boden eutrophieren.

328 Wandel der Biodiversität in der Schweiz Die Zahl der nicht-einheimischen Arten in Europa wurde auf 11 000 geschätzt (Stand 2008; DAISIE 2009). Von diesen sind rund 10 Prozent invasiv, das heisst für etwa 1100 Arten sind negative Auswirkungen bekannt. Für die Schweiz wurden bisher 825 nicht-einheimische Arten aufgelistet (Tab. 3), von denen 107 Arten als invasiv eingestuft werden (Wittenberg 2005, DAISIE 2009). Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Zahl der gebietsfremden Arten weiter zunimmt. Zudem wird der relative Anteil der invasiven Arten nach einer Etablierungsphase weiter steigen und damit auch die unerwünschten Auswirkungen. Dieses Kapitel behandelt ausschliesslich die Auswirkungen invasiver gebietsfremder Arten auf die einheimische Biodiversität, also von Arten, die auf Grund menschlicher Aktivitäten nach Europa und in die Schweiz eingeschleppt wurden. Arten, die beispielsweise infolge des Klimawandels auf natürlichem Wege aus dem europäischen Raum einwandern, werden hier nicht behandelt. Biologische Invasionen gelten weltweit als zweitwichtigster Grund für die Gefährdung der Artenvielfalt nach der Veränderung und Zerstörung natürlicher Lebensräume durch den Menschen (Nentwig 2007). Auf das grosse Gefahren- Abb. 2: Gebietsfremde invasive Arten wie das Drüsige Springkraut (Impatiens glandulifera) bilden manchmal monokulturartige Bestände. Die einheimischen Arten werden durch Konkurrenz um Raum, Nährstoffe und Licht verdrängt und können lokal verschwinden (Foto: Bruno Baur).

Invasive Arten 329 Tab. 3: Anzahl nicht-einheimischer Arten (Neobioten) in der Schweiz nach Artengruppen. Quelle: Wittenberg 2005, DAISIE 2009. Artengruppen Anzahl Bakterien 1 Pilze 29 Moose 1 Nadelhölzer 4 Blütenpflanzen 358 Fadenwürmer 11 Plattwürmer 1 Ringelwürmer 3 Mollusken 19 Krebstiere 17 Spinnentiere 28 Tausendfüssler 2 Insekten 311 Fische 15 Amphibien 3 Reptilien 3 Vögel 9 Säugetiere 10 Total 825 potenzial, welches von invasiven Arten ausgeht, hat Charles Elton bereits 1958 mit seinem wegweisenden Buch «The ecology of invasions by animals and plants» aufmerksam gemacht. Um Grundlagen über die Auswirkungen von invasiven nicht-einheimischen Arten und über deren Management zu erhalten, hat sich mit der Invasionsbiologie ein eigener Wissenschaftszweig etabliert. 10.2 Exponentielle Zunahme von Neobioten Im EU-Projekt DAISIE (Delivering Alien Invasive Species Inventories for Europe) wurden europaweit Daten zum Vorkommen und zur Verbreitung von Neobioten und invasiven Arten zusammengetragen (www.europe-aliens.org). Bei einigen taxonomischen Gruppen (z. B. Gefässpflanzen, Vögel und Säugetiere) ist der Kenntnisstand gut, bei anderen aber noch mangelhaft (z. B. bei Pilzen, Milben und Würmern). Zeitliche Veränderungen bei der Anzahl der vorkommenden Neobioten können deshalb nur für wenige Organismengruppen dargestellt werden. Über die Zeitspanne der letzten 100 Jahre betrachtet, zeigen die Artenzahlen der in Europa auftretenden gebietsfremden Flechten, Gefässpflanzen, terrestrischen Insekten und Säugetiere eine exponentielle Zunahme (DAISIE 2009). Dies dürfte vermutlich auch für andere taxonomische Gruppen zutreffen.

330 Wandel der Biodiversität in der Schweiz Gesamtflora 350 2572 2696 2943 350 Anzahl Neophyten 300 250 200 150 100 119 5% 189 289 11% 7% 12% 15 10 5 Anteil Neophyten an der Gesamtflora [%] 50 0 1982 1991 Abb. 3: Der Anteil an Neophyten in der Flora der Schweiz nimmt zu. Anzahl Neophyten (rote Balken) und Anteil (%) in den Schweizer Florenwerken von Welten und Sutter (1982), Landolt (1991) und Moser et al. (2002) (blaue Balken). Die weissen Teile der Säulen von 1991 betreffen «Arten, die nur gelegentlich und vorübergehend eingeschleppt wurden». Diese Arten sind in den Säulen von 2002 grösstenteils enthalten. Quelle: Gigon und Weber 2005. 2002 Vergleichbare Zeitreihen für Neobioten in der Schweiz gibt es praktisch keine. Von den 2943 wildlebenden Arten von Farnen und Blütenpflanzen in der Schweiz sind 350 Neophyten (ohne Kulturpflanzen; Moser et al. 2002). Der Anteil von Neophyten an der gesamten Flora ist innerhalb von 20 Jahren von 5 Prozent (1982) auf 12 Prozent (2002) angestiegen (Abb. 3; Gigon und Weber 2005). Von den 350 Neophyten gelten zurzeit in der Schweiz 34 (10 %) als invasiv. Fachleute der Arbeitsgruppe Invasive Neophyten (AGIN) teilen im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) die invasiven Neophyten gemäss festge legten Kriterien in eine schwarze Liste und eine Watch-Liste (Beobachtungsliste) ein. Die schwarze Liste ist ein Verzeichnis der invasiven Neophyten, die leicht verwildern, sich sehr effizient ausbreiten und erwiesenermassen ökologische und ökonomische Schäden verursachen. Im März 2008 waren zwanzig in allen oder mehreren Landesregionen auftretende invasive Pflanzenarten sowie drei regional auftretende invasive Arten in der schwarzen Liste der Schweiz aufgeführt (www. cps-skew.ch). Zu ihnen gehören unter anderem die Aufrechte Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia), der Sommerflieder (Buddleja davidii) und der Japanische Knöterich (Reynoutria japonica). In die Watch-Liste sind jene invasiven Neophyten eingetragen, die das Potenzial haben, Schäden zu verursachen und deren Ausbrei-

