AVR ein geeigneter Kompass für gute Gesetze? Methodische Mängel des Arzneiverordnungs-Reports an Fallbeispielen Dr. Norbert Gerbsch stv. Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.v.
Methodische Mängel des AVR eine Überprüfung anhand von Beispielen 1) Kann man mehr als die Kosten eines Arzneimittels einsparen? Das Problem der Doppelzählung am Beispiel Lyrica 2) Wie sollte man Preise international vergleichen? Deutschland vs. Schweden 2010 am Beispiel Lantus 3) Welche Folgen hat die Herausrechnung der MwSt. gemäß AVR-Methodik für das Einsparpotential? Herausrechnung der Mehrwertsteuer am Beispiel Humira 4) Zusammenfassung: Ist der AVR ein geeigneter Kompass für gute Gesetze? BPI e.v. 16.09.2014 2
1. Kann man mehr als die Kosten eines Arzneimittels einsparen? Das Problem der Doppelzählung am Beispiel Lyrica BPI e.v. 16.09.2014 3
Können nationale und internationale Einsparpotentiale (ESP) addiert werden? Aus der Pressemitteilung vom 12.09.2013 zum AVR 2013: Mit Hilfe von nationalen und internationalen Preisvergleichen haben die Herausgeber ein Einsparpotenzial von insgesamt 3,7 Mrd. Euro berechnet. Statement Prof. Schwabe, Pressekonferenz AVR 2013, 12.09.2013: Für 2012 wurden insgesamt konservativ geschätzte Wirtschaftlichkeitsreserven von 3,7 Mrd. berechnet ([ national:] Generika 1,6 Mrd., Biosimilars 38 Mio., Analogpräparate 2,5 Mrd., umstrittene Arzneimittel 0,5 Mrd. [ ], abzüglich 2,1 Mrd. Rabatteinnahmen der Krankenkassen [ = 2,5 Mrd. ] [ international:] Patentarzneimittel 1,2 Mrd.,). national 2,5 Mrd. + international 1,2 Mrd. = insgesamt 3,7 Mrd. BPI e.v. 16.09.2014 4
Können nationale und internationale Einsparpotentiale (ESP) addiert werden? Das Beispiel Lyrica (Pregabalin) aus dem AVR 2013 Preisangabe Netto-Kosten (AVP Rabatte, inkl. MwSt.) NATIONAL: Einsparpotential (ESP) als Analogpräparat Kosten bzw. ESP in Mio. Quelle im AVR 2013 281,0 S. 11; Tabelle 1.3 233,2 S. 37; Tabelle 1.10 INTERNATIONAL: Einsparpotential (ESP) im Vergleich zu Frankreich 105,5 S. 13; Tabelle 1.4 Summe ESP National + Internat. 338,7 Lyrica : patentgeschützt / Indikation: Schmerzen, Epilepsie, Angststörungen / pharmazeutischer Unternehmer: Pfizer Einsparungen von 338,7 Mio. > Kosten von 281,0 Mio. 5
Weitere Doppelzählungen aus dem AVR 2013 Präparate Netto-Kosten nat. ESP- Substitution ESP int. SUMME ESP Lyrica 281,0 233,2 105,5 338,7 Cymbalta 140,7 124,5 66,5 191,0 Inegy 133,4 122,1-16,1 106,0 Targin 131,0 105,1-105,1 Abilify 123,3 113,2 48,7 161,9 Coaprovel 55,9 42,3 6,6 48,9 Votum plus 52,1 39,6 12,0 51,6 SUMME 917,4 780,0 223,2 1.003,2 Quelle: Eigene Berechnungen aus AVR 2013, S. 13/14, Tabelle 1.4 und S. 37, Tabelle 1.10. BPI e.v. 16.09.2014 6
Hochrechnung Doppelzählungen im AVR 2013 auf den Gesamtmarkt AVR-Hochrechnung ESP gem. Tab. 1.4, S.13/14 Bereinigte AVR-Hochrechnung ESP gem. Tab. 1.4 Betrag Doppelzählungen Einsparpotentiale Rang 1-50 662,2 Mio. 662,2 Mio. 223,2 Mio. = 439,6 Mio. 223,2 Mio. Anteil Rang 1-50 am Gesamtmarkt 1) 55,8% 55,8% -- Einsparpotential Gesamtmarkt 662,2 Mio. / 0,558 = 1.188,0 Mio. 439,6 Mio. / 0,558 = 787,8 Mio. 400,2 Mio. Quelle: Eigene Berechnungen aus AVR 2013, S. 13/14, Tabelle 1.4 und S. 37, Tabelle 1.10. 1) Anteil und Gesamtmarkt patentgeschützte Arzneimittel gemessen in GKV-Umsatz zu Nettokosten BPI e.v. 16.09.2014 7
