Wirtschaftswachstum dank Sklavenhandel? Die Rolle Schweizer Akteure im transatlantischen Dreieckshandel im 17. - 19. Jahrhundert



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Transkript:

Wirtschaftswachstum dank Sklavenhandel? Die Rolle Schweizer Akteure im transatlantischen Dreieckshandel im 17. - 19. Jahrhundert Die Schweiz - damals noch die Helvetische Konföderation - war keine Sklavenhandelsnation. Doch sie war vollständig in das weitreichende europäische Netz an Finanz- und Handelsbeziehungen integriert. Namhafte schweizerische Firmen aus verschiedenen Kantonen haben sich am Geschäft mit dem Sklaven- und Warenhandel beteiligt und haben davon profitiert. Der Menschen-Handel im 17. - 19. Jahrhundert war für die Kaufmänner und Investoren eine rein geschäftliche Entscheidung. Häufig traten sie als Wohltäter in der Heimat auf und förderten die Entwicklung ihrer Herkunftsstädte und Regionen.

I. Inhalt-Globalisierung I. Dreieckshandel - Beginn der Globalisierung 3 II. Indiennes - Tauschwaren gegen Sklaven 6 III. Textilproduktion und finanzielle Beteiligung an Sklavenschiffen 8 IV. Schweizer und die Sklavereiwirtschaft in Übersee 12 V. Schweizer im "Carolina-Fieber", USA 18 VI. Schweizer Händler und Plantagenbesitzer in Brasilien 20

I. Dreieckshandel - Beginn der Globalisierung Stoffe von Europa nach Afrika, umgetauscht in Sklavinnen und Sklaven für Amerika und die Karibik, dort für Rohstoffe wie Zucker und Baumwolle verkauft mit Profit für Europa! Der Sklavenhandel war ein Dreiecksgeschäft im grossen Stil. Abgeschafft wurde er dank engagierten Sklaverei-Gegnern und weil er nicht mehr rentierte. Unfairer Handel Der transatlantische Sklavenhandel war ein so genannter Dreieckshandel: Die Sklavenhändler aus Europa tauschten an der afrikanischen Küste europäische Manufakturwaren wie Textilien, Werkzeuge, Feuerwaffen, Metall- und Glaswaren sowie Schnaps und Wein gegen Sklavinnen und Sklaven ein. Diese wurden auf Sklavenschiffen nach Amerika transportiert, wo sie auf Zuckerrohr-, Baumwoll-, Kaffee-, Kakao- und Tabakplantagen sowie in Bergwerken arbeiten mussten. Die Händler kauften dann die Produkte und Rohstoffe dieser Plantagen und Minen und verkauften sie in Europa mit Profit weiter. Ein Sklave, den man in Afrika für Tauschartikel im Wert von fünf Gulden erwerben konnte, brachte in Amerika das Zehnfache in Zucker ein, der in Europa wiederum für ein Vielfaches verkauft werden konnte! Zucker war in Europa im 16. und 17. Jahrhundert ein teures Luxusprodukt. Mit dem Dreieckshandel und mit dem Handel mit Asien nahm die Globalisierung der Wirtschaft ihren Anfang. Das handelspolitische Interesse der europäischen Staaten zielte allein darauf ab, möglichst grossen Nutzen aus ihren Kolonien und Handelsstützpunkten zu ziehen. Diese Handelsbeziehungen waren von Beginn weg einseitig ausgerichtet, die Kolonien waren Ausbeutungsobjekte und niemals gleichgestellte Handelspartner. Dieser Handelskreislauf beeinflusste die wirtschaftliche Entwicklung der drei Kontinente. In Europa wurden im 18. Jahrhundert die Produktion in der Textilindustrie angekurbelt; die Schiffsindustrie, besonders in Grossbritannien und in der Niederlande, blühte auf. Die steigende Nachfrage der afrikanischen Herrscher nach europäischen Fertigwaren, insbesondere Kleidern, zwang sie dazu, den Europäern ein interessantes Tauschgeschäft anbieten zu können. Im Gegensatz zu den Fürsten Asiens verfügten sie kaum über Produkte und Rohstoffe, die für die Europäer von Interesse waren. Die afrikanischen Herrscher verlegten sich auf den Handel mit "menschlicher Ware", den Sklavinnen und Sklaven. So waren in Afrika bald unzählige Einheimische mit dem Einfangen von Menschen beschäftigt, und es geschah oft, dass Herrscher, die Sklavenhandel betrieben, selbst gefangen genommen und als Sklaven verkauft wurden. 3

Der Sklavenhandel brachte den afrikanischen Zwischenhändlern Profite und stabilisierte einige Militärstaaten, erschütterte aber die Demographie und Ökonomie Westund Äquatorialafrikas tief und auf lange Dauer. In grossen Teilen Westafrikas hingen mit der Zeit Teile des Produktionssystems von der Sklaverei ab, politische und soziale Institutionen waren oft eng mit ihr verknüpft. Alternativen zum Sklavenhandel wurden bis weit ins 19. Jahrhundert nie in Betracht gezogen. Die Abschaffung der Sklaverei durch die Europäer und somit der Verlust des wichtigsten Wirtschaftszweigs der afrikanischen Elite stürzte den Kontinent in ökonomische und gesellschaftspolitische Desorientierung. Abnehmende Gewinne Im Gegensatz zu Afrika machte der Handel mit Sklavinnen und Sklaven und Kolonialwaren in Europa nie den größten Teil der Handelsgeschäfte aus. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verlor er zunehmend an Bedeutung. In Grossbritannien mehrten sich kritische Stimmen, welche den volkswirtschaftlichen Nutzen der Sklaverei anzweifelten, so beispielsweise der Begründer der klassischen liberalen Ökonomie, Adam Smith, obwohl Privatpersonen immer noch Gewinne damit machten. Sie fürchteten die Konkurrenz der billigen Arbeitskräfte in den Kolonien, welche die europäische Produktion benachteiligten. Die Entdeckung des Rübenzuckers im 19. Jahrhundert, welcher in gemässigten Breitengraden in Europa angebaut werden konnte, beschleunigte den Niedergang der tropischen Zuckerrohr-Plantagen. Die Befürworter der Abschaffung der Sklaverei, die Abolitionisten, bauten ihren Kampf auf religiösen, aufklärerischen und wirtschaftlichen Argumenten auf, sie bezeichneten die Sklavenhaltung als ineffizient und als Hindernis für den Einsatz technischer Innovationen. Grossbritannien hatte im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg 1775-83 seinen wichtigsten Kolonialbesitz in Übersee verloren, die 13 nordamerikanischen Kolonien. Von der Sklaverei in den Kolonien profitierten nun vor allem die Franzosen, die Spanier, die Portugiesen und die Holländer. Deren Kolonien in den tropischen Breitengraden waren zudem für den Anbau von in Europa gefragten landwirtschaftlichen Produkten viel fruchtbarerer. Die Briten lieferten im 18, Jahrhundert jedoch als wichtigste Seemacht neben Portugal und Frankreich nach wie vor viele Sklaven in die Kolonien anderer Länder. HANDELSKRIEG Der Sklavenhandel war ein Risikogeschäft par excellence: Auf den Schiffen kam es häufig zu Sklavenaufstände und Krankheiten und auch in Schiffbrüchen kamen die involvierten Soldaten, Matrosen, Händler und Beamten nicht selten ums Leben. In den Kolonien der Karibik - wo viele schwarze Sklaven und nur wenige Weisse lebten - kam es vor allem im 18. Jahrhundert immer wieder zu Sklavenaufständen, so in Surinam, 4

