DISPOSITION ZU DEN LEHRVERANSTALTUNGEN VOM 21. UND 28. MAI 2015 1. Blick zurück (und nach vorn) Ein klassisches Problem von Publikumsgesellschaften: der principal/agent-konflikt (Berle Means, 1932). Kritik an übersetzten Salären an der Unternehmensspitze von Publikumsgesellschaften seit der Jahrtausendwende. Erste Antwort: Transparenz. 2002 Selbstregulierung: Richtlinie der Schweizer Börse SWX. Seit 1.1.2007 Gesetzgebung: OR 663b. Februar 2008: Einreichung der Volksinitiative "gegen die Abzockerei" (Initiative Minder). Ende 2008: Zusatzbotschaft des Bundesrates zur Aktienrechtsreform (massive Verschärfung der Vorschläge betreffend Salärfragen). Hektische Aktivität im Parlament und dessen Kommissionen (einschliesslich "Bonussteuer"), schliesslich am 16.3.2012 Einigung auf indirekten Gegenvorschlag (235 gegen 1 Stimme!). 3.3.2013: Annahme der Initiative Minder mit allen Ständestimmen und überwältigendem Volksmehr. Vorläufige Umsetzung auf Verordnungsstufe in der VegüV vom 20.11.2013, in Kraft seit 1.1.2014. 2018 oder später: Ablösung der VegüV durch formelles Gesetzesrecht (Aktienrecht, Strafrecht). 2. Konzept der Volksinitiative "gegen die Abzockerei" Die Proportionen: Regelung nur für börsenkotierte Aktiengesellschaften (0,12 aller Aktiengesellschaften). Regelung nur für die Saläre an der Unternehmensspitze (15-30 Personen). Gemessen am Reingewinn von SMI-Gesellschaften geringer Betrag. 9330195v1
Gesellschaftspolitische und nicht aktienrechtliche Fragen. Keine staatlichen Vorschriften betreffend maximale Saläre (Unterschied zur 1:12- Initiative und zur Mindestlohninitiative). Beschränkung auf kotierte Gesellschaften. Beschränkung auf die Unternehmensspitze (Verwaltungsrat, Geschäftsleitung, evtl. Beirat) "Alle Macht den Aktionären". (Welchen Aktionären?). Verwaltungsrat soll an die Kandare genommen werden. Viel zwingendes Recht (das strikteste Aktienrecht der Welt?). Konkrete Detailvorschriften auf Verfassungsstufe. Inhalt: Arbeitsvertraglich relevante Vorschriften, insb. zu Fragen der Kompensation in einem weiten Sinn. Strafbestimmungen. Ferner (zur Belebung der "Aktionärsdemokratie": Stimmpflicht der Pensionskassen, institutionelle Stellvertretung nur durch den unabhängigen Stimmrechtsvertreter) 3. Umsetzung in der VegüV Umsetzung nahe am Verfassungstext. Konkretisierung des absolut und des relativ notwendigen Statuteninhalts. Regelung für den Fall von Neueintritten in die Geschäftsleitung. Detaillierte Regelung des Vergütungsberichts. Zurückhaltung bei den Strafbestimmungen. (Die folgenden Themen sollen in der Lehrveranstaltung mit Berücksichtigung der Texte der Verordnung und ihrer Umsetzung in Statuten und Arbeitsverträgen erarbeitet werden). 2
4. Abstimmung über die Saläre Zwingend: Jährliche Abstimmungen. Zwingend: Gesamtsummen, getrennt für Verwaltungsrat, Geschäftsleitung (und Beirat). Prospektiv sog. "Budgetlösung" (falscher Begriff), retrospektiv, gemischt? Eine Pauschalsumme oder getrennt für fixen und variablen Teil? Die zwei in der Praxis vorherrschenden Konzepte: Prospektiv (Fixum und kurzfristige variable Teile) und retrospektiv (long term incentives). Ausschliesslich prospektiv, verbunden mit konsultativer Abstimmung über den Vergütungsbericht. Vor- und Nachteile? NB: Keine rein retrospektiven Abstimmungen. Die massgebenden Perioden (unterschiedliche Behandlung von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung)? Wie ist eine Reduktion der Pauschalsumme durch die Aktionäre umzusetzen? Was ist "Entschädigung"? (Pauschalspesen? Aktien, die zum Steuerkurs angerechnet werden?) Mögliches Vorgehen bei Nichtgenehmigung? Nichtgenehmigung als wichtiger Grund für die fristlose Kündigung? (Die Angst der grossen angloamerikanischen Investoren) 5. Exkurs: Die Bedeutung variabler Lohnbestandteile Unterschiede nach Branchen. Unterschied zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung. Problematik des Wortes "Bonus". 3