Invasive Arten 331 tung überwacht und wenn möglich eingedämmt werden soll. In benachbarten Ländern verursachen diese Arten bereits Schäden. In der Watch-Liste vom März 2008 waren fünfzehn in allen oder mehreren Landesregionen auftretende invasive Neophyten sowie sechs regional auftretende invasive Arten aufgeführt. Diese Listen unterliegen einem ständigen Wandel, da sie in regelmässigen Abständen der neuen Bedrohungssituation angepasst werden. Bei den Tieren, vor allem bei Wirbellosen von geringer Grösse, werden Neozoen oft lange nicht entdeckt. Erst wenn sie häufig werden oder wenn Schäden auftreten, nimmt man sie wahr (siehe Kasten). Dies trifft vor allem auf aquatische Ökosysteme zu. Beispielsweise wurde in den vergangenen 20 Jahren die Gesellschaft der einheimischen wirbellosen Tiere (Kleinkrebse, Insektenlarven, Schnecken, Muscheln, Würmer), welche die Sohle des Rheins bewohnt, fast vollständig durch Neozoen ersetzt (Abb. 4; Rey et al. 2005). Auf den ganzen Rhein bezogen weist die Zahl der wirbellosen Neozoen eine exponentielle Zunahme auf (Abb. 4). Zurzeit liegt die Kolonisationsrate bei 1,3 neuen gebietsfremden Arten pro Jahr (Baur und Schmidlin 2007). Die Fischfauna der Schweiz umfasste im Jahr 2002 mindestens 16 Neozoen, die fast alle etablierte Bestände bilden konnten (Dönni und Freyhof 2002). Davon gelangten 13 Arten durch den gezielten Besatz ein Teil davon bereits im 19. Jahrhundert oder durch das Einschleppen via Besatzmaterial in die Schweiz. Zwei Arten stammen aus der Zierfischhaltung, und bei einer Art ist nicht bekannt, wie sie in die Schweiz gelangt ist (Dönni und Freyhof 2002). Nachdem verschiedene nicht-einheimische Fische in den letzten Jahren via Ober- und Hochrhein den Weg in die Schweiz gefunden haben, wird erwartet, dass kurzfristig noch sechs weitere und mittelfristig neun zusätzliche Fisch-Neozoen auf diesem Weg in die Schweizer Gewässer gelangen. Anzahl nicht-einheimischer Arten 50 40 30 20 10 0 1831 1850 1851 1870 1871 1890 1891 1910 1911 1930 1931 1950 1951 1970 1971 1990 1991 2005 Abb. 4: Kumulative Zunahme nicht-einheimischer Makroinvertebraten im Rhein zwischen 1831 und 2005. Quelle: Baur und Schmidlin 2007. Das Foto zeigt die asiatische Körbchenmuschel (Corbicula fluminea), die sich im Rhein so stark vermehrt, dass einheimische Arten vollständig verdrängt werden (Foto: Stephanie Schmidlin).

332 Wandel der Biodiversität in der Schweiz Die vier Phasen der Invasionsdynamik Die Probleme mit invasiven Arten treten häufig mit grosser zeitlicher Verzögerung nach dem ersten Erscheinen im Invasionsgebiet auf. Sie entstehen meist erst, nachdem sich die nicht-einheimische Art an die neuen Lebensbedingungen gewöhnt und wohl auch genetisch angepasst hat. Nach einem langsamen Populationswachstum folgt eine starke Wachstumsphase, mit der oft eine Arealexpansion verbunden ist. Diese Invasionsdynamik kann in Anlehnung an Kowarik (2003) in vier Phasen eingeteilt werden (Abb. 5, Abb. 6): Die Einführung, die Etablierung, die Ausbreitung und die Invasion. Mit jeder Phase werden die negativen Auswirkungen der neuen Art grösser. Zudem nehmen die Möglichkeiten zur Eindämmung der invasiven Art ab, die Kosten steigen jedoch. Phase 1 die Einführung: Es sind erst wenige Individuen vorhanden. Die Vermehrung und der Einfluss auf einheimische Arten ist gering. Vorbeugung, Information und Beobachtung wären zu diesem Zeitpunkt enorm wichtig. Das Entfernen der Organismen ist oft sehr einfach; Massnahmen sind noch billig. Phase 2 die Etablierung: Die Populationsdichte ist genügend gross, um eine deutliche und zunehmende Vermehrung zu gewährleisten. Der Einfluss auf die einheimischen Arten und die Bedrohung sind aber noch gering. Information und Überwachung wären dringend notwendig, um die Ausbreitung noch zu verhindern. Massnahmen sind immer noch relativ billig. Phase 3 die Ausbreitung: Es kommt zu einem starken Populationswachstum in einem immer grösser werdenden Gebiet. Der Einfluss auf einheimische Arten ist mässig, die Bedrohung schwach. Ein Entfernen wird immer schwieriger, Massnahmen teurer. Phase 4 die Invasion: Explosionsartige Vermehrung im ganzen Gebiet. Der Einfluss auf einheimische Arten ist stark, die Bedrohung mässig bis sehr stark. Das Entfernen der Organismen ist sehr schwierig geworden, entsprechende Massnahmen sehr teuer. Aus dem Befund, dass eine nicht-einheimische Art nur mit wenigen Individuen nachgewiesen wurde, kann demnach nicht geschlossen werden, dass sie harmlos ist. Vielmehr muss vermutet werden, dass sie sich erst am Anfang ihrer Invasionsdynamik befindet, an einem Zeitpunkt also, an dem Massnahmen noch erfolgreich und billig sind. Rasches Handeln ist nun erforderlich. Neobioten unterscheiden sich stark in der Dauer der einzelnen Phasen. Die anfängliche Einführungsphase mit nur sehr geringem Populationswachstum kann wenige Jahrzehnte, aber auch einige Jahrhunderte dauern, so dass Prog nosen kaum möglich sind.

Invasive Arten 333 1 2 3 4 Anzahl Individuen Zeit seit Einführung Abb. 5: Invasionsdynamik von Neobioten mit den typischen vier Phasen von Einführung (1), Etablierung (2), Ausbreitung (3) und Invasion (4). Quelle: Eigene Darstellung. Anzahl der Areale in einem Gitternetz-Raster von 11x12 km 250 200 150 100 50 0 1850 1870 1890 1910 1930 1950 1970 1990 Abb. 6: Die Invasionsdynamik beim Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum) in Tschechien entspricht genau der Theorie aus Abbildung 5. Quelle: Nielsen et al. 2005 (Foto: Jan Pergl).

