Forschungsnotiz Peter Ittermann, Jörg Abel Gratwanderung zwischen Tradition und Innovation Reifeprüfung der New Economy *



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Industrielle Beziehungen, 9. Jg., Heft 4, 2002 463 Forschungsnotiz Peter Ittermann, Jörg Abel Gratwanderung zwischen Tradition und Innovation Reifeprüfung der New Economy * Krise und Marktturbulenzen kennzeichnen derzeit das einstige Wirtschaftswunder New Economy. Der Neue Markt Aktienindex (Nemax) ist auf rund 0 Punkte abgestürzt und notiert im Sommer 2002 noch rund 270 Unternehmen (2001: 3). Insolvenzen, Firmenpleiten und finanzielle Einbußen der Gründer, Investoren, Anleger und Mitarbeiter bestimmen das aktuelle Tagesgeschehen. Interessenkonflikte zwischen Managern und Beschäftigten sowie Auseinandersetzungen um Arbeitsbedingungen und Kündigungen trüben das Familienidyll der New Economy. Gleichzeitig sind aus jungen Turnschuhbetrieben solide Mittelstandsunternehmen geworden, die auf Bewährtes aus der Old Economy zurückgreifen. Hierbei gewinnt auch das Thema Mitbestimmung an Bedeutung. Wer jedoch meint, Betriebsräte und Gewerkschaften finden quasi im Selbstlauf ihren Weg in die Neue Wirtschaft, der verkennt die Praxis und die Bedürfnisse der Beschäftigten. Dies legt eine schriftliche Befragung im Nemax notierter Unternehmen nahe, die im Sommer 2002 vom Lehrstuhl Organisationssoziologie und Mitbestimmungsforschung an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) durchgeführt wurde. Der Lehrstuhl Organisationssoziologie und Mitbestimmungsforschung an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) unter der Leitung von Prof. Dr. Ludger Pries befasst sich in mehreren Projekten mit den Arbeitsbedingungen und Formen der Interessenregulierung in der alten und der neuen Wirtschaft. Für die Kurzstudie Arbeiten in Unternehmen des Neuen Marktes wurden im Sommer 2002 alle im Nemax der Deutschen Börse notierten Unternehmen angeschrieben. Durch eine schriftliche Befragung sollte untersucht werden, wie in den Unternehmen des Neuen Marktes gearbeitet wird, wie Arbeitsbedingungen zwischen Management und Beschäftigten ausgehandelt werden und welche Beteiligungsmodelle praktiziert werden. 1 Den 277 Unternehmen wurde die Möglichkeit gegeben, den Fragebogen postalisch oder online im Internet zu beantworten. Bis Ende August machten Unternehmen von diesen bei- * 1 Dem Projektteam am Lehrstuhl Organisationssoziologie und Mitbestimmungsforschung gehörten neben den Autoren noch Prof. Dr. Ludger Pries, Lena Hilkermeier und Claudia Niewerth an (Korrespondenzanschrift: Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Sozialwissenschaft, Lehrstuhl Organisationssoziologie und Mitbestimmungsforschung, 44780 Bochum; vgl. http://www.ruhr-uni-bochum.de/soaps). Im Oktober 2002 hat die Deutschen Börse die Auflösung des Nemax für das Jahr 2003 beschlossen. Die damit verbundene Bereinigung des Segments ändert jedoch nichts an der auch zukünftig großen Bedeutung technologieorientierter Unternehmen und deren innovativen Arbeits- und Beteiligungsformen für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft.

