Symptomorientierte Kompressionstherapie bei subjektiven venösen Symptomen

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Transkript:

Zertifizierte Fortbildung Symptomorientierte Kompressionstherapie bei subjektiven venösen Symptomen E. Rabe 1, F. Pannier 2 1 Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn 2 Private Praxis Dermatologie & Phlebologie, Bonn, und Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universitätsklinik Köln Chronische Venenkrankheiten wie Varikose und chronisch venöse Insuffizienz (CVI) sind weltweit in der Bevölkerung verbreitet (1, 5, 8, 18). Zur Basisbehandlung chronischer Venenkrankheiten gehört die Kompressionstherapie. In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (13) und im Hilfsmittelverzeichnis für die Versorgung mit Medizinischen Kompressionsstrümpfen (MKS) (10) sind die Indikationen für die Kompressionstherapie niedergelegt. Es sind dies: Varikose Varikose primär und sekundär Varizen in der Schwangerschaft die Sklerosierungstherapie unterstützend nach venenchirurgischen Eingriffen Thromboembolie Thrombophlebitis (superfiziell) sowie Zustand nach abgeheilter Phlebitis tiefe Beinvenenthrombose Zustand nach Thrombose postthrombotisches Syndrom Thromboseprophylaxe bei mobilen Patienten Chronische Veneninsuffizienz (CVI) CVI der Stadien I bis III nach Widmer bzw. C1S-C6 nach CEAP Ulkusprävention und Ulkustherapie Leitveneninsuffizienz Angiodysplasie Ödeme Lymphödeme Ödeme in der Schwangerschaft posttraumatische Ödeme postoperative Ödeme zyklisch idiopathische Ödeme Lipödeme ab Stadium II Stauungszustände infolge Immobilitäten (arthrogenes Stauungssyndrom, Paresen und Teilparesen der Extremität) Andere Indikationen Zustand nach Verbrennungen Narbenbehandlung Absolute Kontraindikationen sind: fortgeschrittene periphere arterielle Verschlusskrankheit dekompensierte Herzinsuffizienz septische Phlebitis Phlegmasia coerulea dolens Relative Kontraindikationen sind: ausgeprägte nässende Dermatosen Unverträglichkeit auf Kompressionsstrumpfmaterial schwere Sensibilitätsstörungen der Extremität fortgeschrittene periphere Neuropathie (z.b. Diabetes mellitus) primär chronische Polyarthritis Zu den Risiken und Nebenwirkungen zählen: Hautnekrosen und Druckschäden auf periphere Nerven bei unsachgemäßer Handhabung Andruckwerte und Druckverlauf Die MKS der Kompressionsklasse (KKL) 1, 2, 3 und 4 unterscheiden sich voneinander in der Intensität des Andrucks in Ruhe auf die Extremität. Die im Fesselbereich (B-Maß) geforderten Andrücke sind Tabelle 1 zu entnehmen. Der MKS muss eine kontinuierliche Druckabnahme von distal nach proximal aufweisen. Kompressionsklasse Intensität Druck/ mmhg kpa 1 leicht 18-21 2,4-2,8 2 mittel 23-32 3,1-4,3 3 kräftig 34-46 4,5-6,1 4 sehr kräftig 49 und größer 6,5 und größer Tab. 1: Andrücke im Fesselbereich nach RAL GZG 3872.2.6. 80 29. Jahrgang_2_2017

