Interethnische Beziehungen von Migranten in Ostdeutschland Rieker, Peter

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Transkript:

www.ssoar.info Interethnische Beziehungen von Migranten in Ostdeutschland Rieker, Peter Veröffentlichungsversion / Published Version Zeitschriftenartikel / journal article Zur Verfügung gestellt in Kooperation mit / provided in cooperation with: Verlag Barbara Budrich Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Rieker, Peter: Interethnische Beziehungen von Migranten in Ostdeutschland. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 1 (2006), 1, pp. 145-148. URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-135136 Nutzungsbedingungen: Dieser Text wird unter einer Deposit-Lizenz (Keine Weiterverbreitung - keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt. Gewährt wird ein nicht exklusives, nicht übertragbares, persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses Dokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich für den persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. Auf sämtlichen Kopien dieses Dokuments müssen alle Urheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise auf gesetzlichen Schutz beibehalten werden. Sie dürfen dieses Dokument nicht in irgendeiner Weise abändern, noch dürfen Sie dieses Dokument für öffentliche oder kommerzielle Zwecke vervielfältigen, öffentlich ausstellen, aufführen, vertreiben oder anderweitig nutzen. Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an. Terms of use: This document is made available under Deposit Licence (No Redistribution - no modifications). We grant a non-exclusive, nontransferable, individual and limited right to using this document. This document is solely intended for your personal, noncommercial use. All of the copies of this documents must retain all copyright information and other information regarding legal protection. You are not allowed to alter this document in any way, to copy it for public or commercial purposes, to exhibit the document in public, to perform, distribute or otherwise use the document in public. By using this particular document, you accept the above-stated conditions of use.

Kurzberichte Interethnische Beziehungen von Migranten in Ostdeutschland Peter Rieker Es fehlt bislang an Studien zu Migration in den neuen Bundesländern, was mit der vergleichsweise geringen Zahl hier lebender Migranten begründet wird (Glaser 2005). Auch die sozialen Beziehungen von Migranten in Ostdeutschland wurden bisher kaum untersucht, obwohl sie der Migrationsforschung interessante Impulse geben könnten. In diesem Beitrag werden einige Ergebnisse neuerer Arbeiten skizziert und in Hinblick auf interethnisches Zusammenleben analysiert. Migration und Integration in Ostdeutschland Eine der größeren in Ostdeutschland lebenden Migrantengruppen sind die ehemaligen Vertragsarbeiter aus Vietnam. Für diese Vietnamesinnen und Vietnamesen bekamen Selbsthilfeorganisationen nach der Wende große Bedeutung. Im Unterschied zu den Vereinen anderer ethnischer Minderheiten vor allem in Westdeutschland wurden fast alle diese Organisationen von Vietnamesen gemeinsam mit Deutschen gegründet (Weiss 2005a: 82f.). Diese Vereine definieren sich nur teilweise über ethnische Zugehörigkeit und der Kulturaustausch hat für sie großen Stellenwert. Die Vietnamesen, die sich nach der Wende in Ostdeutschland in dieser Weise organisieren, unterhalten übrigens keine Kontakte zu den vietnamesischen Kontingentflüchtlingen, die schon seit den späten 1970er Jahren in Westdeutschland und Berlin ansässig sind. Dies lässt sich damit erklären, dass die seit dem Vietnamkrieg zumeist als so genannte Boat- People nach Westdeutschland gelangten Flüchtlinge aus dem Süden Vietnams stammen, während es sich bei den DDR-Vertragsarbeitern in der Regel um Nordvietnamesen handelte. Einer neueren Untersuchung zufolge kombiniert sich diese Nord-Süd-Differenz im Selbstverständnis der Vietnamesen mit der deutschen West-Ost-Differenzierung: Im Unterschied zu den in Westdeutschland inzwischen etablierten und häufig eingebürgerten Vietnamesen haben die ehemaligen Vertragsarbeiter eine ausgeprägte Ost(deutsche)-Identität entwickelt (Weiss 2005b). Besonderheiten zeigen sich auch in einer Studie zu Religionsgemeinschaften in Halle. Im Unterschied zu religiösen Gemeinschaften von Migranten in Metropolen, die sich in der Regel ethnisch homogen organisieren, finden sich Diskurs Kindheits- und Jugendforschung Heft 1-2006, S. 145-148

