Motivation und Anreize in informellen Lernprozessen beim Thema Wissensmanagement HOCHSCHULE PFORZHEIM. EU-Projekt MATURE Seite 1



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Transkript:

EU-Projekt MATURE Seite 1 HOCHSCHULE PFORZHEIM Motivation und Anreize in informellen Lernprozessen beim Thema Wissensmanagement von Volker Braun, David Czech, Benjamin Fletschinger, Silke Kohler und Verena Lüber

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung... 1 1.1 Problemstellung... 1 1.2 Auftrag und Zielsetzung... 1 1.3 Aufbau... 2 2. Wissen... 3 2.1 Definition... 3 2.2 Arten von Wissen... 4 2.3 Wissen als Produktions- und Wettbewerbsfaktor... 4 3. Wissensmanagement... 5 3.1 Definition und Begriffsverständnis... 5 3.2 Anwendungsebenen des Wissensmanagements... 6 3.3 Wissensmanagement-Modelle... 6 3.4 Wissensbewertung... 10 4. Wissensreifung und informelle Lernprozesse... 12 4.1 Informelle Lernprozesse... 13 4.2 Communities of Practice... 14 5. Grundlegende Einflussfaktoren auf den Wissensaustausch... 15 5.1 Leitgedanken und Eingrenzungen... 15 5.2 Generelles Verständnis und Abhängigkeiten beim Wissensaustausch... 18 5.2.1 Modellvorstellung... 19 5.2.2 Interdependenzen der Einflussfaktoren auf den Wissensaustausch... 20 6. Theoretische Grundlagen im Kontext von Wissensaustausch... 25 6.1 Spieltheorie... 25 6.2 Machttheorie... 27

7. Barrieren des Wissensaustausches auf personeller Ebene... 28 7.1 Kognitive Perspektive... 28 7.1.1 Kognitive Barrieren beim Sender... 29 7.1.2 Kognitive Barrieren beim Empfänger... 31 7.2 Motivationale Perspektive... 32 8. Barrieren des Wissensaustausches auf struktureller Ebene... 34 8.1 Organisatorische Perspektive... 34 8.1.1 Unternehmenskultur... 34 8.1.2 Organisationsstruktur... 37 8.2 Technische Perspektive... 39 9. Barrieren des Wissensaustausches auf kooperationaler Ebene... 41 10. Anreize zur Remotivation im Wissensaustausch... 44 11. Fazit... 46 Anlagenverzeichnis...47 Quellenverzeichnis...59

EU-Projekt MATURE Seite -1-1. Einleitung In einer kleinen britischen Ortschaft waren Meisen und Rotkehlchen durch Zufall dahinter gekommen, die Aluminiumdeckel der allmorgendlich vor die Haustüren gestellten Milchflaschen aufzupicken und Milch zu ergaunern. Einmal erprobt, breitete sich dieses Verhalten in kürzester Zeit auf ganz England aus und griff bald auch auf den Kontinent über. Seltsamer Weise aber nur bei den Meisen, nicht bei den Rotkehlchen und das, obwohl Meisen einen Revierradius von 25 km kaum überschreiten. Der Grund dafür liegt im Sozialverhalten der Tiere: Während Rotkehlchen eher schweigsame Einzelgänger sind, neigen Meisen zu regem Gezwitscher in Gruppen oder, um mit unseren Worten zu sprechen Meisen neigen zum Wissensaustausch im Netzwerk! 1 Dieses Beispiel und die darin beschriebenen Verhaltensmuster aus dem Tierreich lassen sich auch auf den Umgang mit Wissen im Unternehmen übertragen. In Unternehmen müssen bestimmte Rahmenbedingungen gesetzt werden, die den Austausch von Wissen ermöglichen. 1.1 Problemstellung In Anlehnung an das obige Beispiel sind Unternehmen auf das Wissen ihrer Mitarbeiter angewiesen. Schließlich hat sich Wissen zu einem wesentlichen Wettbewerbsfaktor entwickelt. Vor allem das Wissen der Mitarbeiter ist in diesem Zusammenhang besonders wertvoll und sollte der Organisation deshalb zur Verfügung gestellt und nutzbar gemacht werden. In diesem Kontext tragen unterschiedliche Barrieren dazu bei den Erfolg des Wissenstransfers der verschiedenen betrieblichen Akteure zu stören. 1.2 Auftrag und Zielsetzung Das von der Europäischen Kommission mit 9,1 Millionen geförderte MATURE-Projekt setzt sich über einen Zeitraum von vier Jahren mit den Themen informelles und organisationales Lernen, Wissensmanagement, Geschäftsprozessmanagement sowie semantische Technologien auseinander. MATURE verfolgt mit zwölf Partnern aus fünf europäischen Ländern die folgenden Schwerpunkte: 1 Renninger o.j., S.1.

