11. März 2013 Aktualisierter Bericht über die Urteilsumsetzung



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Transkript:

11. März 2013 Aktualisierter Bericht über die Urteilsumsetzung Fallgruppe M. gegen Deutschland Bericht zur Umsetzung des Leiturteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 sowie 11 weiterer Urteile betreffend die nachträgliche Verlängerung oder Anordnung von Sicherungsverwahrung I. Einführung 1 Der Umsetzungsbericht bezieht sich auf zwölf Urteile betreffend die nachträgliche Verlängerung oder Anordnung von Sicherungsverwahrung. Diese lassen sich in folgende Fallgruppen unterteilen: 1. Nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung (Fallgruppe 1) Beschwerde Nr. Fall Urteil vom Endgültig am Verletzung von 19359/04 M. 17.12.2009 10.05.2010 Artikel 5 und 7 30060/04 J. 14.04.2011 14.07.2011 Artikel 5 und 7 17792/07 K. 13.01.2011 13.04.2011 Artikel 5 und 7 20008/07 M. 13.01.2011 13.04.2011 Artikel 5 und 7 27360/04, S. 13.01.2011 13.04.2011 Artikel 5 und 7 42225/07 4646/08 H. 24.11.2011 24.02.2012 Artikel 5 und 7 21906/09 K. 19.01.2012 19.04.2012 Artikel 5 2 Im Leiturteil M. gegen Deutschland (Beschwerde Nr. 19359/04) vom 17. Dezember 2009 und in sechs weiteren Fällen (Beschwerden Nr. 30060/04, 17792/07, 20008/07, 27360/04 und 42225/07, 4646/08 sowie 21906/09) hat der Gerichtshof eine Verletzung von Artikel 5 Absatz 1 EMRK und (bis auf eine Ausnahme) auch eine Verletzung von Artikel 7 Absatz 1 EMRK durch die Verlängerung der Unterbringung der Beschwerdeführer in der Sicherungsverwahrung über die zur Tatzeit zulässige Höchstdauer hinaus festgestellt. Die Konventionsverletzungen beruhen auf einer 1998 erfolgten Änderung des 67d Absatz 3 Strafgesetzbuch (StGB), mit der die bis dahin vorgeschriebene Höchstgrenze für die erstmalige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von 10 Jahren auch für diejenigen 1

Verurteilten aufgehoben wurde, die ihre Taten bereits vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung (am 31. Januar 1998) begangen hatten. Diese Fallgruppe erfasst somit nur Altfälle, in denen der Tatzeitpunkt vor dem 31. Januar 1998 lag. 2. Nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung bzw. der Unterbringung (Fallgruppe 2) Beschwerde Nr. Fall Urteil vom Endgültig am Verletzung von 61272/09 B. 19.04.2012 19.07.2012 Artikel 5 6587/04 H. 13.01.2011 13.04.2011 Artikel 5 3 Im Fall B. gegen Deutschland (Beschwerde Nr. 61272/09) wurde die Sicherungsverwahrung gemäß 66b Abs. 2 StGB a. F. erst nach der strafrechtlichen Verurteilung und Verbüßung der Freiheitsstrafe angeordnet. Die Bestimmung sah die Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung für solche Straftäter vor, deren Gefährlichkeit erst während des Vollzugs einer ihnen auferlegten Freiheitsstrafe erkennbar wurde. 4 Im Fall H. gegen Deutschland (Beschwerde Nr. 6587/04) beruhte die Konventionsverletzung auf der Anwendung des Bayerischen Gesetzes zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern (BayStrUBG). Dieses Gesetz ist mittlerweile nicht mehr anwendbar, da es vom Bundesverfassungsgericht mangels Gesetzgebungskompetenz der Länder für verfassungswidrig erklärt worden ist (BVerfGE 109, 190). Insoweit handelt es sich bei dem Verfahren H. um einen Einzellfall. 3. Nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Fallgruppe 3) Beschwerde Nr. Fall Urteil vom Endgültig am Verletzung von 61827/09 K. 07.06.2012 07.09.2012 Artikel 7 65210/09 G. 07.06.2012 07.09.2012 Artikel 7 3300/10 S. 28.06.2012 28.09.2012 Artikel 5 5 In drei weiteren Fällen (Beschwerden Nr. 61827/09, 65210/09 und 3300/10) beruht die Konventionsverletzung auf der Anwendung von 66b Abs. 3 StGB alte Fassung. Danach war die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung möglich, wenn die Unterbringung eines für gefährlich gehaltenen Straftäters in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt wurde, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat. Die besondere Vertrauensschutzproblematik bestand darin, dass das Gesetz zu dem Zeitpunkt, als die Beschwerdeführer ihre Straftaten begangen haben, diese Form der nachträglichen Umwandlung der Unterbringung (Sicherungsverwahrung statt psychiatrisches Krankenhaus) noch nicht vorsah. Auch diese 2

