Ausgewählte Ergebnisse des EU-Projekts: Job Mobilities and Family Lives in Europe Projektkoordinator: Prof. Dr. Norbert Schneider Arbeitsgruppe in Deutschland: Norbert Schneider, Detlev Lück, Silvia Ruppenthal, Heiko Rüger, Ruth Limmer Prof. Dr. Ruth Limmer, Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg Betriebliche Mobilitätsregime: Die Auswirkung von Dienstreisen auf Arbeit & Leben München, 15.9.2010, Seidlvilla
Mobilitätsbegriff Sorokin (1927) unterscheidet geistige, soziale, räumliche Mobilität von: n Individuen n Institutionen/Organisationen n Gesellschaften Im Folgenden geht es um: n Räumliche, beruflich begründete Mobilität, die ein erhebliches Ausmaß an Zeit bindet und dadurch die Lebensform prägt. Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg Professor Dr. Ruth Limmer Allgemeine Psychologie Seite 2
Mobilität hat in jedem gesellschaftlichen und historischen Kontext eine eigene Bedeutung Mythos Mobilität am Beispiel der EU Spatial Mobility brings citizens closer to one another and improves mutual understanding. It promotes solidarity, the exchange of ideas and a better knowledge of the different cultures which make up Europe; thus, mobility furthers economic, social and regional cohesion (European Parliament and Council 2006: 2) Bildnachweis:http://www.eapn.org/module/module_page/images/i mages/img_news/european%20council.jpg Wenn Deutschland seinen Lebensstandard halten wolle, braucht es einen Mentalitätswandel zu mehr Mobilität, Flexibilität und Leistungsbereitschaft. (Gesamtmetallpräsident Martin Kannegiesser, NZZ, 20.02.08) Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg Professor Dr. Ruth Limmer Allgemeine Psychologie Seite 3
Überblick Studie Ergebnisse Verbreitung & Vielfalt beruflicher Mobilität Merkmale Berufsmobiler Bedeutung beruflicher Mobilität Gesellschaftliche Zielkonflikte Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg Professor Dr. Ruth Limmer Allgemeine Psychologie Seite 4
Datengrundlage: Job Mobilities and Family Lives in Europe EU-Projekt (5. Rahmenprogramm) Repräsentative Erhebung: 5.552 Befragte im Alter zwischen 25 und 54 Jahren aus sechs europäischen Ländern (Spanien, Frankreich, Belgien, Schweiz, Polen, Deutschland) 1.668 zusätzliche Personen wurden mit dem selben Fragebogen in einem zweiten Teil befragt, um eine größere empirische Basis mobiler Menschen zu erhalten Insgesamt wurden 7.220 Interviews geführt, darunter 2.432 mit mobilen Menschen Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg Professor Dr. Ruth Limmer Allgemeine Psychologie Seite 5
Datengrundlage: Job Mobilities and Family Lives in Europe Drei Forschungsschwerpunkte: n n n Verbreitung und Vielfalt der berufsbedingten räumlichen Mobilität in Europa, Gründe und Umstände der Entstehung beruflicher Mobilität, Konsequenzen beruflicher Mobilität auf Familienleben, Karriere, subjektives Wohlbefinden und soziale Beziehungen Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg Professor Dr. Ruth Limmer Allgemeine Psychologie Seite 6
