Der medizinische Gutachter im Gerichtsverfahren



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Transkript:

Der medizinische Gutachter im Gerichtsverfahren Seminarunterlage mit der Rechtslage ab 1.1.2015 Dr. Oskar Maleczky, Richter des LG Korneuburg Dr. Matthias Neumayr, Hofrat des Obersten Gerichtshofs Allgemeine Übersicht: Organisation der Gerichte o Aufbau / Instanzenzug / Verfahrensarten Bedeutung des Gutachtens Anforderungen an Sachverständige o Bestellung und Enthebung des Sachverständigen o Aufbau und Inhalt des Gutachtens Pflichten und Haftung des SV SV-Gebühren

2 Inhaltsübersicht I. Zivilrecht Strafrecht (am Beispiel der Arzthaftung)... 4 A. Zivilrecht... 4 B. Strafrecht... 4 C. Zivilrecht - Strafrecht... 4 II. Organisation der Gerichtsbarkeit... 5 A. Vierstufiger Gerichtsaufbau... 5 B. Zivilgerichtsbarkeit... 5 1. Zuständigkeit und Instanzenzug... 5 2. Verfahrensarten... 6 3. Grundlegender Verfahrensablauf im Zivilprozess (streitiges Verfahren)... 6 C. Strafgerichtsbarkeit... 7 1. Zuständigkeit der Strafgerichte... 7 2. Aufbau der Staatsanwaltschaft (StA):... 7 D. Grundzüge des Strafverfahrens... 8 1. Ermittlungsverfahren... 8 2. Strafverfügung... 9 3. Hauptverfahren... 9 4. Opfer... 10 5. Rechtsmittelverfahren... 11 6. Besondere Verständigungspflichten... 11 III. Das ärztliche Gutachten im Gerichtsverfahren... 11 1. Das SV-Gutachten als Beweismittel... 11 2. Anforderungen an SV... 12 3. Bestellung und Auftrag... 12 4. Pflicht zur Übernahme - Ablehnung durch SV... 13 5. Befangenheit... 14 6. Einwände des Beschuldigten im Strafverfahren... 16 7. Mehrere Sachverständige... 16 8. Enthebung des SV... 16 IV. Die Erstellung des Gutachtens... 17 1. Aufbau und Inhalt... 17 2. Befundaufnahme im Strafverfahren... 17 3. Erstattung oder Erörterung des Gutachtens in der Verhandlung... 19 4. Mögliche Fehler im Gutachten... 20 V. Die Pflichten des Sachverständigen... 20 VI. Die Haftung des Sachverständigen... 21 1. Schadenersatzpflichten... 21 2. Strafbarkeit des SV... 22 VII. Strafrechtlicher Schutz des Sachverständigen... 23 VIII. Sachverständigengebühren... 24 1. Allgemeines... 24 2. Vorschuss, Warnpflicht... 24 3. Geltendmachung der Gebühr... 24 4.Gebührenbestandteile... 24 5. Gebühr für Mühewaltung... 25 6. Umsatzsteuer... 25 7. Sanktion: Kürzung der Gebühren... 26 8. Bestimmung der Gebühr... 26

3 9. Rechtsmittel... 27 10. Rückzahlungspflicht... 27 11. Durchsetzung des Anspruchs... 27 Gebührenanspruchsgesetz... 28

4 I. Zivilrecht Strafrecht (am Beispiel der Arzthaftung) A. Zivilrecht Ein Patient behauptet Schadenersatzansprüche gegen einen Arzt wegen eines Behandlungsfehlers. Über den Anspruch wird im Zivilprozess verhandelt. Der Patient ist Kläger und der Arzt ist Beklagter. In der Regel werden beide Prozessparteien durch Anwälte vertreten. Der Richter führt den Prozess; höchstwahrscheinlich bestellt er einen medizinischen Sachverständigen. B. Strafrecht Verletzungen besonders geschützter Werte sind (zusätzlich zu den zivilrechtlichen Folgen) mit Strafe bedroht, zb fahrlässige Körperverletzung oder fahrlässige Tötung (nicht aber zb fahrlässige Sachbeschädigung). Ein Strafverfahren wird (in der Regel) durch den Staatsanwalt (Ankläger) eingeleitet; dem geht üblicherweise eine Anzeige des Betroffenen voraus. Bei Verurteilung des Angeklagten stehen als Sanktion vor allem bedingte und unbedingte Geld- und Freiheitsstrafen zur Verfügung. Im Laufe des Verfahrens besteht auch die Möglichkeit der Erledigung durch Diversion (zb Geldbuße, gemeinnützige Leistungen, Probezeit, Tatausgleich). C. Zivilrecht - Strafrecht Öffentlichkeitswirksam ist vor allem das Strafrecht. Rein quantitativ spielt es in der Arbeit der Gerichte aber eine viel geringere Rolle als das Zivilrecht. Bereiche des Zivilrechts (Beispiele): Allgemeines Zivilrecht (Vertragsrecht, Schadenersatzrecht) Familienrecht (Ehegatten; Eltern/Kinder etc) + Personensorge (SW) Erbrecht Grundbuch

5 II. Organisation der Gerichtsbarkeit A. Vierstufiger Gerichtsaufbau Oberster Gerichtshof (Oberste Instanz in Zivil- und Strafsachen; Höchstgericht neben Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof) 4 Oberlandesgerichte 20 Landesgerichte derzeit 116 Bezirksgerichte B. Zivilgerichtsbarkeit 1. Zuständigkeit und Instanzenzug Das Landesgericht ist sowohl Gericht erster Instanz als auch Gericht zweiter Instanz. Aus den oben unter A. genannten Gerichten muss das zuständige ausgewählt werden. Dies ist Aufgabe des Klägers, dem (allerdings nicht immer) eine gewisse Auswahlmöglichkeit zusteht. Die gesetzlichen Vorgaben sind so, dass sich die sachliche Zuständigkeit (dh ob in erster Instanz ein Bezirks- oder ein Landesgericht zuständig ist) vor allem nach dem Streitwert richtet. Bei einem Streitwert bis 15.000 Euro ist das Bezirksgericht zuständig, darüber das Landesgericht.