Fallgruppe erfasst damit wie Fallgruppe 1 nur Altfälle, hier also Fälle, in denen die jeweilige Anlasstat vor Inkrafttreten des 66b Abs. 3 StGB a. F. am 29. Juli 2004 begangen wurde. 6 Soweit der Gerichtshof in den jeweiligen Fallgruppen eine Verletzung von Artikel 5 Abs. 1 EMRK (Recht auf Freiheit) feststellte, war jeweils maßgeblich, dass der Freiheitsentzug nicht gemäß Artikel 5 Abs. 1 lit. a EMRK gerechtfertigt werden konnte: Der Freiheitsentzug sei nicht nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht erfolgt, da angesichts der nachträglichen, zum Tatzeitpunkt noch nicht möglichen Verlängerung bzw. Anordnung der Sicherungsverwahrung kein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung der Beschwerdeführer und der Verhängung der Sicherungsverwahrung bestehe. In einigen Fällen prüfte der Gerichtshof darüber hinaus eine Rechtfertigung des Freiheitsentzugs nach Artikel 5 Abs. 1 lit. e EMRK. Er lehnte diese jedoch ab, da eine psychische Krankheit im Sinne dieser Bestimmung nach dem nationalen Recht keine Voraussetzung für die Unterbringung war und daher von den nationalen Gerichten auch nicht festgestellt worden war und bzw. oder die Sicherungsverwahrung nicht in Einrichtungen vollzogen wurde, die für die Unterbringung von Menschen mit psychischen Störungen geeignet waren. 7 Soweit eine Verletzung von Artikel 7 Abs. 1 der EMRK (keine Strafe ohne Gesetz) festgestellt wurde, lag dies darin begründet, dass der Gerichtshof anders als zuvor die deutschen Gerichte die Sicherungsverwahrung als Strafe im Sinne dieser Norm ansah. Da die nachträgliche Verlängerung oder Anordnung der Sicherungsverwahrung jeweils aufgrund von Vorschriften erfolgt war, die erst nach der Begehung der Sicherungsverwahrung zugrundeliegenden Straftaten erlassen wurden, kam der Gerichtshof zu der Auffassung, dass eine schwerere als die zur Tatzeit angedrohte Strafe verhängt worden war. II. Allgemeine Maßnahmen 1. Bekanntmachung und Verbreitung der Urteile 8 Die innerstaatlichen Gerichte, die an dem der Individualbeschwerde zugrunde liegenden Verfahren beteiligt waren, wurden über die Urteile des Gerichtshofs unterrichtet. Außerdem erhielten die Justizministerien der Länder eine deutsche Übersetzung aller zwölf Urteile zur Bekanntmachung in ihrem Geschäftsbereich. 3

9 Darüber hinaus sind deutsche Übersetzungen der Entscheidungen auf der Internetseite des BMJ unter www.bmj.de/egmr abrufbar. Außerdem veröffentlichten juristische Fachzeitschriften die ihnen von der Bundesregierung übersandten Übersetzungen. 10 Das Leiturteil im Fall M. gegen Deutschland (Beschwerde Nr. 19359/04) wurde daraufhin teils zusammengefasst in den Fachzeitschriften Newsletter Menschenrechte 4/2009, S. 205, Europäische Grundrechtezeitschrift (EuGRZ) 2010, S. 25, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2010, S. 2495, Recht und Politik (RuP) 2010, S. 38, Strafverteidiger (StV) 2010, S. 181, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 2010, S. 263 und Juristische Rundschau (JR) 2010, S. 218 veröffentlicht. 11 Das Urteil im Fall H. gegen Deutschland (Beschwerde Nr. 6587/04) erschien in der NJW 2011, S. 3423, das Urteil im Fall K. gegen Deutschland (Beschwerde Nr. 17792/07) in der EuGRZ 2011, S. 255 sowie der Neuen Juristischen Online-Zeitschrift (NJOZ) 2011, S. 1494 und das Urteil im Fall B. gegen Deutschland (Beschwerde Nr. 61272/09) in der EuGRZ 2012, S. 383. 12 Die Urteile sind bzw. werden zudem ein wichtiger Bestandteil des im Bundesministerium der Justiz erstellten Bericht über die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und die Umsetzung seiner Urteile in Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland. Das Leiturteil im Fall M. wurde in den Bericht zum Jahr 2009, die übrigen Urteile wurden je nach Entscheidungsdatum in den Bericht zum Jahr 2011 oder 2012 aufgenommen. Die jährlich erscheinenden Rechtsprechungsberichte werden weit verbreitet und sind im Internet auf der Seite des Bundesministeriums der Justiz unter www.bmj.de veröffentlicht. 2. Maßnahmen zur Beseitigung der Konventionsverletzungen 13 Die festgestellten Konventionsverletzungen beruhten auf verschiedenen Vorschriften aus dem Strafgesetzbuch zum Recht der Sicherungsverwahrung. Um die Urteile des Gerichtshofs umzusetzen, war es erforderlich, über die konkreten Verfahren hinaus vergleichbare Konventionsverletzungen in gleichgelagerten Fällen zu vermeiden. Dazu wurden folgende Maßnahmen ergriffen: a) Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 14 Infolge des Leiturteils des Gerichtshofs im Verfahren M. gegen Deutschland (Beschwerde Nr. 19359/04) trat bereits am 1. Januar 2011 das Gesetz zur Neuordnung der 4

Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I, S. 2300) in Kraft. Dadurch wurde die Sicherungsverwahrung in den Fällen der Fallgruppe 2 für die Zukunft ausgeschlossen: Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß 66b Abs. 1 und 2 StGB a. F. wurde für alle Neufälle (Tatbegehung nach dem 31. Dezember 2010) vollständig abgeschafft. Die Umsetzung der Rechtsprechung des Gerichtshofs für diese Neufälle (Tatbegehung nach dem 31. Dezember 2010) war damit bereits vollständig abgeschlossen, zumal sich die Fallgruppen 1 und 3 nur auf Altfälle bezogen (vgl. Rdnr. 2 und 5). 15 Gleichzeitig wurde das Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (ThUG) erlassen. Damit hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, Sicherungsverwahrte, die infolge der Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits entlassen wurden oder zukünftig noch entlassen werden, in besonderen Therapieeinrichtungen unterzubringen. Voraussetzung ist unter anderem, dass die betroffenen Personen infolge einer psychischen Störung für besonders bedeutende Rechtsgüter Dritter eine hohe Gefahr darstellen. Damit orientiert sich der Gesetzgeber an der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Artikel 5 Absatz 1 lit. e EMRK. b) Leiturteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung vom 4. Mai 2011 16 Auch in den verbleibenden Vertrauensschutzfällen musste verhindert werden, dass der weitere Vollzug der Sicherungsverwahrung gegen die Konvention verstieß. Es musste daher eine Lösung gefunden werden, die sowohl mit den Freiheitsrechten der betroffenen Sicherungsverwahrten als auch mit dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit vereinbar war. Wegweisend war das Bundesverfassungsgericht: 17 Am 4. Mai 2011 hat der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts eine grundlegende Entscheidung zur Sicherungsverwahrung verkündet (2 BvR 2365/09 u. a.; BVerfGE 128, 326). Die Umsetzung dieser Entscheidung führt im Ergebnis dazu, dass die Sicherungsverwahrung in den Fallgruppen 1 bis 3 nur noch erfolgen darf, wenn sie gemäß Artikel 5 Abs. 1 lit. e EMRK gerechtfertigt ist. Zudem wird die Sicherungsverwahrung so ausgestaltet sein, dass sie keine Strafe im Sinne von Artikel 7 EMRK mehr ist. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dient deshalb auch dazu, Konventionsverletzungen, wie sie der Gerichtshof festgestellt hat, für die Zukunft zu vermeiden. Dies hat auch der Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 24. November 2011 in der Sache H. gegen Deutschland (Nr. 4646/08) und in seiner Entscheidung vom 19. Januar 2012 in der Sache K. gegen Deutschland (Nr. 21906/09) ausdrücklich bestätigt. In dem Urteil S. gegen Deutschland (Nr. 3300/10) vom 28. Juni 2012 hat er davon abgesehen, allgemeine Maßnahmen zur 5

