Rede des Ministers für Inneres und Sport Lorenz Caffier zum Antrag der Fraktion DIE LINKE: Dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen in Mecklenburg-Vorpommern Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlAG) ändern in der Landtagssitzung am 25. April 2012 Datum: 26.April 2012 Nummer: Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, Die Fraktion DIE LINKE fordert zum wiederholten Mal die Landesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass Flüchtlinge dezentral in Wohnungen untergebracht werden. Sowohl im November vergangenen Jahres als auch im Februar dieses Jahres hat sich der Landtag mit dem Thema Dezentrale Unterbringung von Asylbewerbern befasst. Ich erspare es mir deshalb, zum dritten Mal auf die rechtlichen Aspekte einzugehen, die gegen die Umsetzung dieser Forderungen sprechen. Ministerium für Inneres und Sport Mecklenburg-Vorpommern Alexandrinenstraße 1 19055 Schwerin Telefon: +49 385 588-2003 Telefax: +49 385 588-2971 E-Mail: presse@im.mv-regierung.de Internet: www.im.mv-regierung.de V. i. S. d. P.: Marion Schlender
Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, auf andere, wie ich meine, sehr wesentliche Aspekte einzugehen. 2 Die verantwortlichen Mitarbeiter meiner für Flüchtlingsangelegenheiten zuständigen Fachabteilung haben in den zurückliegenden Monaten die zehn kommunalen Gemeinschaftsunterkünfte in Mecklenburg- Vorpommern besucht. Dabei haben sie natürlich auch das Thema der dezentralen Unterbringung sowohl mit den zuständigen Betreibern der Einrichtungen als auch mit den zuständigen Mitarbeitern der Landkreise und kreisfreien Städte vor Ort erörtert. Im Ergebnis dieser Gespräche, meine Damen und Herren der Fraktion DIE LINKE, steht fest, dass es neben den rechtlichen auch zahlreiche tatsächliche Gründe gibt, die Ihrem Antrag entgegenstehen: Gestatten Sie mir an dieser Stelle, auf einige dieser Gründe einzugehen. Die überwiegende Anzahl der zu uns kommenden Asylbewerber ist der deutschen Sprache nicht mächtig. Auch die christlich geprägte europäische Kultur ist vielen Asylbewerbern fremd. Durch die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und die damit einhergehende Betreuung werden die Kompetenzen erworben, die für den späteren Aufenthalt in Deutschland von erheblicher Bedeutung sind. 12 Monate reichen dafür nicht aus!
Darüber hinaus gibt es erfahrungsgemäß auch andere Gründe, die gegen eine so frühzeitige Beendigung der zentralen Unterbringung sprechen, wenn zum Beispiel 3 - aufgrund des Alters oder Gesundheitszustandes die eigene Versorgung nicht gewährleistet ist, oder - angemessener Wohnraum nicht zur Verfügung steht, und das ist in einigen Regionen des Landes insbesondere in den Studentenstädten - wahrhaftig ein Problem. Die Betreiber der Unterkünfte haben auch sehr deutlich darauf hingewiesen, dass nicht jeder Flüchtling die dezentrale Unterbringung wünscht, weil er sich gerade in der Gemeinschaftsunterkunft sicher und gut umsorgt fühlt. Ja, es wurden meinen Mitarbeitern sogar Fälle berichtet, bei denen bereits dezentral untergebrachte Flüchtlinge genau aus diesen Gründen darum gebeten haben, wieder in der Gemeinschaftsunterkunft aufgenommen zu werden. Und deshalb, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE frage ich Sie: Wollen sie diese Flüchtlinge tatsächlich nach spätestens 12 Monaten in die dezentrale Unterbringung zwingen? Ich meine: das wäre grundfalsch, die Fürsorge gegenüber diesen wie Sie selbst nicht müde werden zu wiederholen zum Teil schwer traumatisierten Menschen steht ganz klar im Vordergrund! Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, in der Begründung des Antrages ist zu lesen, dass einige Bundesländer dazu übergegangen wären, Flüchtlinge vorwiegend dezentral unterzubringen.