Jamaika, Haiti, Puerto Rico und Kuba. Auf diesen Inseln und in Brasilien flohen viele Sklavinnen und Sklaven in die Wildnis und bauten eigene, unabhängige Gemeinschaften auf. Der Sicherheitsaspekt auf den Schiffen und in den Kolonien wurde immer wichtiger. Die Vormachtstellung Grossbritanniens zu See wurde bis zur Seeschlacht vor Trafalgar 1805 von Frankreich in Frage gestellt, der erbitterte Handelskrieg der beiden Grossmächte trug entscheidend zum Durchbruch der Abolitionsbewegung als wirtschaftskriegerische Massnahme bei. Nach dem Verbot des Sklavenhandels für britische Staatsbürger 1807 übte Grossbritannien Druck auf andere Kolonialmächte aus, um keine Handelsnachteile zu haben. Von Grossbritannien bedrängt, beschlossen die Grossmächte Europas im Wiener Kongress 1815 das Verbot des Sklavenhandels nördlich des Äquators, überliessen es aber den einzelnen Regierungen, den Zeitpunkt der Umsetzung festzulegen. Freiheit Nach dem es untersagt war Sklaven auf unter britischen Flaggen segelnden Schiffen zu transportieren, schlossen die Briten mit einzelnen Staaten Verträge ab, um den Sklavenschmuggel auf hoher See zu verhindern. Befreite Sklaven brachten sie in Missionsstationen an die westafrikanische Küste, wo sie sich erholen konnten. Obwohl Afrikaner traditionell auf einen Gemeinschaftsverband angewiesen waren, wurde weder für ihren Schutz noch für ihre Integration oder Rückführung zu ihrem Volk gesorgt. So entstanden vagabundierende Banden, welche nicht selten wieder in die Hände von illegalen Sklavenhändlern fielen. Dieser Tragik versuchten religiöse Vereinigungen wie die britische Church Missionary Society entgegenzuwirken. Sie gründeten Kolonien und Dörfer, um fehlende Familienbande zu ersetzen und neue Gesellschaftsstrukturen zu bilden. So entstand zum Beispiel auch die Stadt Freetown, im heutigen Sierra Leone. Die meisten der ehemaligen Kolonien in Südamerika erlangten zwischen 1811 und 1822 die Unabhängigkeit, in der Karibik wurde Haiti 1804 und die Dominikanische Republik 1844 unabhängig. Bis heute jedoch kämpfen viele dieser Länder mit dem schwierigen Erbe der Kolonialzeit: Die einseitige Fixierung auf wenige landwirtschaftliche Erzeugnisse als Exportprodukte, ungeklärte Fragen einer gerechten Landaufteilung und der grosse Anteil von Nachfahren ehemaliger Sklavinnen und Sklaven in der Unterschicht sind Probleme, die vielerorts immer noch ungelöst sind. 5

II. Indiennes - Tauschwaren gegen Sklaven "Indiennes" genannte Textilien sind ursprünglich mit indisch-exotischen Motiven bedruckte leichte, aber dichte Baumwollstoffe, welche in Europa vom 17. bis zum 19. Jahrhundert produziert wurden. Im kulturell führenden Frankreich bekamen die aus Indien stammenden Stoffe - französisch "toiles indiennes" - ihren Namen. Sie wurden rasch zu begehrten Produkten für den Eintausch gegen Sklaven in Afrika. Das Bemalen von Baumwollstoffen wurde in Indien seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. entwickelt und verlangte sowohl hohe künstlerische Fertigkeiten als auch ein sehr spezialisiertes technisches Wissen im Umgang mit den verwendeten Farben. Portugiesische Kaufleute führten die Ware als Alternative zur schweren Seide oder Wolle und zum rauen Leinen in Europa im 17. Jahrhundert ein. Aufgrund von Farbenpracht und Tragkomfort entstand rasch eine grosse Nachfrage nach Indiennes, so dass sich bald eine eigene europäische Produktion entwickelte. Die erste Fabrikationsstätte eröffneten armenische Kaufleute 1640 in Marseille. England und Holland folgten in den 1670er Jahren. Textil Produktion in der Schweiz Mit der Zeit änderte sich die Herstellungstechnik, indem anstelle der individuellen Stoffmalerei auf den billigeren und schnelleren industriellen Stoffdruck Kupferplatten und später Walzen) umgestellt wurde. Diese Industrialisierung förderte die Textilproduktion in Europa und machte die immer beliebteren Indiennes nun auch für grössere Teile der Bevölkerung erschwinglich. Indiennes waren Teil eines globalisierten Handels: Indische Arbeiter stellten zuerst Massenware für den europäischen Markt her; europäisches und indisches Stoffdesign vermischten sich; europäische Produktionsmethoden fassten in Indien Fuss; Baumwolle wurde aus Asien und Amerika nach Europa zur Indienne-Herstellung transportiert. Nicht zuletzt dienten die fertig gestellten Indiennes als Tausch- und Handelsware im transatlantischen Dreieckshandel. Zu diesem Zweck wurden sie auch mit afrikanischen Motiven bedruckt. Besonders in Frankreich erfuhren die traditionellen Produzenten und Lieferanten von Stoffen und Kleidern allmählich erhebliche Geschäftseinbussen durch das neue Massenprodukt. Auf ihr Drängen hin wurden Produktion und Einfuhr von Indiennes in Frankreich von 1686 bis 1759 verboten; in Grossbritannien geschah dasselbe von 1700 bis 1774. Dies führte einerseits zu einem immensen Schmuggelhandel mit den begehrten Indiennes und bewirkte andererseits den Aufbau einer Indiennes-Wirtschaft in den Nachbarstaaten. Französische Protestanten, die Hugenotten, waren von Anfang an stark in die Indiennes-Produktion verwickelt gewesen. 6

