Mit gutem Unterricht Lernpotenziale fördern



Ähnliche Dokumente
Angebots-Nutzungs-Modell unterrichtlicher Wirkung von Helmke. Dr. Frank Morherr

Qualität im Unterricht der Sekundarstufe

Was ist guter Unterricht? Strategien, um den Unterricht ins Zentrum der Qualitätsentwicklung zu setzen

Die Zukunft des beruflichen Lernens in Ausbildung und Hochschule

Informationsabend Neue Anforderungen im Bildungsbereich Tipps zur Hilfestellung und Unterstützung der Kinder/Jugendlichen

InteGREATer e.v. Berlin vor Ort

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus:

Leitbild. LG Liechtensteinisches. Gymnasium

Georg Hans Neuweg. Bildungsstandards. Diskussionsebenen Chancen Gefahren. menschen.lernen.wirtschaft wirtschaftspädagogik linz

Fragebogen der IG Metall-Jugend zur Qualität der Berufsausbildung

Elternumfrage zur Schulzufriedenheit am MSMG in Telgte

Wie bewerten. LehrerInnen & SchülerInnen. die MindMatters-Materialien?

Der -Online- Ausbilderkurs

Erhalt und Weiterentwicklung beruflicher Kompetenzen der Lehrerinnen und Lehrer

Schulleiterdienstbesprechung Grundschule Kreis Dithmarschen

Von den Hausaufgaben zur Gestaltung von Lernzeiten im Ganztag. Herbert Boßhammer und Birgit Schröder Berlin am

Fragebogen mit prozentualer Ergebnisdarstellung: Teil A IT-Berufe Anlage 5 Teil A: Fragen zum Erprobungslehrplan

Professionelle Seminare im Bereich MS-Office

FIT durch Lernen - Nachhilfeschule

Lernen mit Laptops Erfahrungen mit dem Einsatz der Geräte im Fach Mathematik

Pilotierung von Unterrichtsbeispielen

Konzept Hausaufgabenbegleitung

Praxissemester im modularisierten Lehramtsstudium

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus:

Informationen zur Gymnasialen Oberstufe

Praxisreferat. Was ist und wie geht Supervision?

Konzept. der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft von Schule und Elternhaus für das Wirsberg-Gymnasium Würzburg

UNTERRICHT REFLEKTIEREN ABER WIE?

06 Lernen mit Text, Bild, Ton

Führungsstile Überblick. Ihr Führungsstil bestimmt Ihren Erfolg

Kerncurriculum für die gymnasiale Oberstufe. Aktueller Bearbeitungsstand und Beratungsverfahren

Latein an der Bettinaschule

Industrie 4.0 in Deutschland

Leitbild der Elisabethstift-Schule

Zusammenfassung (1) Artikel SZ Zusammenfassung. 25. November Themenbereich

Berufsbildung erfolgt über den

Das Schulsystem in Deutschland (Band 2, Lektion 1)

Das Tor zur Mathematik Litcam Nürnberg FRIEDRICH ALEXANDER UNIVERSITÄT ERLANGEN NÜRNBERG PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT

Informationen zur Entscheidung für ein Wahlthema

Das Zeugnis für die Primarstufe

Abschluss Sekundarstufe I für Erwachsene

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus:

Umfrage in den 5er-Klassen zu Hausaufgaben in den Nebenfächern im Schuljahr 2014/15

Bereiche K 1 K 2 K 3 K 4 v Lesen 3a Lesen 3b Auswertung Ableitung Anz. zu fördernder Schüler:

Schulleitung Lehrperson Datum :

Unsere Vorgehensweise: Ein Beispiel

Herzo - Sen i orenbüro. die Kultur des Helfens er Leben. mb. Stadt Herzogenaurach. Leitfaden. Kindergarten Grundschule

Spracherwerb und Schriftspracherwerb

kapitel 5 meine sprachkompetenz Meine Sprachkompetenz

Zwischenbericht zum Würth Bildungspreis

RHETORIK SEK. Entwickelt an den docemus Privatschulen

Fragebogen zur Evaluation der Vorlesung und Übungen Computer Grafik, CS231, SS05

Fachanforderungen für die Abiturprüfung im Fach Elektrotechnik

Schullaufbahnempfehlung

Cuno Berufskolleg I Informationsblatt individuelle Förderung mit

New World. Englisch lernen mit New World. Informationen für die Eltern. English as a second foreign language Pupil s Book Units 1

Klassenbogen DEUTSCH: OA 2 VA 4

Erfolgreiches Lernen sichtbar machen. Prof. Dr. Klaus Zierer Carl von Ossietzy Universität Oldenburg

Checkup von Kurt Schlumpf Protokollierte Woche vom bis Vermutete persönliche. Wöchentliche Lernzeit für Repetition in Min.

