Deutsches Bündnis gegen Depression e.v. Depression wie man sie überwindet und wie Angehörige dabei helfen können Dr. Olivier Elmer Psychologischer Psychotherapeut Bündnis gegen Depression Rhein-Neckar Süd Angehörigentag im PZN, 18.10.2018
Belastungen von Angehörigen Schätzungen zufolge werden 2/3 der chronisch psychisch kranken Menschen von und in ihren Familien betreut. (Franz, Meyer, Gallhofer 2003)
Belastungen von Angehörigen Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen weisen ein höheres Ausmaß an Stress auf, leiden häufiger an Depressionen, zeigen eine geringere Lebensqualität und eine schlechte körperliche Gesundheit. (Hirst, 2005)
Belastungen von Angehörigen zwischen Verantwortung und Abgrenzung Emotionale Belastungen von Angehörigen psychisch Kranker eine inhaltsanalytische Interviewstudie (Schmid, Spiessl & Cording, 2005) 84% Angst & Sorge infolge Informationsmangel 72% Einsamkeit und soziale Isolation 71% Hilflosigkeit und Ohnmacht 65% Zukunftsangst 31% Angst vor Stigmatisierung Schuldgefühle, Trauer, Enttäuschung, Unsicherheit
Belastungen von Angehörigen Diverse Studien belegen positive Effekte fachlicher Interventionen für Angehörige, wie Wissensvermittlung über die Krankheit, Umgang mit Betroffenen, rechtliche Fragen, Entwicklung von Copingstrategien, Umgang mit Konflikten, Bearbeitung von Schuldgefühlen etc. (Brodaty et al. 2000, Dörner, Katschnig)
1. Epidemiologie und gesundheitspolitische Bedeutung der Depression
Mit Beeinträchtigung gelebte Jahre (YLD) - (in Mio.) Belastung durch Krankheiten in den entwickelten Ländern Mit Beeinträchtigung gelebte Jahre (YLD)* 12,0 14.6 10,0 8,0 % of total YLD 6,0 6.2 5.7 5.4 4,0 2,0 0,0 4.1 4.0 3.5 3.4 2.6 2.4 Alkoholismus Hörstörungen unipolare Depression COPD* Sehstörungen Osteoarthritis Alzheimer u. andere Demenzen Asthma Diabetes mellitus Medikamentenmißbr. * Industrieländer ( high-income countries ) Quelle:The global burden of disease: 2004 update; WHO 2008
Epidemiologie in Deutschland ca. 5% Rund 5% der Bevölkerung leiden gegenwärtig unter einer depressiven Erkrankung Frauen doppelt so häufig betroffen wie Männer Erkrankung betrifft alle Altersgruppen Ca. jede 4. Frau und jeder 8. Mann erkranken im Laufe des Lebens an einer Depression. Quelle: Bundesgesundheitssurvey 1998
Häufigkeit beim Hausarzt Hausarztstudie in 400 Arztpraxen (Wittchen et al. 2000): über 10% der Hausarztpatienten leiden unter Depressionen (Männer: 9,4%; Frauen:11,9%) 50% der Betroffenen suchen keinerlei Behandlung gegen die Depression auf! Für die Hälfte derjenigen, die Hilfe suchen, ist der Hausarzt noch vor dem Psychiater und dem Psychotherapeuten der erste Ansprechpartner!
Psyche statt Herz: Berentung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit 2010 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 8,6 28,5 39,3 1983 2002 2010 Atmung Nerven/Sinne Skelett/ Muskel/Bindegew ebe Herz/Kreislauf Stoffw echsel/ Verdauung Neubildungen psychische Erkrankungen sonstiges Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund (2011).Rentenversicherung in Zeitreihen. DRV-Schriften Band 22 Deutsches Bündnis gegen Depression e.v.
Zunahme der Tage, die deutsche Arbeitnehmer aufgrund psychischer Störungen am Arbeitsplatz fehlen (an allen AU-Tagen, in %)
Warum bleiben 90% der Erkrankten ohne ausreichende Behandlung? Depression bleibt oft unerkannt Viele Betroffene erkennen die eigene Depression nicht Körperliche Symptomatik überdeckt häufig die Depression Depression wird unzureichend behandelt Viele Betroffene haben Angst, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben (vor allem Vorbehalte gegen Psychopharmaka) Auch bei geeigneter Medikation viele Anwendungsfehler: unzureichende Aufklärung, zu niedrige Dosierung, frühzeitiges Absetzen der Medikation (Compliance-Probleme).