Berufsmobilität: Räumliche, beruflich begründete Mobilität, die ein erhebliches Ausmaß an Zeit bindet Operationalisierung: zirkuläre Mobilitätsformen Fernpendler mind. 2 Stunden Fahrtzeit an 3 Tagen in der Woche Übernachter: Mind. 60 Übernachtungen außerhalb pro Jahr Vari-mobile (... an verschiedenen Orten) Wochenendpendler ( an selben Ort, feste Unterkunft) Fernbeziehungen ( Partnerschaft mit zwei getrennten Haushalten) residenzielle Mobilitätsformen Umzug innerhalb eines Landes (mind. 50 km) Migranten Multi-Mobilität Vergleichsgruppen: Zwei oder mehr Mobilitätsarten gleichzeitig Sesshafte (ohne Mobilitätserfahrung/mit Mobilitätserfahrung) Rejectors (bewusste Entscheidung gegen Mobilität)
Gegenwärtige und frühere Mobilitätserfahrungen von Berufstätigen nach Ländern (in %) F D E PL CH B EU6 gegenwärtig mobil 15 19 14 15 13 17 16 vormals mobil 36 31 38 21 38 25 32 Personen ohne Mobilitätserfahrung 49 51 48 63 49 58 52 Insgesamt 100 100 100 100 100 100 100 Quelle: JobMob and FamLives 2008
Mobilitätsformen EU6 zirkuläre Mobilitätsformen Fernpendler 41 Vari-Mobile 20 Wochenendpendler 3 Fernbeziehungen 4 residenzielle Mobilitätsformen Umzug innerhalb eines Landes 18 Migranten 2 Multi-Mobilität Zwei oder mehr Mobilitätsarten gleichzeitig 13 Insgesamt 100 Quelle: JobMob and FamLives 2008
Mobilitätsformen F D E PL CH B EU6 zirkulär mobil 65 68 83 76 73 87 70 residenziell mobil 27 23 12 12 18 11 22 in beiden Formen mobil 8 9 6 12 9 2 8 Insgesamt 100 100 100 100 100 100 100 Quelle: JobMob and FamLives 2008
Bereitschaft, mobil zu werden Bereitschaft für eine bessere Arbeit oder einen beruflichen Aufstieg... EU6 Frankreich (geringste) Deutschland (höchste)... in ein anderes Land umzuziehen (Migration) 16 7 27... in eine andere Region umzuziehen (Fernumzug) 19 11 28... fernzupendeln 27 16 36 keine Bereitschaft zu Mobilität (egal in welcher Form) 53 65 38 Berechnung: gewichtete Daten, bezogen auf Erwerbstätige
Mobilitätserfahrungen (gegenwärtig und früher ) nach Alter Altersklasse F D E PL CH B EU6 25 34 51 51 59 44 49 46 52 35 44 56 47 47 30 55 41 47 45 54 47 50 48 35 49 39 46 Quelle: JobMob and FamLives 2008
Berufliche Mobilität in Europa: Zwischenfazit Beruflich bedingte Mobilität ist in Europa weit verbreitet Europäer sind stark lokal verwurzelt, aber als Pendler hochmobil Zwischen den Ländern bestehen bezüglich Ausmaß und Erscheinungsform der Mobilität wenig Unterschiede Dagegen bestehen zwischen sozialen Gruppen teilweise sehr relevante Unterschiede. Von besonderer Bedeutung sind: Alter, Bildung, Geschlecht und Familiensituation
Berufliche Mobilität in Europa: Zwischenfazit Beleg für zunehmende berufliche Mobilität: Junge Erwachsene haben zum Befragungszeitpunkt häufiger Mobilitätserfahrungen gemacht als höhere Altersgruppen. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen nimmt zu und damit der Anteil von Doppelverdiener-Paaren. Die Befristung von Verträgen nimmt zu. Abbau von Mobilitätsbarrieren in Europa Internationalisierung von Unternehmen und Märkten
Wer ist berufsmobil? Sozio-Ökonomie: Akademiker sind häufiger mobil. Sie arbeiten eher in spezialisierten Berufen, die regional weniger weit gestreut sind. Befristet Beschäftigte sind häufiger mobil vor allem in Deutschland. Jedes Vertragsende ist ein potentieller Wechsel des Arbeitgebers oder Projektes und damit des Arbeitsortes. Sozio-Demographie: Jüngere Menschen sind häufiger mobil. Auch biographisch: Sie sind weniger gebunden (durch Familie, Wohneigentum etc.) und orientieren sich eher noch beruflich um. Berufstätige Frauen sind insgesamt seltener mobil als Männer. Hierfür spielt die Familiensituation die ausschlaggebende Rolle.
