TASK 2009 Würzburg, 09.-11. Juli 2009 Aufklärung für Herzkatheterdiagnostik und -intervention Dr. Tonja Gaibler Rechtsanwältin
Die Klassiker im Arzthaftungsrecht Aufklärung und Dokumentation Klassische juristische Fallstricke Praktische Tipps zur Haftungsprävention
Haftungsrisiko Patientenaufklärung Die Tücke der hohen rechtlichen Anforderungen liegt gerade bei der Aufklärung im Detail Die Beweislast für die korrekte Aufklärung liegt aber beim Arzt deshalb klassischer Auffangtatbestand : der Aufklärungsfehler führt ebenso zur Haftung wie der Behandlungsfehler Zweifel an korrekter Aufklärung gehen beweisrechtlich zu Lasten des Arztes eine rechtssichere Dokumentation der Aufklärung ist unerlässlich
Patientenaufklärung typische Fehlerquellen Organisation der Aufklärung ausreichende Qualifikation des aufklärenden Arztes? Aufklärung über Behandlungsalternativen Nachweis der Aufklärung formale Kriterien: selbstgefertigte Formulare unzureichende Risikoaufklärung zeitliche Abläufe / Zeitpunkt der Aufklärung Aufklärung bestimmter Patientengruppen: nicht (mehr) einwilligungsfähige oder fremdsprachige Patienten
Delegation der Aufklärung Qualifikation des aufklärenden Arztes BGH, 07.11.2006, VI ZR 206/05 (www.bundesgerichtshof.de): Leitsatz: Der Chefarzt, der die Risikoaufklärung eines Patienten einem nachgeordneten Arzt überträgt, muss darlegen, welche organisatorischen Maßnahmen er ergriffen hat, um eine ordnungsgemäße Aufklärung sicherzustellen und zu kontrollieren Sachverhalt: Schwere Bauchfellentzündung und Bauchspeicheldrüsenentzündung nach Divertikeloperation am Zwölffingerdarm und Nahtinsuffizienz. Kein Behandlungsfehler feststellbar, aber Vorwurf, der nachgeordnete Stationsarzt selbst Facharzt habe nicht über das Risiko einer Bauchspeicheldrüsenentzündung aufgeklärt. In Kenntnis dieses Risikos hätte Pat. nicht in den Eingriff eingewilligt. Klage gegen Chefarzt.
Delegation der Aufklärung Qualifikation des aufklärenden Arztes BGH, 07.11.2006, VI ZR 206/05 (www.bundesgerichtshof.de): Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen, da CA in zulässiger Weise die Aufklärung auf den Stationsarzt delegiert habe, der sei als Facharzt hierfür ausreichend qualifiziert. Anhaltspunkte für mangelnde Kontrollen oder Zweifel an der Zuverlässigkeit hätten nicht bestanden. Aus den Entscheidungsgründen des BGH: OLG verkennt die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur ärztlichen Zusammenarbeit, insbesondere Bedeutung und Umfang der bei einer ärztlichen Arbeitsteilung bestehenden Kontroll- und Überwachungspflichten
Delegation der Aufklärung Qualifikation des aufklärenden Arztes BGH, 07.11.2006, VI ZR 206/05 (www.bundesgerichtshof.de): Aus den Entscheidungsgründen des BGH: Zwar kann hier eine Haftung des CA mangels Verschuldens entfallen, dies setzt allerdings voraus, dass der CA eine ordnungsgemäße Aufklärung durch geeignete organisatorische Maßnahmen und Kontrollen sichergestellt hat und dies nachweist An die Kontrollpflicht des behandelnden Arztes, der die Aufklärung delegiert, sind strenge Anforderungen zu stellen. Er muss die ordnungsgemäße Erfüllung sicherstellen und im Arzthaftungsprozess darlegen, was er hierfür getan hat er muss angeben, ob er sich in einem Gespräch und/oder durch einen Blick in die Krankenakte vom Vorhandensein einer von Arzt und Patient unterzeichneten Einverständniserklärung vergewissert hat
Delegation der Aufklärung Qualifikation des aufklärenden Arztes Aus den Entscheidungsgründen des BGH: Dies muss erst recht gelten, wenn der Operateur als Chefarzt Vorgesetzter des aufklärenden Arztes und daher überwachungspflichtig und weisungsberechtigt ist Zu den Pflichten des CA gehört es, für eine ordnungsgemäße Aufklärung der Patienten seiner Klinik zu sorgen. Bei der Übertragung der Aufklärung auf einen nachgeordneten Arzt darf er sich auf die ordnungsgemäße Durchführung und Vollständigkeit nur verlassen, wenn er hierfür ausreichende Aufklärungsanweisungen erteilt hat im Arzthaftungsprozess darlegen kann, welche organisatorischen Maßnahmen und welche Kontrollmaßnahmen zur ordnungsgemäßen Umsetzung er getroffen hat