2. Symptomatik und Diagnosekriterien
Haupt- und Nebenkriterien nach ICD-10 Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven Gefühl von Schuld und Wertlosigkeit Suizidgedanken / Suizidale Handlungen Verlust von Interesse u. Freude Depressive Stimmung Schlafstörungen Verminderter Antrieb Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Appetitminderung Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
Somatisches Syndrom: bei 4 von 8 Symptomen Deutlicher Verlust von Freude und Interesse bei früher angenehmen Aktivitäten Morgentief Mangelnde Fähigkeit emotional zu reagieren Gefühl von Schuld und Wertlosigkeit Schlafstörungen Erhöhte Ermüdbarkeit Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Appetitminderung Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit Früherwachen Suizidgedanken / Suizidale Handlungen Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven Interesse u. Verlust von Freude Depressive Stimmung Psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit Deutlicher Libidoverlust Starker Appetitverlust Gewichtsverlust > 5%
Beschreibung: Arten und Verlauf ICD-10: F32: Depressive Phase, monophasisch (unipolare Depression) dauerhaft beschwerdefrei Zeit durchschnittl. Dauer einer Episode: 4-8 Monate Wiedererkrankungsrate nach Ersterkrankung > 50 %, nach zweimaliger Erkrankung 70% Quelle: S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie
Beschreibung: Arten und Verlauf ICD-10 F33: Depressive Phase, rezidivierend (unipolare Depression) ICD-10 F34: Dysthymie ( neurotische Depression )
Beschreibung: Arten und Verlauf ICD-10 F31: Depressive Phase im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung (manisch/depressiv) Bipolare Störungen erfordern DRINGEND medikamentöse Behandlung.
Erscheinungsbilder Je nach Zusammensetzung der Symptome können unterschiedliche Syndrome im Vordergrund stehen: Gehemmte Depression Agitierte Depression Somatisierte larvierte Depression Wahnhafte Depression
Somatisches Risiko I Das Risiko für das Auftreten einer späteren Koronaren Herzkrankheit ist bei Menschen mit unbehandelter Depression mehr als zweifach erhöht. Personen, die zum Zeitpunkt eines Herzinfarktes zusätzlich an einer unbehandelten Depression leiden, haben innerhalb eines 12-Monats-Zeitraumes eine etwa dreifach erhöhte Sterblichkeitsrate.
Somatisches Risiko II Menschen mit Krebserkrankungen, die zusätzlich an einer unbehandelten Depression leiden, haben innerhalb eines 5-Jahres-Zeitraumes eine mehr als zweifach erhöhte Mortalitätsrate. Bei Brustkrebspatientinnen zeigten Studien: Psychotherapie verlängert die Überlebenszeiten.
Depression und Suizidalität bis zu 15 % Suizid 1 mit schwerer, rezidivierender oder chronischer Depression versterben durch 30 % der depressiven Patienten weisen mindestens einen Suizidversuch auf 2 90 % der Suizidenten litten unter psychiatrischen Erkrankungen, am häufigsten Depression (40-60 %) 3 Wenn eine Depression vorliegt, dann sollte die Suizidalität immer aktiv exploriert werden! Quellen : 1 Angst et al. 1999; 2 Bostwick et al. 2000; 3 Bertolote et al., 2005
Todesursachen im Vergleich: BRD 2010 Suizid 10.021 Drogen 1.237 Verkehr 3.942 Mord / Totschlag 478 Aids 455 (Quelle: Bundesamtes für Statistik/Gesundheitsberichterstattung des Bundes; 2011)
3. Erklärungsansätze der Depression
Hinweise auf biologische Mechanismen saisonal abhängige Depression Lichtschaltereffekt Tagesschwankungen Schlafentzugeffekt Rapid- und Ultra-Rapid-Cycling
Psychische und körperliche Ursachen: 2 Seiten einer Medaille Psychosoziale Aspekte Neurobiologische Aspekte Vulnerabilität z. B. negative Lebenserfahrungen, Traumatisierungen, Persönlichkeit z. B. genetische Faktoren Auslöser z. B. akute psychosoziale Belastung, Stress z. B. Überaktivität der Stresshormonachse Depressiver Zustand depressive Symptomatik (Erleben und Verhalten) z. B. Dysfunktionen/ Ungleichgewicht der Neurotransmitter Therapie Psychotherapie Pharmakotherapie U.Hegerl
Psychosoziale Risikofaktoren Kindheit: Trennungen und Verluste sowie Vernachlässigung Kritische Lebensereignisse als typische Auslöser: Trennung, Arbeitsplatzverlust, Tod nahestehender Menschen Chronischer Stress: z.b. länger dauernde Konflikte Körperliche Erkrankungen: z.b. Diabetes Depressiogene Grundannahmen: z.b. Ohne meinen Partner bin ich nichts wert!, Nur Leistung zählt!