Umsetzung seiner Entscheidung aufzuzeigen, und stattdessen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen. Im Einzelnen: 18 Zunächst erklärte das Bundesverfassungsgericht alle Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig, da sie gegen das Freiheitsgrundrecht der Untergebrachten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstießen. Grund hierfür war, dass die Vorschriften keinen ausreichenden Abstand zwischen Sicherungsverwahrung und Strafhaft sicherstellten. Die Umsetzung des verfassungsrechtlichen Abstandsgebot erforderte jedoch Zeit, weshalb das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber für die Verabschiedung eines neuen, freiheitsorientierten und therapiegerichteten Gesamtkonzepts der Sicherungsverwahrung eine Frist bis zum 31. Mai 2013 setzte. Zur Vermeidung eines rechtlichen Vakuums ordnete das Bundesverfassungsgericht die weitere Anwendbarkeit der Vorschriften während dieser Übergangszeit an. Grund für die Weitergeltungsanordnung war, dass anderenfalls alle in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Personen sofort hätten freigelassen werden müssen, was Gerichte, Verwaltung und Polizei vor kaum lösbare Probleme gestellt hätte. 19 Darüber hinaus stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Vorschriften zur nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung über die frühere Zehnjahreshöchstfrist hinaus (Fallgruppe 1) genauso wie die Vorschriften des 66b Abs. 2 StGB alte Fassung betreffend die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach Strafhaft (Fallgruppe 2) das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzen (sog. Vertrauensschutzfälle). Deshalb verschärfte es für diese Vertrauensschutzfälle die Voraussetzungen für eine (weitere) Unterbringung in der Sicherungsverwahrung während der Übergangszeit bis zur vollständigen Umsetzung des Abstandsgebots. 20 Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung kann demnach in Vertrauensschutzfällen nur noch unter folgenden zusätzlichen und engen, sich an Artikel 5 Abs. 1 lit. e EMRK orientierenden Voraussetzungen erfolgen: der Sicherungsverwahrte leidet an einer psychischen Störung im Sinne von 1 Absatz 1 Nr. 1 des Therapieunterbringungsgesetzes (ThUG, siehe hierzu Rdnr. 15) und, es besteht eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten, die aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist. 6

21 Das Bundesverfassungsgericht verlangte, dass in jedem Einzelfall das Vorliegen dieser Voraussetzungen unverzüglich, spätestens bis Ende des Jahres 2011 geprüft werden sollte und die betroffenen Sicherungsverwahrten anderenfalls zu entlassen seien. Diese Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sind in der Praxis sorgfältig befolgt worden. Bei Nichtvorliegen der dargestellten Voraussetzungen wurde die Sicherungsverwahrung beendet (so zum Beispiel Oberlandesgericht Nürnberg, Beschluss vom 14. Dezember 2011 (1 Ws 419/11), Beschluss vom 28. November 2011 (2 Ws 414/10), Beschluss vom 19. Dezember 2011 (2 Ws 588/11)). Insgesamt haben die gerichtlichen Überprüfungen nach ersten Erkenntnissen dazu geführt, dass bei einem Großteil dieser Vertrauensschutzfälle die Sicherungsverwahrung beendet wurde. 22 In wenigen Fällen wurden die Betroffenen im Anschluss an die Sicherungsverwahrung bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen (s. Rdnr. 15) nach dem Therapieunterbringungsgesetz (s. Rdnr. 64, 65) untergebracht. 23 Auch in den hier vorliegenden Fällen fand, soweit die Beschwerdeführer nicht bereits aus der Sicherungsverwahrung entlassen waren, eine gerichtliche Überprüfung der Fortdauer der Maßnahme anhand der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts statt (s. unten Rdnr. 40 ff.). c) Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung 24 Das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2452) wird am 1. Juni 2013 in Kraft treten. Das Gesetz ist in der Anlage beigefügt (Anlage 1). 25 Das Gesetz setzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Leiturteil vom 4. Mai 2011 um und ist der bundesrechtliche Teil eines neuen freiheitsorientierten und therapiegerichteten Gesamtkonzepts der Sicherungsverwahrung zur Umsetzung des Abstandsgebots. 26 Der neue 66c StGB gibt wesentliche Leitlinien für die Therapie, die Unterbringung sowie die Entlassungsvorbereitung von Sicherungsverwahrten vor. Insgesamt besteht eine klare therapeutische Ausrichtung. Ziel ist es, die Gefahr, die von den in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten für die Allgemeinheit ausgeht, so zu minimieren, dass die Freiheitsentziehung möglichst bald beendet werden kann. Über den unabdingbaren Entzug 7

