XXVI. Atelier de la Concurrence Tagungsbericht

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Transkript:

XXVI Atelier de la Concurrence Tagungsbericht Investitionsschutz von KMU bei Marktmacht von Kfz-Herstellern und staatsnahen Unternehmen Abhängigkeit und Verdrängung von KMU Aus dem Inhalt Der KMU-Schutz im Kfz-Markt und gegenüber staatsnahen Unternehmen Prof. Dr. Patrick L. Krauskopf, ZHAW School of Management and Law, AGON Partners Die relative Marktmacht bietet KMU die notwendige Sicherheit Prof. em. Dr. Roger Zäch, Universität Zürich, ehem. WEKO-Vizepräsident Mögliche Instrumente zum Ausgleich der Marktmacht von Kfz-Herstellern am Beispiel Österreich Alexander Koprivnikar, Bundeswettbewerbsbehörde (Wien) Der Garagist als freier Unternehmer: Realität oder Wunschdenken? Urs Wernli, Auto Gewerbe Verband Schweiz (AGVS) Wie gross sind die Handlungsspielräume eines Garagisten? Ein Erfahrungsbericht Christoph Keigel, Garage Keigel AG

Investitionsschutz von KMU bei Marktmacht von Kfz-Herstellern und staatsnahen Unternehmen Abhängigkeit und Verdrängung von KMU Sind KMU gegenüber marktmächtigen und staatsnahen Unternehmen besonders zu schützen? Innovationsfreudige KMU sind das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft. Ohne Investitionen gibt es keine Innovationen. Für Fehlinvestitionen tragen die KMU das unternehmerische Risiko. Im Bereich des Kfz- Gewerbes zeigt sich aber, dass Garagen markenspezifische Investitionen etwa in bauliche oder technische Infrastruktur zunehmend auf entsprechenden Druck der Kfz-Hersteller/Importeure tätigen müssen, um den Händler- oder Werkstattvertrag nicht zu verlieren. Eine unerwartete Vertragskündigung bringt das KMU aber in existenzielle Nöte, denn die für eine Marke getätigten Investitionen können oft nicht auf andere Marken übertragen werden. Am XXVI. Atelier de la Concurrence (AdC) diskutierten Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik über die Frage, welche vertraglichen und kartellrechtlichen Rahmenbedingungen notwendig sind, damit Garagenbetriebe vor herstellerseitig veranlassten Investitionen geschützt werden, die sich im Falle einer Vertragskündigung als nutzlos erweisen. Zudem wurde gezeigt, dass KMU nicht nur bei Marktmacht des Vertragspartners, sondern auch durch die Konkurrenz staatsnaher Unternehmen existenziell gefährdet sein können. Staatsnahe Unternehmen verfügen oft über faktische Wettbewerbsvorteile, etwa bei der Finanzierung und infolge besonderer Nähe zum Regulator. 1

Prof. Dr. RA Patrick L. Krauskopf, Rechtanwalt ZHAW, AGON PARTNERS Prof. em. Dr. Roger Zäch Universität Zürich, ehem. WEKO-Vizepräsident Alexander Koprivnikar Bundeswettbewerbsbehörde (Wien) Urs Wernli Auto Gewerbe Verband Schweiz (AGVS) Christoph Keigel Garage Keigel AG Dr. Olivier Schaller Wettbewerbskommission 2

Teil 1: Einführung und Begrüssung Dr. Olivier Schaller, Sekretariat der Wettbewerbskommission WEKO Olivier Schaller eröffnet die Tagung nachdem einleitend der Triumphmarsch gespielt wurde von der La Concordia Harmonie d excellence. Er erläutert das Ziel des XXVI. Atelier de la Concurrence, stellt die Referenten vor und leitet zum ersten Referat über. Teil 2: Referate 2.1 Der KMU-Schutz im Kfz-Markt und gegenüber staatsnahen Unternehmen Prof. Dr. Patrick L. Krauskopf, ZHAW School of Management and Law Gutachten zum Investitionsschutz im Kfz-Gewerbe. Patrick Krauskopf erläutert zunächst die Methodik. Das Gutachten besteht aus drei Teilen: im ersten Teil (Grundlagenteil) werden die Pflicht zu