Können nationale und internationale Einsparpotentiale (ESP) addiert werden? NEIN, nationale und internationale Einsparpotentiale müssen um Doppelzählungen korrigiert werden! Der AVR korrigiert im AVR 2012 die Doppelzählungen. Diese betrugen damals rund 530 Mio. (AVR 2012, S. 37). In den AVRs 2010, 2011 & 2013 korrigiert der AVR Doppelzählungen dagegen nicht! AVR 2010 2011 2012 2013 Vermeidung von Doppelzählungen nein nein ja nein BPI e.v. 16.09.2014 8
2. WIE SOLLTE MAN PREISE INTERNATIONAL VERGLEICHEN? Deutschland vs. Schweden 2010 am Beispiel Lantus BPI e.v. 16.09.2014 9
Sparpotenzial vor allem bei der Pharmaindustrie? Es ist die Pharmaindustrie, die so hohe Preise verlangt. [ ] Viele althergebrachte Privilegien der Pharmaindustrie sollten abgeschafft werden.! Die 50 umsatzstärksten Patentarzneimittel sind in Deutschland im Durchschnitt 48% teurer als die entsprechenden Präparate in Schweden. Quelle: AVR 2010, S. 15. BPI e.v. 16.09.2014 10
Internationaler Preisvergleich Das Beispiel Lantus 1) aus dem AVR 2010 Preisangabe Preis SWE EUR / Packung Preis D EUR / Packung D zu SWE in EUR D zu SWE in % Apothekenverkaufspreis brutto 36,53 51,79 15,26 41,8 Quelle: AVR 2010, Tabelle 1.4, S. 16 & eigene Berechnungen auf Basis der AVR-Angaben. 1) Lantus (Insulin glargin): patentgeschützt, Indikation: Diabetes mellitus, Hersteller: Sanofi BPI e.v. 16.09.2014 11
Internationaler Preisvergleich Das Beispiel Lantus aus dem AVR 2010 Nachrechnen (1) Preisangabe Preis SWE EUR / Packung Preis D EUR / Packung 41,8% Apothekenverkaufspreis brutto 36,53 51,79 Rechenweg Keine MwSt. auf Arzneimittel 19% MWSt. Abziehen: 51,79 / 1,19 = 43,52 19,1% Apothekenverkaufspreis netto 36,53 43,52 BPI e.v. 16.09.2014 12
Internationaler Preisvergleich Das Beispiel Lantus aus dem AVR 2010 Nachrechnen (2) Preisangabe Preis SWE EUR / Packung Preis D EUR / Packung Apothekenverkaufspreis brutto 36,53 51,79 19,1% Apothekenverkaufspreis netto 36,53 43,52 Rechenweg Tandvärds-och läkemedelsförmänsverket TLV 02.06.2010 300,00 6 000,00 kr: Apothekenverkaufspreis = (Apothekeneinkaufspreis 1,02 + 47,00 kr). 1 kr = 0,104528 EUR 47,00 kr = 47 x 0,104528 EUR/kr = 4,91 EUR ArzneimittelpreisVerordnung 2010: Apothekeneinkaufspreis + 3% + 8,10 EUR 1) 43,52 8,10 = 35,42 2) 35,42 / 1,03 = 34,39 1) 36,53 4,91 = 31,62 2) 31,62 / 1,02 = 31,00 Apothekeneinkaufspreis netto (ohne Abzug Rabatte) 10,9% 31,00 34,39 13
Internationaler Preisvergleich Das Beispiel Lantus aus dem AVR 2010 Nachrechnen (3) Preisangabe Preis SWE EUR / Packung Preis D EUR / Packung Apothekenverkaufspreis brutto 36,53 51,79 Apothekenverkaufspreis netto 36,53 43,52 10,9% Apothekeneinkaufspreis netto 31,00 34,39 Rechenweg Großhandelsmarge zwischen Hersteller und Großhändler frei verhandelt. In der Größenordnung von 2-3%, tendenziell steigend. Hier zu Ungunsten der Hersteller in Deutschland mit 3% an der Obergrenze angenommen. 31,00 / 1,03 = 30,10 Die Großhandelsspanne betrug bis zur Umstellung durch das AMNOG (1.1.2011) für Arzneimittel mit einem Abgabepreis über 26,83 EUR sechs Prozent. 34,39 / 1,06 = 32,44 Herstellerabgabepreis netto (ohne Abzug Rabatt) 7,8% 30,10 32,44 14