334 Wandel der Biodiversität in der Schweiz 10.3 Ursachen der Ausbreitung Die Gründe für das Vorkommen und die Zunahme gebietsfremder Arten sind vielfältig. Prinzipiell lassen sich das unbeabsichtigte Verschleppen, Verbreiten oder Entweichen aus Gehegen und das absichtliche Freisetzen unterscheiden. Die Zunahme der unbeabsichtigten Freisetzungen und die Verbreitung gebietsfremder Arten können in erster Linie auf die erhöhte Mobilität der Menschen sowie auf die Zunahme der transportierten Güter zurückgeführt werden. Autos, Lastwagen, Züge, Schiffe und Flugzeuge legen grosse Distanzen in kurzer Zeit zurück. Viele Organismen werden in oder an Fahrzeugen und in Verpackungen von Waren verfrachtet (z. B. Pflanzensamen im Reifenprofil). Auch Container bieten vielen Arten eine stabile, langlebige und schützende Umgebung bei Transporten. Werden Container und Schiffe nicht regelmässig gereinigt, bildet sich schnell ein belebter Bodensatz, der zahlreichen Organismen die Mitreise ermöglicht. Tropische Stechmücken haben es in 30 Jahren neun Mal geschafft, mit Interkontinentalflugzeugen die Schweiz zu erreichen und dort Menschen mit Malaria zu infizieren, die noch nie in den Tropen waren (Flughafenmalaria) (Isaäcson 1989). Häufig finden sich in oder an transportierten Pflanzenarten weitere Arten, die als blinde Passagiere mitreisen. Fast alle wichtigen Pflanzenschädlinge wurden auf diese Weise weltweit mit ihren Wirtspflanzen verbreitet. So werden Schild- und Blattläuse unerkannt an den grünen Teilen der Wirtspflanzen verschleppt, während sich Wurzelnematoden mit Topfpflanzen verfrachten lassen. In vergleichbarer Weise werden Krankheiten und Parasiten von Tieren verbreitet. Saatgut und Holz ist prädestiniert, spezifische, Samen fressende Insekten oder Holzschädlinge weltweit zu verbreiten, beispielsweise den 3,5 Zentimeter grossen Asiatischen Laubholzbockkäfer (Anoplophora glabripennis) (MacLeod et al. 2002). Der Handel mit getopften Zierpflanzen ermöglicht einer besonders grossen Zahl von Bodenorganismen, grosse Distanzen zurückzulegen. Ganze Artengruppen oder Lebensgemeinschaften können so verschleppt werden (Roques et al. 2009). Beim Import von Saatgut werden unerwünschte Arten als Restverunreinigung bei der Kontrolle oft nicht erkannt. So wurde beispielsweise das Aufrechte Traubenkraut (Ambrosia artemisiifolia) mit schlecht gereinigtem Vogelfutter eingeführt und weit verbreitet (Dahl et al. 1999). In vergleichbarer Weise wurden mit der Einfuhr des asiatischen Graskarpfens (Ctenopharyngodon idella) in Europa andere Fischarten mitgebracht. Dazu gehört unter anderem der Blaubandbärbling (Pseudorasbora parva), der inzwischen durch den Rhein Schweizer Gewässer besiedelt hat (Dönni und Freyhof 2002). Aus Zuchtanlagen und Tiergehegen entweichen regelmässig nicht-einheimische Tiere. Der ursprünglich nordamerikanische Waschbär (Procyon lotor) erreichte erstmals 1976 die Schweiz. Die Tiere stammen von Populationen in Deutschland ab, die durch gezielte Freisetzung als Jagdwild (1930er Jahre), durch Entweichen aus Pelztierfarmen und durch Freilassung von Heimtieren (1940er Jahre) entstanden sind. Marderhunde (Nyctereutes procyonoides), die ursprünglich in Ostasien beheimatet sind, entwichen aus den damaligen sowjetischen Pelzfarmen. Zudem wurden sie bewusst in Weissrussland und in der Ukraine freigelassen. Seit Jahr-

Invasive Arten 335 zehnten breitet sich der Marderhund auch über Westeuropa aus (Kowalczyk 2006). Im Jahr 1997 konnte das erste Tier in der Schweiz nachgewiesen werden. Sogenanntes Ziergeflügel wird häufig in offenen Gehegen gehalten, aus denen die Vögel leicht entweichen können. So gehen die Schweizer Populationen der zentralasiatischen Rostgans (Tadorna ferruginea) und der Schwarzen Schwäne (Cyg nus atratus) im Berner Oberland auf Gehegeflüchtlinge zurück (Kestenholz et al. 2005). Nach der ersten Brut der Rostgans im Jahr 1963 erhöhte sich der Bestand nur sehr langsam. 30 Jahre später setzte aber ein exponentielles Wachstum ein (Abb. 7). 2003 wurden über 260 Individuen allein am Klingnauer Stausee beobachtet und 16 Bruten in der Wildnis festgestellt. Im Jahr 2005 wurden in der Schweiz über 350 Tiere gezählt. Vergleichbares spielt sich bei den Pflanzen ab: Immer wieder entweichen nicht-einheimische Pflanzen aus Gärten durch Versamung oder durch den Transport und die Ablagerung von Schnittgut und Pflanzenresten. In früheren Jahren wurden regelmässig besonders attraktive Arten zur «Verbesserung» der Jagdstrecke ausgesetzt. So geht die Schweizer Population des asiatischen Sikahirsches (Cervus nippon) auf eine grenznahe Population in Deutschland zurück, die zu Jagdzwecken aufgebaut wurde (Bartos 2009). Als sehr beliebtes Winterbestand (Individuen) 400 350 300 250 200 150 100 50 Bruten 0 1963 1965 1967 1969 1971 1973 1975 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 Winterbestand 30 25 20 15 10 5 Anzahl Bruten 0 Abb. 7: Zunahme der Rostgänse (Tadorna ferruginea) in der Schweiz seit dem ersten Bruterfolg 1963 und nach dem Einsatz von Massnahmen zur Ausrottung der invasiven Art ab 2005. Die Rostgans quartiert sich gerne in Nistkästen ein, die eigentlich für seltene Arten wie die Schleiereule bestimmt sind. Quelle: Schweizerische Vogelwarte (Foto: RDB/Alexander Dietz).