Investitionen, die Marktstruktur und die rechtliche Einordnung der Verträge im Kfz-Gewerbe dargelegt. Im zweiten Teil wird empirisch ermittelt, ob ein weitergehendes Schutzbedürfnis des Kfz-Gewerbes besteht und im dritten Teil werden die rechtlichen Schutznormen eruiert, welche das Privatund das Kartellrecht bietet. Grundlagen. Garagisten müssen teilweise beträchtliche Investitionen tätigen, um die vertraglich vorgegebenen Standards zu erfüllen und den Vertrag mit ihrem jeweiligen Importeur nicht zu verlieren. So können Investitionen für die Innen- und Aussenausstattung, IT-Systeme oder markenspezifische Infrastruktur in der Höhe von mehreren Hunderttausend bis Millionen Schweizer Franken anfallen. Aufgrund der Marktmacht der Importeure besteht ein starkes Machtgefälle in den Verhandlungen zulasten des Garagisten. Ferner zeigt sich, dass auf den Händlervertrag, je nach Ausprägung der Eingliederung in das Organisationssystem des Importeurs, Auftrags-, Agentur- oder Arbeitsrecht anwendbar ist. Empirische Analyse. Autohändler können bei einem Verlust einer Marke die vorgenommenen Investitionen durch eine andere Marke in der Regel nicht oder nur teilweise kompensieren. Die Amortisationsdauer von markenspezifischen Investitionen beträgt fast durchgehend drei oder mehr Jahre. Markenspezifische Investitionen können somit nicht innerhalb der Mindestkündigungsfrist von zwei Jahren amortisiert werden. Die vertraglichen Schutznormen für die getätigten Investitionen sind oft unzureichend. Es zeigt sich, dass die zweijährige Kündigungsfrist alleine nicht ausreicht, sondern mit zusätzlichen Schutzelementen zu ergänzen wäre. Rechtliche Schutznormen. Aufgrund der Markt- und Verhandlungsmacht der Importeure müssen Garagisten die vorgelegten Verträge akzeptieren, ohne tatsächlich darüber verhandeln zu können. Diese Verträge enthalten kaum wirksame Schutznormen zugunsten der Garagisten. Das Privatrecht könnte den Händlern besseren Schutz bieten. Es wird in der Praxis aber nicht oder kaum durchgesetzt. Kfz-Verträge, welche unangemessene Geschäftsbedingungen enthalten, sind grundsätzlich kartellrechtswidrig. Ein Massstab für die Beurteilung, was als unangemessen gilt, ist das dispositive Gesetzesrecht. Kommt man beispielsweise zum Schluss, dass ein agenturähnliches Vertragsverhältnis vorliegt, schuldet der Importeur einem Garagisten bei einer Kündigung eine angemessene Entschädigung für Kundendaten. Gutachten zum Investitionsschutz im Transport-Gewerbe am Rheinknie KMU-Gefährdung 3

durch staatsnahe Unternehmen. Dieses Gutachten ergänzt ein Gutachten, welches anlässlich des XXV. Atelier de la Concurrence präsentiert wurde. Letzteres behandelte kartellrechtliche und wettbewerbspolitische Implikationen des Grossterminalprojekts Gateway Basel Nord (GBN). Das neue Gutachten klärt die Rolle des Hafenbetreibers Schweizerische Rheinhäfen (SRH). Anwendbarkeit des Kartellgesetzes. Die SRH nehmen eine Doppelfunktion ein. Einerseits nehmen sie als Hafenbetreiber ein öffentliche Aufgaben wahr, wobei sie an den Grundsatz der Wettbewerbsneutralität gebunden sind. Andererseits agieren die SRH als Unternehmen im freien Markt, wobei sie eine allfällige Monopolstellung nicht missbrauchen dürfen. Durch das rechtliche Monopol wird der Wettbewerb bei der Vergabe von Baurechten im Hafengebiet ausgeschlossen. Demgegenüber bleibt das Kartellgesetz auf die Kooperation mit anderen Häfen sowie auf das Verhalten der SRH gegenüber Hafen- und Drittfirmen anwendbar. Nutzung des Hafenbeckens III als Vergabe eines