4. Die Depression erkennen
Beschwerdeprofil von Depressionspatienten in der Hausarztpraxis 69% körperliche Beschwerden 31% andere 69% der Patienten mit Depression suchen ihren Hausarzt ausschließlich aufgrund von körperlichen Beschwerden im Rahmen der Depression auf Rückenschmerz Kopfschmerz Erschöpfung Herzklopfen Nackenverspannungen Abdominelle Beschwerden Beklemmungen in der Brust Magenbeschwerden Schwindel Simon et al. (1999): Studie an 1146 Patienten
Körperliche Beschwerden sind Teil des Teufelskreises Depression Körperliche Funktionsstörungen, z.b. - Inaktivität - Schlafstörungen - Muskeltonus - Appetitlosigkeit - Ösophaguskontraktilität - Luftnot / Atembeschwerden Pessimistische kognitive Verarbeitung Körperliche Beschwerden, z.b. - Rückenschmerzen - Kopfschmerzen - Obstipation - Retrosternales Brennen
Fehleinschätzung als Befindlichkeitsstörung Für die depressive Erkrankung spricht: Affektstarre und mangelnde Schwingungsfähigkeit (meist spürbar im direkten Kontakt) Gefühl der Gefühllosigkeit Innere Anspannung Trauer steht nicht in Vordergrund Schuldgefühle und Ausmaß an Hoffnungslosigkeit Suizidalität Wahnsymptomatik (Versündigung, Verarmung) Verlauf (gab es bereits früher depressive Episoden?)
5. Therapiemöglichkeiten
Die Behandlung der Depression Zentrale Behandlungssäulen: Medikamentöse Behandlung: vor allem Antidepressiva Psychotherapie: Wirksamkeit von Kognitiver Verhaltenstherapie und Interpersoneller Therapie am besten belegt Weitere Behandlungsverfahren (im Einzelfall indiziert) Lichttherapie Wirkung nur bei saisonaler Depression belegt Wachtherapie meist nur im Rahmen stationärer Therapie mögl. EKT bei schwerer therapieresistenter Depression Unterstützende Verfahren Soziotherapie z.b. bei Wiedereingliederungsmaßnahmen Sport kann für einen Teil der Patienten hilfreich sein Psychoedukation! Medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva hat im hausärztlichen Bereich die größte Relevanz!
Wichtigste Medikamentengruppen 1. Antidepressiva: keine Veränderung der Persönlichkeit, keine Suchtgefahr Wirklatenz von 2-4 Wochen 2. Neuroleptika (z.b. Haldol, Fluspirilen / Imap, Olanzapin): bei Psychosen / Schizophrenien unverzichtbar! zusätzlich zu Antidepressiva bei wahnhaften Depressionen zur Monotherapie der Depression nicht geeignet ältere Präparate haben typischerweise motorische Nebenwirkungen 3. Beruhigungsmittel / Tranquilizer (z.b. Valium): wirken sehr schnell / wichtig für akute Krisen dämpfen und machen schläfrig nicht antidepressiv, können aber Wirklatenz von AD überbrücken helfen Gewöhnungseffekt und bei längerer Anwendung Suchtgefahr
Vorurteile und Ängste bezüglich Antidepressiva Bei einer repräsentativen Befragung von 1426 Personen glaubten 69% dass Antidepressiva die Persönlichkeit verändern 80% dass Antidepressiva abhängig machen Zudem: Obwohl Antidepressiva in den meisten Fällen gut verträglich sind, glauben 71% der Befragten, sie hätten starke Nebenwirkungen!! Befragte verwechseln Antidepressiva, Beruhigungsmittel und Neuroleptika! (Quelle: Hegerl, Althaus & Stefanek, 2002)
Psychotherapie Auch das ärztliche Gespräch ist bereits therapeutisch Für die Verhaltenstherapie liegen die meisten störungsspezifischen Wirksamkeitsnachweise vor Vorgehen innerhalb der kognitiven Verhaltenstherapie: Aktivitätenaufbau/Belastungsabbau/Tagesstruktur Korrektur dysfunktionaler Überzeugungen (sokratischer Dialog) Verbesserung des Sozial- und Kommunikationsverhaltens Problemlösetraining
Was Angehörige tun können - Fachlichen Rat einholen! - Geduldig bleiben! - Sich nicht überfordern für sich selbst sorgen! - In kleinen Schritten aktivieren! Deutsches Bündnis gegen Depression e.v.
Was Angehörige tun können II - Zurückhaltend mit gut gemeinten Ratschlägen sein! - Keine wichtigen Entscheidungen treffen! - Auf Suizidsignale achten! Deutsches Bündnis gegen Depression e.v.
Eine Hilfe im Web AOK: Familiencoach Depression https://depression.aok.de/ Deutsches Bündnis gegen Depression e.v.
Martin Luther zur Summe seiner Erfahrungen Du kannst nicht verhindern, dass die Vögel der Besorgnis um Deinen Kopf kreisen, aber Du kannst verhindern, dass sie auf ihm ein Nest bauen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!