Vorstellung der Gesamtschule In der Höh Volketswil

Mediation im Arbeitsrecht

Projektkompetenz mit Sozialkompetenz. Berufsschule Berufsvorbereitungsjahr. Schuljahr 1. Projektkompetenz mit Sozialkompetenz 1

Research Note zum Thema: Laufzeit von Support-Leistungen für Server OS

Projektarbeit im Informatikunterricht

Ergebnisrückmeldungen an Schulen im Rahmen der Initiative komm mit! : Potenzial und Perspektiven

für Lehrlinge Die Workshops sind so aufgebaut, dass sie je nach Bedarf individuell für jedes Lehrjahr zusammengestellt werden können.

«Eine Person ist funktional gesund, wenn sie möglichst kompetent mit einem möglichst gesunden Körper an möglichst normalisierten Lebensbereichen

Herzlich Willkommen Medienkompetenz in der Grundschule. Anita Saathoff Trainerin und Autorin

Gemeinsam stark sein

Realschule plus und Fachoberschule Dahn

Das KONZEPTE. Take5 - Programm. Leadership-Kompetenz für die Zukunft

Was ist eine guter Lehrerin/ein guter Lehrer?

IMPULehrerSchülerEltern IMPULeitbildSozialcurriculumErziehungspartnerschaft

Nicht ohne mein Handy! Mobil?

Diese Website wurde mit dem Ziel entwickelt, Schulen ein neues Werkzeug zur Herstellung von Kartenspielen zur Verfügung zu stellen.

Kinder und Jugendliche in ihrer Vielfalt fördern Unterricht fokussiert auf individuelle Förderung weiterentwickeln

Informationen über die Wahl der Kurse in der Qualifikationsphase. Information über die Wahl der Kurse in der Qualifikationsphase

Pflegende Angehörige Online Ihre Plattform im Internet

Ergebnispräsentation zur Datenerhebung (Rohergebnis) der Elternbefragung zum verkürzten Zweig an der Friedensschule Münster

4. In dem Kurs lernt sie, was zu tun ist, wenn etwas Schlimmes passiert.

VERBESSERUNG DES EINSATZES VOM BIBER DER INFORMATIK IM UNTERRICHT. IMST-Projekt, Schuljahr 2013/2014 Mag. Jakob Egg, BRG Landeck

Jeopardy and andere Quizformate im bilingualen Sachfachunterricht Tipps zur Erstellung mit Powerpoint

Leseauszug DGQ-Band 14-26

Vorderthal, 15. April Liebe Eltern,

KONFERENZ HF KINDERERZIEHUNG Mit der Lancierung der Oltner Initiative für eine professionelle Kindererziehung

Rhetorik. 02. Mai Staatliches Schulamt im Landkreis Aichach-Friedberg l Dr. Klaus Metzger

Recherche nach Stellenanzeigen in Zeitungen

Fragebogen zur Erhebung der Zufriedenheit und Kooperation der Ausbildungsbetriebe mit unserer Schule

Anhang. 3. Was denken Sie: An wen richtet sich das Lernprogramm für Psycholinguistik? zu nicht nicht zu

Geld in meiner Welt. Die Unterrichtseinheit Geld in meiner Welt behandelt wichtige sparkassenrelevante Themen mithilfe eines innovativen Lernansatzes.

offene Netzwerke. In diesem Sinn wird auch interkulturelle Kompetenz eher als Prozess denn als Lernziel verstanden.