6 Unter den Bezirksgerichten und Landesgerichten muss außerdem das örtlich zuständige gesucht werden. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich in erster Linie nach dem Wohnsitz des Beklagten zum Zeitpunkt der Einbringung der Klage. Zum Instanzenzug: Ist in erster Instanz das Bezirksgericht zuständig, so geht eine Berufung an das übergeordnete Landesgericht; dort entscheidet ein Dreirichtersenat in zweiter Instanz. Entscheidet in erster Instanz das Landesgericht, so wird mit einer Berufung das Oberlandesgericht befasst. In Fällen, in denen Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung zu lösen sind (vor allem Rechtsfragen, die über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sind), besteht die Möglichkeit einer Revision an den Obersten Gerichtshof. Der Instanzenzug in Zivilverfahren ist demnach dreistufig. 2. Verfahrensarten Im Zivilverfahren gibt es seit dem 19. Jahrhundert zwei Verfahrensarten. In welcher Verfahrensart ein Verfahren zu führen ist, hängt vom geltend gemachten Anspruch ab: Streitiges Verfahren ( Zivilprozess : eingeleitet mit Klage; der Beklagte erwidert mit Einspruch oder Klagebeantwortung ) - zb Klage auf Zahlung des Kaufpreises oder auf Schadenersatz. Außerstreitiges Verfahren (vor allem im Familienrecht; üblicherweise eingeleitet mit einem Antrag, zb auf Feststellung der Abstammung oder auf Festsetzung des Unterhalts). Die Bezeichnung außerstreitiges Verfahren ist altertümlich; sie hat nichts mit der Intensität zu tun, in der im Verfahren gestritten wird. 3. Grundlegender Verfahrensablauf im Zivilprozess (streitiges Verfahren) Im Verfahrensablauf gibt es (geringfügige) Unterschiede je nachdem, ob das Verfahren über eine Geldforderung bis 75.000 Euro oder über einen anderen Anspruch geführt wird. Das streitige Verfahren beginnt jedenfalls mit der Erhebung einer Klage. Ist die Klage auf eine 75.000 Euro nicht übersteigende Geldleistung gerichtet, ist ein Zahlungsbefehl zu erlassen, gegen den der Beklagte Einspruch erheben kann, worauf das ordentliche Verfahren eingeleitet wird (Anberaumung eines Verhandlungstermins). Im Gerichtshofverfahren über sonstige Ansprüche stellt der Beklagte der Klage die Klagebeantwortung entgegen; nach der Klagebeantwortung setzt das Gericht einen Verhandlungstermin an. In der Regel gibt es (mindestens) zwei Verhandlungstermine, wobei der erste Termin der Vorbereitung des Haupttermins dient, in dem dann der Großteil der Beweisaufnahmen durchgeführt wird (Zeugenvernehmungen, Sachverständigenbeweis, Ortsaugenschein). Kommt es nicht zu einer früheren Beendigung des Verfahrens, etwa durch einen Vergleich, beendet ein Urteil das erstinstanzliche Verfahren. Gegen das Urteil kann innerhalb einer vierwöchigen Frist beim Erstgericht eine Berufung eingebracht werden, die nach Einholung der Berufungsbeantwortung des Gegners dem Gericht zweiter Instanz (Landesgericht oder Oberlandesgericht) vorge-

7 legt wird. Die Möglichkeit der Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung verliert immer mehr an Bedeutung. Das ebenfalls beim Erstgericht einzubringende Rechtsmittel an die dritte Instanz (Oberster Gerichtshof) heißt Revision. Ihre Zulässigkeit ist im Allgemeinen auf wichtige Fälle beschränkt: die Entscheidung muss von der Lösung einer Rechtsfrage abhängen, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. C. Strafgerichtsbarkeit 1. Zuständigkeit der Strafgerichte Bezirksgerichte: Strafdrohung bis zu einem Jahr Landesgerichte: - Einzelrichter: bis 5 Jahre Strafdrohung - Schöffengericht: über 5 Jahre Strafdrohung - Geschworenengericht: Untergrenze über 5, Obergrenze über 10 Jahre - zusätzlich Eigenzuständigkeiten unabhängig von Strafdrohung - Rechtsmittelsenat: für Beschwerden / Berufungen gegen Entscheidungen der BG Oberlandesgerichte: - Rechtsmittelsenat für Beschwerden / Berufungen gegen Entscheidungen der LG OGH: - Rechtsmittelsenat für Nichtigkeitsbeschwerden gegen. Urteile der Schöffen- und Geschworenengerichte. - Entscheidung über Nichtigkeitsbeschwerden zu Wahrung des Gesetzes (Generalprokuratur) Örtliche Zuständigkeit: Grundsätzlich richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Tatort, bei Jugendstraftaten nach dem gewöhnlichen Aufenthalt bei Beginn des Strafverfahrens. Bei Beteiligten richtet sie sich nach dem unmittelbaren Täter, bei sonstiger Tätermehrheit und engem sachlichen Zusammenhang nach der früheren Tat. 2. Aufbau der Staatsanwaltschaft (StA): An jedem Sitz eines Landesgerichtes besteht eine StA, bei Bezirksgerichten kann sich die StA von einem Bezirksanwalt vertreten lassen (besonders ausgebildete Beamte). Die StA leitet das Ermittlungsverfahren und vertritt bei Offizialdelikten die Anklage. Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA): Zentral zuständig für Ermittlungsverfahren, Vertretung vor Landesgericht und OLG für große Wirtschaftsstrafverfahren, Korruptionsdelikte und organisierte Kriminalität (im Detail siehe 20a StPO).

8 OStA: An jedem Sitz eines OLG. Weisungsbefugt gegenüber StA, ihrerseits weisungsgebunden dem BMJ gegenüber. Vertritt die Anklage beim OLG. Kann auch die Kompetenzen der StA im Einzelfall an sich ziehen. Generalprokuratur: Wirkt bei Verhandlungen des OGH mit, ohne die Anklage zu vertreten. Sie vertritt die Interessen des Staates in der Rechtspflege. Sie ist nicht im Weisungszug der Staatsanwaltschaften und OStA eingebunden und somit eigenständig. Sie erhebt Nichtigkeitsbeschwerden zur Wahrung des Gesetzes an den OGH, wobei jede (!!) Entscheidung eines Strafgerichtes Gegenstand sein kann, unabhängig von der Rechtskraft! D. Grundzüge des Strafverfahrens 1. Ermittlungsverfahren Im Ermittlungsverfahren wird geklärt, ob hinreichend Gründe vorliegen, um Anklage zu erheben. Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft haben das Ermittlungsverfahren möglichst im Einvernehmen zu führen. Die Kriminalpolizei hat dabei aber Anordnungen der Staatsanwaltschaft zu befolgen. Beide können Ermittlungen vornehmen. Sie erfahren von Straftaten entweder durch eigene Wahrnehmung oder durch Anzeige. Zur Anzeige ist jeder berechtigt, öffentliche Behörden und Ämter (auch Gerichte) sind dazu nach 78 StPO sogar verpflichtet. Für Ärzte besteht in 54 Abs 4 und 5 ÄrzteG in bestimmten Fällen eine Anzeigepflicht (va Misshandlung Minderjähriger, schwere Körperverletzungen). Die Kriminalpolizei hat nach Abschluss ihrer Ermittlungen und bereits zuvor in gesetzlich bestimmten Fällen der Staatsanwaltschaft Bericht zu erstatten, die ihrerseits über Fortgang und Beendigung des Ermittlungsverfahrens entscheidet. Das Gericht hat Tatrekonstruktionen und kontradiktorische Vernehmungen durchzuführen, auf Antrag der Staatsanwaltschaft über Zwangsmittel zu entscheiden, ebenso wie über Einsprüche wegen Rechtsverletzungen und Anträge auf Einstellung des Verfahrens. Findet die Staatsanwaltschaft nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens keine Gründe, Anklage zu erheben, stellt sie das Verfahren nach 190 StPO ein und verständigt davon die Kriminalpolizei, das Opfer und allfällig das Gericht. Das Opfer hat dann die Möglichkeit, innerhalb von 14 Tagen die Fortführung des Verfahrens zu beantragen. Wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren nicht fortführt, hat das Landesgericht über diesen Antrag unanfechtbar zu entscheiden. Liegen die Voraussetzungen der 198 ff StPO vor, hat die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung zurückzutreten (Diversion). Auch bei erfolgreicher Zusammenarbeit des Beschuldigten mit der Staatsanwaltschaft entfällt unter den Voraussetzungen des 209a StPO eine Anklagepflicht (Kronzeugenregelung).