336 Wandel der Biodiversität in der Schweiz Jagdwild gelten die aus Asien stammenden Fasane (Phasianus colchicus). Da diese Art in der Schweiz aber eine relativ hohe Wintermortalität hat, wären Fasane bei uns längst wieder ausgestorben, wenn nicht regelmässig neue Tiere ausgesetzt würden. Obwohl die Zahl der in der Schweiz freigelassenen Fasane in den letzten Jahren deutlich abgenommen hat, finden immer noch Freisetzungen statt. Auch bei der aus Nordamerika stammenden Regenbogenforelle (Oncorhynchus mykiss) werden regelmässig die Bestände aufgestockt, da die Populationen ohne das Aussetzen künstlich aufgezogener Fische nur in wenigen Gebieten lebensfähig sind. Die Regenbogenforelle ist eine problematische Art, weil sie mit der einheimischen Bachforelle (Salmo trutta fario) konkurriert. Allerdings vermag sie auch in Gewässern zu leben, die für die Bachforelle nicht geeignet sind. Seit 1994 gelten in den schweizerischen Gewässern Einschränkungen für das Aussetzen von Regenbogenforellen. Erlaubte Einsatzgebiete sind Fischzuchtanlagen, geschlossene Anglerteiche sowie Bergseen und alpine Stauseen ohne Abwanderungsmöglichkeit. Nicht mehr erwünschte Haustiere werden häufig ausgesetzt. Prominente Beispiele sind Zierfische, vor allem der Goldfisch (Carassius auratus), sowie die Amerikanische Rotwangenschildkröte (Trachemys scripta elegans). Die Genfer Population des Sibirischen Streifenhörnchens (Tamias sibiricus) geht auf die illegale Aktion eines so genannten Tierfreundes zurück. Vernachlässigte Hauskatzen (Felis catus) können verwildern und schliesslich eigene, «wilde» Populationen aufbauen. Nur ein Teil der eingeschleppten oder freigelassenen Organismen überlebt am neuen Standort und wird dann als Neobiot wahrgenommen. Da viele gebietsfremde Organismen aus warmen Regionen stammen, dürfte die fortschreitende Klimaerwärmung ihre Überlebens- und damit Etablierungschancen erhöhen. So ist beispielsweise der Jahresdurchschnitt der Wassertemperatur im Rhein bei Basel in den vergangenen 55 Jahren um 3,1 ºC angestiegen, wobei ein Teil dieses Anstiegs auf erwärmtes Kühlwasser und Wasser aus Haushalten zurückzuführen ist (Baur und Schmidlin 2007). Mit der Klimaerwärmung dürften noch mehr Neobioten in der Schweiz überleben. Ob eine nicht-einheimische Art invasiv wird oder nicht, hängt von verschiedenen Faktoren ab (Gigon und Weber 2005, Schaffner 2005), wobei vieles im Detail noch unklar ist. Erfolgreiche Neobioten weisen bestimmte Merkmale auf wie effiziente Ausbreitungsmechanismen (generativ und vegetativ), rasches Wachstum, starke Konkurrenzkraft und eine kurze Zeit bis zur Produktion von sehr vielen Samen (Schaffner 2005, Nentwig 2007). Zudem spielen der Typ und der Zustand des besiedelten Lebensraumes sowie die bereits vorhandene Artenvielfalt eine wichtige Rolle. Als für Neophyten besonders leicht zu besiedelnde Standorte werden gestörte Lebensräume genannt sowie Habitate mit leeren ökologischen Nischen und Bereiche, in denen natürliche Feinde fehlen. Beispielsweise konnten sich im Rhein die einheimischen, angestammten Arten in den naturnahen Abschnitten oberhalb der Aaremündung gegenüber der neuen Konkurrenz deutlich besser behaupten als in den stärker vom Mensch beeinflussten Abschnitten unterhalb der Aaremündung (Mürle et al. 2008). Dies lässt den Schluss zu, dass die weitere massive Ausbreitung von Neozoen begrenzt werden kann, wenn die Lebensbedingungen und Konkurrenzvorteile der typischen Rheinarten durch eine naturnahe Morphologie, Strömungs- und Abflusscharakteristik des Hochrheins erhalten und gefördert werden.

