Konzernhaftungen. Peter V. Kunz

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Transkript:

Wirtschaftsuniversität Wien 3. Deutsch-österreichisch-schweizerisches Symposium zum Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Wien, 24. Mai 2012 Konzernhaftungen von Peter V. Kunz Prof. Dr. iur., Rechtsanwalt, LL.M. (Georgetown) Ordinarius für Wirtschaftsrecht und für Rechtsvergleichung Universität Bern/Schweiz Geschäftsführender Direktor am Institut für Wirtschaftsrecht kunz@iwr.unibe.ch www.iwr.unibe.ch

Inhalt 1. Vorbemerkungen 2. Konzernrechtliche Aspekte 3. Schlussbemerkungen 2

Vorbemerkungen a) Konzernrechtskodifikation? Beispiele im Ausland: v.a. Deutschland + Portugal Schweiz: (wiederholte) rechtspolitische Ablehnung einer zusammenhängenden Ordnung Rechtsquellen des Konzernrechts: Rechtssetzung + Praxis (sc. Gerichte sowie Behörden) Rechtssetzung: Vielzahl von Einzelbestimmungen (Aktienrecht, Bankenrecht etc.) 3

Vorbemerkungen a) b) 4

Vorbemerkungen b) Konzernbegriff Grundverständnis des Konzerns: z.b. Art. 663e OR (neu: Art. 963 E-OR) was sind Minimalanforderungen an Konzern? Aktienrechts-Revision: Paradigmenwechsel vom sog. Leitungsprinzip zum sog. Kontrollprinzip Regelfall einer Einzelbetrachtung: Beispiel: Pflichtnexus des VR von abhängigen Unternehmungen (+ Konzernhaftung ) Ausnahmefall einer Gesamtbetrachtung: Beispiele: Konzernrechnung + (finanzmarktrechtliche) Aufsicht 5

Vorbemerkungen Art. 663e Abs. 1 OR «Fasst die Gesellschaft durch Stimmenmehrheit oder auf andere Weise eine oder mehrere Gesellschaften unter einheitlicher Leitung zusammen (Konzern), so erstellt sie eine konsolidierte Jahresrechnung (Konzernrechnung).» Art. 963 E-OR «Kontrolliert eine rechnungslegungspflichtige juristische Person ein oder mehrere rechnungslegungspflichtige Unternehmen, so muss sie im Geschäftsbericht für die Gesamtheit der kontrollierten Unternehmen eine konsolidierte Jahresrechnung (Konzernrechnung) erstellen.» 6

Konzernrechtliche Ausgangslage a) Haftung des Konzerns? Qualifikation eines Konzerns: fehlende Rechtspersönlichkeit, d.h. insbesondere keine Passivlegitimation Konzern als sog. einfache Gesellschaft: umstritten z.b. PVK in ZBJV/Mai 2012; selbst bei eg unverändert Einzelbetrachtung v. Gesamtbetrachtung: Konzernhaftung = relativierte Einzelbetrachtung (nämlich: Durchgriff) Fazit: Konzern als solcher haftet niemals, d.h. es gibt keine Konzernhaftung 7

Konzernrechtliche Ausgangslage b) Haftung der Konzerngesellschaft(en)? Konzern-Haftungsprinzip: keine (konzernrechtlichen) Haftungsautomatismen ev. Haftung der Obergesellschaft: Hauptinteresse der Gläubiger (= deep pockets ) + Hauptverantwortlichkeit (Durchgriff etc.) ev. Haftung der Untergesellschaft: insbesondere bei Konzernfinanzierungs- Beihilfen ( up-stream + cross-stream ) Fazit: Konzerngesellschaften haften basierend auf eigenem (Fehl-)Verhalten 8

Konzernrechtliche Ausgangslage c) Beistandszwang im Konzern? Grundverständnis: Beistand sozusagen als Kehrseite der Haftung im Konzern rechtliche Beistandspflicht: Prinzip = nein; ev. bei Konzern als eg? faktische Beistandspflicht: v.a. bei Bankkonzernen (bejaht in CS-Holding -Urteil: BGE 116 Ib 331) Fazit: kein (rechtlicher) Beistandszwang im regulären Konzern 9

Ausgewählte Anspruchsgrundlagen a) Privatrecht deliktische Basis: Art. 41 OR v.a. bei Interventionen von Konzernunternehmungen vertragliche Basis: konzernexterne Finanzierungen = Vertragsfreiheit (Art. 20 OR) vertragliche Besicherungen von (externen) Darlehen: Bürgschaften + Garantien Spezialproblematik: sog. Patronatserklärungen zugunsten Dritter 10

