Kongress Selbstverwaltung Arbeitslosenversicherung Montag, 10.06.2013 um 16:00 Uhr Novotel München-Messe, Raum Zeppelin Willy-Brandt-Platz 1, 81829 München Begrüßung Bertram Brossardt Hauptgeschäftsführer vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. Es gilt das gesprochene Wort.
1 Sehr geehrter Herr Staatssekretär, lieber Markus Sackmann, sehr geehrter Herr Holtzwart, sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie sehr herzlich zu unserem Selbstverwalterkongress und freue mich, dass Sie hier sind. Ich weiß, wie kostbar Ihre Zeit ist. Zur Leistung des Ehrenamts in der Selbstverwaltung Sich als Arbeitgebervertreter ehrenamtlich in der Selbstverwaltung der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu engagieren bedeutet, freiwillig zusätzliche Verantwortung zu übernehmen. Ich danke Ihnen ausdrücklich dafür. Sie stellen nicht nur in den unterschiedlichen Gremien der Arbeitslosenversicherung sicher, dass die Beiträge unserer Mitglieder effektiv und effizient eingesetzt werden. Sie stehen auch ganz persönlich in ihrem Ehrenamt dafür, dass die Selbständigkeit der Sozialversicherung gegenüber dem Staat gewahrt bleibt. Dieses Prinzip der Selbstverwaltung hat sich über die Jahre sehr bewährt. Aber es steht außer
2 Frage, dass sie sich wie andere Organisationen auch weiter entwickeln muss. Die Gretchenfrage ist jedoch, in welche Richtung dies geht. Deswegen freue ich mich nicht nur, dass wir hochkarätige Referenten heute bei uns haben. Ich danke Dir besonders, lieber Markus, dass du diesen Termin heute als Vertreter der Bayerischen Staatsregierung wahrnimmst. Ich freue mich auch, dass Sie, die Geschäftsführer der regionalen Arbeitsagenturen, sich heute Zeit genommen haben, um den Dialog über die Zukunft der Arbeitslosenversicherung mit uns zu führen. Situation am und Herausforderungen für den bayerischen Arbeitsmarkt Um zu den richtigen Schlussfolgerungen zu kommen, müssen wir die Situation am und die Herausforderungen für den bayerischen Arbeitsmarkt in den Blick nehmen. Diese ist durch drei Aspekte gekennzeichnet: Erstens durch sinkende Arbeitslosenzahlen und steigende Beschäftigungszahlen,
3 zweitens durch die Herausforderung der Fachkräftesicherung und drittens durch die Aufgabe, unseren Wirtschafts- und Industriestandort wettbewerbsfähig zu halten. Dazu müssen die Arbeitskosten im Rahmen bleiben. Auf alle drei Aspekte möchte ich kurz eingehen: Erstens: Bayerns Arbeitsmarkt ist stark: Mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 3,7 Prozent war Bayern 2012 zum wiederholten Mal Spitze in Deutschland. Seit April 2012 liegt die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung konstant über 4,8 Millionen. Im Oktober 2012 erreichten wir mit 4,92 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten den bisherigen historischen Höchststand. Auch aktuell, d. h. im Mai haben wir mit einer Arbeitslosenquote von 3,7 Prozent die niedrigsten Werte in der Bundesrepublik. Vor zehn Jahren, im Mai 2003, lagen wir noch bei 6,6 Prozent.
4 Diesen Zeitkorridor habe ich bewusst gewählt. Denn im Frühjahr 2003 hat der damalige Kanzler Schröder die Agenda 2010 verkündet. Diese hat den deutschen Arbeitsmarkt entscheidend vorangebracht. Innerhalb von zehn Jahren wurde die Zahl der Arbeitslosen um 1,1 Millionen reduziert. Besonders erfreulich dabei: Die Langzeitarbeitslosigkeit wurde um 32 Prozent abgebaut. Und die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stieg um zwei Millionen auf ein Rekordniveau. Als Folge konnten auch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung mehr als halbiert werden: Von 6,5 Prozent im Jahr 2003 auf aktuell 3 Prozent. All diese Zahlen belegen: Die Reformen der Agenda 2010 waren richtig und wichtig. Sie haben die Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt aufgebrochen.
5 Sie haben mehr Menschen in Arbeit gebracht. Sie haben vielen eine Chance auf Arbeit gegeben, die vorher keine hatten. Und sie haben die Beitragszahler entlastet. Wir müssen den Weg der Agenda 2010 entschieden weiter gehen. Dazu zählt, dass wir das richtige Prinzip Fördern und Fordern bei der Begleitung Arbeitsloser effektiv umsetzen und dass wir die Flexibilisierung von Beschäftigung weiter entwickeln. Ein Zurückdrehen der Reformen, etwa durch eine noch stärkere Regulierung der Zeitarbeit, oder durch Einschränkungen bei Werkverträgen würde die Erfolge der Agenda 2010 hingegen aufs Spiel setzen. Zweitens: Eine zentrale Herausforderung für die bayerische Wirtschaft ist die Fachkräftesicherung.