Invasive Arten 337 10.4 Auswirkungen invasiver Arten auf die einheimische Biodiversität Konkurrenz Invasive Neophyten bilden oftmals monokulturartige Bestände (z. B. Goldrute, Drüsiges Springkraut, Staudenknöterich) und verdrängen einheimische Pflanzen durch Konkurrenz um Raum, Nährstoffe und Licht (Gigon und Weber 2005). Die ursprünglich aus den Prärien Nordamerikas stammende Kanadische Goldrute (Solidago canadensis) wurde ihrer Schönheit wegen bereits im 17. Jahrhundert nach Europa gebracht, wo sie Landschaftsgärten in England und Frankreich zierte. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts verkauften fast alle Gärtner die Goldrute als pflegeleichte Gartenpflanze (Weber 1998). Dank ihrer enormen Reproduktionsleistung konnte sich die Goldrute explosionsartig ausbreiten. Heute kommt sie mit Ausnahme von höheren Lagen in den Alpen fast in der ganzen Schweiz vor und verdrängt zahlreiche seltene Pflanzenarten durch Konkurrenz um Raum. Die invasive Pflanzenart unterdrückt mit Hilfe eines Wirkstoffs, der von den Wurzeln ausgeschieden wird, das Wachstum der einheimischen Pflanzen (Abhilasha et al. 2008). Eine mittlerweile weit verbreitete, invasive Pflanzenart ist auch die Robinie (Robinia pseudoacacia). Die aus Nordamerika eingeführte Art reichert Stickstoff im Boden an, eutrophiert dadurch ihren Standort und verdrängt so einheimische, stickstoffmeidende Pflanzen. Auf diese Weise kann sich die Pflanzengesellschaft eines Standorts dauerhaft verändern. Der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum, Abb. 6) wirkt sich ebenfalls nachteilig auf seine Umgebung aus. 1817 als Zierpflanze aus dem Kaukasus nach England gebracht, wurde diese oft über drei Meter hohe Pflanze in wenigen Jahrzehnten über die Gärten und Parkanlagen Europas verbreitet (Jahadova et al. 2007). Aufgrund der hohen Samenproduktion etablierten sich wilde Vorkommen ausserhalb der Anlagen. Zudem wurde Imkern lange Zeit empfohlen, durch Aussaat die Bienentracht zu verbessern, was die Ausbreitung des Riesen-Bärenklaus förderte. Wegen der aussergewöhnlichen Höhe und Blattgrösse unterliegen die meisten einheimischen Pflanzen diesem Neophyten. Vor allem lichtbedürftige Arten verschwinden, so dass die Invasion des Riesen-Bärenklaus lokal zu einer Reduktion der Artenzahl von einheimischen Pflanzen führt. Einige invasive Neozoen vermehren sich in ihren neuen Lebensräumen so stark, dass einheimische Arten vollständig verdrängt werden. Die Mechanismen können Konkurrenz um Raum und/oder Nahrung sein. Bei der invasiven Zebramuschel (Dreissena polymorpha) heften sich Individuen aneinander und überwachsen als kompakte Schicht die Flusssohle oder den Seeboden. Als Filtrierer konkurrieren sie mit einheimischen Muscheln und anderen Wirbellosen um Nahrung. Ähnlich ist die Situation bei der Körbchenmuschel (Corbicula fluminea). Diese ursprünglich aus Asien stammende invasive Art wurde 1995 zum ersten Mal in der Schweiz im Rhein bei Basel registriert (Abb. 4). Seither breitet sie sich kontinuierlich flussaufwärts aus (Schmidlin und Baur 2007). Bei Sisseln (AG), 30 Kilometer oberhalb von Basel, konnten 2006 Dichten von bis zu 10 000 Individuen pro Quadratmeter ermittelt werden; dies entspricht einem Lebendgewicht von 35 Kilogramm pro Quadratmeter (Mürle et al. 2008). Die Zebramuschel wird von verschiedenen

338 Wandel der Biodiversität in der Schweiz Entenarten und einigen Fischarten gefressen. Bei der Körbchenmuschel mit der viel dickeren Schale sind bisher keine Frassfeinde bekannt. Bei den gebietsfremden Fischen führt oftmals Nahrungskonkurrenz zu einer Verdrängung einheimischer Arten. Nordamerikanische Bachsaiblinge (Salvelinus fontinalis) und Regenbogenforellen können, wenn sie in grosser Zahl freigelassen werden, auf diese Weise die einheimische Bachforelle verdrängen. Die Rostgans (Abb. 7) belegt unter anderem Nistkästen von Schleiereulen (Tyto alba), Turmfalken (Falco tinnunculus) und Waldkäuzen (Strix aluco), so dass die eigentlichen Zielarten dieser Nisthilfen von den konkurrenzstarken Rostgänsen aus ihrem angestammten Revier verdrängt werden können (Kestenholz et al. 2005). Bei vielen invasiven Neozoen ist noch unklar, wie sie die einheimischen Organismen verdrängen. Das gilt beispielsweise für die Spanische Wegschnecke (Arion lusitanicus), die mit Gemüsetransporten in den 1950er Jahren nach Mitteleuropa gelangte und sich in der Agrar- und Kulturlandschaft schnell ausbreitete. Parallel zur Zunahme dieser invasiven Art wurde die einheimische Rote Wegschnecke (Arion rufus) zurückgedrängt. Es wird angenommen, dass Arion lusitanicus direkt auf Arion rufus einwirkt, etwa durch überlegene Konkurrenzstärke in Ruhe- und Schutzplätzen und durch Eiprädation. Denkbar ist ferner, dass die robuste invasive Art einen Krankheitserreger auf die einheimische Art überträgt, die darauf deutlich empfindlicher reagiert. Ein besonders gravierender Fall liegt bei der Argentinischen Ameise Linepithema humile vor, die durch den Menschen unabsichtlich in kurzer Zeit über fast alle Kontinente verbreitet wurde. Diese Art ernährt sich räuberisch, frisst Aas und nutzt Nektarquellen. Einheimischen Ameisenarten und Blütenbesuchern wird durch die übermächtige Konkurrenz der immer sehr zahlreich auftretenden invasiven Ameisen die Nahrungsgrundlage entzogen. Daneben wirkt sich die Argentinische Ameise auch direkt räuberisch auf andere Ameisenarten aus, deren Kolonien dadurch kleiner werden und schliesslich sterben. Die Diversität einheimischer Ameisenarten kann dadurch stark abnehmen (Human und Gordon 1995). Prädation Wenn es sich bei den invasiven Arten um Prädatoren handelt, ist ihr Einfluss auf die einheimische Biodiversität offensichtlich: Durch Wegfressen wird die Individuenzahl der Beuteart dezimiert. Der Prädationseffekt ist aber gering, wenn die Dichte der Beute hoch oder diejenige der Räuber niedrig ist. Dies bedeutet, dass Räuber ihre Beute nur selten ausrotten. Ausnahmen gibt es, wenn die Räuberdichte ein hohes Niveau erreicht hat, die Beutetierpopulation ohnehin schon geschwächt ist oder wenn es sich um ein geschlossenes System handelt. Jede kleine (Beutetier-) Population ist zudem einem erhöhten Aussterberisiko durch zufällige Umweltschwankungen und demografische Prozesse ausgesetzt. Unerwartet gross ist der Prädatoreffekt beim Asiatischen Marienkäfer (Harmonia axyridis), der ursprünglich zur Blattlauskontrolle aus China via Nordamerika nach Europa gebracht wurde. Der äusserst gefrässige Asiatische Marienkäfer breitet sich seit 2001 in Europa und seit 2004 auch in der Schweiz aus (Abb. 8; Brown et al. 2007). Er frisst nicht nur die Individuen vieler Blattlausarten, sondern auch

Invasive Arten 339 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2007 Abb. 8: Die Ausbreitung des Asiatischen Marienkäfers (Harmonia axyridis) in Westeuropa von 2000 bis 2007, kombiniert nach verschiedenen Quellen. Alle 3 Individuen im Foto sind Asiatische Marienkäfer, das heisst diese Art ist extrem variabel. Die Tiere fressen auch an Beeren und Früchten, sind also auch in ihrer Ernährung sehr variabel (Foto: Angelos Katsanis).

