An der Schnittstelle: Der Mensch zwischen Prozessoptimierung und Hilfsbedürftigkeit

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Transkript:

Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin An der Schnittstelle: Der Mensch zwischen Prozessoptimierung und Hilfsbedürftigkeit Gesundheitskonferenz 2012 Krankenhaus und dann? Entlassungsmanagement in der Praxis München, 14.11.2012

Ausgangspunkte Patienten sind vulnerabel und hilfsbedürftig in besonderem Maße beim Entlassungsmanagement ð ältere, multimorbide, chronisch Kranke mit funktionellen Einschränkungen Rolle der Ethik bindet die Macht des Gesundheitspersonal an die Interessen der Patienten ð Zentrale Grundlage für das Vertrauen der Patienten in das Versorgungssystem ð antizipatorisches Systemvertrauen # 2

Ethik? Grundlage ethischer Verpflichtungen: 4 klassische medizinethische Prinzipien Wohltun / Nutzen (beneficence) Nutzen für den Patienten optimieren Nichtschaden (nonmaleficence) dem Patienten möglichst geringen Schaden zufügen Respekt der Autonomie Patienten-Selbstbestimmung fördern & wahren ð Informed consent (Aufklärung & Einwilligung) Gerechtigkeit Gleichbehandlung, faire Verteilung von Nutzen und Lasten; auch gegenüber Dritten # 3

Ethische Anforderungen an die Versorgung Ethische Kriterien Nutzenpotenzial Schadenspotenzial Autonomie Operationalisierung: Relevante Endpunkte Mortalität, Morbidität, Symptome, Lebensqualität, Funktionsfähigkeit physische, psychische, soziale Belastungen sowie gesundheitliche Risiken durch Versorgung minimieren Stärkung der Gesundheitskompetenz (self-management) Möglichkeit der informierten Einwilligung Gerechtigkeit Auswirkungen auf soziales Umfeld Auswirkungen auf Gesundheitspersonal Effizienz Gleicher Zugang zur Versorgung; Ausgleich bestehender Ungleichheiten in den Gesundheitschancen Belastungen nahestehender Personen (insbes. pflegende Angehörige) reduzieren, ideal: entlasten Arbeitsbedingungen: physische & psychische Belastungen reduzieren, Arbeitszufriedenheit des Gesundheitspersonals fördern Ineffizienzen beheben; Versorgung zu niedrigsten Kosten Legitimität Transparenz, Konsistenz, Begründung, Partizipationsmöglichkeiten, Minimierung von Interessenkonflikten, Offenheit für Revision # 4

Ethische Anforderungen: Umsetzung Ethische Kriterien Nutzenpotenzial Schadenspotenzial Autonomie Gerechtigkeit Defizite im aktuellen System Fragmentierte Versorgung Versorgungsdefizite v.a. im ambulanten Bereich Sequenzielles Modell des Krankheitsverlaufs Defizit- statt Ressourcen-Orientierung Zu wenig Gesundheitsförderung & Prävention Unzureichende ambulante Rehabilitation (Drohender) Ärztemangel... Auswirkungen auf soziales Umfeld Auswirkungen auf Gesundheitspersonal Effizienz Legitimität Entlassungsmanagement: Hohes Potenzial zur Verbesserung der Versorgung v.a. älterer, multimorbider chronisch kranker, Patienten ð hohe ethische Relevanz! # 5

Ethik im Entlassungsmanagement: Methodologie Arbeitsschritte einer strukturierten Aufarbeitung ethischer Konflikte im Rahmen des Entlassungsmanagements 1 Situation des Patienten Möglichst genaue Charakterisierung der medizinischen & psychosozialen Situation des Patienten ð Versorgungsbedarf nach der Entlassung klären 2 Versorgungsoptionen Herausarbeitung möglicher Versorgungs-Settings für den Patienten nach der Entlassung 3 Einzelbewertung Bewertung der verschiedenen Versorgungsoptionen anhand der einzelnen ethischen Kriterien 4 Synthese Übergreifende Beurteilung der Versorgungsoptionen durch Synthese der Einzelbewertungen aus Schritt 3 ð Welches bietet die beste Versorgung für den Patienten? 5 Umsetzung Prüfung: Umsetzung der besten Versorgungsoption möglich? Ja ð Entlassung planen Nein ð realisierbare Optionen identifizieren & planen In schwierigen Fällen ð ethische Fallbesprechung im Team erwägen # 6