464 Forschungsnotiz: Peter Ittermann, Jörg Abel: Gratwanderung zwischen Tradition und Innovation den Möglichkeiten Gebrauch (Rücklaufquote: ca. 22%). Geantwortet haben überwiegend Verantwortliche der Personalabteilung der Unternehmen. Unternehmen und Beschäftigte Die Befragung belegt, dass es sich bei den Nemax-Unternehmen in der Regel um jüngere Betriebe handelt: Ca. 53% sind seit 1990 gegründet worden, rund 33% in den achtziger Jahren und lediglich ca. 13% vor 1980. Die Mehrheit der Unternehmen, die an der Befragung teilgenommen haben, hat ihren Hauptsitz im süddeutschen Raum, ein weiterer regionaler Schwerpunkt ist Hamburg. Die durchschnittliche Mitarbeiterzahl liegt bei ca. 350 Personen, die Mehrzahl der Unternehmen weist 200 bis 500 Mitarbeiter aus. Die Unternehmen, die geantwortet haben, bilden hinsichtlich ihrer Verteilung auf die Segmente des Neuen Marktes die Grundgesamtheit aller Nemax-Unternehmen recht gut ab. Abb. 1: Verbandsmitgliedschaften und Tarifbindung Mitglied im Arbeitgeberoder Wirtschaftsverband 18 nein ja 70 Tarifbindung der Unternehmen 7 93 0 10 20 30 50 70 80 90 100 Überbetriebliche Erwerbsregulierung (durch Tarifverträge) ist trotz Krise und bitterer Erfahrungen in der New Economy bislang kaum zu den Nemax-Unternehmen vorgedrungen. Nur ca. 19% der Unternehmen sind Mitglied in einem Arbeitgeberoder Wirtschaftsverband und lediglich 7% sind tarifgebunden. Bei den Beschäftigten zeigt sich ein ähnliches Bild: Nur in wenigen Betrieben sind die vor-wiegend jungen (25-35 Jahre) und akademisch vorgebildeten Angestellten in einem Berufsverband oder einer Gewerkschaft (hier: ver.di oder IG Metall) organisiert.

Industrielle Beziehungen, 9. Jg., Heft 4, 2002 465 Personalmanagement und Arbeitsbedingungen Die High-Tech-Firmen versuchen auf der einen Seite, ihre Errungenschaften von moderner Arbeit und flexibler Organisation zu verteidigen. Auf der anderen Seite drängt sich jedoch alt Bewährtes und lange Bekanntes in den Arbeitsalltag der Firmen des Neuen Marktes. Die Gratwanderung der New Economy zwischen Tradition und Innovation zeigt sich deutlich bei der Regelung von Arbeitsbedingungen und Interessenkonflikten zwischen Management und Beschäftigten. Moderne Instrumente der Personalführung und der Arbeitsorganisation haben in der New Economy weiterhin Konjunktur: Mitarbeiter- und Zielvereinbarungsgespräche (97%), Anreizsysteme (80%) und Projekt-Arbeitsgruppen (78%) sind weit verbreitet und stärken das Bild von selbstorganisierten und teamorientierten High- Potentials. Eine systematische Karriereplanung und ausformulierte Beschwerdesysteme für die Beschäftigten Personalführungsinstrumente der Old Economy sind jedoch von untergeordneter Bedeutung. Abb. 2: Personalführung und Arbeitsorganisation 100 80 97 80 78 38 28 20 0 Zielvereinbarungsgespräche Anreizsysteme Projekt- Arbeitsgruppen Mitarbeiterbeschwerdesystem Karriereplanung Hingegen sind die traditionellen Felder der Arbeitsregulation der Old Economy (Qualifizierung, Arbeitszeit und Entgelt) auch die zentralen in den Unternehmen der Neuen Wirtschaft. Das für die Erstellung hoch technologischer Produkte und Dienstleistungen notwendige Wissen der Beschäftigten muss permanent aktualisiert werden (Abb. 3). Die Unternehmen tragen dem Rechnung: In immerhin 66% der Betriebe nehmen die Beschäftigten regelmäßig an Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen teil. Fachliche Weiterbildung, Führungs- und Mitarbeiterschulung sowie Sprachkurse stehen inhaltlich im Vordergrund. Angesichts des schnellen Wissensumschlags in den Seg-

466 Forschungsnotiz: Peter Ittermann, Jörg Abel: Gratwanderung zwischen Tradition und Innovation menten des Nemax ist der Anteil von immerhin 30% der Unternehmen, in denen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sich nicht regelmäßig weiterbilden können oder wollen, erstaunlich hoch. Abb. 3: Teilnahme der Beschäftigten an Qualifizierungsmaßnahmen nein 30% weiß nicht 2% k. A. 2% ja 66% Die vielfach kolportierten Berichte über grenzenlose Arbeitszeiten in der New Economy kann die Erhebung nicht bestätigen. Erkennbar ist zum einen, dass die Unternehmen auf eine Vielfalt unterschiedlicher Arbeitszeitmodelle setzen. Neben festen Arbeitszeiten (25%) sind insbesondere Gleitzeitmodelle (%), individuelle Zeiteinteilung (32%) und vereinbarte Wochenarbeitszeit (30%) dominierend. Zum anderen wird insbesondere erkennbar an den Gleitzeitmodellen und den Möglichkeiten individueller Arbeitszeitplanung die Notwendigkeit einer hohen Flexibilisierung der Arbeitszeit deutlich. Dies entspricht dem Erfordernis von Projekt-Arbeitsgruppen, die unter Termindruck Aufträge pünktlich abarbeiten müssen. Unsere Befragung gibt keine Aufschlüsse über die tatsächlich geleisteten Arbeitsvolumina. Die Wahrnehmung von überlangen Arbeitszeiten in der Neuen Wirtschaft kann somit weder bestätigt noch widerlegt werden. Abb. 4: Arbeitszeitregelungen (Mehrfachnennungen) 100 80 20 25 30 32 17 2 0 Feste Arbeitszeiten Gleitzeit mit Kernarbeitszeit Vereinbarte Wochenarbeitszeit Vereinbarte Jahresarbeitszeit Individuelle Zeiteinteilung Sonstige