staatlichen Monopols. Projektiert ist eine exklusive Nutzung des Hafenbeckens III und dessen Begrenzungsmauern. Eine solche Exklusivität stellt eine Vergabe eines staatlichen Monopols dar und ist daher nach vergaberechtlichen Vorgaben auszuschreiben (Wettbewerbsneutralität). Folglich gibt die bisher weitgehend freihändige Vorgehensweise der SRH Anlass zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken. Es besteht die Gefahr, dass die exklusive Zusammenarbeit der SRH mit einem anderen staatsnahen Unternehmen (SBB Cargo) die Marktmacht von SBB Cargo weiter verstärkt. Compliance-Massnahmen erforderlich. Als Landlord sind die SRH Anbieterin von zwingend notwendigen Produktionsstandorten und zugleich Nachfragerin diverser Leistungen. Es drängen sich daher kartellrechtliche Compliance-Massnahmen auf, namentlich im Hinblick auf zwei Verhaltensweisen der SRH: i) Die SRH könnten Abreden einzelner Hafenfirmen unterstützen, indem sie diesen im Rahmen des Projekts GNB eine vertrauliche Plattform zum Austausch marktsensibler Informationen zur Verfügung stellen. ii) Es bestehen Anhaltspunkte für eine marktbeherrschende Stellung der SRH, da sie für diverse Hafenfirmen notwendiger Handelspartner sind. Vor diesem Hintergrund sind Kooperationen mit anderen staatsnahen Unternehmen, welche den Wettbewerb im Bereich Containerumschlag ohnehin schon weitgehend beseitigen könnten, besonders problematisch. 2.2 Die relative Marktmacht bietet KMU die notwendige Sicherheit Prof. em. Dr. Roger Zäch, Universität Zürich, ehemaliger WEKO-Vizepräsident Das Problem. Für Roger Zäch bietet das Konzept der relativen Marktmacht den KMU grundsätzlich die notwendige Sicherheit. Er erläutert dies wie folgt: Importbeschränkungen. Es handelt es sich dabei um staatliche oder private Massnahmen, wie z.b. Zölle, Kontingente oder technische Vorschriften sowie Kartelle oder Massnahmen marktmächtiger Unternehmen, die den Import von Produkten aus dem Ausland und damit den Einkauf von Produkten im Ausland be- oder sogar verhindern. Solche Massnahmen ermöglichen eine Preisdiskriminierung, um die Kaufkraft abzuschöpfen. Auswirkungen auf die Schweiz. Importbeschränkungen führen zum Phänomen Hochpreisinsel Schweiz. Dies sei ein gewichtiger Standortnachteil für die Schweiz und deren KMU: Höhere 4

Produktionskosten vermindern die Wettbewerbsfähigkeit der KMU, welche in der Schweiz tätig sind. Dies kann zur Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland führen. Solange keine importbeschränkenden Massnahmen ergriffen werden, können Konsumenten und Unternehmen über die Landesgrenzen hinweg einkaufen es herrschen Wettbewerbspreise. Nachfragern aus der Schweiz wird die Belieferung im Ausland häufig verweigert. Reaktion der Politik. Um den Wirtschaftsstandort Schweiz zu stärken, wird ein weiterer Abbau von staatlichen Importbeschränkungen gefordert. Staatliche Importbeschränkungen wurden bereits massiv abgebaut. Dagegen nehmen private Importbeschränkungen in jüngerer Zeit zu und zwar vor allem durch einseitiges Handeln bzw. Lieferverweigerungen marktmächtiger Unternehmen im Ausland. Wirksamkeit des Kartellgesetzes. Art. 5 KG (gegen Kartelle) sei wirksam: Die Verhinderung von Parallelimporten durch Abreden werde von der Wettbewerbskommission aufgegriffen. Die jüngere Rechtsprechung des Bundesgerichts bestätigt und verstärkt die Wirksamkeit von Art. 5 KG weiter (Urteile GABA, Nikon, BMW). Demgegenüber sei aber Art. 7 KG nicht wirksam. Dieser gilt nämlich nur, wenn der Lieferverweigerer nach der Praxis der