Verschwiegen wird allerdings, dass in den genannten Bundesländern zum Teil sehr unterschiedliche Sichtweisen darüber existieren, was unter dezentraler Unterbringung zu verstehen ist. 4 So werden zum Beispiel in Berlin in der Kategorie dezentrale Unterbringung zum einen Personen, die in Wohnungen leben, und zum anderen aber auch Personen in nicht vertragsgebundenen Einrichtungen erfasst. Ganz ähnlich ist es in Schleswig-Holstein: neben der Gemeinschaftsunterkunft des Landes werden bei unseren Nachbarn noch acht weitere Gemeinschaftsunterkünfte in Trägerschaft der Kreise und kreisfreien Städte betrieben. Alle übrigen Unterkünfte, also auch Sammelunterkünfte in Trägerschaft der kreisangehörigen Gemeinden und der Ämter, gelten als dezentrale Unterbringung. Auch in Hamburg wird das Wohnen in Gemeinschaftsunterkünften zum Teil als dezentrale Unterbringung erfasst. Im Gegensatz hierzu wird in unserem Bundesland als dezentrale Unterbringung ausschließlich das Wohnen in einer separaten Einzelwohnung bezeichnet. Die Betonung liegt hier vor allem auf dem Wort separat. Die Stadt Neubrandenburg hat zum Beispiel zwei komplette Häuseraufgänge gemietet. Das ist eine Gemeinschaftsunterkunft, obwohl die Wohnungen baulich voneinander getrennt sind! Auch in einigen anderen Kommunen des Landes gibt es derzeit Überlegungen, vor
dem Hintergrund der steigenden Asylbewerberzugangszahlen einzelne Aufgänge für die Unterbringung von Flüchtlingen anzumieten. Auch hier werden wir nach unserem Verständnis jedoch nicht von dezentraler Unterbringung reden. 5 Insoweit kommt es immer auf die Frage an, was in den einzelnen Ländern unter dezentraler Unterbringung zu verstehen ist. Letztendlich verweisen Sie, meine Damen und Herren der Fraktion DIE LINKE auf eine in Bayern im März 2012 beschlossene Neuregelung zur dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen. Die bayerische Regelung ermöglicht Familien und Alleinerziehenden mit mindestens einem minderjährigen Kind nach Abschluss des behördlichen Erstverfahrens den Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft, wenn deren Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und wenn durch den Ausländer selbst eine anderweitige Wohnung nachgewiesen wird, deren Aufwendungen den angemessenen Umfang nicht übersteigen. Gleiches gilt für alle anderen Flüchtlinge nach Ablauf von vier Jahren nach Abschluss des behördlichen Erstverfahrens. Ausgenommen hiervon bleiben jedoch Straftäter oder Personen, die über ihre Identität getäuscht haben oder
nicht hinreichend an deren Klärung mitgewirkt haben. In diesen Fällen soll eine Einzelfallprüfung stattfinden. 6 Festzuhalten ist also: auch in anderen Bundesländern werden Ausländer nicht voraussetzungslos dezentral untergebracht. Das, meine Damen und Herren von der LINKEN, erwähnen Sie in Ihrem Antrag jedoch nicht. Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, auch in meinem Haus wurde im Zusammenwirken mit den Kommunen ein Entwurf zur Neuregelung der dezentralen Unterbringung erarbeitet. Er befindet sich zurzeit im Abstimmungsprozess mit den kommunalen Landesverbänden. Ziel der Neufassung ist, überlange Aufenthaltszeiten in Gemeinschaftsunterkünften zu vermieden. So sieht der Entwurf zum Beispiel vor, Familien oder Alleinstehenden mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren den Umzug in eine separate Wohnung nach zwei Jahren in der Gemeinschaftsunterkunft zu ermöglichen. Allen anderen Ausländern soll der Umzug nach drei Jahren gestattet werden. Allerdings, und das sage ich mit aller Entschiedenheit, sieht die Neufassung auch Ausschlussregelungen für diejenigen Personen vor, bei denen gewichtige Gründe gegen eine dezentrale Unterbringung sprechen. Das sind zum Beispiel Fälle, in denen der Ausländer keine oder falsche Angaben
zur Person oder Staatsangehörigkeit macht, also bewusst bei der Identitätsfeststellung nicht mitwirkt. 7 Solche Ausschlusssanktionen sind nach meiner festen Überzeugung dringend notwendig. Der Antrag der LINKEN macht aber an dieser entscheidenden Stelle keine Unterschiede. In dieser Tatsache wird wieder einmal klar, dass die LINKEN nur das aus ihrer Sicht Wünschenswerte fordern, dabei aber das rechtlich und tatsächlich Machbare völlig außer Acht lassen. Aus der Sicht der Landesregierung ist der vorliegende Antrag deshalb abzulehnen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.