Sie emigrierten nach Holland, Deutschland oder in die Schweiz, wo sie erheblich zum Aufschwung der Baumwollindustrie beitrugen. In der Schweiz breitete sich die Indiennes-Herstellung über Genf, Neuenburg und Basel nach Solothurn aus, bevor sie Bern, den Aargau, Zürich und Glarus erreichte. Ende des 18. Jahrhunderts arbeiteten 8'000 bis 10'000 Menschen in den schweizerischen Indiennes-Betrieben. Die grössten Manufakturen zählten mehrere Hundert Beschäftigte. Der wichtigste Absatzraum für die Indiennes waren - unter Umgehung des Einfuhrverbots - Frankreich und der Mittelmeerraum. Handelsroute Schweiz-Frankreich-Afrika 1720 gewährte die französische Regierung den Händlern von Nantes und Lorient das Privileg, Indiennes aus Grossbritannien, der Niederlande und der Schweiz, welche für den Sklaven- und Kolonialhandel bestimmt waren, zwischenzulagern. Nantes wurde damit zum führenden Sklavenhandelshafen Frankreichs. Die Indiennes machten einen Grossteil der Ladung aus, welche für den Eintausch gegen afrikanische Sklaven bestimmt war. Nach der Aufhebung des Produktionsverbots 1759 liessen sich viele der hugenottischen Indiennes-Pioniere - mittlerweile eingebürgerte Schweizer - wieder in Frankreich in der Nähe wichtiger Häfen nieder, wo sie sich weiterhin im Handel und in der Produktion von Indiennes betätigten. Die in Nantes niedergelassenen Schweizer Fabrikanten spezialisierten sich auf die Ansprüche ihres hauptsächlichen Absatzmarktes, der afrikanischen Kundschaft. Farben und Motive ihrer Indiennes waren vollständig auf deren Geschmack ausgerichtet. Entgegen der vorherrschenden Meinung war Westafrika kein Markt mit naiven Konsumenten, welche leichtfertig Menschen gegen Lappalien eingetauscht hätten. 7

III. Textilproduktion und finanzielle Beteiligung an Sklavenschiffen Die Schweiz - damals noch die Alte Eidgenossenschaft - war zwar weder eine Seefahrernation noch eine Kolonialmacht, doch sie war vollständig in das weit reichende europäische Netz an Finanz- und Handelsbeziehungen integriert. Namhafte schweizerische Firmen aus verschiedenen eidgenössischen Orten haben sich am Geschäft mit dem Sklavenhandel beteiligt und davon profitiert. Ein bedeutendes Tätigkeitsfeld von Schweizern war die Produktion und Zulieferung von Materialien, wie etwa die Indiennes -Tücher zum Eintausch gegen Sklavinnen und Sklaven in Westafrika. Ein zweites wichtiges Geschäftsfeld von Schweizern war der Einsatz von Risikokapital zur Finanzierung von Expeditionen und Schiffen. Der Dreieckshandel benötigte grosse Mengen an Geld zum Chartern und Versichern der Schiffe, zur Entlöhnung der Besatzung (angesichts der höheren Risiken auf den Sklavenschiffen mussten höhere Löhne an die Seeleute bezahlt werden) und zum Ankauf der Waren, welche nach Afrika exportiert wurden. Vom Zeitpunkt der Abfahrt eines Schiffes bis zu seiner Rückkehr mit den Kolonialwaren an Bord, mit denen der Gewinn gemacht wurde, konnten gut und gerne zwei Jahre verstreichen. Schweizer Financiers und Bankiers waren daher sehr gefragt, weil sie als Geldgeber des transatlantischen Sklavenhandels auftraten. Der Teil der Schweizer Oberschicht, welche grossen Gewinn aus diesen Geschäften zog, war untereinander auch kantonsübergreifend gut vernetzt und oft durch Heiraten miteinander verwandt. Besonders traf das auf die hugenottischen Flüchtlinge aus Frankreich zu, welche auch in der Schweiz Zuflucht suchten. Da sie oft in der Herstellung von Indiennes tätig waren, welche in Frankreich 1686 verboten war, führten sie die Textilproduktion in ihrer neuen Heimat ein. Nach Aufhebung des Produktionsverbots 1759 expandierten viele Textilhersteller und -händler, so genannte Indienneure, in die Nähe der französischen Häfen an der Atlantikküste. Familienunternehmen aus Basel, Neuenburg, Genf und der Ostschweiz siedelten sich in Nantes, Lorient, Bordeaux, Lyon, Marseille und Lissabon an. Sie betrieben Indiennes-Manufakturen, Zwischenhandel oder Kredit- und Versicherungsgeschäfte. Durch Zusammenlegung ihrer Handelsunternehmen und -netze schufen sie grenzüberschreitende Kartelle. Neuenburg Der Neuenburger David de Pury (1709-1786), der Sohn von Jean-Pierre de Pury, des Gründers von Purrysburg in den USA, machte eine Kaufmannslehre in Marseille. Dann wechselte er nach London, wo er in den frühen 1730ern im Sklavenhandel tätig war. 1736 liess er sich als Händler in Lissabon nieder, wo er das Monopol für Brasilholz erwarb. Auch sonst war er am Kolonialhandel beteiligt: Durch Finanzgeschäfte und Handel mit Diamanten aus Brasilien. Er betätigte sich als Kaufmann und als Bankier am portugiesischen Königshof. 8

. Zudem war de Pury Aktionär der 1759 gegründeten Frachtgesellschaft Pernambuco e Paraiba. Diese beteiligte sich am Handel mit schwarzen Sklaven aus den Küstengebieten Angolas in die Plantagen Brasiliens. Allein zwischen 1761 und 1786 deportierte sie mehr als 42'000 gefangene Afrikaner aus Luanda und Benguela. David de Pury wurde vom preussischen König in den Adelsstand erhoben (Neuenburg ist gleichzeitig preussisches Fürstentum und zugewandter Ort der Eidgenossenschaft). Er starb 1786 in Lissabon und vermachte einen Grossteil seines Vermögens seiner Heimatstadt Neuenburg, welche ihm dafür ein Denkmal gesetzt hat. Mit seinem Geld wurden unter anderem das Hôpital de la Ville, das Hôtel de Ville und das Collège Latin gebaut. Die Neuenburger Firma Favre, Petitpierre & Cie. wurde durch einen Zusammenschluss der zwei bedeutenden Neuenburger Indiennes-Fabrikanten Petitpierre und Favre in Nantes gegründet. Die Firma produzierte fast ausschliesslich für Sklavenschiffe und warb dafür in Lokalzeitungen. Am 3. Januar 1815 erschien im Feuille commerciale et judiciaire de Nantes folgende Anzeige: "Die Firma Favre, Petitpierre & Cie. (...) macht die Ausrüster von Sklaven- und Kolonialschiffen darauf aufmerksam, dass sie in ihren auf Hochtouren arbeitenden Werkstätten alle für den Tauschhandel mit Schwarzen benötigten Waren wie Indiennes, Liménéas und Taschentücher herstellt und liefert..." Genf und Waadt Diverse Genfer Bankiers beteiligen sich mit Ausrüstung, vor allem Textilien, und Krediten an Sklavenschiffen, darunter Thellusson & Necker, Banquet & Mallet und das Haus Picot-Fazy. Jean-Théodore Rivier, ein in Genf geborener Sohn von Hugenotten-Flüchtlingen war die treibende Kraft hinter Plantamour, Rillier & Rivier, einer der grössten Genfer Tuchhandelsfirmen des 18. Jahrhunderts. Rivier liess sich 1784 in Lorient nieder, wo er sich zwischen 1787-91 als Tuchlieferant an vier aus Le Havre auslaufenden Sklavenexpeditionen unter dem Firmennamen Rivier & Cie. beteiligte, welche fast 1'500 schwarze Sklavinnen und Sklaven deportierte. Das Waadtländer Unternehmen D'Illens & Van Berchem rüstete 1790 in Marseille zwei Schiffe aus, Le Pays de Vaud und La Ville de Lausanne, welche zusammen an die 1'000 Sklaven aus Moçambique verschleppten. 9