9 Ist der Täter unbekannt oder flüchtig, wird das Verfahren nach 197 StPO abgebrochen; die Verjährung der Straftat ist dabei unterbrochen. Dauert das Ermittlungsverfahren länger als 3 Jahre, so darf es nur fortgeführt werden, wenn das Gericht dies auf Antrag der Staatsanwaltschaft aus besonderen Gründen für gerechtfertigt hält. Eine Verlängerung ist in solchen Fällen (wiederholt) um 2 Jahre möglich ( 108a StPO). Ansonsten hat die Staatsanwaltschaft bei Gericht Anklage einzubringen. Im geschworenen- und schöffengerichtlichen Verfahren kann dies vom Beschuldigten durch Einspruch an das OLG bekämpft werden. Erfolgt ein solcher nicht oder wird er vom OLG abgewiesen, ist die Anklage rechtskräftig. 2. Strafverfügung Das Bezirksgericht und der Einzelrichter des Landesgerichts können den Angeklagten auf Antrag der Staatsanwaltschaft ohne Hauptverhandlung zu einer Geldstrafe oder sofern der Angeklagte durch einen Verteidiger vertreten ist zu einer bis zu einem Jahr bedingte Freiheitsstrafe mittels Strafverfügung verurteilten. Dabei darf es sich aber nur um Vergehen handeln, zu denen der Angeklagte bereits vernommen wurde und dieser ausdrücklich auf die Durchführung einer Verhandlung verzichtet hat. Die Rechte und Interessen von Opfern dürfen dadurch nicht beeinträchtigt werden. Das Gericht kann zuvor den Angeklagten und das Opfer vernehmen. Die Strafverfügung ist dem Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und dem Opfer zuzustellen, die binnen 4 Wochen Einspruch (ohne besondere Begründung) erheben können. In diesem Fall ist die Hauptverhandlung anzuordnen ( 491 StPO). 3. Hauptverfahren Dem Angeklagten muss für die Hauptverhandlung eine Vorbereitungsfrist von grundsätzlich mindestens 8, im bezirksgerichtlichen Verfahren von mindestens 3 Tagen eingeräumt werden. Eine Verhandlung in seiner Abwesenheit ist nur zulässig, wenn es sich um ein Vergehen handelt, er bereits vernommen wurde und die Ladung zur Hauptverhandlung ihm zu eigenen Handen zugestellt wurde. Nach der Beeidigung der Laienrichter trägt die Staatsanwaltschaft die Anklage vor; der Verteidiger hat das Recht zur Gegenäußerung. Daraufhin wird der Angeklagte vernommen. Erst dann wird das Beweisverfahren durchgeführt. Nach den Schlussvorträgen der Parteien wird die Verhandlung geschlossen und das Gericht zieht sich zur Urteilsberatung zurück. Schließlich wird das Urteil mündlich verkündet, und die Parteien geben allenfalls Rechtsmittelerklärungen ab. Im Geschworenenprozess entscheiden die 8 Geschworenen alleine darüber, ob der Angeklagte die Tat verübt hat und welche Strafbestimmung auf ihn anzuwenden ist. Zu diesem Zweck formulieren die 3 Berufsrichter verschiedene schriftliche Fragen (samt spezieller Rechtsbelehrung), die von den Laienrichtern zu beantworten sind (keine Einstimmigkeit nötig, Mehrheit der Stimmen genügt). Ist der so gefasste Wahrspruch der Geschworenen mangelhaft bzw widersprüchlich, kann den Laien-

10 richtern eine Verbesserung aufgetragen werden (Moniturverfahren). Sind die Berufsrichter einstimmig der Meinung, dass sich die Geschworenen geirrt und einen falschen Wahrspruch gefällt haben, können sie die Entscheidung aussetzen. In diesem Fall weist der OGH die Strafsache einem anderen Gericht zur neuerlichen Verhandlung zu. Wird dort derselbe Wahrspruch gefällt, so ist dieser endgültig. 4. Opfer Opfer ist, wer durch eine Straftat einen Schaden erlitten hat oder sonst in seinen strafrechtlich geschützten Rechtsgütern beeinträchtigt wurde. Nach 65 Z 1 StPO sind das aber auch der Ehegatte, Lebensgefährte, Verwandte in gerader Linie sowie Geschwister eines durch eine Straftat Getöteten, andere Angehörige nur, wenn sie Zeugen dieser Tat waren. Opfer haben ua folgende Rechte: Auf Information über ihre Rechte und über den Fortgang des Verfahrens, auf Akteneinsicht und Teilnahme an kontradiktorischen Vernehmungen, Befundaufnahmen und Tatrekonstruktionen, in der Hauptverhandlung Fragen zu stellen. Soweit sie durch eine vorsätzliche Straftat Gewalt oder einer gefährlicher Drohung ausgesetzt waren, in ihrer sexueller Integrität beeinträchtigt wurden oder Angehörige getöteter Personen sind, haben sie Anspruch auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung ( 66 StPO). Sie können auch die Fortführung eines von der Staatsanwaltschaft eingestellten Verfahrens verlangen und dies im berechtigten Fall durch Entscheidung des Landesgerichts durchsetzen ( 195 f StPO). Privatbeteiligter ist, wer als Opfer im Strafverfahren privatrechtliche Ansprüche (zb Ersatz seines Schadens oder Beeinträchtigung) begehrt. Neben seinen Opferrechten hat er dann ua auch das Recht, Beweisaufnahmen zu beantragen und Verfahrenshilfe zu erhalten. Er hat überdies (mit Ausnahme bei Jugendstraftaten) das Recht, Subsidiaranklage zu erheben, wenn die Staatsanwaltschaft von der Anklage zurücktritt. Ziel des Privatbeteiligten ist der Zuspruch seiner zivilrechtlichen Ansprüche im Strafurteil. Auf diese Weise soll der Geschädigte schneller und einfacher als im Zivilverfahren zu einem Exekutionstitel kommen. Ein solcher Zuspruch privatrechtlicher Ansprüche kann aber nur in unkomplizierten Fällen erfolgen, nicht aber, wenn zusätzliche, nicht bloß einfache Erhebungen nötig sind. Kann deshalb - oder weil der Angeklagte freigesprochen wurde oder die geltend gemachten Ansprüche aus anderen Gründen nicht bestehen - kein Zuspruch erfolgen, ist der Privatbeteiligte mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg zu verweisen, dh sein Begehren wird auf keinen Fall abgewiesen. In diesem Fall bleibt dem Privatbeteiligten nichts anderes übrig, als eine Zivilklage einzubringen. Entscheidungen über privatrechtliche Ansprüche können mit dem Rechtsmittel der Berufung bekämpft werden, die Verweisung auf den Zivilrechtsweg aber nur mit der Begründung, dass die Voraussetzungen für eine solche Vorgangsweise nicht vorliegen.