Ethische Herausforderungen (1) Beste Versorgungsoption ist nicht realisierbar, weil erforderliche Versorgungsangebote fehlen z.b. ambulante Rehabilitation Zunächst optimales Versorgungssetting genau herausarbeiten ð Identifizierung von Schwachpunkten am Übergang von Klinik zu ambulanter Versorgung ð Prüfen: Wie könnten die Schwachstellen behoben werden? ð Mögliche Optimierungen im eigenen Verantwortungsbereich angehen z.b. frühere Planung der Entlassung ð Darüber hinaus erforderliche Veränderungen auf übergeordneten Ebenen bei den zuständigen Stellen anregen (ð versorgungspolitisch aktiv werden!) ð Beste noch praktikable Lösung für den Patienten ermitteln & organisieren # 7

Ethische Herausforderungen (2) Konflikt: betriebswirtschaftlichen Interessen des KH ó optimale Versorgung des Patienten z.b. erlösrelevante Verweildauer ist überschritten oder noch nicht erreicht Grundsätzlich: Qualität der Patientenversorgung nicht zugunsten des wirtschaftlichen Erfolg des KHs opfern! ð Probleme gemeinsam & über Leitung des Entlassungsmanagements gegenüber kaufmännischen Leitung thematisieren Dabei Nachteile für den Patienten (= ethische Dimension) genau herausarbeiten Ggf. in (ethischer) Teambesprechung vorbereiten Realität: pragmatische Kompromisse werden sich nicht vermeiden lassen Dabei: Nachteile für die Patienten nach Möglichkeit minimieren # 8

Ethische Herausforderungen (3) Konflikt: Patientenwünsche ó optimales Entlassungsmanagement (= Wohlergehen des Patienten) z.b.: Pat. fühlen sich im KH besser, fühlen sich hinausgeworfen z.b.: Pat. lehnen optimale poststationäre Versorgung ab ð Patient von Vorteilen des Versorgungssettings überzeugen ð Abwägung: Je größer der Nutzen für Pat. ist, desto intensiver versuchen, den Pat. für Versorgung zu gewinnen ð Was sind die Gründe für die mangelnde Akzeptanz? ð Ist eine Modifikation der Planung möglich? (Kleineren Nutzen- Verlust in Kauf nehmen, um Akzeptanz des Patienten zu gewinnen) ð Bleibende Ablehnung (wohl oder übel) akzeptieren (Versorgung funktioniert nicht gegen den Willen des Patienten) # 9

Ethische Herausforderungen (4) Ungewollte (Wieder-)Einweisungen verhindern Hintergrund. v.a. ältere, chronisch kranke Bewohner wollen häufig nur eingeschränkte lebensverlängernde Therapie ð gesundheitliche Vorausplanung (advance care planning) anregen ð Information über Beratungsangebote vermitteln ð Hausarzt kontaktieren & Vorausplanung vorschlagen (1) Patientenverfügung (2) Notfallbogen: (Haus-)Ärztliche Anordnung für den Notfall Pilotprojekt beizeigen begleiten in Grevenbroich Projektleitung: Dr. med. Jürgen in der Schmitten # 10

# 11

Ergebnisse RESPEKT: Präferenzen in HAnNo n=114 10 8,8% 13 11,4% 20 17,5% 27 23,7% 11 9,6% 28 24,6% # 12

Zum Schluss... Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt: marckmann@lmu.de Folien: www.dermedizinethiker.de Literatur: Strech D, Marckmann G, Normative Versorgungsforschung. Eine orientierende Einführung in Themen, Methoden und Status quo in Deutschland. Gesundheits- und Sozialpolitik. Zeitschrift für das gesamte Gesundheitswesen 2012(02):8-15 in der Schmitten J, Rothärmel S, Rixen S, Mortsiefer A, Marckmann G. Patientenverfügungen im Rettungsdienst (Teil 2). Neue Perspektiven durch Advance Care Planning und die "Hausärztliche Anordnung für den Notfall". Notfall Rettungsmed 2011;14(6):465-474 # 13