Delegation der Aufklärung Qualifikation des aufklärenden Arztes Aus den Entscheidungsgründen des BGH: Zusätzliche Organisationsanforderungen für seltene Eingriffe bzw. Eingriffe, die mit besonderen Risiken verbunden sind: hier reicht allgemeine Organisationsanweisung nicht aus. Erforderlich ist bei solchen (seltenen) Eingriffen zusätzlich, dass eine spezielle Aufklärungsanweisung existiert oder sich der Operateur auf andere Weise, wie z.b. in einem persönlichen Vorgespräch mit dem aufklärenden Arzt vergewissert, dass dieser den Eingriff in seiner Gesamtheit erfasst hat und dem Patienten die erforderlichen Entscheidungshilfen im Rahmen der Aufklärung geben kann nur dann darf sich der CA darauf verlassen, dass der aufklärende Arzt sich an die allgemein oder im Einzelgespräch erteilten Organisationsanweisungen hält
Delegation der Aufklärung Qualifikation des aufklärenden Arztes OLG Karlsruhe, 02.08.1995, VersR 1997, 241 52-jährige, fremdsprachige Patientin, 1988 Herzkatheteruntersuchung zeigt Verengung und Undichtigkeit der Mitralklappe und Undichtigkeit an der Aortenklappe. Nach kardiologisch-kardiochirurgischem Kolloquium soll eine perkutane Sprengung der Mitralklappe mittels Ballonvalvuloplastie erfolgen. Nach Aufdehnung der Mitralklappe reanimationspflichtig. Diagnostiziert wird eine Verletzung des Herzmuskels mit Einblutung in den Herzbeutel. Not-OP am offenen Herzen zeigt Perforation der linken Herzkammerspitze. Versorgung durch Übernähen, 2. Not-OP aber noch in der selben Nacht. Es tritt ein hypoxischer Hirnschaden ein. Gerügt wird u.a.: unzureichende Aufklärung über Behandlungsalternativen, Methode der Ballonvalvuloplastie noch im klinischen Erprobungsstadium, Assistenzärztin nicht ausreichend qualifiziert, behandelnder Arzt müsse persönlich aufklären, Putzhilfe als Dolmetscher ungeeignet
Delegation der Aufklärung Qualifikation des aufklärenden Arztes OLG Karlsruhe, 02.08.1995, VersR 1997, 241 unschädlich ist, dass nicht der behandelnde Kardiologe persönlich aufgeklärt hat Assistenzärztin im vierten Weiterbildungsjahr ist ausreichend qualifiziert (cave: BGH 2006! Kein Automatismus!) Putzhilfe als Dolmetscherin nicht a priori ungeeignet, die medizinische Situation vom Laienstandpunkt aus darzustellen (Anhörung hat Eignung bestätigt) cave: je komplexer, desto höhere Anforderungen Laut Sachverständigem war Ballonvalvuloplastie im konkreten Fall die risikoärmste Methode, Behandlungsalternativen riskanter Methode war in Spezialkliniken bereits Standard Klage wurde abgewiesen
Delegation der Aufklärung Qualifikation des aufklärenden Arztes Konsequenzen aus beiden Urteilen: Fremdaufklärung durch Einweiser oder fachfremden Arzt sehr problematisch Auch Weiterbildungsassistent kann natürlich über die erforderliche Aufklärungskompetenz verfügen wovon sich der Verantwortliche jedoch vergewissern und dies ggf. nachweisen muss Erforderlich sind schriftlich niedergelegte Standards zu den Aufklärungsinhalten und zur Organisation der Patientenaufklärung Nachweisbarkeit von Kontrollen erforderlich
Aufklärung des Patienten Behandlungsalternativen Behandlungsalternativen Aufklärungspflichtig immer dann, wenn die verschiedenen echten Alternativen (gleichermaßen anerkannte Behandlungsmethoden) mit gleichwertigen Erfolgschancen, aber unterschiedlichen Belastungen und Risiken verbunden sind Sehr aktuell, viele neue Entscheidungen erfolgversprechender Angriff für den Patienten(anwalt) Haftungsfalle: fehlende Dokumentation v.a. im KH! klassische Beispiele: Vorgehen konservativ / interventionell / operativ Auch: zeitlicher Rahmen - sofort oder aufschiebbar
Aufklärung des Patienten Haftungsrisiko: verspätete Aufklärung (elektive Maßnahmen) Grundsätzlich gilt: der Patient muss ausreichend Zeit haben, vor dem Eingriff das Für und Wider des Eingriffs abzuwägen. Zu berücksichtigen sind immer die Umstände des Einzelfalls 24 Stunden? Bei einfachen, stationären Eingriffen mit geringeren oder weniger einschneidenden Risiken kann eine Aufklärung am Vortag des Eingriff (Anästhesie: Vorabend) noch rechtzeitig sein, grundsätzlich sollte die Aufklärung jedoch bei der Vereinbarung des Eingriffstermins erfolgen Bei normalen (so der BGH) ambulanten und diagnostischen Eingriffen kann die Aufklärung sogar am Tag des Eingriffs erfolgen, bei größeren ambulanten und diagnostischen Eingriffen mit beträchtlichen Risiken (z.b. PTCA) ist jedoch eine Aufklärung am Tag des Eingriffs u.u. nicht mehr rechtzeitig.
