Mit gutem Unterricht Lernpotenziale fördern Andreas Helmke, Landau/Pfalz Dillingen, 18.03.2006
Übersicht Eine intuitive Einführung in Fragen der Unterrichtsqualität und Professionalität Grundlegende Konzepte Kleine Exkursion nach Osten Merkmale der Unterrichtsqualität
Grundlegende Konzepte
Drei Ansätze in der Forschung zur Unterrichtsqualität Personorientierung : Identifikation von Schlüsselkompetenzen und Orientierungen von Lehrpersonen Methodenorientierung (Prozess): Bestimmung der Qualität durch Merkmale der Lehr- und Lernprozesse: Gegenstand ist die Inszenierung von Unterricht Wirkungsorientierung (Produkt): Bestimmung der Qualität durch die nachweislichen Wirkungen des Unterrichts: Gegenstand ist die Erreichung zentraler Bildungsziele, insbesondere der Kompetenzerwerb
Konsequenzen aus dem Modell Vielfalt von Zielkriterien Komplexe, indirekte Effekte des Unterrichts Entscheidend: Aktive Lernzeit Multiple Determination schulischer Leistungen Lehrer und Schüler als "Coproduzenten (H. Fend) des Ertrages
Kleine Exkursion nach Osten
Deutschland Vietnam KOGNITIVE TESTS Intelligenztest Konzentrationstest MATHEMATIKTESTS Rechenfertigkeit Mathemat. Verständnis 0 0,5 Durchschnitt
Von Asien lernen? (Konfuzianisch geprägtes Asien = China, Japan, Korea, Vietnam, Singapore) Umfassende Verantwortlichkeit der Lehrkraft Hohe Wertschätzung von Bildung, Lernen, Leistung Verbindliche Verhaltensregeln in der Klasse Nutzung der Unterrichtszeit Frühes Lehren und Einüben von Lerntechniken Anstrengung lohnt sich immer Respekt gegenüber Älteren, insbes. Eltern und Lehrern Unterrichtsqualität Obligatorische Lehrerweiterbildung Extrem viele außerschulische Lerngelegenheiten Frühe Gewöhnung an häufige Leistungsmessung + + + + +???? - -
Warum es die optimale Lehrmethode nicht gibt - und nicht geben kann Gut wofür? (für welche Bildungsziele) Gut für wen? (Wechselwirkungen) Gut gemessen an welchen Startbedingungen? (Kontext, fairer Vergleich ) Gut aus wessen Sicht? Was es dagegen gibt, sind...
Merkmale guten Unterrichts
Fachübergreifende Merkmale erfolgreichen Unterrichts Effiziente Klassenführung und Zeitnutzung Lernförderliches Unterrichtsklima Vielfältige Motivierung Klarheit, Verständlichkeit Wirkungs- und Kompetenzorientierung Schülerorientierung, Unterstützung Förderung aktiven, selbstgesteuerten Lernens Angemessene Variation von Methoden und Sozialformen Konsolidierung, Sicherung, Intelligentes Üben Passung (Inhalte, Schwierigkeit, Tempo): Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen
Klassenführung und Zeitnutzung Notwendige Voraussetzung für anspruchsvollen Unterricht: Schaffung eines hohen Maßes tatsächlicher Lernzeit ( active learning time ) Spitzenreiter beruflicher Belastung, Hauptgrund für burn-out und Frühpensionierung Durchgängig hohe positive Korrelation effizienter Klassenführung mit dem Leistungsniveau Häufige, aber falsche Gleichsetzung: Klassenführung = Störungskontrolle = Disziplin. Vielmehr: Vorbeugung durch geschickte Motivierung und ein klares Regelsystem Defizite im Wissen und Handlungsrepertoire der Lehrkräfte - Vernachlässigung in der Ausbildung
Lernförderliches Unterrichtsklima Freundlicher Umgangston, wechselseitiger Respekt, Herzlichkeit, Wärme Konstruktiver Umgang mit Fehlern So viele Lernsituationen wie möglich, so viele Leistungssituationen wie nötig Entspannte Atmosphäre, es wird gerne gelernt und auch mal gelacht Toleranz gegenüber Langsamkeit; angemessene Wartezeit auf Schülerantworten
DESI-Videostudie: Wartezeit (> 3 sec.) nach Lehrerfragen
Motivierung (= Anregung lernrelevanter Motive) Lernmotiv intrinsisch: Sach- und Tätigkeitsinteresse, "Flow" extrinsisch: Thematisierung der Nützlichkeit und Wichtigkeit: Alltag, andere Fächer, berufliche Zukunft Neugier- und Anerkennungsmotiv Motivierung durch Lernen am Modell: Engagement, Interesse am Fach, Freude am Unterrichten, enthusiasm Nonverbale und paraverbale Aspekte
Klarheit, Verständlichkeit, Strukturiertheit Lernerleichterung durch strukturierende Hinweise bei hierarchisch aufgebautem Stoff (Vorschau, Zusammenfassung, "advance organizer") Fachlich-inhaltliche Korrektheit Verstehbarkeit: Artikulation, Modulation, Lautstärke, Dialekt, Regiolekt Sprachliche Prägnanz: klare Diktion, angemessene Rhetorik, korrekte Grammatik, überschaubare Sätze, Vermeidung von Unsicherheitsfloskeln, Füll- und Verlegenheitswörtern ( ok, ich-sach-mal, ne, quasi...)