Hausaufgabenkonzept der Brenscheder Schule

Universität Ulm Ulm Germany. Ansprechpartner in den Fakultäten siehe Fußzeile

Wege nach der Hauptschule

Die Einführungsphase der Gymnasialen Oberstufe (Angaben ohne Gewähr)

Berufssprache Deutsch für den Unterricht mit heterogenen Leistungsgruppen und für Jugendliche mit besonderem Sprachförderbedarf

Vorwissen und Lernerfolg

Fortbildungsangebote für Lehrer und Lehrerinnen

Transkript:

Mit gutem Unterricht Lernpotenziale fördern Andreas Helmke, Landau/Pfalz Dillingen, 18.03.2006

Übersicht Eine intuitive Einführung in Fragen der Unterrichtsqualität und Professionalität Grundlegende Konzepte Kleine Exkursion nach Osten Merkmale der Unterrichtsqualität

Grundlegende Konzepte

Drei Ansätze in der Forschung zur Unterrichtsqualität Personorientierung : Identifikation von Schlüsselkompetenzen und Orientierungen von Lehrpersonen Methodenorientierung (Prozess): Bestimmung der Qualität durch Merkmale der Lehr- und Lernprozesse: Gegenstand ist die Inszenierung von Unterricht Wirkungsorientierung (Produkt): Bestimmung der Qualität durch die nachweislichen Wirkungen des Unterrichts: Gegenstand ist die Erreichung zentraler Bildungsziele, insbesondere der Kompetenzerwerb

Konsequenzen aus dem Modell Vielfalt von Zielkriterien Komplexe, indirekte Effekte des Unterrichts Entscheidend: Aktive Lernzeit Multiple Determination schulischer Leistungen Lehrer und Schüler als "Coproduzenten (H. Fend) des Ertrages

Kleine Exkursion nach Osten

Deutschland Vietnam KOGNITIVE TESTS Intelligenztest Konzentrationstest MATHEMATIKTESTS Rechenfertigkeit Mathemat. Verständnis 0 0,5 Durchschnitt

Von Asien lernen? (Konfuzianisch geprägtes Asien = China, Japan, Korea, Vietnam, Singapore) Umfassende Verantwortlichkeit der Lehrkraft Hohe Wertschätzung von Bildung, Lernen, Leistung Verbindliche Verhaltensregeln in der Klasse Nutzung der Unterrichtszeit Frühes Lehren und Einüben von Lerntechniken Anstrengung lohnt sich immer Respekt gegenüber Älteren, insbes. Eltern und Lehrern Unterrichtsqualität Obligatorische Lehrerweiterbildung Extrem viele außerschulische Lerngelegenheiten Frühe Gewöhnung an häufige Leistungsmessung + + + + +???? - -

Warum es die optimale Lehrmethode nicht gibt - und nicht geben kann Gut wofür? (für welche Bildungsziele) Gut für wen? (Wechselwirkungen) Gut gemessen an welchen Startbedingungen? (Kontext, fairer Vergleich ) Gut aus wessen Sicht? Was es dagegen gibt, sind...

Merkmale guten Unterrichts

Fachübergreifende Merkmale erfolgreichen Unterrichts Effiziente Klassenführung und Zeitnutzung Lernförderliches Unterrichtsklima Vielfältige Motivierung Klarheit, Verständlichkeit Wirkungs- und Kompetenzorientierung Schülerorientierung, Unterstützung Förderung aktiven, selbstgesteuerten Lernens Angemessene Variation von Methoden und Sozialformen Konsolidierung, Sicherung, Intelligentes Üben Passung (Inhalte, Schwierigkeit, Tempo): Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen

Klassenführung und Zeitnutzung Notwendige Voraussetzung für anspruchsvollen Unterricht: Schaffung eines hohen Maßes tatsächlicher Lernzeit ( active learning time ) Spitzenreiter beruflicher Belastung, Hauptgrund für burn-out und Frühpensionierung Durchgängig hohe positive Korrelation effizienter Klassenführung mit dem Leistungsniveau Häufige, aber falsche Gleichsetzung: Klassenführung = Störungskontrolle = Disziplin. Vielmehr: Vorbeugung durch geschickte Motivierung und ein klares Regelsystem Defizite im Wissen und Handlungsrepertoire der Lehrkräfte - Vernachlässigung in der Ausbildung

Lernförderliches Unterrichtsklima Freundlicher Umgangston, wechselseitiger Respekt, Herzlichkeit, Wärme Konstruktiver Umgang mit Fehlern So viele Lernsituationen wie möglich, so viele Leistungssituationen wie nötig Entspannte Atmosphäre, es wird gerne gelernt und auch mal gelacht Toleranz gegenüber Langsamkeit; angemessene Wartezeit auf Schülerantworten