Situation Down-Stream S D D 11

Situation Up-Stream D D S 12

Situation Cross-Stream D D S 13

Ausgewählte Anspruchsgrundlagen b) Öffentliches Recht Prinzip: sozusagen Gleichbehandlung mit Privatrecht Ausnahme: Art. 33 Abs. 4 lit. b BEG (SR 957.1) 14

Ausgewählte Anspruchsgrundlagen Art. 33 Abs. 4 lit. b BEG 4 Die Verwahrungsstelle haftet für das Verschulden der Drittverwahrungsstelle wie für eigenes Verschulden, wenn diese: a. für die Verwahrungsstelle selbstständig und dauernd die gesamte Effektenverwaltung und die Abwicklung von Effektengeschäften erledigt; oder b. mit der Verwahrungsstelle eine wirtschaftliche Einheit bildet. 15

Ausgewählte Anspruchsgrundlagen c) Künftiges Recht Konzernrecht im Allgemeinen: OR 1993 + z.b. Group de réflexion aktuelle grosse Aktienrechtsrevision: div. Konzernrechtsnormen, aber Konzernhaftung ignoriert umstritten: sog. internationale Multis jüngste rechtspolitische Entwicklung: Allianz Recht ohne Grenzen = Petition Konzerne an die Leine (2011) 16

Ausgewählte Anspruchsgrundlagen Petition Recht ohne Grenzen - Klare Regeln für Schweizer Konzerne. Weltweit. Wir fordern Bundesrat und Parlament auf, dafür zu sorgen, dass Firmen mit Sitz in der Schweiz die Menschenrechte und die Umwelt weltweit respektieren müssen. Es braucht gesetzliche Grundlagen, damit Schweizer Konzerne für ihre Tätigkeiten, ihre Tochterfirmen und Zulieferer vorsorglich Massnahmen (Sorgfaltspflicht) treffen müssen, um hier und anderswo Menschenrechtsverletzungen und Umweltvergehen zu verhindern. damit Menschen, die durch die Tätigkeiten von Schweizer Konzernen, ihren Tochterfirmen und Zulieferern Schaden erleiden, hier Klage einreichen und Wiedergutmachung verlangen können. 17

Konzernspezifisches a) Gesellschaftsrechtliche Basis Durchgriff ( piercing the corporate veil ): z.b. BGE 108 II 213, BGE 113 II 31, BGE 130 III 495 materielle Organschaft ( faktisches Organ ): z.b. BGE 114 V 218, BGE 117 II 570, BGE 128 III 29, BGE 132 III 523 Organhaftung: z.b. BGE 124 III 297, BGer 4A_306/2009 prinzipielle Haftungsvoraussetzung: Obergesellschaft zur Verantwortung gezogen für eigenes (Fehl-)Verhalten 18

Konzernspezifisches b) Konzernvertrauen (I/II) Theorie: jüngste Form der Konzernhaftung (BGE: 1994 + 1998 + 2010) Vertrauenshaftung: Inspiration aus Deutschland = Oberbegriff sozusagen Unterformen: Culpa in Contrahendo + falscher Rat/mangelhaft Auskunft + sog. Konzernvertrauen Reaktionen: erhebliche Ängste bzw. Unsicherheiten in der Wirtschaftsrealität 19

Konzernspezifisches b) Konzernvertrauen (II/II) Praxis: Bundesgericht (www.bger.ch) entwickelt konzernspezifische Rechtsprechung BGE 120 II 331: Urteil re Swissair : Konzern-Hinweise in Werbung etc. (i.c. Retail ) BGE 124 III 297: Urteil re Motor Columbus = Entschärfung der Bedenken gegen Swissair BGer 4A_306/2009 (nicht amtl. publ.): Urteil re UBS : Anforderungen verschärft unter Profis (z.b. Banken) 20

Konzernspezifisches BGE 120 II 331, E. 5a, S. 336: Im Konzernverhältnis kann das in die Vertrauens- und Kreditwürdigkeit des Konzerns erweckte Vertrauen ebenso schutzwürdig sein wie dasjenige, das sich die Partner von Vertragsverhandlungen hinsichtlich der Richtigkeit, der Ernsthaftigkeit und der Vollständigkeit ihrer gegenseitigen Erklärungen entgegenbringen. Wenn Erklärungen der Konzern-Muttergesellschaft bei Geschäftspartnern der Tochtergesellschaft in dieser Weise Vertrauen hervorrufen, so entsteht deshalb eine dem Vertragsverhandlungsverhältnis vergleichbare rechtliche Sonderverbindung ( ), aus der sich auf Treu und Glauben beruhende Schutz- und Aufklärungspflichten ergeben ( ). Die Verletzung solcher Pflichten kann Schadenersatzansprüche auslösen ; Hervorhebungen hinzugefügt. 21