Ostschweiz In der Ostschweiz wurde die Produktion und der Handel mit Textilien ab Mitte des 18. Jahrhunderts zum wichtigsten Industriezweig, was zu engen wirtschaftlichen Beziehungen mit Frankreich, Italien und Übersee führte. Die Firma Zellweger & Comp., gegründet von Jacob Zellweger-Wetter (1723-1808), handelte im grossen Stil mit Kolonialwaren und besass Niederlassungen in Lyon und Genua. Die Zellwegersche Spinnereifabrik, welche Anfangs des 19. Jahrhunderts in Trogen ihren Betrieb aufnahm verarbeitete Rohbaumwolle, die unter anderem aus Brasilien und den Südstaaten der USA stammte. Die fertigen Textilprodukte wiederum wurden nach Spanien, Portugal, Frankreich und von dort nach Übersee verkauft. Ein angeheirateter Verwandter von Jacob Zellweger, der Herisauer Johann Rudolf Wetter, liess sich in Marseille als Indienneur nieder und unterhielt Handelsverbindungen bis nach Argentinien und Kolumbien. 1744 beschäftigte seine Firma in Marseille bereits 700 Arbeiter, später unterhielt er eine bekannte Indiennes-Fabrik in Orange. Die gedruckten Stoffe wurden allesamt nach Spanien, Portugal und in die Kolonien verkauft. Gut dokumentiert sind die Geschäfte des Schaffhauser Handelshauses Amman, welches mit den teilweise aus Surinam und Saint-Domingue stammenden Kolonialprodukten Indigo, Baumwolle, Zucker und Kaffee ansehnliche Profite erzielte. Auch Thurgauer haben am Dreieckshandel mitverdient. Die Familie Guiger aus Bürglen und die Lyoner Kaufmannsfamilie Tourton haben sich durch Heiraten miteinander verbunden. Sie waren im Überseehandel tätig und Jean Tourton war Mitbesitzer der Zuckerrohrplantage des Genfers François Fatio (1622-1704) in Surinam. Ihre Nachfahren wiederum verbanden sich mit der in Marseille im Kolonialwarenhandel tätigen St. Galler Familie Sollicoffre - eigentlich Zollikofer - und den Genfern Bankiers Thelluson. 1700 wurde das Pariser Bankhaus Tourton & Guiguer gegründet, auf deren Kredite sogar das französische Königshaus angewiesen war. 1715 übernahm der angeheiratete Verwandte Isaac de Thelluson (1690-1755) die Bank, welche von nun an Thelluson & Cie. hiess. Die Familie Labhard aus Steckborn, deren prominentester Vertreter Jean-Henri Labhard um 1714 Bankier in Paris war, spekulierte mit Aktien von Sklavenhandelsgesellschaften ebenso wie Louis Guiger (1675-1747), der Mitbegründer der Bank Tourton & Guiguer. Sie machten riesige Gewinne. Basel Auch viele Basler Familienunternehmen waren im 18. Jahrhundert in den Dreieckshandel verwickelt. Die Firmen Kuster & Pelloutier, Riedy & Thurninger, Simon & Roques, Weis & Fils, J.-R. Wirz & Cie. betätigten sich als Indienneure, Reeder oder Teilhaber zwischen 1783-1818 an rund 50 Sklavenhandels-Expeditionen und damit an der Verschiffung von rund 15'000 Sklaven. Hans-Rudolf Wirz gingt 1790 in Konkurs, vermutlich weil die Plantagenbesitzer in den Kolonien ihre Schulden nur teilweise zurückzahlten. Das Vermögen von Emmanuel und Nicolas Weis beruhte zwar 10

vorherrschend auf dem Kornhandel, konsolidierte sich aber durch ihre Reedereigeschäfte im transatlantischen Sklavenhandel. Das Basler Familienunternehmen Burckhardt gründete 1790 in Nantes ein Tochterunternehmen, die Bourcard Fils & Cie., um vom führenden französischen Sklaverei-Hafen aus den afrikanischen Markt mit bedruckten Textilien aus der Eigenproduktion in Basel beliefern zu können. Dabei federführend waren Benoit und Christoph Burckhardt (1740-1812). Zwischen 1783 und 1815 beteiligte sich Bourcard & Cie. mit Fracht und finanziellen Anteilen an 21 Sklavenexpeditionen, wobei über 7'000 afrikanische Sklavinnen und Sklaven verschleppt wurden. Schätzungsweise 1'100 kamen bei der Überfahrt auf dem Atlantik ums Leben. Bern und Zürich Die Republik Bern spekulierte mit Aktien aus dem Dreieckshandel! Zwischen 1719 und 1734 besass Bern Anteile an der britischen Handelsgesellschaft South Sea Company. Diese verkaufte von 1715 bis 1731 rund 64'000 Sklavinnen und Sklaven aus Afrika über Zwischenlager in Jamaica nach Südamerika. Die Involvierung des Staates Bern war von grösserem Ausmass: Bern war 1723 mit 253'000 Pfund der mit Abstand grösste Aktionär der South Sea Company, noch vor der Bank of England und vor König George I.! Die Berner Banken Marcuard und Ludwig Zeerleder besassen im 18. Jahrhundert Aktien der Französischen Ostindien-Kompanie, welche Dreieckshandel betrieb und zwischen 1719-1756 über 45'000 Schwarze deportiert. Bis zu 30% der Aktien dieser Gesellschaft lagen zeitweise in Schweizer Händen. Ludwig Zeerleders Schwager, Rudolf Emanuel von Haller (1747-1833), absolvierte seine Handelsausbildung in einer Genfer Bank und ging 1763 nach Amsterdam, wo er mit Gewürzen aus den Kolonien handelte. Nach seiner Heirat lässt er sich in Paris nieder und wurde Teilhaber der Bank Necker, Girardot, Haller & Cie., die wesentlich den französischen Staat finanzierter. Er kaufte Aktien verschiedener Handelskompanien und spekulierte in grossem Mass mit Kolonialwaren an der Börse, wobei er ein Vermögen verdiente. Die Stadt Zürich hingegen war im 18. Jahrhundert noch eine wirtschaftlich unbedeutende Kleinstadt. Völlig neuartig für Zürich waren die nun einsetzenden Anleihen der Zinskommission nach Mittel- und Nordamerika sowie die allmählich an Bedeutung zunehmenden Kredite an auswärtige Kaufleute. So kaufte die Zürcher Bank Leu ebenfalls Aktien der französischen Compagnie des Indes. Weitere Aktionäre waren der Zürcher Theologieprofessor Leonhard Meister und der Winterthurer Johann Jakob Sulzer. Der Einstieg in den Dreieckshandel trug zum Aufstieg Zürichs von einer Kleinstadt zu einem grossen internationalen Finanzplatz bei. 11