Ziel- und Wirkungsorientierung Empirische Orientierung: Fokussierung auf nachweisliche Wirkungen (statt bloßer Behauptungen, Hoffnungen, Mutmaßungen) Zielorientierung: Orientierung an den Bildungsstandards und konkreten Lernzielen durch die Unterrichtsinhalte durch wiederholte Diagnosen des aktuellen Leistungsstandes als Basis für zielgerichtete Wiederholung / Förderung ( backward planning ) durch Nutzung verfügbarer Informationen für die Diagnose von Stärken und Schwächen der unterrichteten Klasse Keine Vernachlässigung der durch Vergleichsarbeiten und Standardsüberprüfungen nicht abgedeckten Kompetenzen
Bildungsziele eines Unterrichtsfaches Bildungsstandards: Kernbereiche fachlicher Kompetenzen Gegenstand von Vergleichsarbeiten: Schriftlich und ökonomisch testbarer Teil der Bildungsstandards
Schüleraktivierung "Guter Unterricht ist ein Unterricht, in dem mehr gelernt wird als gelehrt wird (Weinert) Unterrichtliche Angebote für selbstständiges, eigenverantwortliches Lernen; Lehren und Erproben von Lernstrategien Mathematik: Spielräume statt Engführung Fremdsprachen: Schüler kommen zu Wort; Gelegenheit zur Selbstkorrektur von Fehlern
DESI-Videostudie: Sprechanteile
Beispiel 2: Screenshot einer videografierten Englischstunde Unterrichtsverlauf (Echtzeit) Lehrer Schüler Sprechanteile
DESI-Video: Umgang mit Schülerfehlern
Projekt DESI-Video: Geschätzte versus gemessene Lehrer-Sprechanteile 40 35 Selbsteinschätzung tatsächlicher Anteil 30 25 Prozent 20 15 10 5 0 bis 20% 20-30% 30-40% 40-50% 50-60% 60-70% 70-80% über 80%
Einige Methoden-Mythen Verwechslung von Quantität und Qualität: Innovative Methoden (wie Offener, handlungsorientierter Unterricht, Projektunterricht, Stationenlernen) ist gleichbedeutend mit gutem Unterricht Lehrerzentrierter Unterricht führt notwendig zu rezeptivem, oberflächlichem Lernen Von offenem Unterricht (CH: "erweiterte Lernformen") profitieren vor allem die Schwächeren Je mehr unterschiedliche Methoden, desto besser
Gruppenarbeit Definition: Kleingruppen oder Tandems von Schüler/innen, die ohne direkte Steuerung und Aufsicht mithilfe vorbereiteter Materialien und nach bestimmten Regeln selbstständig lernen (Meyer, 2004) Nachweislich besonders wirksame Lernform (belegt durch Metaanalysen, siehe Slavin) Häufige Gründe für das Scheitern in der Praxis mangelnde Vorbereitung Kontrolle und Belehrung statt Freiräume verbale Zurückhaltung, aber nonverbale Intervention ( Vibrierende Pädagogen )
Konsolidierung Sicherung des Lernerfolges durch unterschiedliche Formen intelligenter Übung Verknüpfung der Hausaufgaben mit dem Unterricht Regelmäßige Phasen der Wiederholung und Auffrischung des Vorwissens
Unterrichtsqualität - Erfassen, Bewerten, Verbessern. 2006, 316 Seiten (4.Aufl.), 19.95 Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung (ISBN 3-7800-1004-6)