7 Statements: Wie die interkulturelle Öffnung der Kinder- und Jugend(verbands)arbeit gelingt



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Transkript:

7 Statements: Wie die interkulturelle Öffnung der Kinder- und Jugend(verbands)arbeit gelingt erfahrbar - gegenseitig - gefördert - entschleunigt - beteiligt - qualifiziert - solidarisch Als demokratisch strukturierte Interessenvertretung von Kindern und Jugendlichen bieten Jugendverbände Mitsprache und Teilhabe an der Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse. In der Jugendverbandsarbeit sind junge Menschen mit Migrationshintergrund im Verhältnis zu ihrem Anteil von ca. 28% an ihrer Altersgruppe unterrepräsentiert. Vor diesem Hintergrund setzt sich die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.v. (aej) für gleichberechtigte Teilhabechancen aller jungen Menschen an der Kinderund Jugendarbeit und an der Jugendverbandsarbeit ein, unabhängig ihres nationalen, kulturellen oder sozialen Hintergrunds. 1 Mit dem Ziel, Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund einen gleichwertigen Zugang zu (evangelischer) Kinder- und Jugend(verbands)arbeit zu ermöglichen, setzt die aej ihre Schwerpunkte in der interkulturellen Öffnung auf: die Öffnung und Qualifizierung von Teilnahme- und Mitbestimmungsstrukturen im Verband und in den Strukturen evangelischer Kinder- und Jugendarbeit die Erhöhung des Anteils von ehrenamtlichen und hauptberuflichen Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund in der Kinder- und Jugend(verbands)arbeit die Qualifizierung und Sensibilisierung von Mitarbeitenden für die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, für interkulturelle Öffnungskonzepte und gegen Diskriminierungen Kooperation, Coaching und Beratung mit/von Vereinen junger Migrant(inn)en Seit 2008 verstärkt die aej gezielt ihre Aktivitäten im Handlungsfeld Migration und Integration. In bundesweiten Modellprojekten arbeiten die aej und lokale wie bundesweite Partner(inn)en aus der evangelischen Kinder- und Jugendarbeit mit verschiedenen Vereinen junger Migrant(inn)en (VJM) zusammen. Dazu gehören sowohl christlich-ökumenische als auch Gruppierungen anderer Religionen. Die vorliegenden sieben Eckpunkte bündeln die Ergebnisse der Projekte: Sie bringen Erfahrungen auf den Punkt, erläutern konkrete Beispiele und geben Anregungen. In Handlungsempfehlungen zeigen wir für Jugendverbände und für Verantwortliche in Verwaltung und Politik auf, wie interkulturelle Öffnung weitergehen muss. 1 Die Grundlage hierfür bilden Beschlüsse der aej-mitgliederversammlung aus den Jahren 2003 und 2007 und ein Beschluss des Deutschen Bundesjugendrings aus dem Jahr 2007. 1

1. Erfahrbar Interkulturelle Öffnung gelingt durch konkrete Kooperationen zwischen Vereinen junger Migrant(inn)en und etablierten Jugendverbänden! Die aej führt seit 2008 gemeinsam mit verschiedenen VJM bundesweite Modellprojekte durch, in denen evangelische Gruppen mit Organisationen und Vereinen junger Menschen mit Migrationshintergrund kooperieren. Die konkrete Zusammenarbeit bewirkt eine ganz praktische interkulturelle Öffnung vor Ort und in den Verbänden. Durch Kooperationen und die dadurch angestoßenen Diskussionsprozesse über Verfahrensweisen, Entscheidungswege und Partizipationsmöglichkeiten werden die Strukturen etablierter Jugendverbände wesentlich geöffnet. Die von den VJM gewonnenen Erkenntnisse werden häufig an die jeweiligen Erwachsenenverbände weitergegeben und entfalten auch dort eine öffnende Wirkung. Voraussetzung für das Gelingen von Kooperationen sind verlässliche Kommunikations-strukturen auf beiden Seiten, die auf festen Ansprechpartner(inne)n und regelmäßigem Austausch basieren. Wertschätzung und Anerkennung der Partnerorganisation in ihrer jeweiligen Prägung sind eine wichtige Grundlage für Partnerschaften. Dazu gehört insbesondere die grundsätzliche Wertschätzung des überwiegend ehrenamtlich geleisteten Engagements von VJM. Ein einseitiger gesellschaftspolitischer Sicherheits- und Extremismusdiskurs belastet Kooperationen, an denen VJM beteiligt sind. TANDEM Vielfalt gestalten! (2011-2014) An zehn Standorten bundesweit wurden lokale Kooperationen zwischen evangelischen Jugendgruppen und MSOs gebildet. Beispielsweise kooperiert der CVJM Wuppertal-Oberbarmen mit dem Türkischen Kultur- und Bildungszentrum Wuppertal e.v. und bietet eine wöchentlich stattfindende Hausaufgabenhilfe an. Kooperationen zwischen VJM und etablierten Jugendverbänden müssen zu einem stetigen Förderinstrument werden. Das Engagement von jungen Menschen mit Migrationshintergrund muss öffentlich anerkannt und wertgeschätzt werden. Ihre Gruppen, Organisationen und Verbände dürfen nicht unter Generalverdacht gestellt werden. 2