der äußeren Freiheit hinausgehende weitere Belastungen müssen zudem vermieden werden. Bereits am Ende des Strafvollzugs wird gerichtlich geprüft, ob der Vollzug der Sicherungsverwahrung zur Erreichung des damit verfolgten Zwecks noch erforderlich ist. Zusätzlich prüft das Gericht in Zukunft, ob die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unverhältnismäßig wäre, weil dem Täter während des Strafvollzugs keine ausreichenden Therapieangebote gemacht wurden. Ist dies der Fall, hat es den Vollzug der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen, den Betroffenen also zu entlassen. 27 Auch im Rahmen der regelmäßigen gerichtlichen Überprüfung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung nach 67e Abs. 2 StGB, die in Zukunft jährlich und nach Vollzug von 10 Jahren Sicherungsverwahrung sogar alle neun Monate stattfindet, kontrollieren die Gerichte, ob dem Untergebrachten ausreichende Therapieangebote gemacht worden sind. Ist dies nicht der Fall, hat es eine Frist für die Einhaltung des Betreuungsgebots zu setzen. Fehlen nach deren Ablauf noch immer ausreichende Angebote, muss der Vollzug der Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt, der Betroffene also entlassen werden. 28 Artikel 316f des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) regelt die Rechtslage für die Übergangszeit, insbesondere bei den Vertrauensschutzfällen. Gemäß Absatz 2 dieser Vorschrift werden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts fortgeschrieben, so dass in den Fallgruppen 1 bis 3 in Bezug auf die Fortdauer oder Anordnung der Sicherungsverwahrung das alte Recht nur noch dann (ausnahmsweise) anwendbar ist, wenn die besonderen Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 4. Mai 2011 für die Vertrauensschutzfälle aufgestellt hat, erfüllt sind. Die nachträgliche Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung ist danach nur noch zulässig, wenn bei dem Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären. Artikel 316f Abs. 3 EGStGB stellt sicher, dass in Bezug auf die Ausgestaltung des Vollzugs und die Überprüfung der Sicherungsverwahrung jedoch uneingeschränkt neues Recht Anwendung findet. 29 Durch diese Übergangsregelung wird der Schutz der Allgemeinheit vor weiterhin hochgefährlichen Straftätern sichergestellt und gleichzeitig werden die Vorgaben der EMRK sowie des Gerichtshofs beachtet. Dadurch kann in den Fallgruppen 1, 2 und 3 die Sicherungsverwahrung nur noch dann vollzogen werden, wenn die Voraussetzungen von Artikel 5 Abs. 1 lit. e der EMRK erfüllt sind. Die Regelungen zum Abstandsgebot führen 8

dabei dazu, dass die Unterbringung der betroffenen in Einrichtungen erfolgt, die für Personen mit psychischer Störung geeignet sind, und dass die Sicherungsverwahrung in der Praxis nicht mehr als Strafe i.s.d. Artikel 7 Abs. 1 EMRK ausgestaltet ist. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf nachfolgenden Auszug aus der Gesetzesbegründung verwiesen (BT-Drs. 17/9874, S. 32 f.) Die in Absatz 2 Satz 2 bis 4 modifizierte Fortgeltung der genannten Regelungen ist auch mit Artikel 5 und 7 EMRK vereinbar. Im Hinblick auf Artikel 5 EMRK gilt dies, weil in den genannten Fällen der Freiheitsentzug die Voraussetzungen von Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK erfüllt, wie sie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) konkretisiert werden (vgl. zuletzt H../. Deutschland, Beschwerde Nr. 6587/04, Rn. 77 f.): Die Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung hängt erstens von einer psychischen Störung ab (dazu s. o.), die auf Grund objektiver ärztlicher Fachkompetenz (zur Begutachtenspflicht bei nachträglicher Sicherungsverwahrung vgl. 275a Absatz 4 Satz 2 a. F. StGB und bei einer über zehn Jahre hinausgehenden Vollstreckung der Sicherungsverwahrung vgl. 463 Absatz 3 Satz 4 StPO) von einer zuständigen Behörde (hier dem zuständigen Gericht) festgestellt wird. Die psychische Störung muss zweitens der Art und des Grades sein, dass sie eine Zwangsunterbringung rechtfertigt (hier: die Störung muss die hochgradige Gefahr begründen, dass die Person schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begeht). Und drittens hängt die Fortdauer der Unterbringung vom Fortbestehen einer derartigen Störung ab (hier Artikel 316f Absatz 2 Satz 4 EGStGB-E). Schließlich führt die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Abstandsgebot dazu, dass die Einrichtung, in der die Sicherungsverwahrung zukünftig vollzogen wird, eine für die Unterbringung von Personen mit psychischer Störung geeignete Einrichtung ist. Denn nach 66c Absatz 1 Nummer 1 und 2 StGB-E ist dem Betroffenen eine seiner Behandlungsbedürftigkeit entsprechende individuelle und intensive Betreuung und Behandlung, insbesondere eine psychiatrische, psychologische oder sozialtherapeutische Behandlung, zu gewähren, wobei die Gegebenheiten der Einrichtung auch im Übrigen diesen Betreuungs- und Therapieerfordernissen entsprechen müssen. Für eine Unterbringung psychisch gestörter Personen muss daher die Einrichtung sowohl hinsichtlich der konkreten Betreuungs- und Behandlungsangebote als auch hinsichtlich ihrer Ausstattung den spezifischen Bedürfnissen dieser Personen Rechnung tragen (vgl. auch die Ausführungen bei Artikel 1 Nummer 2). Soweit die Bestimmungen rückwirkend anzuwenden sind, ist dies auch mit Artikel 7 EMRK vereinbar. Anders als das Bundesverfassungsgericht hat der Gerichtshof die Sicherungsverwahrung zwar bislang als Strafe qualifiziert (M../. Deutschland, Beschwerde Nr. 19359/04, Rn. 124 ff.). Die Einhaltung des Abstandsgebots durch die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts führt jedoch dazu, dass sich die Sicherungsverwahrung zukünftig deutlich von einer Strafe unterscheidet. Auf Grund ihrer Ausgestaltung gemäß 66c StGB-E und bei entsprechender Berücksichtigung des Abstandsgebots im Rahmen der Vollzugsgesetze und Praxis der Länder ist nicht zu erwarten, dass die Sicherungsverwahrung vom Gerichtshof noch als Strafe angesehen wird. 9