6. Frist der Arbeitsverträge 7. Statutarische Regelung der Grundsätze der Vergütung 8. Verbot von Abgangsentschädigungen 9. Verbot von Vergütungen im Voraus 10. Verbot von Prämien für Firmenkäufe und -verkäufe 11. Zusätzliche Berater- oder Arbeitsverträge mit anderen Gruppengesellschaften 12. Kredite, Darlehen, Renten nur mit statutarischer Basis 13. Erfolgs- und Beteiligungspläne nur mit statutarischer Basis 14. Maximale Zahl von Mandaten ausserhalb des Konzerns Differenzierung je nach Art (kotierte/nicht kotierte Gesellschaften)? Können mehrere Mandate innerhalb eines anderen Konzerns als ein Mandat gezählt werden? Ausklammern von unentgeltlichen Mandaten? Sinn dieser Norm? Wirksamkeit? 4
15. Dauer der Arbeitsverträge der Geschäftsleitung (und der Mandatsverträge der Verwaltungsratsmitglieder). 16. Bedeutung des Vergütungsausschusses 17. Bedeutung des Vergütungsberichts 18. Verbot des Depotstimmrechts der Banken und der Organvertretung 19. Stimmpflicht der Pensionskassen 20. Strafbestimmungen 21. Ein Blick in die Kristallkugel Umsetzung auf Gesetzesebene (im Rahmen der Aktienrechtsreform). Positionen der interessierten Kreise: Statuts quo/nachbessern/aufpacken zusätzlicher Themen. Staatliche Lohnvorschriften? (Erfahrungen mit den Abstimmungen zur 1.12 Initiative und zur Minimallohninitiative). 22. Arbeitsrechtliche Einzelfragen OR 319 "Arbeit gegen Lohn". Was, wenn der Lohn nicht bestimmbar ist (weil erst retrospektiv von GV autorisiert) oder wenn ein zugesagter Lohn nicht ausbezahlt werden kann (weil Ablehnung durch GV)? OR 339b und in ausländischer Rechtsordnung gesetzlich vorgeschriebene Abgangsentschädigungen? OR 322b, Provisionen. 5
OR 337: Nichtgenehmigung der Saläre als wichtiger Kündigungsgrund? 23. Die ersten Erfahrungen: Erwartetes und Unerwartetes Worum ging es in der Abstimmung vom 3.3.2013? Um Aktienrecht? Die Ernüchterung: Die Vergütungen sind insgesamt nicht gesunken. Immerhin: Kaum mehr Ausreisser. Sensibilisierung der Verantwortlichen. Verschiebung des Schwergewichts der Verwaltungsratsarbeit. Zunahme der Formalitäten auf Kosten des Gehalts in der Generalversammlung. Kompetenzverschiebung vom Schweizer Verwaltungsrat auf ausländische Investoren. Neue Macht der Stimmrechtsvertreter und Proxy Advisors. Deren Willensbildung und Legitimation? Der unabhängige Stimmrechtsvertreter als zentrale Figur in der Generalversammlung. Wer kontrolliert ihn? Positive oder negative Auswirkungen auf die Zuwanderung/den Verblieb ausländischer Unternehmen? Tendenz zur Dekotierung? 24. Würdigung und Kritik Nochmals: Ein aktienrechtliches Problem? Ist die Höhe der Saläre das für die Aktionäre Entscheidende? Wenn nein, was sonst? Ein Problem nur der Publikumsgesellschaften? Spitzensaläre nur an der Unternehmensspitze? Unterschiedliche Interessenlage von Managern und von Eigentümer-Unternehmern? Was ist das Ziel variabler Vergütungen? Belohnung von Leistung/Setzen von Anreizen/Schicksalsgemeinschaft mit den Aktionären? Unterschiedliche Position von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung? Stufengerechtigkeit? 6
Einzelheiten in der Verfassung statt auf Verordnungsebene? Einzelheiten in den Statuten statt auf Reglementsebene? Beilagen Text der Volksinitiative "gegen die Abzockerei" Text der VegüV Aufsatz zur VegüV in Schweiz.Treuhänder 2014 Zeitplan für die Umsetzung der VegüV Beispiele für die Umsetzung in den Statuten (Swiss Re und Mikron) Artikel aus NZZ vom 25.03.2015 Vgl. sodann Muster eines Vergütungsberichts, PDF): http://www.ubs.com/global/de/about_ubs/investor_relations/annualreporting/2014.html 7