Abb. 1: Wirkung von medizinischen Kompressionsstrümpfen auf variköse Venen. Die Kompressionsklassen sind anhand des Ruhedrucks im Fesselbereich genormt. Für die Wirksamkeit des Kompressionsstrumpfes ist aber nicht nur der Ruhedruck, sondern auch das Material, das sich bezüglich Dehnbarkeit und Elastizität unterscheidet, von großer Bedeutung. Aus diesem Grund gibt es in den verschiedenen Kompressionsklassen Strümpfe aus unterschiedlichen Materialien. Verordnung der Strumpfart und Kompressionsklasse Die Strumpfart und die Stärke des erforderlichen Andrucks, d. h. die Kompressionsklasse, sind abhängig von der: Diagnose Lokalisation der Abflussstörung und dem klinischen Befund. Eine starre Zuordnung einer Kompressionsklasse zu einer Diagnose ist nicht sinnvoll. Ziel der Kompressionstherapie ist die Besserung des klinischen Befundes. So kann bei einer Varikose ohne ausgeprägte Ödembildung auch eine Kompressionsklasse 1 zur Beseitigung der Beschwerden führen, während bei fortgeschrittenem Ödem und Hautveränderungen eher eine höhere Kompressionsklasse erforderlich wird. Beim beginnenden postthrombotischen Syndrom reicht meist eine Kompressionsklasse 2 aus, während in schwereren Stadien höhere Kompressionsklassen und kurzzügige Materialien erforderlich sein können. Beim beginnenden Lymph ödem (Stadium I) genügt meist eine Kompressionsklasse 2, während im Stadium III meist der höhere Anpressdruck der Kompressionsklassse 3 oder 4 notwendig sein kann. Ist der Patient physisch nicht in der Lage, den Kompressionsstrumpf der hohen Kompressionsklassen 3 und 4 FOTO: ANNA SINTSOVA SHUTTERSTOCK selbständig anzuziehen, ist alternativ das Übereinandertragen von MKS niedrigerer Kompressionsklassen zu empfehlen. Die offiziellen Indikationen orientieren sich in erster Linie an definierten Krankheitsbildern. Fragt man aber Patienten, warum sie Kompressionsstrümpfe tragen, so stehen die Beinbeschwerden und die Besserung dieser Beschwerden ganz im Vordergrund. Das modernste deskriptive Klassifikationssystem für chronische Venenkrankheiten ist die CEAP-Klassifikation (CEAP), bei der die Venenkrankheiten nach klinischen (C), ätiologischen (E), anatomischen (A) und pathophysiologischen (P) Kriterien eingeteilt werden (Tab. 2). Es wurde 1994 durch ein internationales Adhoc-Komitee des American Venous Forum entwickelt und 2004 aktualisiert (6). In der CEAP-Klassifikation werden die klinischen Klassen (C-Klassen) C0 bis C6 unterschieden, welche mit dem Zusatz A wie asymptomatisch, für Patienten ohne Beinsymptome, bzw. S wie symptomatisch, für Patienten mit subjektiven Symptomen, spezifiziert werden können. Patienten der Klasse C0 zeigen keine klinischen Zeichen einer venösen Veränderung. Symptomatische Patienten (C0S), welche 19,7 % des Vein Consult Program repräsentieren (17), finden sich jedoch auch in dieser Klasse. In der aktualisierten CEAP-Klassifikation werden als Symptome venöser Erkrankungen (...) Schmerzen, Spannungsgefühl, Hautirritationen, Schweregefühl, Muskelkrämpfe und andere Beschwerden, welche venösen Dysfunktionen zuschreibbar sind (...), angegeben (6). In der aktualisierten Terminologie der chronischen Venenkrankheiten von 2009 sind Symptome venöser Erkrankungen: Beschwerden bezogen auf Venenerkrankungen, welche Kribbeln, Schmerzen, Brennen, Muskelkrämpfe, Schwellung, Gefühl von Klopfen oder Schwere, juckende Haut, Restless Legs oder Müdigkeit der Beine Stadium C0 C1 C2 C3 C4 C5 C6 Veränderungen keine sichtbaren Zeichen einer Venenerkrankung Besenreiser, Teleangiektasien oder retikuläre Venen Varikose ohne klinische Zeichen einer CVI Varikose mit Ödem Varikose mit trophischen Haut veränderungen Varikose mit abgeheiltem Ulkus Varikose mit floridem Ulkus Tab. 2: CEAP-Stadien zur Einteilung für den Schweregrad einer chronischen venösen Insuffizienz (CVI). (C = Klinischer Befund, E = Ätiologie, A = anatomische Lokalisation, P = Pathophysiologie) 29. Jahrgang_2_2017 81