d) Gesetzliche Grundlage zur Neuregelung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung in den Ländern 30 Innerhalb der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland sind die Bundesländer für den Vollzug der Sicherungsverwahrung verantwortlich. Deshalb ist es erforderlich, dass das Abstandsgebot auch im Landesrecht umgesetzt wird. Die Bundesländer haben eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die einen gemeinsamen Entwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und den vom Bundesgesetzgeber festgelegten Leitlinien für den Vollzug der Sicherungsverwahrung erarbeitet hat. Die in Anlehnung an diesen gemeinsamen Entwurf von den Ländern konkret verabschiedeten Neuregelungen werden den landesrechtlichen Teil des neuen freiheitsorientierten und therapiegerichteten Gesamtkonzepts der Sicherungsverwahrung bilden. 31 Es handelt sich also bei diesem gemeinsamen Entwurf nicht um einen Mustergesetzentwurf, vielmehr können die für die Durchführung des Vollzuges der Sicherungsverwahrung zuständigen Länder die vorgeschlagenen Regelungen jeweils in ihre z. T. bereits vorhandenen Vollzugsgesetze einfügen bzw. die Regelungen an die bestehenden rechtlichen Strukturen systematisch anpassen. 32 Inhaltlich enthält der Entwurf eine Präzisierung des Vollzugszieles, die Vorgabe eines freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzuges, um durch eine effektive Minderung der Gefährlichkeit der Untergebrachten eine möglichst frühzeitige Entlassung aus der Sicherungsverwahrung zu ermöglichen, Regelungen zur Alltagsgestaltung, die sich von denen des Strafvollzuges deutlich abgrenzt und Vorschriften zur Ergänzung der Strafvollzugsgesetze zur besonderen Ausgestaltung des der Sicherungsverwahrung vorangehenden Vollzuges der Freiheitsstrafe. e) Umsetzung des Abstandsgebots in der Praxis 33 Zur praktischen Umsetzung des Abstandsgebots werden derzeit in den Ländern neue Unterbringungsgebäude für Sicherungsverwahrte gebaut oder vorhandene Gebäude umgebaut, etwa indem größere Wohnbereiche und eigene Freistundenhöfe geschaffen werden und die Ausstattung der Wohnräume verbessert wird. Durch die Baumaßnahmen werden geeignete Einrichtungen geschaffen, die einen behandlungs- und freiheitsorientierten Vollzug der Sicherungsverwahrung ermöglichen. 10

f) Übersicht 34 Nachfolgende Übersicht dient der besseren Veranschaulichung, wie künftige Konventionsverletzungen in den einzelnen Fallgruppen ausgeschlossen werden: Fallgruppe 1: nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung (Altfälle mit Tatbegehung vor dem 31. Januar 1998, s. Rdnr. 2) Fallgruppe 2: nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Strafhaft (soweit überhaupt noch möglich, weil Tatbegehung vor dem 1. Januar 2011, s. Fallgruppe 3: Sicherungsverwahrung nach Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Altfälle mit Tatbegehung vor dem 29. Juli 2004, s. Rdnr. 5) Rdnr. 14) 1. Innerhalb der Frist bis zur Nur noch (ausnahmsweise) zulässig unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Voraussetzungen: vollständigen Umsetzung des Abstandsgebots - psychische Störung - hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten (Rdnr. 19 ff.) Außerdem: Beim praktischen Vollzug der Sicherungsverwahrung wird das Abstandsgebot schon jetzt so weit wie möglich umgesetzt, vgl. Rdnr. 45 ff., 51 ff., 59 ff.. 2. Ab dem 1. Juni 2013 nach Umsetzung des Abstandsgebots Nur noch (ausnahmsweise) zulässig unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht in Orientierung an Artikel 5 Abs. 1 lit. e EMRK aufgestellten und vom Gesetzgeber in Artikel 316f EGStGB normierten Voraussetzungen: - psychische Störung - hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten (Rdnr. 19 ff.) - Geeignete Einrichtung im Sinne von Artikel 5 Abs. lit. e EMRK (Rdnr. 28 ff.). - Sicherungsverwahrung ist keine Strafe im Sinne von Artikel 7 EMRK (Rdnr. 28 ff.) 11

III. Individuelle Maßnahmen 1. Zahlung der Entschädigung 35 Die Entschädigungen wurden, soweit zuerkannt, in allen Fällen innerhalb der vom Gerichtshof gesetzten Fristen an die Beschwerdeführer oder ihre Verfahrensbevollmächtigten gezahlt: Beschwerde Nr. Fall Entschädigungssumme Ausgezahlt am 19359/04 M. 50.000,- 09.08.2010 30060/04 J. 31.467,- 12.10.2011 17792/07 K. 32.975,- 03.05.2011 20008/07 M. 25.000,- 28.04.2011 27360/04 und 42225/07 S. 70.000,- 28.04.2011 4646/08 H. 20.000,- 22.05.2012 21906/09 K. 15.000,- 17.07.2012 61272/09 B. 24.898,13 17.10.2012 61827/09 K. 7.000,- 05.12.2012 65210/09 G. 12.140,- 05.12.2012 3300/10 S 15.570,- 21.12.2012 36 Ablichtungen der noch nicht vorgelegten Zahlungsbelege sind in der Anlage beigefügt (Anlage 2). Im Fall H. gegen Deutschland (Beschwerde Nr. 6587/04) hat der Gerichtshof dem Beschwerdeführer keine Entschädigung zugesprochen. 2. Persönliche Situation der Beschwerdeführer 37 Die Beschwerdeführer wurden entweder entlassen, befinden sich weiterhin in der Sicherungsverwahrung oder sind nach dem am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Therapieunterbringungsgesetz untergebracht. a) Entlassene Beschwerdeführer M. (Beschwerde Nr. 19359/04), Schummer (Beschwerden Nr. 27360/04 und 42225/07) 38 Herr M. (Beschwerde Nr. 19359/04) wurde am 24. Juni 2010 aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Herr S. (Beschwerden Nr. 27360/04 und 42225/07) wurde im Oktober 2010 aus der Sicherungsverwahrung entlassen. H. (Beschwerde Nr. 6587/04) 39 Herr H. (Beschwerde Nr. 6587/04) befindet sich ebenfalls nicht mehr zu Präventionszwecken in der Unterbringung. Das Landgericht Hof ordnete bereits im Juni 2007 wegen neuer Taten seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß 63 StGB an, einer 12