340 Wandel der Biodiversität in der Schweiz andere weichhäutige Insekten und vor allem andere Marienkäferarten. Die gezielte Prädation auf Eier und juvenile einheimische Marienkäfer lässt diese seltener werden, sobald Harmonia axyridis in ihrem Lebensraum vorkommt. Da diese Invasion erst vor wenigen Jahren begonnen hat, ist es schwierig abzuschätzen, wie artenreich die Marienkäfergemeinschaft in einigen Jahren noch sein wird. Es ist zu befürchten, dass viele einheimische Arten seltener werden oder lokal aussterben (Snyder et al. 2004). Von unspezialisierten Prädatoren wie Marderhund und Waschbär, die ein breites Nahrungsspektrum von Kleinsäugern, Vögeln, Amphibien, Fischen, Schnecken, Würmern und anderen Wirbellosen haben, wurde ursprünglich ein eher geringer Einfluss auf die Beutetiere angenommen. Diese Einschätzung musste aber durch genauere Untersuchungen revidiert werden. In Gebieten, in denen diese nicht-einheimischen Räuber vorkommen, sanken die Dichte der Singvögel und ihr Bruterfolg (Kauhala 1996). Die Amphibiendichte nahm ebenfalls ab. Da Amphibien derzeit unter unterschiedlichen Umwelteinflüssen stark leiden (u. a. einer tödlichen Pilzerkrankung, zunehmender Fragmentierung der Landschaft, Klimaerwärmung, Umweltverschmutzung), dürften bestimmte Amphibienarten durch den von nicht-einheimischen Grosssäugern ausgehenden zusätzlichen Räuberdruck lokal weiter dezimiert werden. In geschlossenen Systemen wie in Teichen und Fliessgewässern wirken sich invasive Prädatoren generell viel stärker aus als in offenen terrestrischen Lebensräumen. Der grosse Höckerflohkrebs (Dikerogammarus villosus) war ursprünglich auf den Bereich des Schwarzen Meeres begrenzt, gelangte dann aber über den 1992 eröffneten Rhein-Main-Donaukanal in das Rheinsystem und 2000 in die Schweiz, wo er inzwischen einige Fliessgewässer und Seen in hoher Dichte besiedelt. Dikerogammarus villosus ist ein sehr effektiver Fressfeind einheimischer Flohkrebsarten (und möglicherweise von Eiern der Süsswasserschnecken), die unter diesem Prädationsdruck zuerst selten werden und dann lokal aussterben. Durch das aggressive Fressverhalten und seine polyphage Ernährung wirkt sich der grosse Höckerflohkrebs auf viele Arten negativ aus, so dass die Biodiversität überall abnimmt, wo er zahlreich wird (Rey et al. 2005). Eine vergleichbare Situation ergibt sich durch Goldfische und andere gebietsfremde Fischarten sowie durch die nordamerikanische Rotwangenschildkröte. Als polyphage Prädatoren, die manchmal in hoher Dichte ausgesetzt werden oder sich schnell vermehren können, üben sie einen grossen Frassdruck in ihrem Lebensraum aus. Pathogene und Parasiten Drastische Auswirkungen auf vorhandene Arten treten auf, wenn hochspezifische Krankheitserreger oder Parasiten eingeschleppt werden und diese eine einheimische Art gezielt befallen. In extremen Fällen kann dies zum Aussterben der infizierten Art führen. Zu Beginn des 20. Jahrhundert wurde eine Schlauchpilzart (Ophiostoma ulmi), welche Ulmen zum Absterben bringt, mit infiziertem Stammholz aus Ostasien unabsichtlich nach Holland gebracht (Desprez-Lousteau 2006). Der Pilz verbreitete sich schnell über ganz Europa. In den 1960er Jahren wurde ein zweiter Schlauchpilz (Ophiostoma novo-ulmi) aus Nordamerika einge-

Invasive Arten 341 führt. Beide Arten sind nun in der ganzen Schweiz verbreitet. Die Pilze werden durch (einheimische) Ulmensplintkäfer (Scolytus sp.) verbreitet. Je nach Region sterben bis zu 70 Prozent der befallenen Ulmen. Bergulmen (Ulmus glabra) erweisen sich als besonders empfindlich gegenüber diesen Pilzen. Es ist nicht auszuschliessen, dass die Bergulme grossflächig in Europa aussterben wird (Peterken und Mountford 1998). Ein eingeschleppter Krankheitserreger hat auch zum massiven Rückgang der drei einheimischen Arten von Flusskrebsen beigetragen (Stucki und Zaugg 2005). Neben der Zerstörung und Verarmung des Lebensraumes sind Konkurrenz durch vier eingeführte Krebsarten und vor allem der Pilz Aphanomyces astaci, der Erreger der Krebspest, für die starke Abnahme der Bestände verantwortlich. Die Pilzkrankheit ist zusammen mit den amerikanischen Krebsen über den Atlantik gekommen. Amerikas Krebsfauna lebt seit Urzeiten mit dem Erreger dieser Krankheit. Die Tiere werden zwar von ihm befallen und können ihn übertragen, sind aber gegen die Krankheit weitgehend resistent geworden. Nicht so die einheimischen Krebsarten: Die Krebspest hat ganze Populationen ausgerottet. Der europäische Edelkrebs Astacus astacus ist inzwischen in vielen Gewässern ausgestorben. Das aus Nordamerika stammende Grauhörnchen (Sciurus carolinensis) ist ebenfalls Träger eines Krankheitserregers, der das Europäische Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) befällt. Das Grauhörnchen wurde 1872 aus Nordamerika in England und 1948 in Norditalien ausgesetzt (Bertolino und Genovesi 2003). Es verbreitete sich über grosse Teile der Britischen Insel und führte dort zum Rückgang des Europäischen Eichhörnchens (Sciurus vulgaris). Lange Zeit wurde angenommen, dass das aggressivere Verhalten der invasiven Art und Nahrungskonkurrenz für das Verschwinden der einheimischen Art aus den Laubwäldern verantwortlich seien. Neue Erkenntnisse zeigen, dass das Grauhörnchen ein Virus mit sich trägt, gegen das es immun ist. Werden hingegen Europäische Eichhörnchen mit dem Virus infiziert, sterben sie (Sainsbury et al. 2000). Derzeit wiederholt sich das englische Drama in Norditalien. Die illegal ausgesetzten Grauhörnchen vermehren sich schnell, breiten sich stark aus und werden in wenigen Jahren die Schweiz erreichen. Es ist zu vermuten, dass auch im kontinentalen Europa das einheimische Eichhörnchen lokal aussterben wird. Hybridisierung Wenn eine invasive Art sehr nahe mit einheimischen Arten verwandt ist, kann es zur Hybridisierung kommen. Sind die Hybride steril, hat dies genetisch keine weiteren Konsequenzen. Der Reproduktionsaufwand für die Elterntiere war allerdings vergeblich. Sind die Hybride dagegen fertil, kann sich eine Mischpopulation entwickeln, die je nach Situation genetisch näher an der nicht-einheimischen invasiven oder an der einheimischen Art sein kann. Je nach beteiligten Arten kann hierbei langfristig eine der beiden Arten in der anderen aufgehen. Ein bekanntes Beispiel betrifft die europäische Wildkatze, die in vielen Regionen, in denen sie noch oder wieder vorkommt, mit verwilderten Hauskatzen hybridisiert und dabei ihre Arteigenständigkeit verliert (Hubbard et al. 1992, Hertwig et al. 2009).