Aufklärung des Patienten Zeitpunkt der Aufklärung Haftungsrecht versus Kosten Zeitpunkt der Aufklärung: LSG Rheinl.-Pfalz, 18.5.2006, L 5 KR 149/05 hat sich im Spannungsfeld zwischen Arzthaftung und Wirtschaftlichkeitsgebot eindeutig zugunsten den Anforderungen des Haftungsrechts ausgesprochen: Die Entscheidung des Krankenhausarztes, zwischen ärztlicher Aufklärung ( ) über eine Linksherzkatheteruntersuchung mit Einsetzung eines Stents und diesem Eingriff 24 Stunden zu warten ist vertretbar mit der Folge, dass der ( ) Krankenhausaufenthalt notwendig ist und die Krankenkasse die Kosten zu übernehmen hat Keinesfalls kann der Arzt ( ) zu einem ( ) Handeln, das für ihn zu nicht unerheblichen Haftungsrisiken führen kann, allein deshalb verpflichtet sein, weil die Krankenkasse dadurch Kosten einspart.
Aufklärung des Patienten formale Kriterien Rechtlich entscheidend ist das vertrauensvolle Arzt- Patienten-Gespräch Konkrete formale Voraussetzungen hat die Rechtsprechung eigentlich nicht vorgegeben, aber: die Beweislast für die korrekte Aufklärung liegt beim Arzt jeder Zweifel an ausreichender, inhaltlich vollständiger Aufklärung geht zu Lasten des Arztes Zeugen?
Aufklärung des Patienten formale Kriterien Deshalb: Aufklärungsbögen aber Vorsicht bei selbstgefertigten oder pauschalen Bögen, die keine Aufklärungsinhalte belegen ( (...) ich bin über alle in Betracht kommenden Risiken aufgeklärt worden ) diese sind nicht ausreichend Hohe forensische Akzeptanz der Standard- Aufklärungsbögen (z.b. DIOmed, procompliance ). Voraussetzung: Stufenaufklärung und handschriftliche Einträge (z.b. OLG Koblenz, 12.06.2008, 5 U 1630/07: weitreichender Verschluss der A. brachialis und A. radialis nach Herzkatheter. Handschriftlich ergänzt: Gefäßverschlussverletzung ) Dokumentation von Zeitpunkt und ggf. Dauer des Aufklärungsgesprächs
Aufklärung des Patienten Risikoaufklärung Risikoaufklärung bildet den Schwerpunkt der forensischen Aufklärungsproblematik Eingriffsspezifische, erhebliche Risiken sind immer aufklärungspflichtig unabhängig von der Risikofrequenz bestätigt BGH erneut 2007 in der Cordarex-Entscheidung (BGH 17.04.2007, VI ZR 108/06 - www.bundesgerichtshof.de) hohe Anforderungen bei diagnostischen Eingriffen ohne therapeutischen Eigenwert, sofern keine dringliche Indikation
Aufklärung des Patienten Therapeutische Aufklärung Dient der Sicherstellung des Behandlungserfolges Warn- und Verhaltenshinweise Patientenmerkblätter Dokumentation der therapeutischen Aufklärung Vereinbarung von WV-Terminen, Kontrolluntersuchungen Bedeutung der Compliance / Behandlungstreue Beweislast liegt hier beim Patienten, aber fehlende Dokumentation indiziert Unterbleiben
Haftungsrisiko Dokumentation Haftungsrechtliche Grundsätze: was dokumentiert ist, gilt als gemacht, was nicht dokumentiert ist, gilt bis zum Beweis des Gegenteils - als nicht gemacht Aber: der ordnungsgemäßen Dokumentation wird bis zum Beweis des Gegenteils Glauben geschenkt Defizite der Dokumentation führen im Prozess zu erheblichen Beweisnachteilen Nachträge mit korrekter Datumsangabe (zulässig) - Nachträgliche Veränderungen (Urkundenfälschung!)