Bestimmung, die eine solche Unterbringung nach Begehung einer Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit vorsieht. b) Beschwerdeführer, die sich weiterhin in der Sicherungsverwahrung befinden K. (Beschwerde Nr. 17792/07) und M. (Beschwerde Nr. 20008/07) 40 Das Landgericht Aachen lehnte es mit Beschluss vom 16. Dezember 2011 ab, die Unterbringung des Herrn K. (Beschwerde Nr. 17792/07) in der Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären. Mit Beschluss vom 27. Dezember 2011 lehnte es das Landgericht Aachen ab, die Unterbringung des Herrn M. (Beschwerde Nr. 20008/07) in der Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären. In beiden Fällen prüfte das Gericht die strengen Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Fortdauer der Sicherungsverwahrung in Vertrauensschutzfällen aufgestellt hatte (siehe oben unter II.2.a), und sah sie als gegeben an. Nach Einholung von Sachverständigengutachten und Anhörung der Beschwerdeführer stellte es jeweils fest, dass die hochgradige Gefahr bestehe, dass die Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs erneut schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen würden. Die Beschwerdeführer litten auch an einer psychischen Störung im Sinne des Therapieunterbringungsgesetzes. 41 In beiden Fällen legten die Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen die Entscheidungen des Landgerichts ein, die jeweils am 6. Februar 2012 durch das Oberlandesgericht Köln verworfen wurden. Damit sind die Entscheidungen über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung seit 7. Februar 2012 rechtskräftig. 42 Beide Beschwerdeführer haben sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Fortdauerentscheidungen gewandt. Die Beschwerden werden beim Bundesverfassungsgericht unter den Aktenzeichen 2 BvR 594/12 (hinsichtlich K.) und AR 2222/12 (hinsichtlich M.) geführt. Entscheidungen sind bisher nicht ergangen. 43 Die Sicherungsverwahrung der Beschwerdeführer wird in einer angegliederten Einrichtung bei der Justizvollzugsanstalt Aachen vollzogen. Um über die spezifischen Behandlungs- und Therapieangebote hinaus ein differenziertes Arbeits- und sinnvolles Freizeitangebot zu gewährleisten, sind die Beschwerdeführer in einem von der Strafhaft abgetrennten Bereich untergebracht. 13

44 Den Beschwerdeführern wurde jeweils ein Raum mit baulich abgetrenntem Sanitärbereich zur alleinigen Nutzung zugewiesen. Die Türen bleiben außerhalb der Nachtruhe unverschlossen, sodass sich die Beschwerdeführer im gesamten Wohnhaus einschließlich der Gemeinschaftsräume, Küchen und des ganztägig zugänglichen Freistundenhofs bewegen können, um eine eigenverantwortliche Lebensführung zu erproben. 45 Zur Wahrung des Abstandsgebotes gegenüber den Strafgefangenen wurden folgende Veränderungen herbeigeführt: 46 Es wurde eine komplette Abteilung von dem übrigen Bereich der Sicherungsverwahrung räumlich getrennt, um dort eine therapeutische Wohngruppe zu implementieren. In dieser Wohngruppe werden nur behandlungswillige Personen untergebracht. Das Behandlungskonzept sieht u. a. die Teilnahme an einer delikt- und biografisch orientierten Kleingruppe vor, bei der jeder der Teilnehmer für ca. sieben Wochen im Focus steht. Sowohl Herr K. als auch Herr M. lehnen jedoch vehement eine Teilnahme an diesem Angebot ab. 47 Die Ausstattung der Wohnräume wurde insgesamt verbessert. So stehen den Sicherungsverwahrten nun wohnlich ausgestattete Freizeiträume sowie zwei Sitzgruppen und zwei Sonnenschirme für den Freistundenhof zur Verfügung. Alle Abteilungen der Sicherungsverwahrung verfügen über Dart-Spiele und es gibt zwei Kicker-Spiele für die Freizeitgestaltung. Darüber hinaus ist ein kleiner Fitnessraum eingerichtet worden. Zudem gibt es eine gesonderte Einkaufsliste, die sich bei der Auswahl der Einkaufsprodukte erheblich von der Einkaufsliste der Strafgefangenen unterscheidet. B. (Beschwerde Nr. 61272/09) 48 Im Fall des Herrn B. (Beschwerde Nr. 61272/09) ordnete das Oberlandesgericht Nürnberg mit Beschluss vom 29. Dezember 2011 die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung an. Auch in diesem Fall wurden die strengen Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 beachtet. Das Oberlandesgericht stellte nach Einholung von Sachverständigengutachten fest, dass der Beschwerdeführer an einer psychischen Störung im Sinne des Therapieunterbringungsgesetzes leide und deshalb gegenwärtig die hochgradige Gefahr bestehe, dass er außerhalb des Maßregelvollzugs erneut schwerste Gewalt- und/oder Sexualstraftaten begehen werde. 49 Im Rahmen der nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 erforderlichen jährlichen Überprüfung hat das Landgericht Regensburg mit Beschluss vom 14