6 Schon heute herrscht in etlichen Branchen und vielen Regionen Bayerns Vollbeschäftigung und Fachkräftemangel. Laut unserer Studie Arbeitslandschaft 2035 werden unseren Unternehmen in Bayern bis zum Jahr 2020 rund eine Viertelmillion Fachkräfte fehlen, davon 160.000 mit Berufsabschluss und rund 40.000 mit Hochschulabschluss. Diese Fachkräftelücke liegt in drei Trends begründet: Zum ersten im demografischen Wandel, der einen Ersatzbedarf durch Verrentung erfordert, zum zweiten im Strukturwandel zur hybriden Wertschöpfung, der die Branchenstruktur in unserem Land verändert, in der Industrie und Dienstleistung sich stärker verzahnen und durch den sich Wertschöpfungsprozesse weiter digitalisieren und
7 zum dritten im Trend zur Wissensgesellschaft, in der dienstleistungsorientierte Tätigkeiten an Bedeutung gewinnen. Die vbw hat bereits im Jahr 2008 auf den drohenden Fachkräftemangel hingewiesen und im Jahr 2011 ein Fachkräftesicherungsprogramm aufgesetzt. Es definiert fünf Handlungsfelder. Wir müssen die Beschäftigungschancen von Arbeitslosen verbessern, die Erwerbsbeteiligung insgesamt, aber vor allem von Frauen erhöhen, Wochen- und Lebensarbeitszeiten ausweiten, die Bildungsoffensive fortsetzen und Zuwanderung gezielt gestalten. Zu jedem dieser Handlungsfelder haben wir in Kooperation mit den bayerischen Metall- und Elektroarbeitgebern in Summe rund 40 Projekte aufgelegt, um exemplarisch zu zeigen, was zu tun ist. Jedoch liegt der primäre Handlungsbedarf bei
8 der Politik. Dass dabei auch die Agenturen für Arbeit eine wichtige Funktion haben, ist klar. Drittens: Bayern ist einer der erfolgreichsten Wirtschafts- und Industriestandorte weltweit. Dies wurde uns erst in doppelter Hinsicht bestätigt zum einen in einer von uns veröffentlichten Studie, die zum ersten Mal die industrielle Standortqualität Bayerns im internationalen Vergleich bemisst, zum anderen in einer vbw-umfrage, welche die Bewertung der Standortqualität Bayerns aus Sicht der hier ansässigen Unternehmen zeigt. Die Ergebnisse sind beeindruckend: Im Vergleich mit den 45 wichtigsten Wettbewerbsländern weltweit hat es Bayern bei der industriellen Standortqualität auf das Podium geschafft auf einen starken dritten Platz. Nur Schweden und die Schweiz weisen höhere Indexwerte aus. Und laut unserer Umfrage würden rund 97 Prozent der hier ansässigen
9 Unternehmen ihren Standort wieder in Bayern wählen. Auf diesen Lorbeeren dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Als starker Industriestandort stehen wir in einem intensiven internationalen Wettbewerb. Wir müssen besonders darauf achten, das Arbeitskostenniveau in einem Rahmen zu halten, bei dem unsere Unternehmen ein international wettbewerbsfähiges Preis-Leistungsverhältnis bieten können. Unsere Studie zur internationalen Standortqualität zeigt die Herausforderung. Nur vier der 46 wichtigsten Wettbewerber Bayerns haben höhere Arbeitskosten. Und aktuell, das heißt in den Jahren 2011 und 2012, sind die industriellen Arbeitskosten wieder stärker gestiegen als im Durchschnitt der EU um 6,4 Prozent gegenüber 5,6 Prozent. Neben einer Tarifpolitik mit Augenmaß und Vernunft brauchen wir vor allem Ruhe bei den Lohnnebenkosten und damit bei den sozialen Sicherungssystemen.