146 Peter Rieker Angehörige verschiedener Nationalitäten und Volksgruppen hier in freikirchlichen Gemeinden zusammen, wobei sie betonen, dass ihre Zugehörigkeit zu National- und Volksgruppen für diesen Zusammenschluss ohne Bedeutung ist. Stattdessen heben sie die Gemeinsamkeit ihres Glaubens hervor und grenzen sich von den Ungläubigen ab. Diese religiösen Gemeinschaften bieten den Migranten aber nicht nur Möglichkeiten der Selbstorganisation, sondern auch Wege der Integration in das soziale Leben der Aufnahmegesellschaft: Sie werden regelmäßig motiviert, Deutsch zu lernen, sie können Interessen besser artikulieren und erhalten Zugang zu politischen Netzwerken (Glick-Schiller et al. 2005: 31). Darüber hinaus sind diese religiösen Gemeinden mit ähnlichen Gemeinden in anderen Ländern im Rahmen transnationaler Netzwerke verbunden. Erkennbar werden im Rahmen dieser religiösen Gemeinschaften also erhebliche Integrationsbereitschaft nach innen und ausgeprägte Ansätze zur Vernetzung nach außen. Auch junge Flüchtlinge, die ohne Eltern nach Deutschland geflohen und in ostdeutschen Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht sind, orientieren sich zum Großteil interethnisch (vgl. Weiss/Enderlein/Rieker 2001). In ihrem Alltag knüpfen die Jugendlichen zwar einerseits an Elementen ihrer heimatlichen Kultur an, d.h. sie unterhalten privilegierte Kontakte zu Landsleuten, bereiten Speisen aus dem Heimatland zu oder orientieren sich an tradierten religiösen Bräuchen. Andererseits grenzen die Kinder und Jugendlichen sich aber von diesen Traditionen ab oder relativieren sie stark, z.b. indem junge Flüchtlinge Freundschaften mit deutschen Mädchen eingehen, ihre Religion explizit zurückweisen und sich an kulturellen Gewohnheiten anderer Länder orientieren. Es handelt sich hierbei nicht um verschiedene Gruppen, sondern die selben Jugendlichen orientieren sich bei einigen Gelegenheiten erkennbar an heimatlichen Traditionen, während sie sich in anderen Situationen von diesen abgrenzen. Wir haben es dabei mit Orientierungsprozessen zu tun, die im Kontext innovativer Umgestaltungen stehen, d.h. die Jugendlichen suchen für sich befriedigende Möglichkeiten, Traditionen in modifizierter Form umzusetzen und erfahren dabei auch Unterstützung von Anderen und zwar nicht nur solchen mit ähnlichem kulturellen Hintergrund. Dabei kommt es teilweise zu interessanten und kreativen Verbindungen zwischen unterschiedlichen kulturellen Traditionen, was sich z.b. auf kulinarischer oder musikalischer Ebene zeigen kann (Rieker 2003). Aufschlussreich sind auch Informationen zu den Schulerfolgen ausländischer Kinder in Ostdeutschland. In den ostdeutschen Bundesländern war der Anteil ausländischer Kinder, die in den Jahren 2004/2005 ein Gymnasium besuchten, mit ca. 40% ähnlich dem deutscher Kinder und damit wesentlich höher als in den alten Bundesländern, wo nur etwa 20% der ausländischen Kinder ein Gymnasium besucht (Weiss 2005b). Die erfolgreiche Integration ins Bildungssystem des Aufnahmelandes hängt in meinen Augen vor allem mit den Bedingungen interethnischer Beziehungen in Ostdeutschland zusammen, auf die zum Abschluss dieses Beitrags genauer eingegangen wird.