Haftungsrisiko Dokumentation klassische Fehlerquellen widersprüchliche ärztliche und pflegerische Dokumentation OP: unvollständige / widersprüchliche Dokumentation in kritischen Situationen: Anästhesieprotokoll Divergenz gerätetechnischer und handschriftlicher Aufzeichnungen divergierende Uhrzeiten schlechte Lesbarkeit fehlende Einträge Vorsicht bei Formulardokumentation Gefahr unvollständig ausgefüllter Formulare Namenskürzel - Identifizierbarkeit Archivierung Herausgabe Unterlagen wann an wen? Doku! Unvollständigkeit: nachlaufende Befunde
Haftungsrisiko Dokumentation unvernünftige Entscheidungen des Patienten Besondere Sorgfalt bei unvernünftigen Entscheidungen des Patienten: Dokumentation der konkret genannten Risiken und der Dringlichkeit! OLG Bamberg 4.7.05, 4 U 126/03: Verweigert der Patient eine dringend indizierte Untersuchung, die geeignet ist, einen drohenden Herzinfarkt zu verhindern, ist dies dokumentationspflichtig, der unterbliebene Hinweis auf die Dringlichkeit (hier unterstellt, weil nicht dokumentiert!) ist schlechterdings unverständlich, begründet also einen groben Behandlungsfehler Entlassung gegen ärztlichen Rat
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Ulsenheimer Friederich Rechtsanwälte München Berlin RAin Dr. Tonja Gaibler Isartorplatz 1 80331 München Tel.: 089/242081-0 gaibler@uls-frie.de
Aufklärung des Patienten Risikoaufklärung - Medikamentenaufklärung Cordarex-Entscheidung, BGH 17.04.2007, VI ZR 108/06 (www.bundesgerichtshof.de) Die Pat. erhält ab 22.03.2000 zur Behandlung einer Herzarrhythmie das Medikament Cordarex, am 30.03.2000 erleidet sie einen Kreislaufstillstand, wird erfolgreich reanimiert, erleidet aber einen schweren hypoxischen Hirnschaden. Gerügt wird die mangelnde Aufklärung über die erheblichen Nebenwirkungen des Medikaments. Dagegen wird eingewandt, das Medikament sei in der konkreten Behandlungssituation zunächst erprobt worden, eine Aufklärungspflicht habe deshalb noch nicht bestanden
Aufklärung des Patienten Risikoaufklärung - Medikamentenaufklärung Cordarex-Entscheidung, BGH 17.04.2007, VI ZR 108/06 (www.bundesgerichtshof.de) Entscheidungsgründe des BGH: Der Arzt, der Medikamente verordnet, die mit dem Risiko erheblicher Nebenwirkungen verbunden sind, hat den Patienten zur Sicherung seines Selbstbestimmungsrechts über die Risiken des (für den Patienten) neuen Medikaments aufzuklären. Tut er dies nicht, ist die Behandlung rechtswidrig, auch wenn der Einsatz des Medikaments an sich sachgerecht war. Laut Sachverständigem war das Medikament mit hoher Wahrscheinlichkeit Ursache des Herzstillstandes. Muss das Risiko eines Herzstillstandes als typisches Risiko der Gabe von Cordarex angesehen werden, so war wegen der schwerwiegenden Folgen eine Aufklärung auch darüber erforderlich.
Aufklärung des Patienten Risikoaufklärung - Medikamentenaufklärung Cordarex-Entscheidung, BGH 17.04.2007, VI ZR 108/06 (www.bundesgerichtshof.de) Entscheidend für die Aufklärungspflicht ist nicht ein bestimmter Grad der Risikodichte, insbesondere nicht eine bestimmte Statistik, sondern vielmehr, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Pat. besonders belastet, so dass grundsätzlich auch über derartige, äußerst seltene Risiken aufzuklären ist Es kommt nicht darauf an, ob bei der Patientin das Medikament zunächst nur erprobt werden sollte. Vielmehr ist bereits vor dem ersten Einsatz vollständig aufzuklären, damit der Patient in Kenntnis des Risikospektrums und frei vom Einfluss einer ersten Beschwerdelinderung entscheiden kann, ob er sich überhaupt für die Erprobung entscheiden, oder wegen der erheblichen Nebenwirkungen auf das Medikament von vorneherein verzichten will.