Industrielle Beziehungen, 9. Jg., Heft 4, 2002 467 Die Entgeltregelungen in der Neuen Wirtschaft bestätigen die geringe Bedeutung von Tarifverträgen in den Nemax-Unternehmen. Ganze 2% unterliegen einem Haus- oder Flächentarifvertrag. Überwiegend wird deshalb auf ein individuell zwischen Unternehmen und dem einzelnen Beschäftigten vereinbartes Entgelt gesetzt. Hierbei sind Einkommensregelungen, die variable Entgeltbestandteile beinhalten, dominierend (47%). Die Höhe des variablen Anteils kann bis zu 50% des Gesamtentgeltes betragen; mehrheitlich bewegt sie sich um etwa 20%. Zu einem ähnlich hohen Prozentsatz wie Verträge mit variablen Entgeltbestandteilen finden sich jedoch auch Arbeitsverträge, in denen ein festes Gehalt vereinbart ist (43%). Hieran zeigt sich, dass die Vermutung, dass eine leistungsorientierte Bezahlung in der New Economy überdurchschnittlich weit verbreitet ist, relativiert werden muss. Dies mag mit dem Befragungszeitpunkt zusammenhängen: Angesichts der massiven Krise hegen die Beschäftigten ein geringeres Interesse an variablen Entgeltbestandteilen. Abb. 5: Entgeltregelungen 100 80 43 47 20 2 7 2 0 fest vereinbartes Gehalt Grund- oder Mindestgehalt mit variablen Bestandteilen Haus- oder Flächentarif Andere k. A. Partizipation und Mitbestimmung Der Eindruck moderner und innovativer Betriebe der New Economy wird durch die in den Nemax-Unternehmen vorherrschenden Kommunikationsformen bestätigt. So beharren die Dot.Coms auf ihren Errungenschaften von flachen Hierarchien, offener Informationspolitik und weit gehender Einbeziehung der Beschäftigten. Meetings und Gruppensitzungen (92%), Open-Door-Politik (82%) und der Informationsaustausch via PC (90%) sind die dominanten Kommunikationsformen. Letzteres konzentriert sich dabei auf den Aufbau von Intranet-Strukturen und E-Mail-Verkehr. Die

468 Forschungsnotiz: Peter Ittermann, Jörg Abel: Gratwanderung zwischen Tradition und Innovation viel gepriesenen elektronischen Foren ( chatrooms ) spielen in der unternehmensinternen Kommunikation keine Rolle. Face-to-Face-Kommunikation und direkte Partizipation zeugen von ausgeprägtem Individualcharakter und von Selbstbestimmung der Beschäftigten. Doch mit wachsender Größe und Reife der Unternehmen gewinnt auch alt Bewährtes aus der traditionellen Wirtschaft (Hierarchien, Organisation, Abteilungen) an Bedeutung. Zudem hinterlässt die aktuelle Krise der New Economy ihre Spuren: Die ein oder andere Tür bleibt geschlossen und die Zeiten des Wir-sind-alle-eine-Familie -Leitbildes scheinen gezählt. In Folge des Einbruchs der Aktienkurse und den Pleiten von Nemax-Unternehmen werden in den High-Tech-Betrieben auch die Themen Entlassung von Mitarbeitern, Einkommenssicherung und geregelte Arbeitszeiten diskutiert. Abb. 6: Komunikationsformen 92 90 82 63 37 8 0 20 80 100 Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, wenn Probleme der Mitarbeiter, Kündigungen und die Regelung von Einkommen und Arbeitszeit derzeit ganz oben auf der Agenda der Tätigkeiten der Mitarbeitervertretungen stehen. Die Gestaltung von Arbeitsverträgen und Arbeitsinhalten und die Wahl von Arbeitsorten hingegen sind als Themen der Interessenvertretungsarbeit kaum von Bedeutung. Hier dominieren individuelle Aushandlungen zwischen Management und Beschäftigten (Abb. 7). Gilt die New Economy bislang als so genannte mitbestimmungsfreie Zone, so muss aufgrund der Befragungsergebnisse dieses Bild differenziert und teilweise revidiert werden: Neben den Unternehmen, die überwiegend Selbstvertretungsmodelle der Beschäftigten praktizieren, sind kollektive Formen der Interessenvertretung weit