Zertifizierte Fortbildung beinhalten können (7). Diese seien zwar nicht pathognomonisch, aber hinweisend auf chronisch venöse Erkrankungen, falls sie im Tagesverlauf zunehmend seien oder sich bei Hitze verschlimmern (7). Bei der Problematik der Vielzahl der in der Literatur teilweise uneinheitlich und unpräzise zu findenden Symptome chronisch venöser Erkrankungen wurden diese in einem aktuellen Reviewartikel nochmals genauer beschrieben (15). Wrona zeigte in seiner Publikation von 2016, dass subjektive Beinbeschwerden wie Schweregefühl und Spannungsgefühl eng mit chronischen Venenkrankheiten assoziiert sind (23). In ihrer Publikation konnte Hildegard Klüken schon 1999 darstellen, dass die Kompressionstherapie zu einem hohen Zufriedenheitsgrad der Patienten bezüglich ihrer subjektiv empfundenen Symptome führte (12). In der Bonner Venenstudie 1 gaben von 450 Probanden, die mit Kompressionsstrümpfen versorgt worden waren, die meisten an, dass dies wegen ihrer Beinbeschwerden erfolgt war (Tab. 3) (16). In über 80 % wurde unter der Kompression eine Besserung angegeben. Gemäß den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (13) und auch gemäß Hilfsmittelverzeichnis für die Verordnung von Kompressionsstrümpfen (10) soll die verordnete Kompressionsklasse so hoch sein, dass sie in der Lage ist, das behandelte Krankheitsbild zu kompensieren. Es liegt eine Reihe von randomisierten und kontrollierten Studien vor, die die Wirksamkeit der MKS auf subjektive Beschwerden belegen. Studien zur Beschwerdebesserung In zwei prospektiven randomisierten und kontrollierten Studien konnte gezeigt werden, dass im Vergleich zu einem Placebostrumpf mit 3 6 mmhg ein Kompressionsstrumpf mit 10 15 mmhg in der Lage ist, Beschwerden und Ödeme zu verbessern, die mit einer Varikose einhergehen, welche noch nicht zu weiteren Symptomen der CVI geführt hat (CEAP Klassifikation: C1s C3s, Eb, As1-5). Abb. 2: Besenreiser. FOTO: DORO GUZENDA SHUTTERSTOCK n Prozent Prozent Ödeme 85 18,9 65 76,5 Schmerzen beim Stehen Medizinische Kompressionsstrümpfe niedriger Kompressionsklasse können der Ödem- und Schmerzentwicklung im Tagesverlauf bei Stehberuflern entgegenwirken. Beschwerden Verbesserung Schwellungsgefühl Schweregefühl Spannungsgefühl Restless Legs 66 14,7 64 84,2 47 10,4 42 89,4 46 10,2 28 60,9 19 4,2 15 78,9 8 1,8 7 87,5 Krämpfe 7 1,6 4 57,1 Jucken 5 1,1 4 80,0 Schmerzen beim Gehen 5 1,1 5 100,0 Ekzem 2 0,4 2 100,0 Ulcus cruris venosum 1 0,2 0 0,0 Tab. 3: In der Bonner Venenstudie 1 (16) gaben von den Probanden, die mit Kompressionsstrümpfen versorgt worden waren, die meisten an, dass dies wegen ihrer Beinbeschwerden erfolgt war. In über 80 % wurde unter der Kompression eine Besserung angegeben. 125 Patienten im Stadium C1s C3s (CEAP-Klassifikation) wurden zwei Behandlungsgruppen randomisiert zugeordnet: erstens einer Gruppe, die einen medizinischen Kompressionsstrumpf mit 10 15 mmhg Druck im Knöchelbereich trug und zweitens einer Gruppe, die einen Plazebostrumpf mit 3 6 mmhg Druck im Knöchelbereich anhatte. Die Strümpfe wurden zwei Wochen angezogen. In der Kompressionsstrumpfgruppe kam es zu einer signifikanten Verbesserung der Beschwerden Schmerz und Missempfindung bei einer Tragecompliance von 95 % (2). In einer prospektiv randomisiert kontrollierten Studie wurden 341 Patienten mit einer CEAP-Klassifikation C1s C3s zwei Gruppen zugeordnet. Einmal einer Kompressionsstrumpfgruppe mit 10 15 mmhg und einer Placebostrumpfgruppe mit 3 6 mmhg. Die Strümpfe wurden über vier Wochen getragen. In der Kompressionsstrumpfgruppe besserten sich die Lebensqualitätsscores und das Ödem signifikant im Vergleich zum Placebostrumpf (21). 82 29. Jahrgang_2_2017