Bedeutung beruflicher Mobilität Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg Professor Dr. Ruth Limmer Allgemeine Psychologie Seite 16
Bedeutung beruflicher Mobilität I Die ambivalente Bedeutung beruflicher Mobilität Die Entscheidung, mobil zu werden, wird subjektiv fast immer als freiwillig wahrgenommen (EU6: 87%). Sie kann positive Karrierechance sein. Sie kann notwendig sein, um sozialen Abstieg oder Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Oder beides zugleich. Auch Mobilität, die die Existenz sichert, wird oft nüchtern als Erfordernis gesehen selten als Zwang. Dennoch hoffen viele Mobile, ihre Mobilität bald wieder reduzieren zu können (insbesondere Übernachter ). Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg Professor Dr. Ruth Limmer Allgemeine Psychologie Seite 17
Bedeutung beruflicher Mobilität II Familienentwicklung und Berufsmobilität: Beruflich bedingte Mobilität ist eine Barriere für die Familiengründung oder -erweiterung bzw. verzögert Geburten. Vor allem für Frauen. Umgekehrt: Aktive Elternschaft ist eine Barriere, um beruflich bedingt mobil werden. De facto hindert sie Frauen daran, mobil zu werden. Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg Professor Dr. Ruth Limmer Allgemeine Psychologie Seite 18
Subjektiv empfundene Folgen von Mobilität für die Familiensituation 25% keine Mobilitätserfahrung ehemals mobil aktuell mobil 20% 15% D EU6 EU6 D EU6 10% 5% D 0%...habe ich heute weniger Kinder, als ich wollte. Aufgrund meiner beruflichen Situation......habe ich später Kinder bekommen, als ich wollte....werde ich abgehalten, weitere Kinder zu bekommen. Berechnung: gewichtete Daten, bezogen auf Erwerbstätige
Mobilität nach Geschlecht und Familiensituation 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% D kein Partner, Partner, Partner, kinderlos Kinder kinderlos >5 Männer Partner, Kinder <6 Frauen EU6 kein Partner, Partner, Partner, kinderlos Kinder kinderlos >5 Partner, Kinder <6 Berechnung: gewichtete Daten, bezogen auf Erwerbstätige
Bedeutung beruflicher Mobilität III Arbeitsteilung und Berufsmobilität: Beruflich bedingte Mobilität verlagert die Arbeitsteilung in der Partnerschaft zu Lasten des nicht mobilen Partners. Für Frauen verbindet sich mit Berufsmobilität eine höhere Doppelbelastung als für Männer. Die subjektiv wahrgenommene Qualität der innerfamilialen Beziehungen wird durch beruflich bedingte Mobilität nicht (messbar) beeinträchtigt. Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg Professor Dr. Ruth Limmer Allgemeine Psychologie Seite 21
Heutige Herausforderungen mobiler Gesellschaften Die Ergebnisse deuten auf fünf politische Zielkonflikte hin: Erster Zielkonflikt: berufsbedingte räumliche Mobilität ist nur schwerlich mit aktiver Elternschaft vereinbar. Mobilität beeinflusst die Familienplanung insbesondere von Frauen. Ein weiterer Anstieg beruflicher Mobilitätserfordernisse kann einen negativen Effekt auf die Geburtenrate in Europa haben. Zweiter Zielkonflikt: berufsbedingte räumliche Mobilität führt häufig zu einer Re- Traditionalisierung der Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf bezahlte und unbezahlte Arbeit. Wachsende Mobilität kann daher die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern vergrößern.
Heutige Herausforderungen mobiler Gesellschaften Dritter Zielkonflikt: steigende Mobilität beeinträchtigt das freiwillige soziale Engagement und das Ausmaß ehrenamtlicher Tätigkeit. Sie kann daher die weitere Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft beeinträchtigen. Vierter Zielkonflikt: zirkuläre Mobilität, insbesondere Fern- und Wochenendpendeln, hat negative Konsequenzen auf Gesundheit und subjektives Wohlbefinden. Der Effekt ist besonders bei Individuen mit gering entwickelten Mobilitätskompetenzen und schlechten Coping-Strategien ausgeprägt. Erhöhte Pendelmobilität kann daher die Lebensqualität in Europa verringern. Fünfter Zielkonflikt: Erhöhte residenzielle Mobilität verringert die Intensität des Austausches innerhalb der Generationenbeziehungen und kann daher die Nachfrage nach teurer, marktvermittelter Unterstützung steigern.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Weitere Informationen: www.jobmob-and-famlives.eu Norbert F. Schneider & Gerardo Meil (Hrsg.) (2008): Mobile Living Across Europe I. Relevance and Diversity of Job-Related Spatial Mobility in Six European Countries. Opladen / Farmington Hills: Barbara Budrich. Norbert F. Schneider & Beate Collet (Hrsg.) (2010): Mobile Living Across Europe II. Causes and Consequences in Cross-cultural Perspective. Opladen / Farmington Hills: Barbara Budrich.