11 5. Rechtsmittelverfahren Will man ein Strafurteil bekämpfen, muss innerhalb von 3 Tagen nach der Urteilsverkündung ein Rechtsmittel angemeldet werden. Dieses ist binnen 4 Wochen nach Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung auszuführen, wobei diese Frist (außer im bezirksgerichtlichen Verfahren) in außergewöhnlichen Fällen verlängert werden kann. Gegen Urteile des Bezirksgerichts oder des Einzelrichters kann Berufung ergriffen werden; dies wegen Schuld (Bekämpfung von Tatfragen; kein Neuerungsverbot), wegen Strafe (Bekämpfung der Strafbemessung) oder Nichtigkeit (Geltendmachung bestimmter im Gesetz aufgezählter Verfahrensfehler bzw Bekämpfung von Rechtsfragen). Die Berufung wird vom übergeordneten Gerichtshof (Landesgericht bzw OLG) behandelt. Im schöffen- und geschworenengerichtlichen Verfahren können Urteile mit Berufung (unrichtige Strafbemessung) oder Nichtigkeitsbeschwerde (Relevierung bestimmter Verfahrensfehler oder Rechtsfragen) bekämpft werden. Bezüglich der Tatfrage (vom Erstgericht festgestellter Sachverhalt) herrscht Neuerungsverbot (keine Beweisanträge zulässig); sie kann nur in engen Grenzen im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde (Aktenwidrigkeit, widersprüchliche Feststellungen, Begründungsmängel, erhebliche Bedenken gegen die Beweiswürdigung) bekämpft werden. Die Berufung wird vom OLG, die Nichtigkeitsbeschwerde vom OGH behandelt. 6. Besondere Verständigungspflichten Hinsichtlich bestimmter Berufsgruppen bestehen Verpflichtungen der Strafverfolgungsbehörden, bestimmte Stellen vom Strafverfahren zu verständigen. So sind Gerichte und Staatsanwaltschaften haben ua den Landeshauptmann bzw die Österr. Ärztekammer von der Einleitung, letztere auch von der Beendigung eines Strafverfahrens zu verständigen ( 62 Abs 4, 67 Abs 2 ÄrzteG). III. Das ärztliche Gutachten im Gerichtsverfahren 1. Das SV-Gutachten als Beweismittel Sachverständige sind im Zivil- und im Strafverfahren immer dann zu bestellen, wenn für Ermittlungen oder für die Beweisaufnahmen besonderes Fachwissen erforderlich ist, über welches die Gerichte und die Strafverfolgungsbehörden durch ihre Organe, besondere Einrichtungen oder bei ihnen dauernd angestellte Personen nicht verfügen. Die Bestellung zum ärztlichen Sachverständigen begründet ein öffentlichrechtliches Verhältnis zwischen der Staatsanwaltschaft bzw dem Gericht, den Beteiligten und dem Sachverständigen.

12 Da das Gutachten trotz seiner Bedeutung - (nur) als Hilfsmittel anzusehen ist, dass im Verfahren eine sachliche richtige Entscheidung getroffen wird, darf es das Urteil nicht vorwegnehmen (ein Extrembeispiel wäre: Der Arzt hat dadurch, dass er und nicht., rechtswidrig und schuldhaft gehandelt. Er ist daher zum Schadenersatz verpflichtet. ). Als Beweismittel unterliegt es an sich der freien Beweiswürdigung des Gerichts (ähnlich wie bei einer Zeugenaussage: Das Gericht hat im Urteil zu begründen, warum es dem Zeugen A glaubt und dem Zeugen B nicht). Da das Gericht aber durch die Bestellung eines Sachverständigen dokumentiert, dass ihm das erforderliche Sachwissen fehlt, darf es nicht einfach ein Gutachten als unrichtig abtun. Wenn ein Gutachten nicht schlüssig und nachvollziehbar ist, ist es mit dem Sachverständigen zu erörtern oder es ist ein anderer Sachverständiger zu bestellen. Dadurch ist es aber auch schwierig für eine Partei, die mit dem Ergebnis eines Gutachtens nicht einverstanden ist, das Gutachten zu entkräften. Häufig wird dies mit Privatgutachten versucht. Nach herrschender Auffassung muss bei Widersprüchen zwischen einem Privatgutachten und dem vom Gericht eingeholten Gutachten der gerichtlich bestellte Sachverständige zwar zum Privatgutachten Stellung nehmen; letztlich kann sich das Gericht aber ohne weitere Erhebungen dem verlässlich erscheinenden Gutachten des Gerichtssachverständigen anschließen, ohne dass beispielsweise ein "Obergutachten" einzuholen wäre. 2. Anforderungen an SV Fachliche Kompetenz: Fachwissen und Erfahrung Wissen um die eigenen Kompetenzgrenzen Gründlichkeit Systematik Unbefangenheit (keine Nahebeziehung zu einer Prozesspartei etc) Unvoreingenommenheit (Objektivität) Bedingungslose Unabhängigkeit Transparenz des Handelns Kenntnis der juristischen Sprachbedeutung für das Fachgebiet Kein Vorgreifen auf Beweiswürdigung oder rechtliche Beurteilung Für Laien nachvollziehbare Darlegung (einfache sprachliche Formulierung) 3. Bestellung und Auftrag a) Zivilverfahren Ein Sachverständigengutachten kann nicht nur auf Antrag einer Prozesspartei, sondern auch unabhängig davon ( von Amts wegen ) in Auftrag gegeben werden, weil es immer dann notwendig ist, wenn das Gericht die zur Tatsachenfeststellung und Schlussfolgerung erforderlichen Fachkenntnisse nicht besitzt. Die Bestellung eines Sachverständigen kann vom Gericht daher auch gegen den Widerspruch der Parteien vorgenommen werden. Bei der Sachverständigenauswahl sind vor allem die für Gutachten der erforderlichen Art öffentlich bestellten Sachverständigen zu berücksichtigen. Die allgemein beeide-

13 ten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen genießen also einen gewissen Vorrang, ohne dass es ausgeschlossen ist, auch andere Gutachter heranzuziehen. Das Gericht ist bei der Bestellung frei und an keinen Vorschlag der Parteien gebunden. Selbst eine Einigung der Parteien über Zahl und Personen der Sachverständigen ist für das Gericht nicht bindend. Das Gericht sollte allerdings vor der Bestellung die Parteien hören. Dies geschieht in der Praxis dadurch, dass der Richter mittels Beschlusses festlegt, welche konkrete Person als Sachverständiger beigezogen wird und den Parteien binnen einer Frist die Möglichkeit einräumt, sich zu äußern. Diese Vorgangsweise dient in erster Linie der Prozessökonomie, da etwaige Befangenheits- oder Ablehnungsgründe sofort geltend gemacht werden können. In der Regel wird das Gericht versuchen, eine Einigung mit den Parteien über den zu bestellenden Sachverständigen zu erzielen. b) Strafverfahren Sachverständige werden im Ermittlungsverfahren grundsätzlich von der Staatsanwaltschaft bestellt. Ausgenommen sind gerichtliche Ermittlungen oder Beweisaufnahmen nach 104 und 105 StPO, bei denen sie vom Gericht bestellt werden, ebenso wie im Hauptverfahren. Als Sachverständige sind vor allem Personen zu bestellen, die in eine Sachverständigenliste ( 2 SDG) eingetragen sind, weil von diesen die entsprechende Fachkenntnis und Professionalität erwartet werden kann. Es können aber auch andere Personen bestellt werden, insbesondere wenn sie über die im konkreten Fall erforderliche Spezialkenntnis haben. Diese sind zuvor über ihre Rechte und Pflichten zu informieren. Zu bestellen sind grundsätzlich natürliche Personen. Ist hingegen eine Obduktion durchzuführen, ist eine Universitätseinheit für Gerichtliche Medizin oder eine natürliche Person, die einer solchen nicht angehört, zu beauftragen. Im ersten Fall hat die Leitung des Instituts die persönliche Verantwortung einem Angehörigen des wissenschaftlichen Personals zu übertragen, der die Voraussetzungen für die Eintragung in die Sachverständigenliste erfüllt. Wird eine bestimmte Person vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft gewünscht, so darf jemand anders nur bestimmt werden, wenn wichtige Gründe vorliegen und die Justiz dem zustimmt ( 128 Abs 2a StPO). Bei der Wahl von Sachverständigen und der Bestimmung des Umfangs ihres Auftrages ist im Strafrecht nach den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit vorzugehen ( 126 Abs 2 StPO). 4. Pflicht zur Übernahme - Ablehnung durch SV 353 ZPO sieht für Ärzte eine ausdrückliche Verpflichtung zur Übernahme von Gutachtensaufträgen vor. Aus 127 Abs 2 StPO ergibt sich eine solche Verpflichtung schlüssig. Selbstverständlich hat der Sachverständige aber die Möglichkeit und auch