IV. Schweizer und die Sklavereiwirtschaft in Übersee Als Plantagenbesitzer, Beamte und Söldner im Dienst anderer Kolonialmächte waren Schweizer auf den karibischen Besitzungen von Holländern, Dänen, Briten und Franzosen anzutreffen. Im 18. Jahrhundert mehrheitlich in Surinam und der Region Guayana. Diese Orte wurden von verschiedenen Kantonsregierungen auch dazu benutzt, ungeliebte Mitbürger loszuwerden.neben expandierenden Geschäftsleuten und Pfarrern waren es meist politische Verbannte und Tunichtgute, die seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert nach Übersee gelangten. Westindien, das heisst die Antillen und die Region Guayana, waren im 18. Jahrhundert in der zürcherischen Vorstellung die geeignete Unterkunft für Strolche. 1684 schickte man Hans Rudolf Kitt, einen ungeratenen Sohn aus angesehener Zürcher Familie, in holländische Kriegsdienste nach Surinam. Fast siebzig Jahre später (1752) bemühte sich Zürich als eidgenössischer Vorort, alle Vagabunden und Bettler der Eidgenossenschaft auf die französischen Antillen abzuschieben, doch scheiterte der Plan an der Ablehnung Frankreichs. 1776 musste der Zürcher Kaufmann Salomon Kitt (1744- ca. 1825) wegen Konkurses die Stadt verlassen. Auch er suchte sein Glück in Übersee, doch nicht als Soldat oder Pflanzer, sondern als Verkäufer von Waren aus Europa, unter anderem auch aus Zürich. Er streckte die ersten zaghaften Fühler für den Zürcher Textilexport nach den Antillen und nach Amerika aus, dem in den 1780er Jahren rasch immer größere Vorstösse folgten. Bereits 1779 ist Kitt mit der Firma Kitt & Reinwald auf der holländischen Antilleninsel St. Eustatius etabliert und vertrieb dort Zürcher Seidenstoffe. Kitt wechselte bald darauf auf die dänische Insel St. Thomas hinüber, wo er mit Unterstützung des reichen Baslers Kolonialwarenhändlers und Spekulanten Reinhard Iselin (1715-1781) als Kitt, Iselin & Co. ein ähnliches Geschäft betrieb. Neuenburg Pierre Alexandre DuPeyrou (1729-1794) aus Neuenburg erbte von seinem Vater, der Gerichtsrat in Surinam war, einige Plantagen mitsamt Sklavinnen und Sklaven in Surinam. In den Händen der Familie DuPeyrou befanden sich dort noch weitere Plantagen. DuPeyrou wurde dank seinen Plantagen zu einem für seine Zeit enorm reichen Mann. Aus einer einzige Plantage bezog er jährlich zwischen 24'000 und 40'000 Livres, was dem Tausendfachen eines damaligen Lehrergehalts in Neuenburg entsprach. Der Bau seines eigenen Privatpalastes, das Hôtel DuPeyrou an der Avenue DuPeyrou in Neuenburg, kostete mehr als eine Million Livres. Ein weltumspannendes Textilimperium hatte sich der Neuenburger Jacques-Louis Pourtalès (1722-1814) aufgebaut. Unter seiner Kontrolle standen Fabriken in Neuenburg und Frankreich, welche Indiennes, produzieren, die in Afrika gegen Sklavinnen und Sklaven eingetauscht wurden. Die grösste Manufaktur des Kantons Neuenburg war Pourtalès Fabrique- Neuve de Cortaillod, sie beschäftigte mehr als 700 Arbeiter und produzierte bis zu 45'000 Indiennes jährlich. Er besass auch eine Nieder- 12

lassung in Indien, wo er direkt Rohstoffe für die Tücherproduktion bezog. Diese bedruckten Stoffe lieferte er an europäische Sklavenschiffe. Sein so erworbenes Vermögen investierte Pourtalès in den Erwerb von Zuckerrohrplantage auf Grenada. Zusammen mit dem Basler Industriellen Johann Jakob Thurneysen (1729-1784) kaufte er dort 1770 einige Plantagen. Die beiden grössten hiessen Clavier und Larcher mit jeweils um die 160 Sklavinnen und Sklaven. Dort wurde vor allem Zucker, aber auch Kaffee, Kakao und Baumwolle angepflanzt. Da die Besitzer als Geschäftsleute nicht auf den Plantagen lebten, wurden sie von vor Ort lebenden Europäern geführt. Mitbesitzer einiger Plantagen ist auch der Neuenburger Paul Coulon (1731-1820). Zwischen 1779 und 1786 führten die Neuenburger Brüder Pierre und François de Meuron, Bekannte von Pourtalès, die Betriebe. Deren Nachfolger verwaltete die Plantage nachlässig, die Probleme häuften sich zusehends. Pourtalès schickte seinen Sohn, Louis Pourtalès, 1792 nach Grenada, um auf den Plantagen nach dem Rechten zu sehen. Er sorgte sich um die Arbeitsleistung der Sklaven und entliess ineffiziente Aufseher. Die Sklaven liess er gegen die grassierenden Pocken impfen (Verfahren nach Edward Jenner, GB- in die Haut geritzte Viren von erkrankten Kühen) und verbesserte ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln, indem er beispielsweise eine Nebenplantage zum Anbau von Lebensmitteln einrichtete. Jacques-Louis Pourtalès stiftete der Stadt Neuenburg 1808 das Hôpital Pourtalès und hinterliess seinen drei Söhnen ein riesiges Erbe. Genf Zahlreiche Genfer Unternehmer und Händler besassen Plantagen und Sklaven in der Karibik: François Fatio (1622-1704) besass bereits seit 1693 drei Viertel einer Zuckerrohrplantage in Surinam mitsamt Sklaven. Jean Antoine Bertrand gehörten seit 1764 auf der britischen Antilleninsel Dominica mehrere Plantagen. Um 1774 besassen der Kaufmann Henri Peschier und seine Brüder eine Plantage namens Good Chance mit 80 Sklaven in Grenada. Derselbe Henri Peschier scheint mitsamt Frau und Kindern und acht Sklaven 1781 nach Trinidad übergesiedelt zu sein, wo er vom spanischen Gouverneur Land zugeteilt erhielt. Aus diesem Paradise Estate machte er eine Zuckerrohrplantage. 1770 rekrutierte Charles Alexandre Dunant in Genf Arbeiter für seine Plantage in Surinam und einen Aufseher über die schwarzen Sklaven. Der Genfer Jean-Zacharie Robin besass 1779 die Plantage La Campagne in Surinam. Sie blieb bis 1821 in Familienbesitz. Michel Trollet besass zwischen 1740-70 mehrere Plantagen in Surinam, wovon eine den Namen Mon Plaisir trug. Jean Trembley (1719-1791) war während 40 Jahren Eigentümer und Verwalter von Plantagen in Saint-Domingue, dem heutigen Haiti. Er hatte jedoch kein Glück mit seinen Besitzungen. Missernten der diversen Pflanzen, in deren Anbau er sich versuchte, Brände und der Verlust von Sklaven brachten ihm grosse Verluste. 1791 starbt er auf der Insel, vermutlich bei einem Sklavenaufstand. 13