Jonker und de Boer konnten 2001 zeigen, dass bei gesunden Probanden ohne Venenveränderungen die tägliche Volumenzunahme von morgens bis abends, gemessen mit dem Volumeter, bei Frauen 2,3 % und bei Männern 1,6 % beträgt. Untersucht wurden 118 gesunde Probanden ohne Zeichen der chronischen venösen Insuffizienz. Mit einem Kompressionsstrumpf der Klasse 1 mit 14 mmhg gelang eine Reduktion der Volumenzunahme um 31 % bei den Frauen und um 18 % bei den Männern. Mit dem KKL-1-Strumpf mit 18 mmhg betrug die Reduktion der Volumenzunahme 37 % und 32 % (11). In einer prospektiven Crossover-Studie konnten Blazek et al. zeigen, dass Kompressionsstrümpfe der KKL 1 (15 20 mmhg) bei Stehberuflern, in diesem Fall Frisören, zu einer Abnahme des abendlichen Beinvolumens sowie zu einer Abnahme von Schmerzen und Schwellungsgefühl führen (3). Partsch et al. konnten 2004 darstellen, dass Kompressionsstrümpfe mit einem Druckbereich zwischen 11 21 mmhg im Knöchelbereich in der Lage sind, gegen Abend auftretende Ödeme bei stehenden Berufen zu reduzieren oder vollkommen zu verhindern (14). FOTO: TIBANNA79 SHUTTERSTOCK Abb. 3: Medizinische Kompressionsstrümpfe. vergleichbare Ulkusheilungsrate zeigten. Die Zeit bis zur Abheilung war identisch. Schmerzscore und die Lebensqualität verbesserten sich in beiden Gruppen gleichermaßen (4). In einer prospektiven, randomisierten kontrollierten Studie konnten Thaler et al. 2001 zeigen, dass Kompressionsstrümpfe der KKL 1 und 2 nicht in der Lage sind, die Entstehung von Varizen in der Schwangerschaft zu verhindern. Sie konnten aber beweisen, dass in der Kompressionsgruppe im Vergleich zu den nicht-therapierten Patienten weniger Refluxe in der Vena saphena magna auftraten und die Patienten über weniger Beschwerden klagten (20). Hagan und Lambert stellten in einer offenen randomisierten Crossover-Studie dar, dass Kompressionsstrümpfe mit niedrigen Drucken (5 mmhg im Knöchelbereich, 17 20 mmhg im Wadenbereich) in der Lage sind, auf Flügen über fünf Stunden Dauer fluginduzierte Knöchelödeme, Schmerzen und Missempfindungen der Beine zu reduzieren (9). Auch im Bereich der Ulkus-cruris-Behandlung zeigen Kompressionsstrümpfe mit niedriger Kompressionsklasse eine signifikante Wirksamkeit. Dies ist besonders bedeutsam für ältere Ulkuspatienten oder auch multimorbide Patienten, die aufgrund einer eingeschränkten arteriellen Durchblutung oder orthopädischen Beschwerden Kompressionsstrümpfe höherer Kompressionsklassen nicht tolerieren. Brizzio konnte in einer randomisierten Open-label-Studie darstellen, dass im Vergleich der Therapie von venösen Ulzera mit medizinischen Kompressionsstrümpfen eines Knöcheldruckes zwischen 15 25 mmhg im Vergleich zu Mehrlagenkompressionsverbänden beide Gruppen eine In der Zusammenschau stellen die Studien dar, dass die Kompressionstherapie mit MKS in der Lage ist, Symptome, die mit chronischen Venenkrankheiten