14 die Pflicht, die Übernahme eines solchen Auftrages dann abzulehnen, wenn ihm die Erstellung des Befundes und Gutachtens aus fachlichen oder zeitlichen Gründen unmöglich ist. 5. Befangenheit a) Zivilverfahren Der Sachverständige kann von den Prozessparteien aus den gleichen Gründen abgelehnt werden wie der Richter. Das heißt, einer der folgenden Gründe reicht aus, damit der Sachverständige von den Prozessparteien abgelehnt werden kann: Wenn der Sachverständige im konkreten Fall nach dem Gesetz von der Ausübung der Tätigkeit ausgeschlossen ist, wenn ein ausreichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes wäre der Sachverständige nicht zur Selbstablehnung verpflichtet, doch wird er schon aufgrund seiner Pflicht zur Unabhängigkeit und wegen der Unannehmlichkeiten einer begründeten Ablehnung durch die Parteien bei seiner Bestellung von sich aus auf alle Gründe hinweisen müssen, die die Unparteilichkeit seiner Tätigkeit in Zweifel ziehen könnten. Ablehnungsgründe müssen von den Parteien sofort geltend gemacht werden. Lässt sich die Partei in deren Kenntnis in die Verhandlung ein, gilt dies als Verzicht auf die Geltendmachung. Befangenheitsgründe: Beispiele für Befangenheitsgründe wären der Umstand, dass der Sachverständige in der gleichen Sache ein Privatgutachten für eine Partei gegen Entgelt erstattet hat oder wenn besondere Feindschaft oder Freundschaft mit einer Partei besteht, ebenso ein bestehendes oder aufgelöstes Dienstverhältnis zu einer der Parteien. Kritisch ist auch der Fall zu beurteilen, in dem es um einen Patienten des betreffenden Sachverständigen geht. Gründe für eine Befangenheit bilden auch organisatorische und/oder wirtschaftliche Verpflichtungen zwischen dem Sachverständigen und einer Partei. Hingegen reichen bloße Behauptungen über mangelnde Sachkenntnis oder der Umstand, dass der Sachverständige bereits seine von der allgemeinen Auffassung abweichende Ansicht publiziert hat, für das Vorliegen eines Befangenheitsgrundes nicht aus. Wenn die behauptete mangelnde Fachkunde auch keinen Befangenheitsgrund darstellt, kann diese aber die Beweiskraft des Gutachtens in Zweifel stellen. Ausschließungsgründe: Ausgeschlossen von der Tätigkeit vor Gericht ist der Sachverständige (Ausschließungsgründe):

15 wenn er in Sachen tätig wird, in welchen er selbst Partei ist oder wenn er Mitberechtigter oder Mitverpflichteter oder Regresspflichtiger zu einer Partei ist, in Sachen des Ehegatten oder von Personen, die in gerader Linie verwandt oder verschwägert sind, oder mit welchen der Sachverständige in der Seitenlinie bis zum vierten Grad verwandt oder im zweiten Grad verschwägert ist, in Sachen der Wahl- oder Pflegeeltern, Wahl- oder Pflegekinder, Mündel oder Pflegebefohlenen, in Sachen, in welchen der Sachverständige als Bevollmächtigter einer Partei bestellt war oder noch bestellt ist. Ablehnungsverfahren: Eine Befangenheit des Sachverständigen ist bei erster Gelegenheit vorzubringen o bei schriftlicher Gutachtenserstattung vor dieser, o bei mündlicher Gutachtenserstattung vor Beginn der Beweisaufnahme, o danach muss die Partei glaubhaft machen, dass sie nicht früher zur Ablehnung in der Lage war. Prüfung durch das Gericht (nach Einholung einer Stellungnahme des SV) Kein Rechtsmittel, wenn der Ablehnung stattgegeben wird; es ist sofort ein neuer Sachverständiger zu bestellen. b) Strafverfahren Im Strafverfahren sind auch für Sachverständige die Gründe für Befangenheit von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft ( 47 StPO) sinngemäß anzuwenden. Demnach ist ein Sacherständiger befangen: Er oder einer seiner Angehörigen (siehe 72 StGB) ist im betreffenden Verfahren - Beschuldigter, - Privatkläger, - Privatbeteiligter, - (ehemaliger) Vertreter dieser Personen oder - möglicherweise ein Geschädigter. Diese Gründe führen zur Nichtigkeit des Verfahrens. Es liegen Gründe vor, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen. Befangenheit eines Sachverständigen liegt zb vor, wenn er persönliche Kontakte zu Personen unterhält, die an dem Ausgang des Verfahrens interessiert sind, er häufig für einen Beteiligten Gutachten gegen Bezahlung erstattet oder die betreffende Person Patient des Sachverständigen war oder ist. Wenn ein Arzt die betreffende Person nach der Tat befundet bzw behandelt hat, kann er zwar wegen Befangenheit nicht zum Sachverständigen bestellt werden, kann aber als Zeuge über den von ihm erhobenen Befund befragt werden. Dabei ist er nur über Tatsachen zu befragen, die er unmittelbar oder mittelbar wahrgenommen hat.