10 Forderungen an die Zukunft der Arbeitslosenversicherung Die beschriebenen Herausforderungen definieren die Aufgaben für die Arbeitslosenversicherung in den kommenden Jahren. Diese sind: Erstens: Die Sozialversicherungen und damit auch die Arbeitslosenversicherung müssen ihren Beitrag zu einem international wettbewerbsfähigen Lohnkostenniveau leisten. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung dürfen keinesfalls weiter steigen. Alle Spielräume zu Beitragssenkungen müssen genutzt werden aber nicht zu Lasten einer soliden Finanzierung. Ich setze mich im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit sehr deutlich dafür ein, dass wir für konjunkturell schwierige Zeiten ein angemessenes Finanzpolster haben, um bei Bedarf schnell und entschieden gegenzusteuern. Wie wichtig dies ist, hat die letzte Wirtschaftskrise 2008/09 gezeigt, die wir auch dank gezielter Maßnahmen der BA erfolgreich überwunden haben.
11 Potentiale für Beitragssenkungen bei gleichzeitig solider Finanzierung können vor allem gehoben werden, wenn zum einen die Arbeitsverwaltung weiter modernisiert wird und Wirtschaftlichkeit überall einzieht, zum anderen sich die Arbeitslosenversicherung auf ihre Grundaufgaben beschränkt, d. h. die Grundversorgung der Arbeitslosen und die Vermittlung in Erwerbstätigkeit. Versicherungsfremde Leistungen müssen aus dem Leistungskatalog genommen werden. Aufgaben außerhalb des Kerngeschäfts sind auf freie Maßnahmenträger zu übertragen. Zweitens: Kerngeschäft der Arbeitsagenturen muss es sein, Arbeitslose zu aktivieren und zu qualifizieren. Die Devise Fördern und Fordern ist dabei nach wie vor der richtige Ansatz. Wer Leistungen in Anspruch nimmt, muss dafür bestimmte zumutbare Gegenleistungen erbringen. Er muss sich um eine Erwerbstätigkeit bemühen oder für
12 den Arbeitsmarkt qualifizieren mit Unterstützung der Arbeitsagenturen. Um Fördern und Fordern so effektiv wie möglich zu gestalten, brauchen die Arbeitsagenturen vor Ort vor allem mehr Entscheidungsfreiheit. Ziel jeder Vermittlung muss eine Tätigkeit sein, die sich auf dem höchstmöglichen Qualifikationsniveau bewegt. Dies heißt auch, für Gering- und Unqualifizierte und Langzeitarbeitslose die Eintrittsbarrieren in den regulären Arbeitsmarkt so niedrig wie möglich zu halten. Denn Arbeit qualifiziert besser als Arbeitslosigkeit. Drittens: Die Arbeitslosenversicherung muss einen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten. Trotz aller Erfolge am bayerischen Arbeitsmarkt ist immer noch eine beachtliche Zahl von Personen offiziell in Arbeitslosigkeit bzw. in der Stillen Reserve. Diese inländischen Erwerbspotentiale müssen gehoben werden, um den Fachkräftebedarf so weit wie möglich zu decken. Neben dem Dreiklang Aktivieren Qualifizieren Vermitteln sollte das Hauptaugenmerk auf einen regionalen Ausgleich über alle bayerischen
13 Arbeitsmarktagenturen gelegt werden. Denn im innerbayerischen Vergleich herrschen auf einem sehr niedrigen Niveau deutliche Unterschiede bei der Arbeitslosigkeit. Die Regionaldirektion Bayern kann hierfür als überregionale Stelle wichtige Impulse setzen. Viertens: Es müssen die richtigen Anreize für vollzeitnahe, qualifizierte Arbeit gesetzt werden. Die Arbeitslosenversicherung muss von der Politik so ausgerichtet sein, dass sie die Aufnahme von solchen Beschäftigungsverhältnissen fördert, die geeignet sind, materielle Bedürftigkeit dauerhaft zu überwinden. Sehr geehrte Damen und Herren, die Lage am bayerischen Arbeitsmarkt ist so gut wie seit vielen Jahren nicht mehr. Das ist zum einen das Verdienst der bayerischen Wirtschaft, die aufgrund ihrer hohen internationalen Wettbewerbsfähigkeit viele Menschen beschäftigen kann.
14 Zum anderen ist es aber auch den Reformen der Agenda 2010 geschuldet, die den Arbeitsmarkt flexibilisiert hat, die Kosten für die Beitragszahler reduziert hat und die Effizienz bei der Arbeitsvermittlung erhöht hat. Den Weg der Agenda 2010 müssen wir weiter gehen und uns den Aufgaben der Gegenwart widmen, insbesondere der Fachkräftesicherung. Wir zählen dabei auf Sie, dass Sie diesen Weg auf der Basis Ihres Fach- und Praxiswissens in den Gremien der Arbeitslosenversicherung mit uns gemeinsam vertreten. Ich freue mich auf die kommenden Stunden mit Ihnen und danke unseren Referenten für Ihren Beitrag zu einem interessanten Nachmittag.