vergesellschaftet sind, deutlich zu verbessern. Dabei reicht offenbar oft die niedrigste Kompressionsklasse, die Klasse 1, aus. Diese Tatsache ist vor dem Hintergrund besonders wichtig, dass viele ältere Patienten häufig eine Kombination mehrere Krankheiten haben und oft Kompressionsstrümpfe einer höheren Kompressionsklasse schlecht tolerieren. Die Gründe hierfür können zum einen in einer gleichzeitig bestehenden arteriellen Durchblutungsstörung, aber auch in orthopädischen oder neurologischen Krankheitsbildern liegen, die beispielsweise einen höheren Druck im Gelenkbereich schmerzhaft machen. In einem aktuellen europäischen Consensusdokument werden MKS zur Therapie von venösen Beinbeschwerden empfohlen (19). Zusammenfassung MKS sind bei einer Reihe von akuten und chronischen venösen Krankheitsbildern indiziert. Dabei richtet sich die erforderliche Kompressionsklasse nach dem klinischen Schweregrad und der Frage, mit welcher Kompressionsstärke Beschwerden und Krankheitsbild kompensiert werden können. Für die venösen Patienten stehen in erster Linie die subjektiven Beschwerden im Vordergrund. Es gibt eine gute Evidenz dafür, dass MKS in der Lage sind, venös bedingte Beschwerden zu bessern oder zu verhindern. Dies ist oft auch schon mit niedrigen Kompressionsklassen der Fall. 29. Jahrgang_2_2017 83

Zertifizierte Fortbildung Interessenskonflikte: E. Rabe: beratende Tätigkeit für Sigvaris und EUROCOM, Vortragshonorare medi, Kreussler, Vifor, Bayer Vital F. Pannier: beratende Tätigkeit medi, Vortragshonorare medi, Kreussler Literatur 1. Beebe-Dimmer JL, Pfeifer JR, Engle JS et al. The epidemiology of chronic venous insufficiency and varicose veins. Ann Epidemiol 2005;15:175-184. 2. Benigni JP, Sadoun S, Allaert FA et al. Ètude Comparative de l Efficacité de Chausettes de Compression de Classe 1 sur la Symptomatologie de la Maladie Veineuse Chronique Débutante. Phlebologié 2003;56:117-125. 3. Blazek C, Amsler F, Blättler W et al. Compression hosiery for occupacional leg symptoms and leg volume a randomised crossover trial in a cohort of hairdressers. Phlebology 2013;28: 239-247. 4. Brizzio E, Amsler F, Lun B et al. Comparison of lowstrength compression stockings with bandages for the treatment of recalcitrant venous ulcers. J Vasc Surg 2010;51(2):410-416. 5. Criqui MH, Jamosmos M, Fronek A et al. Chronic venous disease in an ethnically diverse population: the San Diego Population Study. Am J Epidemiol 2003;158:448-456. 6. Eklof B, Rutherford RB, Bergan JJ et al. American Venous Forum International Ad Hoc Committee for Revision of the CEAP Classification. Revision of the CEAP classification for chronic venous disorders: consensus statement. J Vasc Surg 2004;40:1248-1252. 7. Eklof B, Perrin M, Delis KT et al. American Venous Forum, European Venous Forum, International Union of Phlebology, American College of Phlebology, International Union of Angiology. Updated terminology of chronic venous disorders: the VEIN-TERM transatlantic interdisciplinary consensus document. J Vasc Surg 2009;49:498-501. 8. Evans CJ, Fowkes FG, Ruckley CV et al. Prevalence of varicose veins and chronic venous insufficiency in men and women in the general population: Edinburgh Vein Study. J Epidemiol Community Health 1999;53:149-153. 