Wettbewerbskommission marktbeherrschend ist, was just oft nicht der Fall sei. Diesem unbefriedigenden Zustand könnte durch das Instrument der relativen Marktmacht Abhilfe geschaffen werden, welche etwa in Deutschland bereits etabliert ist. Die relative Marktmacht würde auch nicht klassisch marktbeherrschende Unternehmen in die Pflicht nehmen, ihre Macht gegenüber den von ihnen abhängigen Handelspartnern nicht zu missbrauchen. Das Instrument der relativen Marktmacht sei zudem das Hauptmittel der Fair Preis-Initiative. Beispiel Autogewerbe. Das ungleiche Machtverhältnis zwischen Garagist und Importeur äussert sich i) bei den Vertragsverhandlungen und beim Vertragsabschluss (der Importeur legt den Vertrag vor, der Garagist kann faktisch nur annehmen oder ablehnen), ii) während der Laufzeit des Vertrages ( Diktat des Importeurs) und iii) bei der Vertragskündigung (einseitige Vertragskündigung ohne hinreichenden Schutz). Die Fair Preis-Initiative würde zumindest während der Vertragslaufzeit die Stellung des Garagisten etwas stärken: Der Garagist könnte nämlich eine Belieferung mit Produkten, von denen er abhängig ist, aus dem Ausland zu den dortigen Preisen durchsetzen. 2.3 Mögliche Instrumente zum Ausgleich der Marktmacht von Kfz-Herstellern am Beispiel Österreich Alexander Koprivnikar, Bundeswettbewerbsbehörde (Wien) Wirtschaftliches Machtgefälle. Diese Wettbewerbs-Sorge ist im Kfz-Bereich und im Lebensmitteleinzelhandel in Österreich schon lange präsent. Eine abschliessende Bewertung ist aber mangels Praxis vorläufig kaum möglich. 5

Rechtliche Ausgangslage. Beim Inkrafttreten der KFZ-GVO 1400/2002 ist es bereits zu einer spürbaren Verschärfung der Standards gekommen, insbesondere bei den Selekti onskriterien. Die Kfz-Händler sind mit Beschwerden an die BWB gelangt, u.a. wegen der Abhängigkeitsverhältnisse, einseitiger Gestaltungsrechte der Importeure/Hersteller, überzo gener Standards, Handelsspannen, Gewährleistungsvergütungen und des Verdachts der Bevor zugung eigener Betriebe. Relative Marktmacht. Den Entscheiden des OGH ist im Wesentlichen Folgendes zu entnehmen: (i) Der relevante Markt ist markenspezifisch abgegrenzt. (ii) Ein Markenwechsel (infolge Kündigung) ist in der Regel mit schwerwiegenden betriebswirtschaftlichen Nachteilen verbunden. Solche liegen nicht erst bei Existenzbedrohung vor: massive Umsatzeinbussen und der Verlust eines erheblichen Teils der Kundschaft begründen auch einen schwerwiegenden betriebswirtschaftlichen Nachteil. (iii) Geschäftsbedingungen, welche eine einseitige Verteilung von Vorteilen und Risiken zugunsten des Marktbeherrschers vorsehen, stellen regelmässig einen Missbrauch der Marktmacht dar. Rechtsquellen für Investitionsschutz. Lösungsansätze sind nicht nur im Kartellrecht, sondern auch im Zivil- und Handelsrecht, Lauterkeitsrecht und im Soft Law bereits vorhanden. Es gebe aber keine Patentlösungen. Positionspapier der BWB (Bundeswettbewerbsbehörde). Die BWB gibt Leitlinien für die Interessenabwägung vor, die in jedem Einzelfall konkret geprüft werden müsse. Bei Investitionen sind etwa einerseits das legitime Interesse an einem einheitlichen Auftritt und an fachgerechter Leistungserbringung sowie andererseits das betriebswirtschaftliche Interesse des Händlers gegeneinander abzuwägen. Bezüglich der Vergütung von Leistungen sind zum einen das Interesse des Importeurs an standardisierten Abwicklungen und zum anderen das Interesse des Händlers an Planbarkeit, Transparenz und Schutz vor Kostenabwälzung gegeneinander abzuwägen. Es