Waadt Der Onkel des Waadtländers Jean Samuel Guisan (1740-1801) Chevalier besass in Surinam zwei Plantagen namens La Liberté und Accaribo, welche von mindestens einem Dutzend Sklaven bewirtschaftet wurden. Er forderte Guisan auf, nach Surinam zu kommen, worauf sich dieser als Unterleutnant der Niederländischen Westindien-Kompanie einschiffte. Dort machte Guisan die Bekanntschaft von mehreren Grundstücksbesitzern, darunter auch Schweizern. Als die Franzosen die landwirtschaftliche Nutzung ihrer Kolonie Guayana beschlossen, wird Guisan als "Chefingenieur für den hydraulischen und landwirtschaftlichen Bereich" eingestellt. Er engagierte sich für die Nutzbarmachung des Küstenstreifens, insbesondere die Trockenlegung der Sümpfe und den Bau eines Kanals. Er war am Bau der ersten Zuckerfabrik in der Kolonie beteiligt und führte den Anbau von Gewürznelken ein. Für die Erschliessung des Küstenstreifens wurden ihm mindestens 800 Sklaven zur Verfügung gestellt. Guisan beschäftigte sich intensiv mit den Lebensbedingungen der Schwarzen, was einen wichtigen Teil seiner 1788 verfassten Abhandlung mit dem Titel Traité sur les terres noyées de la Guiane, appelées communément Terres-Basses ausmacht. Darin gab er Empfehlungen zum Verhältnis zwischen den Sklaven und ihren Besitzern ab. Er sprach sich zwar für eine Verbesserung der Haltung der Sklaven aus, aber mehr aus ökonomischen Gründen denn aus christlicher Nächstenliebe. Es lohne sich für die Siedler, sorgsam mit ihren Sklaven umzugehen, da der Erwerb neuer Sklaven immer schwieriger und teurer werde. Daher solle möglichst auch ihre Fortpflanzung gewährleistet werden. Gleichzeitig empfahl er eine gewisse Strenge und bei Bedarf den Einsatz körperlicher Züchtigungen. Weder stellte er das Sklavenhaltersystem generell in Frage, noch sprach er sich für eine Befreiung der Sklaven aus. Seine Karriere endete, als Ereignisse im Zusammenhang mit der französischen Revolution die Franzosen an seiner Loyalität zweifeln liessen, und so musste er 1791 nach Europa zurückkehren. 14

Ostschweiz Auch viele Ostschweizer besassen Plantagen in Übersee: Die Plantage L'Helvétie in Berbice im heutigen Staat Guyana, auf der 1733 eine Sklavenrebellion ausbrach, gehörte den St. Galler Familien Rietmann, Schlumpf und Högger. Sie blieb bis 1779 in St. Galler Händen. Die Zuckerplantage La Liberté in Surinam gehörte in den 1750ern- 70ern Daniel Högger. Darauf arbeiteten 132 Sklaven. Ein weiterer St. Galler, Paulus Züblin (1709-1760), besass die Plantage Züblis Lust in Berbice. Der Schaffhauser Johann Konrad Winz (1757-1828) wurde auf Veranlassung Zürichs als politischer Rebell nach Berbice auf die Plantage der Züblins "verbannt". Dort betätigte er sich als Sklavenaufseher und später als Leiter verschiedener Kaffee-Plantagen. Mit seinem so erwirtschafteten Reichtum erwarb er nach seiner Rückkehr um die Jahrhundertwende den Landsitz Berbice oberhalb Schaffhausens. Der 1760 verstorbene Kapitänleutnant Michael Schläpfer aus Speicher in Appenzell Ausserrhoden hinterliess eine Plantage in Berbice, welche er für seine Dienste bei den kolonialen Handelskompanien erhalten hatte. Das rund 80'000 Hektare umfassende Landgebiet der beiden Plantagen Oberberg und Flachtal am Canje Fluss verblieb während rund 20 Jahren im Besitz der Erben Schläpfers. Um die auf Sklavenarbeit basierende Plantagenwirtschaft zu besorgen, weilten Konrad und Andreas Schläpfer aus Trogen längere Zeit vor Ort. Basel Der Basler Isaac Faesch (1687-1758) trat in den Dienst der Niederländischen Westindien-Kompanie und wurde 1737 zum Kommandanten der Kolonie St. Eustatius ernannt. Er liess einen Aufstand auf der Insel Saint Maarten niederschlagen. 1740 wurde er zum Gouverneur von Curaçao, Aruba und Bonaire befördert, welche zu dieser Zeit als Zwischenstationen zum Weiterverkauf von Sklaven auf den Antillen dienten. Faesch besass selbst Sklaven, die er auf der Plantage Hato arbeiten liess, welche der Niederländischen Westindien-Kompanie gehörte. Als Gouverneur führte er 1745 Strafen wie Auspeitschungen, Brandmarkungen mit glühendem Eisen und die Verbannung in die Salinen von Bonaire wieder ein, um die öffentliche Ordnung zu garantieren. Als 1750 in Curaçao ein Aufstand der Sklaven ausbrach, gab Faesch den Befehl, diesen ohne Rücksicht niederzuschlagen. 47 Schwarze wurden enthauptet, ihre Körper verbrannt und ihre Köpfe zur Warnung auf Pfosten im Hafen ausgestellt. Faesch bedauerte einzig den finanziellen Verlust. Da es Faesch als Gouverneur untersagt war, weiterhin Handel zu betreiben, überliess er dies seinem Partner Johann Jakob Hoffmann und seinem Neffen, Johann Rudolf Faesch. Sie handelten mit europäischen Textilien auf den Antillen und exportieren Kolonialwaren nach Amsterdam. Hoffmann 15