Industrielle Beziehungen, 9. Jg., Heft 4, 2002 469 verbreitet. Bemerkenswert ist die durchaus beachtliche Zahl von Betriebsräten (rund %) in den Unternehmen des Neuen Marktes. Und nicht wenige Betriebsräte wurden 2002 zum ersten Mal gewählt. Abb. 7: Zentrale Themen der Mitarbeitervertretung (Mehrfachnennungen) Individ.Probleme 43 38 Arbeitszeit 37 35 Qualifizierung 33 32 Schlichtung 27 22 Leistungsrichtlinien 13 12 Datenschutz 10 7 Arbeitsverträge 7 0 20 80 100 Abb. 8: Formen der Mitarbeitervertretung (Mehrfachnennungen) 100 90 80 70 50 35 30 20 10 8 18 10 17 0 Betriebsrat Round table u.a. Coach u.a. Sonstige Selbstvertretung k. A.

470 Forschungsnotiz: Peter Ittermann, Jörg Abel: Gratwanderung zwischen Tradition und Innovation Doch auch alternative Formen der Mitarbeitervertretung (36%) haben sich etabliert: kollektive Organe wie Round Tables oder persönliche Interessenvertreter wie Vertrauensräte oder Coaches ergänzen oder ersetzen die Selbstvertretungsmodelle in der New Economy. Fazit Das Bild der Unternehmen der Neuen Wirtschaft hat sich gewandelt: Wurde in den neunziger Jahren noch von Softwarebuden, Garagenfirmen und Start ups gesprochen, ist mit dem Größenwachstum der Unternehmen eine Professionalisierung einher gegangen. Die vormals eher anarchischen Formen von Arbeit und Organisationen weichen Bewährtem (Aufbauorganisation, Hierarchie, Mitbestimmung). Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass sich die Nemax-Unternehmen den traditionellen Strukturen der Old Economy (zwangsläufig) anpassen. Vielmehr versuchen sie, auf ihren innovativen Wurzeln aufzubauen und ihre ausgeprägte Kommunikationsund Beteiligungsorientierung zu stärken. Die Bewältigung der Gratwanderung zwischen Tradition und Innovation scheint vor dem Hintergrund der derzeit turbulenten Marktanforderungen und den Notwendigkeiten einer flexiblen Leistungserstellung aus unserer Sicht ein erfolgversprechender Weg zur Stabilisierung von Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung zu sein. Der Anteil von Unternehmen mit Betriebsrat in der New Economy ist nicht geringer als in der Gesamtwirtschaft, wenngleich bei den mittleren und großen Unternehmen durchaus noch Nachholbedarf besteht. Kollektive Regelungen sind für die Unternehmen kostensenkend und gewährleisten den Rahmen einer abgesicherten Interessenvertretung der Beschäftigten. Die Mitbestimmung unterstützt die Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Markt- und Beschäftigungsbedingungen. Die E- tablierung der bewährten Muster betrieblicher Arbeitnehmerbeteiligung aber auch deren innovativen, stärker auf Selbstvertretung beruhenden Alternativen und Ergänzungen in der New Economy zu fördern, sollte eine vorrangige Aufgabe der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sein sofern es ihnen gelingt, die hoch qualifizierten Beschäftigten bzw. die High Tech-Unternehmen zu organisieren. Einschränkend sei abschließend angemerkt, dass die Ergebnisse unserer Befragung als repräsentativ für die Gesamtheit der Unternehmen des Neuen Marktes (Nemax) angesehen werden können, aber nicht zwangsläufig ein treffendes Bild aller der New Economy zugerechneten Unternehmen zeichnen. Die Befragung wird noch weitere Erkenntnisse zu Arbeitsbedingungen und Partizipationspraxis (u.a. zur Betriebsratswahl 2002) in den Nemax-Unternehmen liefern. Ausführliche Auswertungen der Befragungsergebnisse sollen tiefer gehende Einsichten in die Formen der Erwerbsregulierung in der New Economy geben.