9. Hagan MJ, Lambert S. A randomised crossover study of low-ankle-pressure graduated-compression tights in reducing flight-induced ankle oedema. Med J Aust 2008;188(2):81-84. 10. Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes: Hilfsmittel zur Kompressionstherapie. https://hilfsmittel. gkv-spitzenverband.de/produktgruppeanzeigen_input. action?gruppeid=17. 11. Jonker MJ, de Boer E, Ader HJ et al. The oedemaprotective effect of Lycro support stockings. Dermatology 2001;203:294-298. 12. Klüken H, Voiß P, Gallenkemper G et al. Akzeptanz verschiedener Therapieformen in der Phlebologie. Phlebologie 1999;28:169 74. 13. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie: Medizinischer Kompressionsstrumpf (MKS). http://www. phlebology.de/home-v16/leitlinien-der-dgp-mainmenu 14. Partsch H, Winiger J, Lun B. Compression stockings reduce occupational leg swelling. Dermatol Surg 2004;30:737-743. 15. Perrin MR. Description and definition of venous symptoms in chronic venous disorders: a review. Medicographia 2015;37:10-15. 16. Rabe E, Pannier-Fischer F, Bromen K et al. Bonner Venenstudie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie. Phlebologie 2003;32:1-14. 17. Rabe E, Guex JJ, Puskas A et al. VCP Coordinators. Epidemiology of chronic venous disorders in geographically diverse populations: results from the Vein Consult Program. Int Angiol 2012;31:105-115. 18. Rabe E. The prevalence of lower limb symptoms in recent epidemiological surveys. Medicographia 2015;37:16-19. 19. Rabe E, Partsch H, Hafner J et al. Indications for medical compression stockings in venous and lymphatic disorders. An evidence-based consensus statement. Phlebology 2017, in press. 20. Thaler E, Huch R, Zimmermann A. Compression stockings prophylaxis of emergent varicose veins in pregnancy: a prospective randomised controlled study. Swiss Medical Weekly 2001;131:659 662. 21. Vayssairat M, Ziani E, Houot B. Placebo controlled efficacy of Class I elastic stockings in chronic venous insufficiency of the lower limbs. Journal des Maladies Vasculaire 2000;25:256-262. 22. Van der Velden SK, Shadid NH, Nelemans PJ et al. How specific are venous symptoms for diagnosis of chronic venous disease? Phlebology 2014;29:580-586. 23. Wrona M, Jöckel KH, Pannier F et al. Association of Venous Disorders with Leg Symptoms: Results from the Bonn Vein Study 1. Eur J Vasc Endovasc Surg 2015;50:360-367. Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. Eberhard Rabe Phlebologischer Schwerpunkt Klinik und Poliklinik für Dermatologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms- Universität Sigmund-Freud-Straße 25 53105 Bonn E-Mail: Eberhard.Rabe@ukb.uni-bonn.de 84 29. Jahrgang_2_2017

CME-Fragen zur Kompressionstherapie 1. Was wird als Basisbehandlung bei chronischen Venenkrankheiten bezeichnet? Varizen-Operationen Endovenöse Lasertherapie Kompressionstherapie Sklerotherapie Endovenöse Radiofrequenztherapie 2. Keine Indikation für die Kompressionstherapie ist ein/e Varikose Chronische Veneninsuffizienz Beinvenenthrombose Arterielles Ulkus Lymphödem 3. Zu den absoluten Kontraindikationen der Kompressionstherapie gehört nicht fortgeschrittene periphere arterielle Verschlusskrankheit dekompensierte Herzinsuffizienz septische Phlebitis Phlegmasia coerulea dolens posttraumatisches Ödem 4. Zu den relativen Kontraindikationen der Kompressionstherapie zählt nicht ausgeprägte nässende Dermatose Unverträglichkeit