war der einzige Schweizer auf den Antillen, dessen direkte Beteiligung am Handel mit Sklaven belegt ist. Er kaufte Sklaven von den britischen Händlern in St. Christopher, der heutigen Insel St. Kitts, und liess sie nach Venezuela bringen, wo sie gegen Kakao eingetauscht wurden. Um die in Curaçao für den Sklavenhandel zu entrichtenden Steuern zu umgehen, liess er die Schwarzen als Matrosen verkleiden. Hoffmann kehrte 1742 nach Europa zurück, wo sich seine Spur verliert. Isaak Faesch blieb bis zu seinem Tod 1858 Gouverneur von Curaçao. Er hinterliess ein grosses Vermögen. Zwei weitere Neffen von Isaak Faesch, Johannes Faesch (1725-1768) und Johann Jakob Faesch (1732-1796), gelangten durch Heirat mit zwei Töchtern des Holländers David de Hoy in den 1750ern in den Besitz von vier Plantagen in Surinam. Sie verwalteten die Plantagen von Amsterdam aus und betätigten sich im Export von europäischen Produkten nach Westindien und im Import von Zucker und Kaffee aus ihren kolonialen Besitzungen. Nach dem Tod von Johannes kümmerte sich sein Bruder weiter um die Plantagen, später übernahm dessen Sohn Jean-Jacques die Geschäfte. Dieser gründete 1800 seine eigene Gesellschaft namens J.J. de Faesch & Cie. Aufgrund finanzieller Probleme übertrug die Familie 1827 die Plantagenverwaltung an die Firma Moyet & Cie.. Die Basler Erben hielten trotz des mittlerweile erfolgten Verbots des Sklavenhandels daran fest, ihre Plantagen weiterhin durch Sklavenarbeit zu bewirtschaften 5. Noch 1850 befanden sich die Plantagen Hoyland und Voorburg in ihrem Besitz. 1863 wurde die Sklaverei in Surinam abgeschafft. Basler Kolonie Auf Anregung des Gouverneurs von Surinam beschliessen die holländischen Behörden 1747 die intensive Besiedlung des Landes mit Schweizern und Deutschen. Zu diesem Zweck wandte sich Amsterdam an die Basler Regierung. Den Siedlern wurden in Aussicht gestellt: Bezahlte Überfahrt nach Amerika, soviel Land wie sie bebauen können, Lebensmittel, Werkzeuge, Zuchttiere und 10 schwarze Sklaven pro Familie. Die Basler Regierung hatte nichts dagegen einzuwenden, kein Wort fiel über die versprochenen Sklaven. So brachen 1748 zehn Basler Familien, insgesamt fast 100 Personen, nach Surinam auf. Dessen Gouverneur siedelte die Basler zusammen mit deutschen Migranten in einer Kolonie in Oranjepad an. Er hoffte, durch die Besiedlung dieses Gebietes die Flucht von Sklaven eindämmen zu können. Die den Siedler gemachten Versprechungen vom "fruchtbaren Paradies" bewahrheiteten sich jedoch nicht. Bereits 1748 richtete Heinrich Dägen ein Schreiben an seine Heimatstadt Basel, worin er bat, die Siedler zurückzuholen. Darin klagte er über Hunger, fehlende Gotteshäuser und Schulen. Weil er forderte, die von Amsterdam gegebenen materiellen Versprechen sollten endlich eingelöst werden, wurde er für ein Jahr ins Gefängnis gesteckt und musste danach als Zwangsarbeiter auf einem holländischen Fort arbeiten. In einem weiteren Brief an die Basler Regierung beschwerte er sich, dass die Siedler wie Sklaven gehalten würden. Nebst den schwierigen Lebensbedingungen wurden die Siedler zudem von entflohenen Sklaven ange- 16

griffen. Ein Grossteil starb an Tropenkrankheiten. So war schon 1751 die Kolonie beinahe ausgelöscht, nur elf der Siedler aus Basel und der Pfalz überlebten das holländische "Ansiedlungsexperiment". Söldner gegen Sklaven Oberst Louis-Henri Fourgeoud (1708-1779) aus dem waadtländischen Bussigny wurde von Gouverneur Surinams angeheuert, um die entlaufenen Sklaven (Marrons) zu bekämpfen, die sich in Banden zusammengeschlossen hatten und durch Überfälle die Sicherheit der Plantagenbesitzer gefährdeten. Fourgeoud wurde zum Leiter eines Expeditionskorps von über 1000 Mann ernannt, welches 1773 in Surinam eintraf. Er hatte sich bereits zehn Jahre zuvor bei der Niederschlagung der Sklaven in Berbice im heutigen Guyana einen Namen gemacht. Durch Expeditionen in die Wälder spürte er Stützpunkte der Aufständischen auf, welche er grausam bestrafte. Er versprach schwarzen Sklaven die Freiheit, wenn sie ihm bei der Jagd nach Entflohenen halfen. Doch dieses Mal war Fourgeoud weit weniger erfolgreich: Den europäischen Soldaten setzte das ungewohnte Klima, tropische Krankheiten und Unterernährung auf ihren langen Märschen durch die Wälder so sehr zu, dass die Expedition 1778 beendet wurde. Von den 1200 beteiligten Soldaten überlebten nur knapp 100. Fourgeoud kehrte nach Europa zurück, wo er ebenfalls kurze Zeit darauf starb. 1791 erschütterte ein Sklavenaufstand (die Haitianische Revolution) unter der Führung von François- Dominique Toussaint Louverture die französische Kolonie Saint-Domingue (Haiti). Der Aufstand mündete 13 Jahre später in der Gründung des ersten unabhängigen Staates in Lateinamerika durch e- hemalige Sklaven. Napoleon sah sich 1802 gezwungen, zum Schutze der Interessen der französischen Siedler, ein grosses Expeditionskorps nach Saint-Domingue zu entsenden. Da 1798 aufgrund eines Abkommens zwischen Frankreich und der Helvetischen Republik sechs Halbbrigaden geschaffen wurden, welche im Dienst Frankreichs standen, wollte Bonaparte das 1. Bataillon der 3. Helvetischen Halbbrigade nach Saint-Domingue schicken. In Anbetracht der sehr schwierigen Situation dort protestierte jedoch die eidgenössische militärische Führung energisch gegen den Einsatz ihrer Soldaten in Übersee. Napoleon verfügte den Einsatz trotzdem, und so traf das Schweizer Bataillon der Expedition Leclerc unter Führung des Schaffhausers Johann Kaspar Wipf 1803 in Port-au-Prince ein. 1804 verloren die Franzosen den Krieg, und die Kolonie erklärte sich unter dem Namen Haiti als unabhängig. Für die Schweizer endete die Mission verheerend: Von den über 600 entsandten Soldaten überlebte nur knapp ein Dutzend, der Rest wurde vom Gelbfieber dahingerafft oder kam im Krieg und bei Schiffbrüchen ums Leben. 17