Konzernspezifisches BGE 124 III 297, E. 5.a, S. 299 f.: Nach Art. 722 OR haftet die Aktiengesellschaft für den Schaden aus unerlaubten Handlungen (Art. 41 OR), die eine zur Geschäftsführung oder zur Vertretung befugte Person in Ausübung ihrer geschäftlichen Verrichtungen begeht. Aufgrund dieser Vorschrift hat die Konzern-Muttergesellschaft unter Umständen für Eingriffe ihrer Organe in die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft einzustehen (...). Eine derartige Organhaftung setzt allerdings voraus, dass die fraglichen Handlungen unerlaubt im Sinne von Art. 41 OR, mithin widerrechtlich oder zumindest sittenwidrig (Art. 41 Abs. 2 OR) sind ( ), und dass die Personen, von denen die Handlungen ausgegangen sind, sowohl als Organe der Muttergesellschaft als auch als Organe der Tochtergesellschaft gehandelt haben (...) ; Hervorhebungen hinzugefügt. 22

Konzernspezifisches BGer 4A_306/2009: E. 5.1.: Der Geschäftspartner einer Tochtergesellschaft hat deren Kreditwürdigkeit grundsätzlich selbst zu beurteilen und kann das Bonitätsrisiko nicht einfach generell auf die Muttergesellschaft abwälzen. Die Muttergesellschaft hat nicht unbesehen für den Erfolg des Tochterunternehmens einzustehen und haftet bei dessen Scheitern den Geschäftspartnern nicht ohne weiteres für allfälligen Schaden, der ihnen aus dem Misserfolg erwächst. ( ) Das blosse Bestehen einer Konzernverbindung vermag somit keine Grundlage für eine Vertrauenshaftung abzugeben. Schutzwürdiges Vertrauen setzt ein Verhalten der Muttergesellschaft voraus, das geeignet ist, hinreichend konkrete und bestimmte Erwartungen zu wecken ; Hervorhebungen hinzugefügt. E. 7.1.1: Eine Haftung der Muttergesellschaft als faktisches Organ nach Art. 754 OR kann unter den dargestellten Voraussetzungen insbesondere eintreten, wenn die Organe der Tochtergesellschaft gleichzeitig Organe der Muttergesellschaft, mithin Doppelorgane, sind und sich in der Eigenschaft als Organ der Muttergesellschaft in die Verwaltung und Geschäftsführung der Tochtergesellschaft einmischen und dieser dabei einen Schaden verursachen. In diesem Fall, d. h., wenn ein Organ der Muttergesellschaft von dieser als Organ in die Tochter-gesellschaft eingesetzt bzw. entsandt wird, haftet sie überdies nach Art. 722 OR für dessen rechtswidriges Handeln als Organ der Muttergesellschaft ( ). 23

Konzernspezifisches c) Besonderheiten Bemessungsgrundlagen: Einzelbetrachtung v. Gesamtbetrachtung? Compliance-Programme: aktuelle Kartellgesetz-Revision = Lex Schindler Prozessuale Aspekte: Beweiserleichterung(en) = ev. Beweislastumkehr? Rechtsvergleichung zur Konzernhaftung z.b. Europäische Union (EU) = Fall Schindler 24

Schlussbemerkungen 1. Konzernhaftung de lege lata Es gibt heute (noch) keine konzernrechtlichen Haftungsautomatismen in der Schweiz, d.h. die Obergesellschaft haftet nicht unbesehen für Untergesellschaften. Haftungen ex lege sind äussert selten. Die Anforderungen in der Praxis erweisen sich als streng (jüngst: UBS ). 2. Allgemeine Haftungsgrundlagen Im Vordergrund stehen deliktische Forderungen (selten) sowie vertragliche Ansprüche (v.a. Besicherungen von externen Konzernfinanzierungen Bürgschaften + Garantien). 3. Konzernvertrauen Neue Rechtsfigur im schweizerische Haftungsrecht, die bei der Vertrauenshaftung aufgehängt wird in Wirtschaftsrealität äusserst selten. Fragen: Liegt überhaupt ein Konzernvertrauen i.c. vor? Wird dieses Konzervertrauen i.c. enttäuscht? Bei Profis gilt ohne Vertrag: selber schuld 4. Konzernhaftung de lege ferenda Heute keine (offiziellen) rechtspolitischen Bemühungen Zukunft der Petition Allianz ohne Grenzen erscheint unsicher; Regelung prozessualer Aspekte erscheint sinnvoll. 25

Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit..! Peter V. Kunz Universität Bern Institut für Wirtschaftsrecht Schanzeneckstrasse 1 CH-3001 Bern Tel.: 031 / 631 55 88 kunz@iwr.unibe.ch www.iwr.unibe.ch 26