2. Gegenseitig Gemeinsamkeiten und gegenseitiges Verständnis sind die Voraussetzungen für die interkulturelle Kooperation auf Augenhöhe! Interkulturelle und interreligiöse Kooperationen und Angebote funktionieren nur dann, wenn die Beteiligten insbesondere die beteiligten jungen Menschen Interessen miteinander teilen, beispielsweise das unmittelbare Lebensumfeld, einen religiösen Hintergrund oder Themen und Werte. Gemeinsame Interessen sind die Basis für eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Augenhöhe bedeutet, dass eine gleichberechtigte Partizipation der Partner besteht und jeder Partner im Verhältnis zu seiner organisatorischen Stärke gleich viel in die Kooperation einbringt. Die deutsche Gesellschaft ist multireligiös zusammengesetzt. Der Islam bildet nach dem Christentum die zweitgrößte Religion. Interreligiösen Kooperationen insbesondere zwischen christlicher und muslimischer Jugendarbeit kommt daher eine wichtige Bedeutung für ein friedliches Miteinander zu. Einführung von Freiwilligendienste in VJM (2012-2014) In München kooperieren die Islamische Jugend und die Evangelische Jugend regelmäßig miteinander. Um ihren Austausch vor Ort zu verstetigen, wurde bei der Islamischen Jugend ein Freiwilligenplatz eingerichtet. Die pädagogische Begleitung der Freiwilligen geschieht durch einen Freiwilligendienstträger, der Teil der Evangelischen Jugend München ist. Kooperationen sollten mit Partnern gesucht werden, mit denen man jenseits des Willens zum interkulturellen Austausch ein gemeinsames Interesse teilt. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf Partner aus dem örtlichen Umfeld gelegt werden. Die Partner sollten im Vorfeld und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ressourcenstärke klare Vereinbarungen treffen, insbesondere bzgl. Planung, Ansprechpartner(inn)en und Aufgabenverteilung. Der stärkere Partner hat eine besondere Verantwortung dafür, die prinzipielle Gleichberechtigung von der Planungs- bis zur Abschlussphase zu gestalten und zu respektieren. 3

3. Gefördert Interkulturelle Öffnung ist nur mit zusätzlichen finanziellen und personellen Ressourcen bei allen Kooperationspartner(inne)n möglich! Interkulturelle Öffnung gelingt dort, wo Haupt- und Ehrenamtliche verschiedener Organisationen verbindliche Kooperationen miteinander eingehen. Beide Organisationen benötigen dafür in der Regel zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen, um den besonderen Herausforderungen unterschiedlich gestellter Organisationen gerecht zu werden. Bei der derzeitigen Verteilung finanzieller und personeller Ressourcen für Kinder- und Jugendarbeit herrscht ein großes Gefälle zwischen VJM und etablierten Jugendverbänden. Das hat zur Folge, dass sich die Organisationsstrukturen und das Finanzvolumen zweier Kooperationspartner(inn)en sehr stark voneinander unterscheiden können. Diese unterschiedlichen Voraussetzungen müssen in allen Phasen einer Kooperation mit einbezogen werden. Zusätzliche Ressourcen auf beiden Seiten unterstützen die Verbindlichkeit der Zusammenarbeit. Coachingprojekt der aej mit dem BDAJ (2009-2012) Die aej stellte im Rahmen dieses Projektes den ersten hauptberuflichen Mitarbeiter ein, der für den BDAJ arbeitete. Er wurde von einer eigens dafür beauftragten Projektmitarbeiterin seitens der aej-geschäftsstelle betreut. Dadurch gelang der Aufbau hauptberuflicher Strukturen und einer BDAJ- Geschäftsstelle in Dortmund, die seitdem erfolgreich arbeitet und finanzielle Mittel akquiriert. Der Verbandsaufbau konnte so weit vorangetrieben werden, dass ein Beitritt des BDAJ zum Deutschen Bundesjugendring im Jahr 2011 möglich wurde. Kooperationsprojekte zwischen VJM und etablierten Jugendverbänden müssen mit zusätzlichen personellen und finanziellen Ressourcen für beide Kooperationspartner(innen) ausgestattet werden. VJM müssen in die Regelförderung der Kinder- und Jugend(verbands)arbeit aufgenommen werden. Die Voraussetzungen dazu müssen so überarbeitet werden, dass VJM nicht mehr strukturell benachteiligt werden. Eine Konkurrenz um Ressourcen zwischen etablierten Jugendverbänden und VJM ist zu vermeiden. 4