IV. Schweizer im Carolina-Fieber, USA Hunderte von Schweizerinnen und Schweizern wanderten im 18. Jahrhundert in die 13 Kolonien Grossbritanniens in Nordamerika aus, angezogen von Reiseberichten und Propagandaschriften. Viele von ihnen liessen sich in South Carolina nieder, dessen Wirtschaft seit dem 17. Jahrhundert auf einem Plantagensystem mit Sklaven beruhte. Man spracht von einem regelrechten "Carolina-Fieber", welches sich so rasch verbreitete, dass einzelne Kantone die Auswanderungswilligen vor den Gefahren der Reise zu warnen begannen. Zürich verbot 1734 gar die Auswanderung nach Carolina und stellte das Verteilen von verführerischen Werbeschriften unter Strafe. Der Berner Franz Ludwig Michel bereiste zwischen 1701-1704 zweimal Pennsylvania und Virginia. Angeregt durch seine dortigen Beobachtungen, verfasste er eine Propagandaschrift zur Auswanderung in eine wohlhabende Sklaverei-Wirtschaft. Er schlug der englischen Königin Anne die Gründung einer Schweizer Kolonie in Nordamerika vor. Sie war einverstanden, ebenso die Berner Obrigkeit, welche hoffte, sich so von "Landsassen" - wie die Armen ohne Ortsbürgerrecht genannt wurden - und von unbequemen religiösen Minderheiten wie den Täufern befreien zu können. Unter der Führung Michels und des Berner Patriziers Christoph von Graffenried (1661-1743) erreichten arme Immigranten aus Bern und aus der Pfalz die "Neue Welt" und begründeten 1710 die Kolonie New Bern in South Carolina. Bei einem Angriff auf die Kolonie durch Indianer zog von Graffenried mit zwei seiner "Negroes" in den Krieg, den er gewinnt. Nach t vielen Schwierigkeiten kehrte von Graffenried 1714 verarmt in die Schweiz zurück. Auch der Lausanner Henri de Saussure (1709-1761) wanderte 1730 nach Coosawhatchie in South Carolina aus. Dort eröffnete er ein Handelskontor und begannt Reis auf seinen Ländereien anzubauen. 1752 hielt er zu diesem Zweck 14 Sklaven. Der Neuenburger Jean-Pierre de Pury (1675-1736) stand seit 1714 bei der Niederländischen Ostindien-Kompanie im Dienst und reiste nach Südafrika, Australien und dem heutigen Indonesien. Angeregt durch seine Beobachtungen in Indonesien, verfasste er 1718 eine Broschüre, worin er der Ostindien-Kompanie den Ratschlag gab, neu kolonialisierte Gebiete durch Sklaven bewirtschaften zu lassen, wie dies schon die Römer getan hätten. Jahre später wanderte Jean-Pierre de Pury in die Vereinigten Staaten aus, wo er 1732 die Kleinstadt Purrysburg in South Carolina gründete. In Neuenburg warb er erfolgreich Siedler an, einige hundert Schweizerinnen und Schweizer folgten ihm nach Purrysburg und liessen sich zusammen mit anderen Europäern dort nieder. Um die grossen landwirtschaftlichen Flächen zu bewirtschaften, wurde in South Carolina vielerorts auf Sklavenarbeit gesetzt. 20 Jahre nach der Gründung besassen die Einwohner von Purrysburg bereits Dutzende von Sklaven. Jean-Pierre de Pury und sein Partner David Montagut importierten 1736 auf einem Handelsschiff eine grosse 18

Anzahl schwarzer Sklaven, um sie in der Region zu verkaufen. Auch andere Schweizer Einwanderer in der Region hielten Sklaven. Ostschweiz Johannes Tobler (1696-1765), ehemaliger Landeshauptmann aus Rehetobel in Appenzell Ausserrhoden, führte 1736 eine Gruppe von 192 Schweizerinnen und Schweizern nach South Carolina, um dort in der Gegend von New Windsor, die heute Beech Island genannt wird, eine Kolonie zu gründen. Tobler betrieb Landwirtschaft und eröffnete ein Handelskontor. Er berichtete 1752 in die Schweiz: "Ich besitze nun eine weitläufige Haushaltung, verschiedene und bequeme Häuser, Scheunen, Hütten, Magazine von Landesprodukten und Handelswaren, Knechte, Mägde, Neger, Ross und Vieh...". Seine Tochter heiratete John Joachim Zubly, der von der St. Galler Plantagenbesitzer-Familie Züblin abstammte. Auch er, ein wohlhabender presbyterianischer Pfarrer, hielt sich Sklaven. Ein weiterer Schweizer Auswanderer, Jasper Nagel, erhielt 1737 in New Windsor ein Stück Land, das er seinem ältesten Sohn Daniel vermachte. Bei seinem Tode vererbte er seiner Frau bereits ein beträchtliches Anwesen mit 100 Schweinen, 62 Schafen und 22 Sklaven. Zürich Der Zürcher Heinrich Escher (1776-1853), der Vater des berühmten Industriellen Alfred Escher (1819-1882), absolvierte in Genf, Paris und London die Ausbildung zum Kaufmann. Er reiste mit 18 Jahren in die USA, wo er in Georgia Bodenspekulation betrieb und in South Carolina mit Reis, Tabak und Kaffee zu handeln begann. Zudem erwarbt er ein landwirtschaftliches Gut in Pennsylvania und eine Kaffeeplantage auf Kuba. Dies trugt ihm später in Zürich den Ruf eines Sklavenhändlers ein, wohin er 1814 zurückkehrte. Sein grosser Reichtum beruhte auf Geschäften mit Ländereien und dem Handel mit Baumwolle, Tabak, Farbhölzern und weiteren Kolonialwaren. Escher finanzierte damit den Bau der Villa Belvoir in Zürich, die er 1831 bezog. 19

VI. Schweizer Händler und Plantagenbesitzer in Brasilien Von der liberalen Wirtschafts- und Siedlungspolitik der portugiesischen Kolonialmacht angezogen, wanderten im 19. Jahrhundert viele Schweizerinnen und Schweizer nach Brasilien aus. Die einen wurden als Plantagenbesitzer, Händler und Kaufleute reich, viele aber wurden als Landarbeiterinnen und Landarbeiter in sklavenähnlichen Zuständen ausgebeutet. Der portugiesische König João VI. flüchtete 1807 mitsamt seinem Hofstaat vor den napoleonischen Truppen nach Brasilien. Dort erlaubte er der Kolonie erstmals den bis anhin strikt verbotenen Aussenhandel. Die ersten Schweizer Firmen in Brasilien wurden ab 1817 gegründet. In einer zweiten Phase ab 1829 brachen Handwerker, Gouvernanten und Hausangestellte aus verschiedenen Kantonen auf, um für die reichen europäischen Grossgrundbesitzer und Händler zu arbeiten. Die meisten Schweizer Grossgrundbesitzer, in Brasilien Fazendeiros genannt, liessen sich in den Provinzen Rio de Janeiro - insbesondere in der Kolonie Nova Friburgo - und Bahia nieder. Zwischen 1819-1919 wanderten an die 1'000 Schweizerinnen und Schweizer nach Bahia ein. Dort liessen sie sich zusammen mit deutschen Siedlern in der Kolonie Leopoldina nieder. Anfangs waren es mehrheitlich Waadtländer und Neuenburger, danach zumeist Deutschschweizer, insbesondere Zürcher. Ihre von Sklaven bewirtschafteten Kaffeeplantagen waren wirtschaftlich sehr erfolgreich. Die Schweiz unterhielt nun auch ein Konsulat in Bahia, das sich bei Todesfällen von Schweizer Bürgern um die Auflösung ihres Besitzes kümmerte. Dazu gehörte pikanterweise auch der öffentliche Verkauf ihrer Sklavinnen und Sklaven. Die Schweizer Diplomaten schienen darin aber keinerlei moralisches Problem zu sehen. Der Schweizer Generalkonsul Emile Raffard aus Genf in Rio de Janeiro beschäftigte 1864 nach Angaben des Bundesrates selbst ein Sklavenpaar! Die Gesamtzahl der Sklaven in Leopoldina 1848 betrug knapp über 1'200, wobei unklar ist, welcher Anteil davon deutschen und welcher schweizerischen Fazendeiros gehörte. Der grösste vom Konsulat erfasste Besitz ist jener des Schaffhausers Hans Flach, welcher 1868 starb. Er hinterliess die Plantage Helvetia mit Kaffeesträuchern auf einer Länge von über 100 Kilometern und 151 Sklavinnen und Sklaven. Sein Besitz wurde auf 950'000 Franken geschätzt, was 905-mal dem damaligen Jahreslohn eines Zürcher Schreiners entspricht! 20