Abbildung 136: Auftragserlös mit internem Kunden 3.16 KANBAN-Steuerung Fat Production Die klassische Auftragssteuerung beruht auf dem zentralistisch geprägten Bringprinzip. Die disponierenden Instanzen (Arbeitsvorbereitung, Materialdisposition) tragen die Verantwortung für die termingerechte Bereitstellung der Ressourcen. Die Nachfrager werden bei Fehlmengen von der Verantwortung entlastet (z. B. Lohnsicherung bei Materialmangel). Informationen und Güterflüsse laufen im Gleichstromprinzip. Typisch für das Bringprinzip sind dabei Diskrepanzen zwischen Informations- und Güterfluss. Sie führen regelmäßig zu einer Bestandsanhäufung im Lagerwesen und in der Produktion (Fat Production). Kennzeichnend sind große Warteschlangen vor den Engpassmaschinen, hohe Zwischenlagerbestände und Vorliegezeiten, was wiederum die Durchlaufzeiten der Aufträge verlängert. Die Durchlaufzeit selbst ist auslastungssensibel: Bei hoher Nachfrage steigt sie an, bei rückläufiger Konjunktur ist dagegen aufgrund des verständlichen Bestrebens der Prozessagenten, Unterbeschäftigung zu kaschieren, mit einer Durchlaufzeitremanenz zu rechnen. Zur Vermeidung unwirtschaftlicher Bestandsbildungen ist deshalb ein Bedarfsanstoß durch die Nachfrage der am Ende der Wertschöpfungskette stehenden Instanzen (Holprinzip) angezeigt. Informations- und Güterfluss laufen dann im Gegenstromprinzip. Entsprechend der üblicherweise eingesetzten Anforderungskarten ist das Verfahren unter dem Begriff KANBAN- Steuerung bekannt geworden. Die Kennzeichen des von Toyota entwickelten Systems: der Verbraucher (z. B. Montage) fordert das Material durch einen leeren KANBAN-Behälter und entsprechendem KAN- BAN (Karte mit Teilenummer, Stückzahl, Quelle und Senke) bei der vorgelagerten Prozessstufe in der Wertschöpfungskette an. 152
3.16 KANBAN-Steuerung Kanban- Regeln Regelkreis der leere Behälter wird von der Vorstufe (Quelle = Materialversorger) als Auftrag zur Bereitstellung bzw. Fertigung der angeforderten Menge interpretiert, anschließend als voller Behälter mit KANBAN bereitgestellt. leere bzw. volle Behälter werden vom Transportwesen als Transportauftrag zwischen Senke und Quelle bzw. umgekehrt interpretiert. Vor dem Verbraucher ist ein Produktionsversorgungsbereich (Zwischenlager) einzurichten. Bei der Auslösung einer Bedarfsanforderung wird stringent darauf geachtet, dass nur angefordert wird, was auch benötigt wird. Vorratsanforderungen sind nicht erlaubt. Im Zweifelsfall werden eher Leerzeiten und Leerkosten in Kauf genommen, als auf Vorrat zu fertigen. Die Bestandssteuerung im System erfolgt durch Variation der im System umlaufenden Behälter. In einer Einlaufphase wird die Zahl der Behälter sukzessiv verringert, bis ein optimaler Zustand erreicht wird. Zu beachten ist, dass bei zurückgehender Behälterzahl der Aufwand für den Transport steigt: Bei geringer Behälterzahl muss das Transportwesen angeforderte Behälter umgehend transportieren, um ein Abreißen der KANBAN-Strecke zu vermeiden. Das wirtschaftliche Optimum liegt somit nicht bei der geringstmöglichen Behälterzahl. Verbraucher und Lieferant bilden einen Regelkreis. Der Informationsfluss erfolgt bei diesem manuellen Verfahren durch den sichtbaren Zustand der Behälter (leer, voll) und durch Karten (Artikel, Menge, Quelle, Senke) (Abbildung 137). Abbildung 137: Manuelles Kanban 153
elektronisches Kanban Beim elektronischen Kanban erfolgt die Anforderung des Nachfragers durch eine Kanban-Tafel im SAP ERP, dargestellt am Beispiel der Belieferung des FFS mit den Schrauben M4713/00 (Abbildung 138). Abbildung 138: Elektronisches KANBAN, PVB=Produktionsversorgungs-bereich, Kanban-Tafel stilisiert In der Kanban-Tafel wird der Informationsgehalt der Karten im ERP-System gespeichert. Der Behälterstatus (leer, voll) wird in einer KANBAN-Tafel dargestellt. Diese ist sowohl der Quelle (dem Lieferanten des angeforderten Materials) als auch der Senke (dem anfordernden Verbraucher) zugänglich. Daneben kann noch der Status in Arbeit (Quelle füllt den Behälter) und in Gebrauch (Verbraucher leert den Behälter) unterschieden werden (Abbildung 139). 154
3.16 KANBAN-Steuerung Status Bedeutung Ausgelöste Aktion voll Quelle hat Teile produziert(bde) leer Verbraucher fordert an, Aufforderung an Lieferant, zu liefern In Arbeit Quelle produziert gerade In Gebrauch Verbraucher verarbeitet Material wartet Verbraucher benötigt z.zt. kein Material (z. B. Maschinenstörung) Transport Voller Behälter geht zum Verbraucher Abbildung 139: Stati der Behälter (Quelle SAP) z. B. Teilezugang beim Verbraucher gebucht z. B. Fertigungsauftrag an Quelle wird freigegeben Der Behälterstatus kann in der Tafel oder alternativ mit Barcodelesern erfasst werden (Abbildung 140). Abbildung 140: Behälterzustand 155