auf Kompressionsstrumpfmaterial Narbenbehandlung schwere Sensibilitätsstörungen der Extremität fortgeschrittene periphere Neuropathie (z.b. Diabetes mellitus) 5. Welche Bein-Symptome treten bei venösen Erkrankungen in der Regel nicht auf? Schmerzen beim Gehen und Stehen Spannungsgefühl verstärkter Haarwuchs Ödeme Schweregefühl 6. Die Verordnung der Strumpfart und Kompressionsklasse ist nicht abhängig von der Diagnose der Lokalisation der Abflussstörung dem klinischen Befund den physischen Möglichkeiten des Patienten dem Modegeschmack des Patienten 7. Eine starre Zuordnung einer Kompressionsklasse zu einer Diagnose ist meist nicht sinnvoll. Welche der Therapiemöglichkeiten ist nicht empfehlenswert? KKL 3 bei Varikose ohne ausgeprägtes Ödem KKL 2 und höher bei Varikose mit fortgeschrittenem Ödem und Hautveränderungen KKL 2 beim beginnenden postthrombotischen Syndrom KKL 2 beim Lymphödem im Stadium I KKL 3 oder 4 beim Lymphödem im Stadium III 8. Was bedeutet die CEAP-Klassifikation für chronische Venenkrankheiten? Was ist falsch? C = klinischer Befund E = Ätiologie E = Ekzem A = anatomische Lokalisation P = Pathophysiologie 9. Wirkungen von MKS bei venösen Beschwerden - was ist falsch? MKS mit 10 15 mmhg können Beschwerden und Ödeme, die mit einer Varikose einhergehen, welche noch nicht zu weiteren Symptomen der CVI geführt hat, verbessern. Bei der Ulkus-cruris-Behandlung sind Kompressionsstrümpfe mit niedriger Kompressionsklasse unwirksam. MKS niedriger Kompressionsklasse können der Ödem- und Schmerzentwicklung im Tagesverlauf bei Stehberuflern entgegenwirken. Beim Tragen von MKS der KKL 1 und 2 treten bei Schwangeren weniger Refluxe in der Vena saphena magna und weniger Beschwerden auf als bei nicht-therapierten Schwangeren. MKS mit niedrigen Drücken (5 mmhg im Knöchelbereich, 17 20 mmhg im Wadenbereich) können auf Flügen über fünf Stunden Dauer fluginduzierte Knöchelödeme, Schmerzen und Missempfindungen der Beine reduzieren. 10. Können MKS der KKL 1 für ältere Patienten sinnvoll sein? Welche Aussage stimmt nicht? Sie tolerieren MKS einer höheren KKL oft schlecht. Es liegen häufiger arterielle Durchblutungsstörungen vor. KKL 1 sind bei älteren Patienten unwirksam. MKS der KKL 1 lassen sich bei orthopädischen Erkrankungen leichter anziehen. Es bestehen häufiger neurologische Erkrankungen. FAX: 0 89/75 54 797 bzw. 0 89/75 96 79 11 Ich versichere, alle Fragen ohne fremde Hilfe beantwortet zu haben. Name Straße, Hausnr. PLZ, Ort (oder Stempel) E-Mail-Adresse Ort, Datum Unterschrift Praxisstempel: Hier Ihre EFN eintragen: Diese CME ist gültig bis 13.03.2018 VNR 2760512017138700036 Teilnahmebedingungen Bitte kreuzen Sie jeweils nur eine Antwort an. Die Landesärztekammer Nordrhein hat die CME-Fortbildung in diesem Heft anerkannt und bewertet die korrekte Beantwortung von mindestens 70 % aller Fragen mit zwei Punkten. Senden Sie den ausgefüllten Fragebogen per Fax an den Viavital Verlag GmbH. Sie erhalten von uns eine Bescheinigung über Ihre Teilnahme. Bitte schicken Sie diese an Ihre Ärztekammer. Datenschutz: Ihre Namens- und Adressangaben dienen ausschließlich dem Versand der Bestätigungen und werden nicht an Dritte weitergegeben. Sie können auch online teilnehmen unter www.der-niedergelassene-arzt.de/nc/cme Bei Online-Teilnahme werden die Punkte direkt an die Ärztekammer gemeldet.