muss aber deutlich gemacht werden, dass das Kartellrecht nicht eine bestimmte Marktstruktur schützt. Weitere relevante Regelungen. Investitionen eines Unternehmers im vertikalen Vertriebsbindungssystem sind durch 454 UGB geschützt, indem sie dem entsprechenden Unternehmen einen Ausgleichsanspruch gewähren. Zudem gibt es in Österreich das Kraftfahrzeugsektor-Schutzgesetz, welches diverse Schutzbestimmungen der Kfz-GVO 1400/2002, wie etwa die Kündigungsfristen, die Übertragung des Vertrags und die aussergerichtliche Streitbeilegung, übernommen hat 2.4 Der Garagist als freier Unternehmer: Realität oder Wunschdenken? Urs Wernli, Auto Gewerbe Verband Schweiz (AGVS), Zentralpräsident Problematische Rahmenbedingungen. Es ist grundsätzlich fraglich, ob ein Garagist unter den aktuellen Rahmenbedingungen überhaupt noch als freier Unternehmer agieren kann. Vision. Ein freies Unternehmertum im Kfz-Gewerbe fördert den Wettbewerb und ist daher volkswirtschaftlich vorteilhaft und standortpolitisch erwünscht. Garagisten sollen als kundenna- 6

he Dienstleister auftreten und bedarfsgerechte Leistungen anbieten. Damit sie innovativ und effizient arbeiten können, sind ein gewisses Mass an unternehmerischer Freiheit sowie angemessene rechtliche Rahmenbedingungen nötig: eine «Überregulierung» würde einen effizienzhemmenden grossen administrativen Aufwand zur Folge haben. Ein vom Importeur vorgegebenes «Handlungs-Korsett» würde die unternehmerische Handlungsfähigkeit faktisch beseitigen. Herausforderungen. Garagisten stehen vor grösseren Herausforderungen. (i) Ein zentraler Punkt sei die Berufsnachwuchssicherung und die Nachfolgeregelung. Dies bereitet vielen Garagisten Sorge. Gerade Kleinbetriebe haben oft Mühe einen Nachfolger zu finden. (ii) Der Garagist entwickelt sich mehr und mehr vom Verkäufer, Berater, Mechaniker und Reparateur hin zum Mobilitätsdienstleister. Die Digitalisierung stellt ganz neue Anforderungen an alle Dienstleistungsbetriebe. (iii) Schliesslich ist die Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr: die zunehmende Monopolisierung der Wertschöpfungskette beeinträchtigt den Wettbewerb massiv. Dies sei auch ein entscheidender Grund für den Mangel an Nachwuchskräften bzw. Nachfolgern. Lösungsmöglichkeiten. Die staatlichen Rahmenbedingungen müssen im Sinne einer «Smart Regulation» sorgfältig erarbeitet werden, um eine Überregulierung, zu verhindern. Der administrative Aufwand, der durch staatliche Regulierungen entsteht, wirkt sich teilweise schon fast «lähmend» auf den Betrieb aus. Zentral ist das wettbewerbskonforme Verhalten in den Geschäftsbeziehungen: Das Verhältnis von Importeuren und Händlern sollte sich partnerschaftlicher entwickeln, denn ein Gegeneinander bindet auf beiden Seiten unnötigerweise Ressourcen, welche man besser in das Kerngeschäft investieren könnte. Wettbewerbskommission und Gericht sollten nicht nur die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Diese müssten auch umgesetzt werden. Verweist die Wettbewerbskommission bei Anzeigen von Händlern stets auf den Zivilprozess und die Gerichte, setz aber die Schutzregelungen nicht um, dann würden auch die besten Rahmenbedingungen tote Buchstaben bleiben. 