342 Wandel der Biodiversität in der Schweiz Ähnliches gilt für die amerikanische Schwarzkopf-Ruderente (Oxyura jamaicensis), die 1948 als Ziervogel in Europa eingeführt wurde. 1953 entwichen erste Tiere aus Vogelparks in England. Der Bestandeszuwachs in der Wildnis war beträchtlich: Im Jahr 2000 wurden bereits 5000 Individuen gezählt (Hughes 2006). In der Folge breitete sich die Art auf Kontinentaleuropa aus. Die Schwarzkopf-Ruderente konkurriert und hybridisiert mit der nahe verwandten europäischen Weisskopf- Ruderente (Oxyura leucocephala). Eine Hybridisierung wird als grösste Gefahr für das Weiterbestehen der in Spanien vorkommenden Restpopulationen dieser global gefährdeten Art betrachtet, und es ist derzeit nicht absehbar, ob die Weisskopf- Ruderente in Europa überleben kann. Die Schweiz hat sich in mehreren internationalen Abkommen zu Massnahmen gegen das Aufkommen der Schwarzkopf- Ruderente verpflichtet. Im Unterschied zu Tieren ist bei Pflanzen die Hybridisierung weit verbreitet und kann zur Entstehung einer neuen Art führen. Solche Hybride zwischen eingeführten und einheimischen, aber auch zwischen zwei eingeführten Arten, können neue Kombinationen von Eigenschaften aufweisen, die sie besonders konkurrenzfähig machen und eine schnellere Ausbreitung erlauben. So ist der Staudenknöterich Reynoutria x bohemica ein Hybrid aus R. sachalinensis und R. japonica, der erst in Europa entstand und besonders bekämpfungsresistent ist. 10.5 Grosser Handlungsbedarf Die Anzahl Neobioten und invasiver Arten hat in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich dieser Trend in absehbarer Zeit ändern wird. Die Bedrohung der einheimischen Biodiversität durch invasive Arten wird deshalb weiter zunehmen. Neobioten können zwar die Zahl der in der gesamten Schweiz erfassten Arten erhöhen; in den betroffenen Lebensräumen bewirken sie jedoch in den meisten Fällen eine Abnahme der einheimischen Biodiversität. In dieser Situation ist es äusserst wichtig, invasive Arten vermehrt wissenschaftlich zu untersuchen, ein gezieltes Management dieser Arten und Lösungen zu ihrer Eindämmung zu forcieren, Gesetzgebung und Administration den Anforderungen anzupassen und vermehrt Aufklärungsarbeit gegenüber der Öffentlichkeit zu leisten. Kenntnisstand erhöhen Invasive Arten werden erst seit wenigen Jahrzehnten wissenschaftlich untersucht. Die zentrale Frage, warum eine Art invasiv wird, kann immer noch nicht im Detail beantwortet werden. Von den meisten invasiven nicht-einheimischen Arten sind die verschiedenen Auswirkungen auf einzelne einheimische Arten, Lebensgemeinschaften und Ökosysteme kaum bekannt. Auch sollten die Kenntnisse über Invasionswege, die Ausbreitungsfähigkeit von Arten und die Empfindlichkeit von Ökosystemen verbessert werden. Das Vorkommen und die Verbreitung nichteinheimischer invasiver Arten wird auch von Landnutzungsänderungen, gross-

Invasive Arten 343 räumigen Veränderungen von Stoffflüssen und von der schnell voranschreitenden Klimaveränderung begünstigt. Diese dynamischen Aspekte gilt es beim Ausarbeiten von Managementplänen zu berücksichtigen. Letztlich müssen sinnvolle und wirksame Managementpläne und jegliche Art technischer Lösungen zur Kontrolle invasiver Arten auf wissenschaftlichen Fakten beruhen, die auch eine Prioritätensetzung von Massnahmen ermöglichen. Zusätzliche Massnahmen ergreifen Das Vermeiden der Einschleppung und Verbreitung nicht-einheimischer Arten sollte höchste Priorität haben. Der Prävention wurde bisher aber noch zu wenig Beachtung geschenkt. So konnte beispielsweise der Staudenknöterich im Sommer 2009 noch in einigen Gartencentern (Abb. 9) gekauft werden, obwohl diese invasive Art sowohl auf der Schwarzen Liste wie auch im Anhang 2 der Freisetzungsverordnung der in der Schweiz verbotenen gebietsfremden Arten aufgeführt ist (Tab. 4). Beginnt eine nicht-einheimische invasive Art sich erst einmal zu etablieren, sollten die bestehenden Populationen frühzeitig entfernt werden. Das Potenzial ist viel grösser, als allgemein angenommen wird. Eine derartige Einzelmassnahme muss jedoch in ein Bündel weiterer Massnahmen eingebettet sein. Hierzu gehört eine verstärkte Kontrolle von Invasionswegen, der Aufbau eines Frühwarnsystems und der Ausbau von Schwarzen Listen und Warnlisten. Abb. 9: Gartencenter sind voll mit potenziellen Neophyten. Obwohl der Staudenknöterich nicht mehr verkauft werden darf, wurde er im Sommer 2009 noch in einigen Gärtnereien angeboten (Foto: RDB/Anton J. Geisser).