16 Die aus dem Befund zu ziehenden Schlüsse sind hingegen Aufgabe des Sachverständigen. Bei der Befragung als Zeuge sind deren Pflichten und Rechte (zb Aussagebefreiungs- und verweigerungsrechte der 156 ff StPO) zu beachten. Keine Befangenheit liegt hingegen vor, wenn der Sachverständige bereits im Ermittlungsverfahren tätig geworden ist ( 126 Abs 4 StPO). 6. Einwände des Beschuldigten im Strafverfahren Der Beschuldigte hat das Recht, binnen 14 Tagen ab Zustellung des SV-Bestellung oder Kenntnis eines Befangenheitsgrundes oder begründeter Zweifel an des Sachkunde des SV einen Antrag auf Enthebung zu stellen. Er kann auch eine besser geeignete Person vorschlagen und im Ermittlungsverfahren die Bestellung eines SV durch das Gericht beantragen ( 126 Abs 5 StPO). Die Staatsanwaltschaft bzw das Gericht haben diese Einwände zu prüfen. Wenn die Staatsanwaltschaft den Anträgen des Beschuldigten nicht folgt, hat sie die Entscheidung darüber dem Gericht zu überlassen. Ist der Beschuldigte mit der gerichtlichen Entscheidung nicht einverstanden, kann er Beschwerde nach 87 StPO erheben. Nach Erstattung des Gutachtens sind Einwände nur mehr zulässig, wenn diese früher nicht geltend gemacht werden konnten. 7. Mehrere Sachverständige Das Gericht wird in der Regel einen Sachverständigen berufen, kann aber auch mehrere bestellen bzw anstelle der (des) zuerst bestellten andere berufen. 8. Enthebung des SV a) Zivilverfahren Der berufene Sachverständige kann seine Enthebung von der Bestellung aus den gleichen Gründen beantragen, aus denen ein Zeuge eine Aussage verweigern darf (zb gravierende persönliche Nachteile aus der Tätigkeit, Verletzung einer Verschwiegenheitspflicht). Das bedeutet für den sachverständigen Arzt, dass er im Zuge der Gutachtenserstellung sein Berufsgeheimnis nicht verletzen darf. In Bezug auf den Auftrag zur Gutachtenserstellung und die bei Durchführung der Untersuchungen in Erfahrung gebrachten Einzelheiten besteht gegenüber dem Gericht natürlich keine Schweigepflicht (bzw kein Weigerungsgrund), weil sonst die Gutachtenserstellung unmöglich würde. Wenn der Sachverständige das Gutachten nicht zeitgerecht erstattet, kann an seiner Stelle vom Gericht ein anderer Sachverständiger bestellt werden. Der ungehorsame Sachverständige haftet aber für alle daraus entstehenden Schäden; er kann zum Kostenersatz verpflichtet werden und es kann über ihn eine Ordnungsstrafe verhängt werden.

17 b) Strafverfahren Ein Sachverständiger ist zu entheben, wenn er gleich nach seiner Bestellung berechtigt (zb aus Kapazitätsmangel, falsches Fachgebiet) die Übernahme eines Gutachtens ablehnt, oder ihm später die Erfüllung es Auftrages unmöglich wird (zb Erkrankung); in diesen Fällen wird der Sachverständige die Enthebung selbst beantragen; der Beschuldigte fristgerecht berechtigte Einwände vorbringt; Befangenheitsgründe vorliegen oder Zweifel an der fachlichen Eignung aufkommen ( 126 Abs 4 StPO); er die ihm gesetzte Frist zur Erstattung von Befund oder Gutachten trotz Mahnung wesentlich überschritten hat. Sofern er die Verzögerung verschuldet hat, kann er vom Strafgericht zu einer Geldstrafe von bis zu 10.000 Euro bestraft werden ( 127 Abs 5 StPO). Zur Gebührenkürzung nach 25 Abs 3 GebAG siehe unten. IV. Die Erstellung des Gutachtens 1. Aufbau und Inhalt Im Befund stellt der Sachverständige Tatsachen fest, die er auf Grund seiner besonderen Sachkunde als das, was sie sind, erkennen kann. Im Gutachten zieht er Schlüsse aus Tatsachen, die mitgeteilt werden, die er aus den Akten entnommen oder im Befund auf Grund seiner Sachkunde festgestellt hat. Befund und Gutachten sind deutlich zu trennen. Das Gutachten ist so weit zu begründen, dass die Schlüsse des SV nachvollzogen und einer kritischen Würdigung unterzogen werden können. Besonderes Augenmerk ist auf die Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit für einen medizinischen Laien zu legen. Nach Möglichkeit sind medizinische Ausdrücke in verständlicher Form zu verwenden (zb deutscher Ausdruck) oder zu erklären. 2. Befundaufnahme im Strafverfahren a) Zivilverfahren Das Gericht hat dem Sachverständigen alle Aktenstücke zur Verfügung zu stellen, die für Gutachten nötig sind (in der Regel erhält der Sachverständige den gesamten Gerichtsakt). Er hat dann entsprechend dem Auftrag bei strikter Wahrung von Neutralität und Toleranz an die Parteien heranzutreten. Ist der Auftrag, was der Sachverständige tun muss und tun darf, unklar, muss der Sachverständige bei Gericht rückfragen. Der Sachverständigen hat keine Zwangsgewalt; er darf daher eine Untersuchung nicht erzwingen. Ohne gerichtlichen Auftrag darf er auch keine dritten Personen befragen. Die Einholung von Befunden des behandelnden Arztes kann in aller Regel als vom Gutachtensauftrag umfasst angesehen werden.

18 Benötigt der Sachverständige die Mitwirkung dritter Personen und wird sie nicht geleistet, hat er das Gericht zu verständigen (dabei ist möglichst genau anzugeben, was nötig ist). Im Abstammungsverfahren besteht eine Mitwirkungspflicht der Parteien und aller Personen, die zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen können, insbesondere bei der notwendigen Gewinnung von Gewebeproben, Körperflüssigkeiten und Blutproben. b) Strafverfahren Als körperliche Untersuchung gilt nach 117 Z 4 StPO - die Durchsuchung von Körperöffnungen - Abnahme einer Blutprobe und - jeder andere Eingriff in die körperliche Integrität von Personen. Sie ist nach 123 StPO (mit Ausnahme des Mundhöhlenabstrichs) von einem Arzt vorzunehmen, nur in bestimmten Fällen zulässig und von der Staatsanwaltschaft anzuordnen. Sofern nicht Gefahr in Verzug vorliegt, unterliegt sie der Zustimmung des Gerichts. Wird die Zustimmung nachträglich verweigert, sind die Untersuchungsergebnisse zu vernichten. Einen Mundhöhlenabstrich kann die Kriminalpolizei jedoch von sich aus abnehmen. Operative Eingriffe und alle Eingriffe, die eine Gesundheitsschädigung von mehr als dreitägiger Dauer bewirken könnten, sind unzulässig. Andere Eingriffe dürfen vorgenommen werden, wenn die zu untersuchende Person nach vorheriger Aufklärung über die möglichen Folgen ausdrücklich zustimmt. Ohne Einwilligung des Betroffenen darf eine Blutabnahme oder ein vergleichbar geringfügiger Eingriff, bei dem der Eintritt von anderen als bloß unbedeutenden Folgen ausgeschlossen ist, vorgenommen werden, wenn die Person im Verdacht steht, durch Ausübung einer gefährlichen Tätigkeit in alkoholisiertem oder sonst durch ein berauschendes Mittel beeinträchtigtem Zustand eine Straftat gegen Leib oder Leben begangen zu haben, oder im Verdacht steht, vorsätzliche Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten ( 178 StGB) begangen zu haben, oder die körperliche Untersuchung des Beschuldigten zur Aufklärung einer mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Straftat oder eines Sexualverbrechens erforderlich ist. Die zu untersuchende Person ist grundsätzlich unter Angabe der hiefür maßgebenden Gründe aufzufordern, die Untersuchung zuzulassen. Die Anwendung von Zwang ist bei Opfern (im Gegensatz zu Beschuldigten) unzulässig. Die zu untersuchende Person hat das Recht, eine Vertrauensperson hinzuzuziehen, ihre Persönlichkeitsrechte sind möglichst zu wahren.