2.5 Wie gross sind die Handlungsspielräume eines Garagisten? Ein Erfahrungsbericht Christoph Keigel, Garage Keigel AG Garagisten mit wenig Handlungsspielräumen. Christoph Keigel zeigt die beschränkten Handlungsspielräume eines Garagisten aus der Sicht eines langjährigen Garagisten auf. Problematische Margenpolitik. Die Margenpolitik variiert von Marke zu Marke. Es gibt in der Regel eine fixe Marge (welche aber je nach Importeur höher oder tiefer ist). Daneben gibt es bei einigen Importeuren eine variable Marge und/oder einen Volumenbonus, bei anderen nicht. Dies ergibt eine Marge pro Neuwagen von durchschnittlich ca. 2,6%. Der Garagist muss zudem markenspezifische Investitionen in beträchtlicher Höhe für Aussensignalisierungen, Bodenbeläge, Möblierung und Verkäuferarbeitsplätze, Farbgestaltung etc tätigen. Eine Automarke wechsle alle 7-10 Jahre ihre Corporate Identity komplett ein Händler muss diesen Vorgaben zwingend nachkommen, weil ihm sonst der Vertrag fristlos gekündigt werden kann. Hersteller/Importeure beteiligen sich nicht oder nur marginal an diesen Investitionen. Praxisbeispiel Finanzierbarkeit der Investitionen. Bei Renault musste in den Jahren 2014-7

2017 die gesamte Innenausstattung gewechselt werden, in den Jahren 2018-2020 müssen die neuen Vorgaben für die Aussengestaltung umgesetzt werden. Ein konkretes Beispiel stellt sich wie folgt dar: die Investitions summe eines Händlers beträgt CHF 900 000.--, wovon CHF 350 000.-- markenspezifische Investitonen sind. Bei einem Verkaufsvolumen von ca. 350 Neuwagen pro Jahr resultiert eine Marge von ca. 265 000 CHF (Durchschnittspreise und -marge). M.a.W. kann der Gewinn aus der Marge in diesem Beispiel nicht einmal die mar kenspezifischen Investitionen decken. Ungenügender Kündigungsschutz. Grundsätzlich ist eine vertragliche Kündigungsfrist von zwei Jahren vorgesehen. Die Verträge bieten jedoch die Möglichkeit, dass aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden kann. Als wichtiger Grund kommen bis zu 20 verschiedene Gründe in Frage, so u.a. die Nicht-Einhaltung der Marken-Standards (wozu u.a. sämtliche Vorgaben zum Erscheinungsbild und zur Ausstattung gehören). Bei einer fristlosen Kündigung (weil z.b. ein Standard nicht erfüllt ist) werden die markenspezifischen Investitionen nicht vom Importeur oder Hersteller zurückerstattet. Dies führt dazu, dass die Investitionen verloren sind. Auch die 24 Monate vertragliche Kündigungsfrist reicht nicht aus, um die Investitionen eines Händlers hinreichend zu schützen. Teil 3: Diplomübergabe CAS International Competition Law and Compliance 2017 Dr. Fabio Babey, Studiengangleiter des CAS International Competition Law and Compliance, überreicht in einer feierlichen Zeremonie die Diplome an die erfolgreichen Absolventen des CAS International Competition Law and Compliance. Insgesamt schlossen über 40 Studierende (aus verschiedenen Ländern) diese 6. Durchführung des CAS International Competition Law and Compliance ab. Sie haben sich in der dreiwöchigen Ausbildung vertiefte Kenntnisse im Internationalen Kartellrecht, der kartellrechtlichen Compliance sowie der Litigation PR angeeignet. Die 7. Durchführung des CAS International Competition Law and Compliance er folgt wiederum in Zusammenarbeit mit der UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) und dem New Yorker Anwaltsverband) und wird erneut in Genf (Palais des Nations) und Winterthur (ZHAW) durchgeführt. Teil 4: Paneldiskussion (Auszüge) Leitung: Patrick L. Krauskopf, ZHAW School of Management and Law Teilnehmer: Christoph Keigel, Garage Keigel AG Alexander Koprivnikar, Buneswettbewerbsbehörde (Wien) Urs Wernli, Auto Gewerbe Verband Schweiz (AGVS) Prof. em. Dr. Roger Zäch, Universität Zürich, ehem. WEKO-Vizepräsident 8