DESI-Videostudie: Wartezeit (> 3 sec.) nach Lehrerfragen

Motivierung (= Anregung lernrelevanter Motive) Lernmotiv intrinsisch: Sach- und Tätigkeitsinteresse, "Flow" extrinsisch: Thematisierung der Nützlichkeit und Wichtigkeit: Alltag, andere Fächer, berufliche Zukunft Neugier- und Anerkennungsmotiv Motivierung durch Lernen am Modell: Engagement, Interesse am Fach, Freude am Unterrichten, enthusiasm Nonverbale und paraverbale Aspekte

Klarheit, Verständlichkeit, Strukturiertheit Lernerleichterung durch strukturierende Hinweise bei hierarchisch aufgebautem Stoff (Vorschau, Zusammenfassung, "advance organizer") Fachlich-inhaltliche Korrektheit Verstehbarkeit: Artikulation, Modulation, Lautstärke, Dialekt, Regiolekt Sprachliche Prägnanz: klare Diktion, angemessene Rhetorik, korrekte Grammatik, überschaubare Sätze, Vermeidung von Unsicherheitsfloskeln, Füll- und Verlegenheitswörtern ( ok, ich-sach-mal, ne, quasi...)

Ziel- und Wirkungsorientierung Empirische Orientierung: Fokussierung auf nachweisliche Wirkungen (statt bloßer Behauptungen, Hoffnungen, Mutmaßungen) Zielorientierung: Orientierung an den Bildungsstandards und konkreten Lernzielen durch die Unterrichtsinhalte durch wiederholte Diagnosen des aktuellen Leistungsstandes als Basis für zielgerichtete Wiederholung / Förderung ( backward planning ) durch Nutzung verfügbarer Informationen für die Diagnose von Stärken und Schwächen der unterrichteten Klasse Keine Vernachlässigung der durch Vergleichsarbeiten und Standardsüberprüfungen nicht abgedeckten Kompetenzen

Bildungsziele eines Unterrichtsfaches Bildungsstandards: Kernbereiche fachlicher Kompetenzen Gegenstand von Vergleichsarbeiten: Schriftlich und ökonomisch testbarer Teil der Bildungsstandards

Schüleraktivierung "Guter Unterricht ist ein Unterricht, in dem mehr gelernt wird als gelehrt wird (Weinert) Unterrichtliche Angebote für selbstständiges, eigenverantwortliches Lernen; Lehren und Erproben von Lernstrategien Mathematik: Spielräume statt Engführung Fremdsprachen: Schüler kommen zu Wort; Gelegenheit zur Selbstkorrektur von Fehlern

DESI-Videostudie: Sprechanteile

Beispiel 2: Screenshot einer videografierten Englischstunde Unterrichtsverlauf (Echtzeit) Lehrer Schüler Sprechanteile

DESI-Video: Umgang mit Schülerfehlern

Projekt DESI-Video: Geschätzte versus gemessene Lehrer-Sprechanteile 40 35 Selbsteinschätzung tatsächlicher Anteil 30 25 Prozent 20 15 10 5 0 bis 20% 20-30% 30-40% 40-50% 50-60% 60-70% 70-80% über 80%

Einige Methoden-Mythen Verwechslung von Quantität und Qualität: Innovative Methoden (wie Offener, handlungsorientierter Unterricht, Projektunterricht, Stationenlernen) ist gleichbedeutend mit gutem Unterricht Lehrerzentrierter Unterricht führt notwendig zu rezeptivem, oberflächlichem Lernen Von offenem Unterricht (CH: "erweiterte Lernformen") profitieren vor allem die Schwächeren Je mehr unterschiedliche Methoden, desto besser

Gruppenarbeit Definition: Kleingruppen oder Tandems von Schüler/innen, die ohne direkte Steuerung und Aufsicht mithilfe vorbereiteter Materialien und nach bestimmten Regeln selbstständig lernen (Meyer, 2004) Nachweislich besonders wirksame Lernform (belegt durch Metaanalysen, siehe Slavin) Häufige Gründe für das Scheitern in der Praxis mangelnde Vorbereitung Kontrolle und Belehrung statt Freiräume verbale Zurückhaltung, aber nonverbale Intervention ( Vibrierende Pädagogen )

Konsolidierung Sicherung des Lernerfolges durch unterschiedliche Formen intelligenter Übung Verknüpfung der Hausaufgaben mit dem Unterricht Regelmäßige Phasen der Wiederholung und Auffrischung des Vorwissens

Unterrichtsqualität - Erfassen, Bewerten, Verbessern. 2006, 316 Seiten (4.Aufl.), 19.95 Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung (ISBN 3-7800-1004-6)