19 Eine molekulargenetische Untersuchung ist nach 117 Z 5 StPO die Ermittlung jener Bereiche in der DNA einer Person, die der Wiedererkennung dienen. Zur Aufklärung einer Straftat sind solche Untersuchungen zulässig, um eine Spur einer bestimmten Person zuzuordnen oder die Identität einer Person oder deren Abstammung festzustellen. Mit der Untersuchung ist ein Sachverständiger aus dem Fachgebiet der gerichtlichen Medizin oder der forensischen Molekularbiologie zu beauftragen. Diesem ist das Untersuchungsmaterial in anonymisierter Form zu übergeben. Im Übrigen ist dafür Sorge zu tragen, dass Daten aus molekulargenetischen Untersuchungen nur insoweit einer bestimmten Person zugeordnet werden können, als dies für den Untersuchungszweck erforderlich ist. 3. Erstattung oder Erörterung des Gutachtens in der Verhandlung Gutachten können schriftlich oder mündlich in der Verhandlung erstattet werden, je nach Auftrag. Im Zivilverfahren ist die schriftliche Gutachtenserstattung mit anschließender mündlicher Erörterung in der Verhandlung (mit Fragemöglichkeit der Parteien) die Regel. Im Strafverfahren sind Gutachten grundsätzlich mündlich in der Verhandlung zu erstatten, wenn sie dem Urteil zugrunde gelegt werden sollen. Vorhandene Befunde müssen verlesen werden, Gutachten nur in besonderen Ausnahmefällen ( 252 Abs 1 StPO). Wird vom Vorsitzenden im Strafverfahren auf Beiziehung eines Schriftführers verzichtet, so wird das Verhandlungsprotokoll von einem Mitglied des Gerichts auf Tonträger diktiert. Gem 171 Abs 5 StPO hat der Sachverständige auf Anordnung des Gerichts in diesem Fall Befund und Gutachten selbst zu diktieren. Dabei ist besondere Rücksicht darauf zu nehmen, dass auch Laien und Laienrichter (Schöffen und Geschworene) das Gutachten verstehen. Grundsätzlich sind Sachverständige ebenso wie Zeugen einzeln aufzurufen und in Anwesenheit der Beteiligten zu vernehmen. Während der Hauptverhandlung kann der Vorsitzende in allen Fällen, in denen er es für die Erforschung der Wahrheit zweckdienlich findet, dem Sachverständigen den Aufenthalt im Verhandlungssaal nicht nur bei seiner eigenen Vernehmung, sondern auch bei der Vernehmung des Angeklagten und der Zeugen gestatten. Er hat nach seiner Vernehmung so lange im Saal zu bleiben, bis ihn der Vorsitzende entlässt. Der Sachverständige kann in der Verhandlung vom Gericht, aber auch von den Parteien des Zivilverfahrens oder den Beteiligten des Strafverfahrens (auch Opfer und Privat-SV) befragt werden. Für einen ärztlichen Sachverständigen können hinsichtlich der Erstattung oder Erörterung des Gutachtens in der Verhandlung folgende Empfehlungen zusammengefasst werden: ausreichende Vorbereitung strenge Sachlichkeit Ruhe, Geduld und Gelassenheit Beachtung jedes Einwandes

20 Beschränkung auf Tatsachen und fachliche Schlüsse keine Aussagen zur Beweiswürdigung oder rechtlichen Beurteilung 4. Mögliche Fehler im Gutachten Der Sachverständige weicht von dem ihm gestellten Thema ab. Das Gutachten ist unbrauchbar oder höchstens teilweise brauchbar. Der Sachverständige hält sich zwar an den Gerichtsauftrag, er hätte aber das Gericht darüber aufklären müssen, dass das Beweisthema verfehlt ist. Der Sachverständige hat im Befund Feststellungen getroffen, die im Widerspruch zu den objektivierten Umständen des Falles stehen. Der Sachverständige trifft Feststellungen, ohne ausreichend anzuführen, auf Grund welcher Quellen er zu diesen Feststellungen gelangt ist. Der Sachverständige weicht in seinem Gutachten von dem ihm durch das Gericht vorgegebenen Feststellungen oder von seinem selbst aufgenommenen Befund ab. Das Gutachten ist nicht nachvollziehbar, d.h. es enthält Schlüsse, die aus den angegebenen Grundlagen nicht folgerichtig gezogen wurden, bzw das Gutachten enthält einander widersprechende Wertungen. Der Sachverständige löst nicht nur Tatfragen, sondern erörtert auch Rechtsprobleme im Gutachten. V. Die Pflichten des Sachverständigen 1. Bei Bestellung hat er den Gutachtensauftrag zu prüfen und bei Unklarheiten oder Unvollständigkeit des Auftrages rückzufragen. Überdies hat er zu prüfen, ob der Auftrag innerhalb seiner Fachkompetenz liegt. Er hat auch sofort eine vorhersehbare Überschreitung der ihm gesetzten Frist anzuzeigen, bei Überlastung gegebenenfalls auf die zu erwartende Verzögerung hinzuweisen, allenfalls seine Enthebung zu beantragen. 2. Der Sachverständige hat Befund und Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen und nach den Regeln seiner Wissenschaft abzugeben. Dabei hat er auch Umstände anzuführen, die ihm zur Klärung des Sachverhalts von Bedeutung erscheinen und auf die er bei der Befundaufnahme oder durch andere Beweisaufnahmen gestoßen ist. 3. Sachverständige haben Befund und Gutachten innerhalb der ihnen aufgetragenen Frist zu erstatten. Bei wesentlicher Überschreitung der Frist trotz Mahnung, kann der SV enthoben werden. Sofern er die Verzögerung verschuldet hat, kann das Gericht im Strafverfahren über ihn eine Geldstrafe bis zu 10.000 Euro verhängen ( 127 Abs 5 StPO). Dagegen steht ihm binnen 14 Tagen die (nicht aufschiebende) Beschwerde an das übergeordnete Rechtsmittelgericht zu ( 87 StPO). 4. Der Sachverständige ist verpflichtet, Ladungen der Staatsanwaltschaft und des Gerichts zu befolgen. Bei Missachtung drohen im Strafverfahren Geldstrafen bis zu