Interethnische Beziehungen von Migranten in Ostdeutschland 147 Bedingungen interethnischer Beziehungen in Ostdeutschland Während bei großen Migrantengruppen in Ballungsräumen die Zugehörigkeit zu traditionellen National-, Volks- und Kulturgruppen erkennbaren Stellenwert für die individuelle Verortung und Lebensgestaltung in der Aufnahmegesellschaft hat, zeigt sich bei Migranten in Ostdeutschland ein anderes Bild: Interethnische Formen der sozialen Organisation und Identitäten, die sich aus verschiedenen Kontexten speisen, sind hier stärker ausgeprägt. Statt Tendenzen der Ethnisierung und Re-Traditionalisierung können wir in den neuen Bundesländern deswegen verstärkt solche Formen der sozialen, ethnischen und kulturellen Integration feststellen, die nicht mit der Orientierung an einer Herkunftsgruppe und deren Standards verbunden sind, sondern durch den wechselseitigen Austausch zwischen verschiedenen Gruppen und die Entwicklung neuer Kriterien der Zugehörigkeit gekennzeichnet sind. Dabei werden durchaus auch traditionelle Elemente aufgegriffen, die aber in neue Bezüge integriert und mit neuen Bedeutungen versehen werden. Dieser offene und flexible Umgang mit ethnischer Zugehörigkeit wird durch verschiedene Bedingungen begünstigt: Vergleichsweise kleine Communities haben kaum ausreichendes Potenzial für ethnisch homogene Selbstorganisation, so dass auch Tendenzen zur Abschottung und damit verbundene Zwänge zur ethnischen Loyalität nicht ausgeprägt werden. Interethnische Beziehungen werden nicht durch einzelne Gruppen dominiert, die Anpassung einfordern oder eine Leitkultur propagieren, so dass Möglichkeiten der Partizipation nicht an einseitige Anpassungsleistungen gebunden sind. In der Folge staatlich gelenkter Migration ist die Selbstorganisation anhand ethnischer oder verwandtschaftlicher Kriterien weniger ausgeprägt, stattdessen steht das gemeinsame Schicksal der Beteiligten im Vordergrund. Bei Kinder und Jugendlichen kommt hinzu, dass sie lebensgeschichtlich bereits früh mit der Migrationssituation konfrontiert werden, die für den Aufbau einer interethnischen Identität und entsprechende Orientierungen besonders relevant ist. In Ostdeutschland sind Migranten einem vergleichsweise hohen Druck durch ein fremdenfeindliches Umfeld ausgesetzt, der zum Zusammenschluss mit hilfsbereiten Einheimischen und mit Migranten anderer Herkunft motiviert. Abschließend kann festgehalten werden, dass integrative Formen des Zusammenlebens der wechselseitigen Anerkennung bedürfen, sie brauchen aber auch Möglichkeiten und Anreize für Partizipation und Kooperation zwischen Menschen unterschiedlicher ethnisch-kultureller Herkunft.

148 Peter Rieker Literatur Glaser, M. (2005): Ostdeutschland (k)ein Thema für die Migrationsforschung? Unveröffentlichtes Manuskript: Halle/S. Glick-Schiller, N./Caglar, A./Guldbrandsen, T./Karagiannis, E. (2005): Moving beyond the ethnic Group as a Unit of Analysis: Locality, Globality, and Migrant Incorporation. Unveröffentlichtes Manuskript: New Hampshire Rieker, P. (2003): Tradition und Innovation im Leben junger Flüchtlinge. In: Badawia, T./Hamburger, F./Hummrich, M. (Hg.): Wider die Ethnisierung einer Generation - Beiträge zur qualitativen Migrationsforschung. Frankfurt/M.: 228-240 Weiss, K. (2005a): Erfolg in der Nische: Die Vietnamesen in der DDR und in Ostdeutschland. In: Weiss, K./Tränhardt, D. (Hg.): SelbstHilfe. Wie Migranten Netzwerke knüpfen und soziales Kapital schaffen. Freiburg: 69-92 Weiss, K. (2005b): Charakteristika der Zuwanderung nach Ostdeutschland. Unveröffentlichtes Manuskript. Potsdam Weiss, K./Enderlein, O./Rieker, P. (2001): Junge Flüchtlinge in multikultureller Gesellschaft. Opladen