Notwendigkeit der Fair Price-Initiative? Patrick Krauskopf erwähnt eingangs, dass nur wenige Stunden vor dem XXVI. Atelier de la Concurrence die Fair Preis-Initiative mit den gesammelten Unterschriften offiziell eingereicht wurde. Er stellt daher die Frage, warum diese Volksinitiative notwendig wurde. Ein zentraler Punkt sei nach Auffassung der Initianten, dass eine Missbrauchskontrolle nach Art. 7 KG derzeit faktisch nur greift, wenn ein Unternehmen marktbeherrschend ist. Es seien aber nur ganz wenige Unternehmen marktbeherrschend im traditionellen Sinne. Mit der relativen Marktmacht könnten auch die marktmächtigen Hersteller/Importeure ins Recht gefasst werden. Für Prof. Zäch ist es notwendig, dass die Fair-Preis-Initiative durchgeführt wird: Marktmächtige Unternehmen beschränken durch Lieferverweigerungen im Ausland einseitig den Wettbewerb. Sie können so in der Schweiz oft einen überhöhten Importpreis durchsetzen, da die Schweizer nicht auf Unternehmen im Ausland ausweichen können und von den Unternehmen in der Schweiz abhängig sind. Die Einführung der relativen Marktmacht würde dazu führen, dass auch die marktmächtgen, und nicht nur die marktbeherrschenden, Unternehmen in den Anwendungsbereich von Art. 7 KG fallen. Sie müssen sich ebenfalls einer Missbrauchskontrolle unterziehen. Marktmächtige Unternehmen könnten dadurch die Preise in der Schweiz nicht mehr künstlich hochhalten. Schweizer Firmen würden so sowohl im In- wie auch im Ausland an Konkurrenzfähigkeit gewinnen. Abhängigkeitsverhältnisse: eine Frage des Selbstverschuldens? Aus dem Publikum wurde die Frage gestellt, warum Kfz-Händler zu schützen seien. Ein Autohändler könne nämlich selber entscheiden, ob er einen Vertrag unterschreiben wolle oder nicht. Verschiedene Panelisten widersprechen dieser Auffassung: Die Aussage würde nur dann stimmen, wenn «die Spiesse gleich lang wären». Dies sei aber aufgrund der Marktmacht der Hersteller/Importeure nicht der Fall. Die Hersteller würde ihre Marktmacht in den Vertragsverhandlungen missbrauchen. Faktisch würden keine Vertragsverhandlungen stattfinden, sondern der Importeur lege dem Händler den Vertrag mit sämtlichen Anhängen vor. Will der Garagist eine Markenvertretung, hat er keine andere Wahl, als einen solchen Vertrag zu akzeptieren. Sobald der Garagist sich für eine Marke entschieden habe, verfüge er über keine Ausweichmöglichkeiten mehr. Er müsse jede vertragliche Anpassung des marktmächtigen Vertragspartners akzeptieren. Täte er dies nicht, würde der Vertrag gekündigt und der Garagist würde vom Markt verschwinden. Gesetzliche Verankerung von Mindestmargen? Einzelne Autohändler aus dem Publikum verlangen Massnahmen um angesichts der Marktmacht der Hersteller - eine gesetzliche «Mindest-Marge» zwecks Existenzsicherung einzuführen. Die Panellisten sind sich einig, dass Aufgabe 9

und Zweck des Kartellrechts die Sicherstellung eines funktionierenden Wettbewerbs sei. Eine gesetzliche Festlegung eines bestimmten Vertriebssystems oder eines Gewinns wird abgelehnt. Dies wäre volkswirtschaftlich nicht sinnvoll oder erwünscht. Das Kartellrecht müsse aber dann eingreifen, wenn ein Hersteller durch unangemessene Geschäftsbedingungen seine Marktmacht zulasten der KMU-Garagen missbrauchen würde. Teil 5: Abschluss Dr. Olivier Schaller, Sekretariat der Wettbewerbskommission Olivier Schaller macht im Schlusswort auf das kommende Atelier de la Concurrence aufmerksam. Dieses thematisiert den Agrarmarkt und die damit verbundenen wettbewerbsrechtlichen Fragestellungen. Ein letzter Dank gilt dem Team der ZHAW für die Organisation und Durchführung der Veranstaltung. 10