344 Wandel der Biodiversität in der Schweiz Technisches Wissen erarbeiten Massnahmen zur gezielten Bekämpfung von nicht-einheimischen invasiven Arten, Managementpläne für Arten, die nicht mehr beseitigt werden können, und Kontrollmassnahmen, welche den Import neuer Arten verhindern, benötigen in grossem Umfang technisches Wissen. Wie können Container auf unerwünscht mitreisende Arten überprüft werden und wie kann ein passives Verfrachten verhindert werden? Wie lässt sich der Reinheitsgrad bei Saatgut erhöhen? Wie kann ein Schädlings- oder Parasitenbefall bei eingeführten Pflanzen oder Nutztieren verhindert werden? National können diese grossen Herausforderungen kaum bewältigt werden. Da aber alle anderen Staaten die gleichen oder sehr ähnliche Probleme haben, ist eine verstärkte internationale Zusammenarbeit unverzichtbar. Umsetzung der gesetzlichen Forderungen Auf Gesetzesebene gibt es verschiedene internationale Abkommen zum Umgang mit Neobioten und invasiven Arten, welche von der Schweiz unterzeichnet wurden. Die Berner Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag des Europarates über den Schutz einheimischer Arten und Lebensräume aus dem Jahr 1979, der für die Schweiz seit 1982 in Kraft ist. Die spätere Biodiversitätskonvention, die anlässlich der Umweltkonferenz der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro ausgehandelt wurde, ist für die Schweiz seit 1994 völkerrechtlich bindend. Der viel zitierte Artikel 8h dieser Konvention verpflichtet explizit zum Management invasiver Arten: «Jede Vertragspartei wird, soweit möglich und sofern angebracht, die Einbringung nichtheimischer Arten, welche Ökosysteme, Lebensräume oder Arten gefährden, verhindern, diese Arten kontrollieren oder beseitigen». Das Welthandelsabkommen WTO und die Zusammenarbeit mit der «European and Mediterranean Plant Protection Organisation» verpflichten zum Einhalten bestimmter phytosanitärer Massnahmen, um die Ausbreitung von Pflanzenschädlingen zu verhindern. Die Umsetzung dieser Verbindlichkeiten auf Grund von höherem Recht in eine nationale Gesetzgebung in der Schweiz ist, wie vermutlich in den meisten Staaten Europas, noch nicht befriedigend geregelt. Zwar gibt es eine Fülle von punktuellen Regelungen etwa im Umweltschutzgesetz, im Natur- und Heimatschutzgesetz, in der Jagd- und in der Fischerei-Verordnung, in der Futtermittel-Verordnung und in der Pflanzenschutz-Verordnung. Besonders erwähnenswert ist die revidierte Freisetzungs-Verordnung (in Kraft seit 1. Oktober 2008), da sie erstmalig eine umfassende Regelung zu invasiven Arten vorlegt. Sie verbietet den Umgang mit invasiven Arten in der Umwelt (Art. 15.2), verpflichtet den Bund zum Aufbau eines Monitoringsystems (Art. 51.1) und legt eine Liste mit invasiven Arten vor, die weder verkauft noch weiter verbreitet werden dürfen (Tab. 4). Die Idee dahinter ist, dass diese «verbotenen» Arten (bisher erst elf Pflanzenarten und drei Tierarten) sofern sie Probleme verursachen bekämpft werden. Da es sich aber in all diesen Fällen um äusserst invasive Arten handelt und bereits seit langem ein Vollzugsdefizit herrscht, bleibt abzuwarten, ob die Freisetzungsverordnung die in sie

Invasive Arten 345 gesetzten Hoffnungen erfüllt. Auch muss sich erst zeigen, wie die bescheidene Liste von vierzehn invasiven Arten verwaltungstechnisch an die Schweizer Realität von deutlich mehr Problemarten angepasst wird. Generell herrscht in der Schweiz auf Gesetzes- und Verwaltungsebene ein grosses Massnahmendefizit. Wenig förderlich ist die Tatsache, dass die Kompetenzen im Umgang mit invasiven Arten generell auf die Kantons- und Gemeindeebene delegiert und auf viele Institutionen verteilt sind und sich eine grosse Zahl von Gesetzen und Verordnungen auf zum Teil widersprüchliche Weise mit nichteinheimischen und invasiven Arten befasst. Es ist eine prioritäre Aufgabe, die unumgänglichen Massnahmen in der Schweiz in die Wege zu leiten und umzusetzen sowie die erforderliche Zusammenarbeit mit dem Ausland zu etablieren. Tab. 4: Gebietsfremde Organismen, mit denen in der Schweiz «nicht direkt umgegangen werden darf», die also nicht gehandelt oder ausgesetzt werden dürfen. Quelle: Anhang 2 der Freisetzungsverordnung vom 1. Oktober 2008. Reynoutria spp. Asiatischer Staudenknöterich inkl. Hybride Renouées asiatiques, hybrides incl. Rhus typhina Essigbaum Sumac Senecio inaequidens Schmalblättriges Greiskraut Séneçon du Cap Solidago canadensis, S. gigantea, S. nemoralis Tiere Amerikanische Goldruten inkl. Hybride Solidages américains, hybrides incl. Wissenschaftlicher Name Deutscher Name Französischer Name Pflanzen Ambrosia artemisiifolia Aufrechte Ambrosie Ambroisie élevée Crassula helmsii Nadelkraut Orpin de Helms Elodea nuttalli Nuttalls Wasserpest Elodée de Nuttall Heracleum mantegazzianum Riesen-Bärenklau Berce du Caucase, Hydrocotyle ranunculoides Grosser Wassernabel Hydrocotyle fausserenoncule Impatiens glandulifera Drüsiges Springkraut Impatiente glanduleuse Ludwigia grandiflora, L. peploides Südamerikanische Heusenkräuter Jussies sudaméricaines Harmonia axyridis Asiatischer Marienkäfer Coccinelle asiatique Trachemys scripta elegans Rotwangen-Schmuckschildkröte Tortue de Floride Rana catesbeiana Amerikanischer Ochsenfrosch Grenouille taureau