Internationaler Preisvergleich Das Beispiel Lantus aus dem AVR 2010 Nachrechnen (4) Preisangabe Preis SWE EUR / Packung Preis D EUR / Packung Apothekenverkaufspreis brutto 36,53 51,79 Apothekenverkaufspreis netto 36,53 43,52 Apothekeneinkaufspreis netto 30,99 34,39 Herstellerabgabepreis netto 30,10 32,44 Rechenweg Keine Abschläge 7,8% 16% Zwangsrabatt von 32,44 = 5,19 32,44 5,19 = 27,25 Rückerstattung von 19% MWSt. auf 5,19 = 5,19 * 0,19 = 0,99 27,25 + 0,99 = 28,24 Abzgl. Rabatte = Einnahme Hersteller -6,2% 30,10 28,24 15
Internationaler Preisvergleich Das Beispiel Lantus aus dem AVR 2010 - Übersicht Preisangabe Preis Swe EUR / Packung Preis D EUR / Packung D zu Swe in EUR D zu Swe in % Apothekenverkaufspreis brutto (Angaben AVR) Apothekenverkaufspreis netto Apothekeneinkaufspreis netto Herstellerabgabepreis netto Abzgl. Rabatte 1) = Einnahme Hersteller 36,53 51,79 15,26 41,8 36,53 43,52 6,99 19,1 30,99 34,39 3,39 10,9 30,10 32,44 2,34 7,8 30,10 28,24-1,86-6,2 Lantus : 2010 patentgeschützt / Diabetes / pharmazeutischer Unternehmer: sanofi aventis 1) 16% 16
AVR 2010: Das Beispiel Schweden Was passiert, wenn man die Lantus-Rechnung für alle 50 verglichenen Präparate wiederholt? - Was kostet es die Kassen wirklich? + 48% - Wer bekommt wieviel davon? + 4,5% Situation im September 2010: 16% Herstellerabschlag und (in der Rechnung nicht berücksichtigtes) Preismoratorium! BPI e.v. 16.09.2014 17
SEK pro EUR Noch nicht betrachtet: Wechselkurse CHART Schwedische Krone EURO (SEK-EUR) Wechselkursentwicklung 2009 2014 Quelle: www.finanzen.net vom 20.08.2014 02.06.2010: 1 EUR = 10,5 SEK 01.06.2012: 1 EUR = 8,2 SEK Delta: 2,3 SEK oder 21,9% In 2,75 Jahren BPI e.v. 16.09.2014 18
Internationaler Preisvergleich AVR 2010 2011 2012 2013 Unvollständige Herausrechnung von Rabatten und Abschlägen Keine Zurechnung der ESP nach Distributionsstufen Vergleich mit Einzelländern statt Länderkörben Keine sachgerechte Währungsumrechnung Kein Abzug negativer ESP bei höheren Vergleichspreisen im Ausland?? in in ROT = bestehender Mangel Grün = Mangel behoben ROT/? = Unklar, ob Mangel behoben BPI e.v. 16.09.2014 19
3. RECHNET DER AVR DIE MWST. RICHTIG RAUS? Nachrechnung am Beispiel Humira BPI e.v. 16.09.2014 20
Herausrechnung der MwSt. im AVR 2013 Schritt 1: Berechnung der Preisdifferenz am Beispiel HUMIRA (Adalimumab) Deutschland Frankreich Differenz in AVP (vor Rabatten, inkl. MwSt.) 5.231,17 3.004,50 2.226,67 AVP ohne MwSt. 4.395,94 1) 2.942,70 2) 1.453,24 Nettokosten ohne MwSt 3.718,48 3) 2.942,70 775,78 Quelle: AVR 2013,Tabelle 1.4, S.13 / gefettete Werte: eigene Berechnungen 1) 5.231,17 AVP / 1,19 = 4.395,94. 2) 3.004,50 / 1,021 = 2.942,70. Die MwSt. auf Arzneimittel beträgt in Frankreich 2,1% 3) 4.395,94 AVP 675,41 Herstellerrabatt gemäß Lauer-Taxe 2,05 Apothekenrabatt gemäß Lauer-Taxe = 3.718,48. Preisstand 01.01.2012. BPI e.v. 16.09.2014 21
Herausrechnung der MwSt. im AVR 2013 Schritt 2: Berechnung des Einsparpotentials nach dem gesunden Menschenverstand Mehrwertsteuerfreie Preisdifferenz pro Packung Anzahl der Packungen in D 2012 Einsparpotential in Mio. 775,78 X 127.554* = 98,9 580,8 Mio. (GKV-Netto-Umsatz mit MwSt.) / 4.553,71 (Netto-Preis mit MwSt.) = 127.554 Packungen. Quelle: Tabelle 1.4 (AVR 2013, S. 13) Der AVR weist jedoch ein ESP von 121,2 Mio. aus! (+22,3 Mio. bzw. 22,5%) Wie kann das sein? BPI e.v. 16.09.2014 22