Für jeden mit Kanban zu beliefernden Arbeitsplatzbereich ist zunächst ein Produktionsversorgungsbereich einzurichten (Abbildungen 141 und 142). Abbildung 141: Verwalten Produktionsversorgungsbereich Abbildung 142: Einrichten Produktionsversorgungsbereich Es folgt die Einrichtung des Kanban-Regelkreises für jedes mit diesem Prinzip zu steuernde Material (Abbildung 143). Hier ist u. a. die Anzahl der im Regelkreis befindlichen Kanbans (Behälter) festzulegen. 156
3.16 KANBAN-Steuerung Abbildung 143: Regelkreis einrichten Zentrales Steuerelement des elektronischen Kanban-Systems in SAP ERP ist die Kanbantafel. Sie steht sowohl den Verbrauchern (fordern Material an) als auch den Materialquellen (liefern Material) synchron zur Verfügung (Abbildung 144). Abbildung 144: Aufruf Kanbantafel Der Ablauf am Beispiel der Materialversorgung des FFS mit Augenschrauben: Der Verbraucher fordert das Material M4713/00 157
an, indem er die virtuellen Behältersymbole markiert und auf leer setzt (Abbildung 145) Abbildung 145: Start der Kanbantafel durch Anfordern Material (Behältersymbole dunkel) Die Quelle (hier das Lager) ruft die Quellentafel auf und erkennt daraus den Bedarf. Es folgt das physische Auffüllen der Behälter und die Veränderung des Behälterstatus auf in Transport (Abbildung 146). Abbildung 146: Kanbantafel, 5 Behälter gefüllt und in Transport (helle Symbole) Die Tafel signalisiert dem Verbraucher, dass eine Sendung auf dem Weg ist. Bei Eintreffen werden die Behältersymbole von ihm auf voll gesetzt (Abbildung 147) Abbildung 147: Ankommende Behälter auf voll (grau) gesetzt Bei länger andauerndem Füllvorgang ist bei der Quelle ein zusätzlicher Status in Arbeit sinnvoll. Ferner ist bei Ankunft der 158
3.16 KANBAN-Steuerung Behälter nach dem Status voll zusätzlich in Gebrauch denkbar. Die Statusfolge ist im Customizing einstellbar. Werkzeug- Kanban Ein zusätzlicher Anwendungsbereich eröffnet sich in der Versorgung mit Werkzeugen, CNC-Programmen usw. Ein solches Beispiel für die Werkzeugbelieferung des FFS zeigt Abbildung 148. Vorteile Kanban Eignung auch für Kleinserien Abbildung 148: Werkzeug-Kanban Die Hauptvorteile des KANBAN-Prinzips sind in der Verringerung der im Produktionssystem befindlichen Bestände und der Auftragsdurchlaufzeiten zu sehen. Daneben ist durch die Übernahme der Materialverantwortung durch die Fertigungsstellen ein Motivationseffekt im Sinne des job enrichment zu erwarten. Das KANBAN-System wird üblicherweise mit einer darauf abgestimmten Behälterorganisation betrieben. Nicht zuletzt aufgrund der relativ aufwendigen Einfahrphase und der Notwendigkeit einer einheitlichen Karten- und Behälterorganisation ist der Hauptanwendungsfall des manuellen KANBAN- Systems in der Fertigung mittlerer und größerer Serien zu sehen. Elektronisches KANBAN ermöglicht die wirtschaftliche Anwendung des Systems auch bei einer größeren Teilevarianz, somit auch bei Kleinserienfertigung. Da diese Bedingungen bei der Fertigung auf flexiblen Fertigungssystemen üblicherweise erfüllt sind, kann auf eine KANBAN-Eignung bei FFS geschlossen werden. In der Praxis liegen zahlreiche Anwendungen einer erfolgreichen KANBAN-Anwendung gegenüber Lieferanten und Kunden vor. Hier stellt das KANBAN-System zweifellos eine Vereinfachung der Materialversorgung bei geringen Beständen dar. Durch die Anwendung von elektronischem KANBAN lassen sich die Be- 159
BtoB- KANBAN mit Lieferanten darfsimpulse schneller beim Lieferanten (Quelle) platzieren als bei manueller Steuerung. Die KANBAN-Philosophie wird zunehmend auch als BtoB- KANBAN gegenüber Lieferanten realisiert (Abbildung 149): Nach Autorisierung erhält der Lieferant über das Internet Zugang zum SAP ERP-System des Verbrauchers (Kunden). Letzterer verwaltet die KANBAN-Tafel. Der Lieferant kann so die Verbrauchssituation beim Kunden erkennen und sofort die Nachlieferung veranlassen, verbunden mit der Eingabe seiner Aktionen (vgl. Hantusch/Matzke/Prez, 1997, 132f). Abbildung 149: BtoB-KANBAN 3.17 ERP und Supply Chain Management Beim Einsatz von SCM-Software zusammen mit unternehmensinternen ERP-Systemen hat eine Funktionsabgrenzung zwischen beiden Systemen zu erfolgen. Das SAP-Programm APO für das Lieferkettenmanagement ist dem lokalen ERP-System vorgelagert mit dem Zweck einer integrierten Bedarfs- und Ressourcenplanung entlang der Lieferkette. Die in APO ermittelten Bedarfe und Ressourcen in der Lieferkette werden an das ERP-System übergeben, in dem dann die operative, unternehmensinterne Auftragsabwicklung erfolgt. Umgekehrt gehen Informationen aus dem ERP-System an das APO-Modul zurück und lösen dort wiederum Plananpassungen aus. Die Istdaten der Auftragsabwick- 160