24. August 2012 erneut die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet. Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 5. November 2012 wurde dieser Fortdauerbeschluss auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers aufgehoben, da das Landgericht es unterlassen hat, ein aktuelles Sachverständigengutachten in die Gefährlichkeitsprognose einzubeziehen. Das Oberlandesgericht hat die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Regensburg zurückverwiesen. Das Überprüfungsverfahren ist derzeit noch anhängig. 50 Der Beschwerdeführer befindet sich aufgrund dessen weiterhin in der Sicherungsverwahrung in einer gesonderten Abteilung der Justizvollzugsanstalt Straubing. Die Abteilung ist mit einem Gemeinschaftsraum, einem Sportraum und Gemeinschaftsküchen ausgestattet. 51 Derzeit befindet sich ein neues Unterkunftsgebäude für Sicherungsverwahrte im Bau, dessen Eröffnung für den 1. Juni 2013 geplant ist. Mit dem Neubau werden u. a. der Besuchsbereich, Schul- und Freizeiträume, therapeutische Einrichtungen und eine Sportanlage neu geschaffen. 52 Um dem vom Bundesverfassungsgericht geforderten Abstandsgebot bis zur Fertigstellung des neuen Gebäudes bereits jetzt Rechnung zu tragen, wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen. Die Maßnahmen umfassen die wohnliche Einrichtung der Gemeinschaftsräume, Schaffung weiterer Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung, großzügige Möglichkeiten zum Empfang von Besuch, Aufenthalt im Freien und erweiterte Möglichkeiten zum Erwerb von Waren. Außerdem wurde vom Kriminologischen Dienst des bayerischen Justizvollzugs ein Behandlungskonzept entwickelt und das Therapieangebot weiter optimiert. 53 Herr B. nimmt seit Mai 2002 an einer einzeltherapeutischen Behandlungsmaßnahme teil. Bis zum 16. Januar 2013 fanden 17 Therapiestunden statt. Zur weiteren Resozialisierung wurden zudem vier Ausführungen genehmigt. K. (Beschwerde Nr. 61827/09) und G. (Beschwerde Nr. 65210/09) 54 Die Unterbringungen des Herrn K. (Beschwerde Nr. 61827/09) und des Herrn G. (Beschwerde Nr. 65210/09) in der Sicherungsverwahrung war bereits vor den Urteilen des Gerichtshofs anhand der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für Vertrauensschutzfälle überprüft worden. In beiden Fällen lehnte es das Landgericht Marburg ab, die Unterbringung für erledigt zu erklären hinsichtlich K. mit Beschluss vom 30. August 2011, hinsichtlich G. mit Beschluss 15. Juli 2011. Die sofortigen Beschwerden der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen des Landgerichts verwarf das 15

Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschlüssen vom 22. August 2011 (hinsichtlich G.) und 15. November 2011 (hinsichtlich K.). 55 Nach erneuter Überprüfung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers G. hat das Landgericht Marburg mit Beschluss vom 17. Juli 2012 unter Bezugnahme auf die Beschlüsse der Kammer vom 15. Juli 2011 und des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. August 2011 die Beendigung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgelehnt. Die sofortige Beschwerde des Herrn G. gegen diesen Beschluss hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main unter Anwendung des strengen Prüfungsmaßstabs des Bundesverfassungsgerichts für Vertrauensschutzfälle (vgl. Rdnr. 19) mit Beschluss vom 6. November 2012 verworfen. 56 Hinsichtlich des Beschwerdeführers K. hat das Landgericht Marburg am 15. Oktober 2012 ebenfalls unter Bezugnahme auf ihren Beschluss vom 30. August 2011 und die Verwerfung der hiergegen gerichteten Beschwerde durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main durch Beschluss vom 15. November 2011 die Fortdauer der Sicherungsverwahrung beschlossen. Über die sofortige Beschwerde des Herrn K. gegen diesen Beschluss hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main nach hiesigem Kenntnisstand noch nicht entschieden. 57 Sowohl der Beschwerdeführer G. als auch der Beschwerdeführer K. haben im September 2012 im Hinblick auf die Entscheidung des EGMR vom 7. Juni 2012 die Wiederaufnahme ihrer Verfahren über die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach 359 Nr. 6 StPO beim Landgericht Darmstadt beantragt. Mit Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 20. Dezember 2012 betreffend den Beschwerdeführer G. wurde das Wiederaufnahmegesuch als unzulässig verworfen, da die Entscheidung, die nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen, nicht auf dem Konventionsverstoß beruhte. Ob eine sofortige Beschwerde von Herrn G. beim Oberlandesgericht eingelegt wurde, ist hier nicht bekannt. Im Fall des Beschwerdeführers K. liegt hier derzeit noch kein Beschluss in gleicher Sache vor. 58 Beide Beschwerdeführer befinden sich daher weiterhin in Sicherungsverwahrung in der JVA Weiterstadt, Zweiganstalt Schwalmstadt, Einrichtung für Sicherungsverwahrte. Die Unterbringung in den Räumlichkeiten der JVA Weiterstadt trägt dem Umstand Rechnung, dass in der JVA Schwalmstadt gegenwärtig die Abteilung für Sicherungsverwahrte umgebaut wird und daher derzeit nicht belegt werden kann. 16