4. Entschleunigt Interkulturelle Öffnung braucht inhaltliche Spielräume, Ergebnisoffenheit und Zeit! Der Aufbau interkultureller Kooperationen gelingt dann am besten, wenn das Vertrauen in eine Zusammenarbeit und die Umsetzung gemeinsamer Vorhaben Zeit zu wachsen haben. Projektlaufzeiten müssen daher mindestens drei Jahre umfassen. Das Kennenlernen und der Austausch über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg erfordert Geduld und Flexibilität. Je mehr Zeit und inhaltlicher Spielraum solchen Prozessen zugestanden wird, desto nachhaltiger ist die Wirkung. Kleinteilige Rahmenbedingungen und Erfolgsdruck durch Fördermittelgeber wirken kontraproduktiv. Eine wissenschaftliche Begleitung bzw. Evaluation interkultureller Kooperationen sichert den Blick von außen und kann wesentliche Erkenntnisse in den Kooperationsprozess einbringen. Daneben sollte sie Indikatoren für das jeweilige Praxisfeld entwickeln, die Eingang finden in zukünftige Programme und Förderungen. Einführung von Freiwilligendienste in VJM (2012-2014) Während des ersten Projektjahres wurden unerwartete Hindernisse deutlich. Mehrere hoch motivierte Partner(inn)en konnten aus nachvollziehbaren Gründen nicht mitwirken. Darauf wurde die Projektkonzeption in größerem Ausmaß verändert. Die Änderungen zeigten Wirkung im zweiten Projektjahr konnten weitere Freiwillige, Projektpartner(innen) und Standorte hinzugewonnen werden. Für eine feste Verankerung von Freiwilligendiensten in den beteiligten VJM wären ein bis zwei weitere Projektjahre dringend notwendig gewesen. Handlungsempfehlungen; Projekte zum Aufbau komplexer Strukturen bei VJMs benötigen eine Mindestlaufzeit von drei Jahren. Förderbedingungen müssen so gestaltet sein, dass genügend inhaltlicher Spielraum und Flexibilität für erforderliche Entwicklungen vorhanden ist. Für eine wissenschaftliche Begleitung bzw. Evaluation von Kooperationen müssen ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden ohne dass Mittel für die praktische Arbeit verloren gehen. Wissenschaftliche Begleitungen sollten interkulturelle Kooperationsprojekte auch dazu nutzen, Indikatoren für das jeweilige Praxisfeld zu entwickeln. 5

5. Beteiligt Ein Schlüssel zur interkulturellen Öffnung ist die konsequente Partizipation von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund! Partizipation und Selbstorganisation sind Grundprinzipien von Kinder- und Jugendarbeit. Interkulturelle Angebote sind dann erfolgreich, wenn sie an den Interessen und Bedürfnissen der Zielgruppe(n) ausgerichtet sind. Eine konsequente Partizipation ermöglicht neue Erkenntnisse und Erfahrungen aller Beteiligten und vermeidet Stereotype und Zuschreibungen. TANDEM Bildungsförderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (2008-2011) Um den Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund an evangelischen Ferienfreizeiten zu erhöhen, verlegte der Projektstandort Herford die Freizeitziele vom Land in die Großstadt. Ebenso wurde aufgrund des besonderen Interesses der Jugendlichen an Musik ein Ton- und Musikstudio in der offenen Tür-Arbeit eingerichtet. Daraus entstand eine Vielzahl von Musikprojekten. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund müssen konsequent an Angeboten und Strukturen etablierter Jugendverbände beteiligt werden. Partizipation muss unabhängig von sozialer Herkunft, Geschlecht, Weltanschauung, Religion, Nationalität und ethnischer Gruppierung gewährleistet sein. Partizipation darf weder durch die religiöse Orientierung des etablierten Verbands noch durch Förderbedingungen eingeschränkt werden. 6