21 1.000 Euro, die zwangsweise Vorführung oder der Ersatz der durch die Verzögerung verursachten Kosten. Dagegen kann der Sachverständige Beschwerde erheben, der aufschiebende Wirkung zukommt. Die Strafe ist vom Gericht nachzusehen, wenn bescheinigt wird, dass die Ladung nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde oder ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis die Säumnis verursacht hat. Auch eine Milderung der Strafe ist möglich, wenn die Höhe der Strafe nicht im richtigen Verhältnis zum Verschulden des Sachverständigen oder zu den Folgen seines Ausbleibens steht. Wird der Beschwerde nicht zur Gänze entsprochen, so hat über sie das Rechtmittelgericht zu entscheiden ( 243 StPO). 6. Er ist verpflichtet, bei Verhandlungen, Vernehmungen und Tatrekonstruktionen Fragen zu beantworten. 7. Der Sachverständige unterliegt der Amtsverschwiegenheit ( 127 Abs 1 StPO). Bei einem Verstoß kann er sich uu nach 121 Abs 3 StGB strafbar machen (siehe unten). 8. Zu den gebührenrechtlichen Warnpflichten siehe unten. 9. Die Delegiertenversammlung des Hauptverbandes der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Österreichs hat am 4. April 1992 die von den Sachverständigen allgemein anerkannten Standespflichten in eigenen Standesregeln zusammengefasst. Als Arzt unterliegt der medizinische Sachverständige natürlich auch dem Disziplinarrecht der Ärzte. VI. Die Haftung des Sachverständigen 1. Schadenersatzpflichten Der gerichtliche Sachverständige erstellt sein Gutachten gegenüber dem Gericht, der Auftraggeber ist das Gericht. Setzt man diese Überlegungen fort, müsste man zum Schluss kommen, dass der gerichtliche Sachverständige nur dem Gericht gegenüber haftet und nicht zb den Prozessparteien gegenüber. Da aber die gerichtliche Bestellung dem Sachverständigen Sorgfaltspflichten gegenüber allen Beteiligten, also auch gegenüber den Prozessparteien, auferlegt, kann eine Verfahrenspartei, zu deren Ungunsten ein unrichtiges Gutachten, das dann für die gerichtliche Entscheidung ausschlaggebend ist, ausgefallen ist, direkt gegenüber dem Sachverständigen Schadenersatz geltend machen. Dafür gelten die allgemeinen Voraussetzungen des Schadenersatzrechts (Schaden, Kausalzusammenhang, Rechtswidrigkeit, Verschulden). In der Praxis sind allerdings Schadenersatzprozesse im Zusammenhang mit Gutachten ärztlicher Gerichtssachverständiger sehr selten; hauptsächlich gibt es sie im Zusammenhang mit Fachgebietsüberschreitungen. Der Sachverständige muss auf eine allfällige Überschreitung seiner Sachverständigenkompetenz und die sich daraus er-

22 gebende Konsequenz hinweisen, dass eine abschließende Beurteilung der Befundung und Begutachtung einem für diesen Sachbereich zuständigen Sachverständigen vorbehalten bleiben muss. Der Sachverständige hat also die Pflicht, die Fachgebietsgrenzen zu erkennen und diese dem Gericht (und damit auch den Parteien) klar und unmissverständlich aufzuzeigen. Da sich die Prozessparteien auf die Richtigkeit des Gutachtens verlassen dürfen, trifft sie keinerlei Mitverschulden an einem aufgrund Fachüberschreitung mangelhaften Gutachten. 2. Strafbarkeit des SV a) Falsches Gutachten ( 288 bis 291 StGB) Wenn ein Sachverständiger im Strafverfahren (auch gegenüber Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei) oder im Zivilverfahren einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten erstattet, ist er mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren, wenn dies unter Eid geschieht von 6 Monaten bis zu 5 Jahren, zu bestrafen ( 288 StGB). Die Abgabe falscher Befunde und Gutachten vor Verwaltungsbehörden ist nach 289 StGB strafbar (bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe). Falsch ist ein Befund, wenn die für die Begutachtung erforderlichen Tatsachen objektiv unrichtig angegeben werden. Das Gutachten als Werturteil ist falsch, wenn es nicht der Überzeugung des Sachverständigen entspricht. Mit der Abgabe des falschen Gutachtens ist der Tatbestand erfüllt, unabhängig, ob es im Verfahren verwendet wird. Für eine Strafbarkeit ist gem 7 Abs 1 StGB Vorsatz Voraussetzung. Es genügt, wenn er Sachverständige es ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet, dass sein Befund oder Gutachten falsch ist. Nach 291 StGB wird die Strafbarkeit durch tätige Reue aufgehoben, wenn der Sachverständige das unrichtige Gutachten bzw. den unrichtigen Befund vor Beendigung seiner Vernehmung richtig stellt. Unklar ist, ob dies bei schriftlichen Gutachten in Betracht kommt. Mit der Abgabe eines falschen Gutachtens kann auch der Tatbestand des Betruges ( 146 StGB) erfüllt sein, wenn durch eine rechtswidrige Vermögensverschiebung ein Dritter geschädigt werden soll (zb Zuerkennung einer nicht zustehenden Sozialleistung). b) Bestechlichkeit ( 304 StGB) Ein von einem Gericht oder einer anderen Behörde für ein bestimmtes Verfahren bestellter Sachverständiger macht sich strafbar, wenn er für die Erstattung eines unrichtigen Befundes oder Gutachtens von einem anderen für sich oder einem Dritten einen Vorteil fordert, annimmt oder sich versprechen lässt (Strafdrohung: Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren).

23 Ein Vorteil ist nicht nur jede vermögenswerte Zuwendung (zb Theaterkarten), sondern auch solche immaterieller Natur (zb Ehrentitel). Bei Vorteilen über 3.000 Euro beträgt die Strafdrohung bis zu 5 Jahren, bei Vorteilen über 50.000 Euro bis zu 10 Jahren). c) Verletzung der Verschwiegenheitspflicht ( 121 Abs 3 StGB) Ein für ein bestimmtes Verfahren bestellter Sachverständiger macht sich strafbar, wenn er ein Geheimnis offenbart oder verwertet, das ihm ausschließlich kraft seiner Sachverständigentätigkeit anvertraut wurde oder zugänglich gemacht worden ist und dies geeignet ist, ein berechtigtes Interesse der Person zu verletzen, die seine Tätigkeit in Anspruch genommen hat oder für die sie in Anspruch genommen worden ist. Offenbaren ist die Mitteilung an Außenstehende, denen die Tatsache neu oder noch nicht sicher bekannt ist, Verwerten jedes Ausnützen des Geheimnisses. Gemäß 121 Abs 4 StGB werden dem Sachverständigen auch seine Hilfskräfte gleichgestellt, sodass auch sie den Tatbestand erfüllen können. Straffrei ist der Täter nach 121 Abs 5 StGB allerdings, wenn die Tathandlung nach Inhalt und Form durch ein öffentliches oder auch berechtigtes privates Interesse gerechtfertigt ist (zb Bekämpfung von Volksseuchen, nicht anders mögliche Verteidigung in einem Straf- oder Disziplinarverfahren). 121 StGB ist Privatanklagedelikt und mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen oder Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten bedroht. d) Beweismittelfälschung ( 293) Wer vorsätzlich ein falsches Beweismittel (zb inhaltlich unrichtiges Privatgutachten) herstellt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen, wenn er den Vorsatz hatte, dass es in einem gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren (auch Ermittlungsverfahren) gebraucht werde. Ebenso ist zu bestrafen, wer ein solches Beweismittel verwendet. VII. Strafrechtlicher Schutz des Sachverständigen Wer einen Sachverständigen während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben am Körper verletzt oder an seiner Gesundheit schädigt, ist nach 84 Abs 2 Z 4 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen, selbst wenn nur eine leichte Verletzung (nach der Rechtsprechung schon bei blauen Flecken) vorliegt. Wer verdächtig ist, eine strafbare Handlung begangen zu haben, und Sachverständige beeinflusst oder auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, er werde dies versuchen, ist nach 170 Abs 1 Z 3 StPO festzunehmen bzw nach 173 Abs 2