Herausrechnung der MwSt. im AVR 2013 Schritt 3: Berechnung des Einsparpotential nach AVR 2013 Mehrwertsteuerfreie Relation? GKV Umsatz zu Nettokosten (abz. Rabatte, inkl. MwSt.) Umsatz, der sich mit französischen Preisen in Deutschland ergäbe 0,79* X 580,8 Mio. = 459,63 Mio. * Errechnung der Mehrwertsteuerfreien Relation : 2.942,70 (mehrwertsteuerfreier Preis in Frankeich) / 3.718,48 (mehrwertsteuerfreier Preis in Deutschland) = 0,791 (d.h. Preis F = 79% von Preis-D) GKV Umsatz zu Nettokosten (abz. Rabatte, inkl. MwSt.) Umsatz, der sich mit französischen Preisen in Deutschland ergäbe Mehrwertsteuerfreies Einsparpotential in Mio.? 580,8 Mio. - 459,6 Mio. = 121,2 23
Herausrechnung der MwSt. im AVR 2013 Schritt 4: Wo liegt der Fehler? Es ist falsch, die mehrwertsteuerfreie Relation (0,791 bzw. Preis-F = 79% Preis-D) mit dem GKV-Umsatz zu Nettokosten zu multiplizieren, denn bei letzterem Wert handelt es sich um einen Wert mit Mehrwertsteuer. Der AVR multipliziert so Werte mit und ohne Mehrwertsteuer. Mathematisch können nur Größen mit der gleichen Einheit sinnvoll in Relation zueinander gesetzt werden ( Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen). Es wäre daher vielmehr korrekt, die mehrwert-steuerfreie Relation mit den GKV-Umsatz zu Nettokosten abzüglich der Mehrwertsteuer zu berechnen. Der mehrwertsteuerfreie GKV-Umsatz zu Nettokosten betrüge dann rund 488,07 Mio. ((580,80 Mio. / 1,19) = 488,07 Mio. ). BPI e.v. 16.09.2014 24
Herausrechnung der MwSt. im AVR 2013 Schritt 5: Neu-Berechnung des Einsparpotential nach AVR 2013 Mehrwertsteuerfreie Relation GKV Umsatz zu Nettokosten ohne MwSt. Umsatz, der sich mit französischen Preisen in Deutschland ergäbe 0,79 X 488,07 Mio. * = 386,24 Mio. * Errechnung des GKV-Umsatzes zu Nettokosten ohne MwSt. : 580,8 Mio. (GKV-Umsatzes zu Nettokosten mit MwSt. ) / 1,19 = 488,07 Mio. GKV Umsatz zu Nettokosten ohne MwSt. Umsatz, der sich mit französischen Preisen in Deutschland ergäbe Einsparpotential in Mio. 488,07 Mio. - 386,24 Mio. = 101,8 25
Herausrechnung der MwSt. im AVR 2013 Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? AVR 2010 2011 2012 2013 Keine oder inkorrekte Herausrechnung von MwSt- Unterschieden BPI e.v. 16.09.2014 26
4. Zusammenfassung Ist der AVR ein geeigneter Kompass für gute Gesetze? BPI e.v. 16.09.2014 27
Methodische Mängel im Überblick I BPI e.v. 16.09.2014 28
Methodische Mängel im Überblick I Quelle: Cassel D, Ulrich V. (2014), Einsparpotenziale bei Arzneimitteln im Dienst der Kostendämpfung? / Eine kritische Analyse der Potenzialberechnungen im AVR 2013, in: pharmind, 76, Nr. 8, S. 1194 1202 (2014). BPI e.v. 16.09.2014 29
Mängel & Höhe ESP Korrelation oder Kausalität? 25 20 20 19 15 10 5 9,4 12,1 16 8,4 15 Anzahl Methodische Mängel ESP in Mrd. 0 3,7 AVR 2010 AVR 2011 AVR 2012 AVR 2013 Quelle: Eigene Berechnungen auf der Basis von Cassel D, Ulrich V. (2014), in: pharmind, 76, Nr. 8, S. 1194 1202 (2014). BPI e.v. 16.09.2014 30
Das AVR-Prinzip? 2 x 3 macht 4 - widdewiddewitt und 3 macht 9e! Ich mach' mir die Welt - widdewidde wie sie mir gefällt... BPI e.v. 16.09.2014 31
AVR ein geeigneter Kompass für gute Gesetze? NEIN! BPI e.v. 16.09.2014 32