6. Qualifiziert Interkulturelle Öffnung braucht hochwertige Qualifizierung! Interkulturelle Öffnung benötigt die Qualifizierung aller Beteiligten. Dabei muss zwischen der Vermittlung vom Handwerkszeug der Kinder- und Jugendarbeit einerseits sowie einer interkulturellen Sensibilisierung und Qualifizierung andererseits unterschieden werden. Die Vermittlung von Handwerkszeug ermöglicht den VJM, tradiertes und kumuliertes Wissen von Jugend(verbands)arbeit für sich zugänglich und nutzbar zu machen. Haupt- und Ehrenamtliche müssen für ihre vielfältigen Aufgaben in der Kinder- und Jugendarbeit geschult werden (z.b. Juleica-Schulung und Methodenwissen). Funktionsträger(inn)en müssen in den Bereichen Leitung, Personal, Verwaltung, Finanzen, Öffentlichkeitsarbeit und Wissenstransfer geschult werden. Auf Seiten der etablierten Jugendverbände müssen Hauptberufliche und Ehrenamtliche gezielt für eine interkulturelle Öffnung sensibilisiert und qualifiziert werden. Es muss ein Bewusstsein dafür entwickelt werden, in einer Migrationsgesellschaft zu leben und zu arbeiten. Die Wahrnehmung von Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen muss geschärft werden. Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit benötigen diversitätsbewusste pädagogische Kompetenz, die zusätzlich erworben werden muss. Dialog und Kooperation (2010-2013) Der Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) und die islamische Gemeinschaft Jama at-un Nur entwickelten in Hannover eine interreligiöse Juleica-Schulung. Sie wurde gemeinsam geplant und durchgeführt. Rund 20 muslimische und christliche Jugendliche wurden als Jugendgruppenleiter(innen) ausgebildet. Die Juleica-Schulung diente der Vermittlung praktischen Wissens und eröffnete Reflexionsräume für eigene Stereotype und sensibilisierte für Diskriminierungserfahrungen. Interkulturelle Kooperationen müssen flankiert sein von Qualifizierungsmaßnahmen auf beiden Seiten. Für diese müssen zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen bereitgestellt werden. Qualifizierungsmaßnahmen müssen für Vielfalt-bewusstes Handeln sowie für Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen sensibilisieren. In die Juleica-Ausbildung sollte ein interkulturelles Kompetenztraining fest verankert werden. 7

7. Solidarisch Coaching-Modelle sind ein Erfolgsrezept für die interkulturelle Öffnung! Coachingprojekte zwischen VJMs und etablierten Jugendverbänden sind extrem wirksam und ein Schlüssel zu einer langfristigen Vernetzung und Partnerschaft. Sie verhelfen einerseits den VJM zu einer besseren Organisation ihrer Arbeit sowie zur Teilhabe im System der etablierten Jugendverbandsarbeit. Andererseits geben sie den Jugendverbänden wichtige Anstöße zu notwendigen strukturellen Veränderungen. Sie tragen auf beiden Seiten dazu bei, die eigene Identität zu stärken. Gleichzeitig stärken sie gemeinsame Interessen in der Kinder- und Jugendarbeit und schaffen Verbandsfreundschaften. Coachingprojekt der aej mit christlich-ökumenischen VJM (2009-2011) Eine auf aej-seite eigens eingestellte Mentorin arbeitete mit den ehrenamtlichen Leiter(innen) der VJMs zusammen. Ziele waren die Strukturentwicklung der VJM (z.b. durch die Ermöglichung von Klausurtreffen des Bundesvorstands), die Qualifizierung von Ehrenamtlichen (z.b. Organisation von Juleica-Schulungen) sowie die Öffnung der aej für weitere Partner (z.b. Mitwirkung der VJM in aej- Gremien). Auf Basis der aufgebauten Strukturen arbeiten die aej und die VJMs auch heute noch eng zusammen: Es finden regelmäßig Austauschund Beratungstreffen statt, die VJMs haben über die aej Zugang zu finanziellen Mitteln und werden in neue aej-projekte eingebunden. Coachingprojekte zwischen VJM und etablierten Jugendverbänden müssen weiter gefördert werden. In Coachingprojekten muss ein besonderes Augenmerk auf die Voraussetzungen für eine Einbindung in die bestehenden Strukturen der Jugendverbandsarbeit und die Befähigung zur selbständigen Akquise finanzieller Mittel gelegt werden. Coachingprojekte sollten in der Regel die Vorstufe zu einer eigenständigen Förderung von VJM sein. Sie sollten eine klare Perspektive auf Regelförderung enthalten. Die Nachhaltigkeit von Coachingprojekten nach Projektende sollte durch feste Ansprechpartner(inn)en in den etablierten Verbänden und konkrete Verabredungen gesichert werden. Bei einer größeren Anzahl von Coachingpartnerschaften benötigen etablierte Verbände für diese Aufgabe übergangsweise zusätzliche personelle Ressourcen. 8

Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej) Otto-Brenner-Straße 9, 30159 Hannover Telefon: 0511 1215-0 Fax: 0511 1215-299 E-Mail: info@evangelische-jugend.de www.aej-online.de Verbandswebsite der aej www.evangelisches-infoportal.de Themenportal Kindheit - Jugend - Bildung www.jupp-der-preis.de Praxisprojekte aus der evangelischen Kinder- und Jugendarbeit 9