59 Die räumlichen Gegebenheiten in der JVA Weiterstadt erlauben eine Unterbringung der Sicherungsverwahrten, die auch in der Interimszeit dem Abstandsgebot Rechnung trägt. Eine räumliche Trennung von Strafgefangenen ist durch die Separierung des Unterkunftsgebäudes von dem Bereich der Strafhaft jederzeit gegeben; jedem Sicherungsverwahrten stehen zwei Wohnräume zur Verfügung, deren Einrichtung sie selbst gestalten können. Neben eigenen Möbeln können die Sicherungsverwahrten beispielsweise auch zusätzliche Elektrogeräte (Kaffeemaschine, TV-Geräte u.s.w.) in ihre Zimmer stellen. Jeder Raum hat incl. Nassbereich eine Größe von 13,3 m². Die Sicherungsverwahrten sind in Wohngruppen untergebracht, die aus zehn bis maximal vierzehn Personen bestehen. Jeder Wohngruppe sind ein Sozialarbeiter und ein Psychologe zugeordnet. Auch hier bleiben die Türen außerhalb der Nachtruhe unverschlossen und die Sicherungsverwahrten können sich tagsüber auch auf dem parkähnlichen Freistundenhof aufhalten. 60 Therapeutische Maßnahmen haben beide Beschwerdeführer bisher abgelehnt. Aufgrund der fortwährenden Weigerung, aktiv an Behandlungsmaßnahmen teilzunehmen, wird und wurde es als notwendig erachtet, beiden Beschwerdeführern die Teilnahme an einer speziellen Motivierungsgruppe zu ermöglichen. Ziel dieser Therapiemaßnahme soll es sein, Interesse für eine therapeutische Auseinandersetzung mit sich selbst und der eigenen Verhaltensbereitschaft sowie der eigenen Lebenssituation zu wecken. Dabei soll ihnen verdeutlicht werden, dass sie aktiv, selbstkritisch und in konstruktiver Art und Weise an der Entwicklung von Perspektiven für ein Leben außerhalb des Vollzuges mitwirken müssen. Die Therapiemaßnahme findet in einem wöchentlichen Rhythmus über einen Zeitraum von sechs Monaten statt und stellt einen der ersten Bausteine in einer Reihe von behandlerischen Angeboten dar. Aufgrund der Tatsache, dass sie sich zu Unrecht verurteilt ansehen, verweigern die Beschwerdeführer jedoch jedwede Mitarbeit an den therapeutischen Behandlungsmaßnahmen. Auch Gesprächsangebote der zuständigen Fachdienste werden rigoros abgelehnt (G.) oder haben keinen therapeutischen Gesprächsinhalt (K.). S. (Beschwerde Nr. 3300/10) 61 Auch die Fortdauer der Unterbringung des Herrn S. (Beschwerde Nr. 3300/10) in der Sicherungsverwahrung war bereits vor dem Urteil des Gerichtshofs überprüft worden. Das Landgericht Regensburg war dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten strengen Voraussetzungen für die Fortdauer der Sicherungsverwahrung in Vertrauensschutzfällen nicht vorlägen und hatte die Sicherungsverwahrung mit Beschluss vom 13. Oktober 2011 für erledigt erklärt. Mit Beschluss vom 24. Oktober ordnete das Landgericht Regensburg Zivilgericht die vorläufige Unterbringung des Beschwerdeführers nach dem Therapieunterbringungsgesetz 17

an. Am 19. Dezember 2011 gab das Oberlandesgericht Nürnberg der Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Beendigung der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers statt und ordnete ihre Fortdauer an. Als nächster Termin für die Prüfung der Fortdauer der Unterbringung ist der 12. Oktober 2013 vorgemerkt 62 Der Beschwerdeführer befindet sich aufgrund dessen weiterhin in der Sicherungsverwahrung in einer gesonderten Abteilung der Justizvollzugsanstalt Straubing. Zur Unterbringungssituation wird auf die Ausführungen zu Rdnr. 50-53 verwiesen. 63 Trotz intensiver Bemühungen ist es bisher nicht gelungen, den Beschwerdeführer für Behandlungsmaßnahmen (Sozialtherapie und sozialpädagogische Maßnahmen) zu motivieren. Daher werden weitere Motivationsmaßnahmen stattfinden. c) Beschwerdeführer, die nach dem Therapieunterbringungsgesetz untergebracht sind H. (Beschwerde Nr. 4646/08) 64 Die Unterbringung des Herrn H. (Beschwerde Nr. 4646/08) in der Sicherungsverwahrung hat das Oberlandesgericht Nürnberg mit Beschluss vom 14. Dezember 2011 für erledigt erklärt. Mit Beschluss vom gleichen Tag (14. Dezember 2011) ordnete das Landgericht Regensburg Zivilgericht die vorläufige Unterbringung des Beschwerdeführers gemäß den Bestimmungen des Therapieunterbringungsgesetzes an. Der Beschwerdeführer wurde somit am 14. Dezember 2011 aus der Sicherungsverwahrung entlassen und ist seitdem nach dem ThUG im Bezirkskrankenhaus Straubing untergebracht. Mit Beschluss vom 3. Februar 2012 ordnete das Landgericht Regensburg im Hauptsacheverfahren die Unterbringung des Verurteilten gemäß den Bestimmungen des Therapieunterbringungsgesetzes zunächst bis längstens 13. Juni 2013 an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Verurteilten wies das Oberlandesgericht Nürnberg mit Beschluss vom 26. März 2012 als unbegründet zurück. K. (Beschwerde Nr. 21906/09) 65 Mit Beschluss vom 8. Dezember 2011 ordnete das Landgericht Regensburg die Unterbringung des Herrn K. (Beschwerde Nr. 21906/09) gemäß den Bestimmungen des Therapieunterbringungsgesetzes an, zunächst bis längstens 27. Mai 2013. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers wies das Oberlandesgericht Nürnberg mit Beschluss vom 12. März 2012 zurück. Der Beschwerdeführer ist derzeit nach dem ThUG im Bezirkskrankenhaus Straubing untergebracht. 18

IV. Ergebnis 66 Nach Auffassung der Bundesregierung wurden durch die getroffenen Maßnahmen die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, gleichartige Konventionsverletzungen in Zukunft zu verhindern. Die Verabschiedung der notwendigen Gesetzesänderungen auch auf Landesebene sowie die Umsetzung der neuen Regelungen in der Praxis ist bis zum 31. Mai 2013 zu erwarten. Die Bundesregierung wird das Ministerkomitee über die weitere praktische Umsetzung des Abstandsgebots informieren. 19