EU-Projekt MATURE Seite -2- Analyse der derzeitigen Praxis der Wissensreifung. In diesem Kontext werden die Barrieren der Wissensreifung betrachtet, insbesondere der Einfluss motivationaler und sozialer Faktoren. Persönliche Lern- und Reifungsumgebung, die dem einzelnen Mitarbeiter die Gelegenheit bieten sich auf einfache Art an dem Prozess der Wissensreifung zu beteiligen. Organisationale Lern- und Reifungsumgebung als Steuerungsinstrument der Netzwerkaktivitäten. Wieder verwendbare reifungsunterstützende Dienste. Im Rahmen des Seminars Organisationsentwicklung besteht eine Kooperation mit dem Forschungszentrum für Informatik (FZI) Karlsruhe. Dabei liegt der Fokus der vorliegenden Arbeit auf der Betrachtung des Wissensaustausches im Unternehmen und den Barrieren, die in diesem Prozess auftreten. Demzufolge ist diese Arbeit thematisch im ersten der genannten Forschungsschwerpunkte einzuordnen und verfolgt das Ziel, über die technische Betrachtungsweise hinaus, wesentliche Einflussfaktoren des Wissensaustausches umfassend zu analysieren. 1.3 Aufbau Als Ausgangspunkt der Arbeit dienen die notwendigen theoretischen Grundlagen bezüglich Wissen, Wissensmanagement, Wissensreifung und informellen Lernprozessen. Diese sollen dem Leser ein einheitliches Verständnis von Wissensmanagement vermitteln. Weiter wird im Folgenden das Grundverständnis dieser Arbeit beleuchtet, dass Mitarbeiter von sich aus motiviert sind. Dieses Verständnis von Motivation zum Austausch von Wissen gilt als grundlegend für die weitere Vorgehensweise. Darauf aufbauend wird ein für diese Arbeit entwickeltes Modell vorgestellt, welches zur Erklärung der Ursachen für Barrieren im Wissensaustauschprozess beitragen soll. Hierbei werden die Einflussfaktoren Verhalten, Barrieren und theoretische Hintergründe beschrieben. Störungen innerhalb und zwischen diesen Einflussfaktoren können zu personellen, strukturellen und kooperationalen Barrieren führen, welche im weiteren Verlauf der Arbeit genauer beschrieben werden. Durch eine Betrachtung

EU-Projekt MATURE Seite -3- ausgewählter Anreize, die bei der Überwindung der Barrieren im Wissensaustausch unterstützen können, wird diese Arbeit abgerundet. 2. Wissen Jeder Einzelne kann nicht alles wissen, aber alle zusammen verfügen über das gesamte Wissen. Wissen wir etwas nicht, dann fällt uns meist jemand ein, der bescheid weiß bzw. bescheid wissen müsste. 2 Für Unternehmen ist es daher von entscheidender Bedeutung Wissen als Erfolgsfaktor zu identifizieren und zu fördern. Dazu ist es wichtig, zu definieren, was generell unter dem Begriff Wissen zu verstehen ist und welche Formen des Wissens bestehen. 2.1 Definition Bevor man Wissen überhaupt managen kann, muss verstanden werden, was Wissen überhaupt ist. Dazu müssen zunächst die Begriffsinhalte Zeichen, Daten, Information und Wissen differenziert werden. Da diese eng miteinander verzahnt sind werden sie im Unternehmensalltag nicht strikt voneinander getrennt sondern vielmehr einer Begriffshierarchie unterworfen. Abbildung 1: Begriffshierarchie Quelle: Bodendorf, 2006, S.1 Im Gegensatz zu Brücher 3, der Information und Wissen synonym betrachtet, bildet Information gemäß Abbildung 1 die Basis für Wissen. 4 2 Kühner/König 2005, S.18. 3 Vgl. Brücher 2004, S.9. 4 Vgl. Bodendorf 2005, S.1

EU-Projekt MATURE Seite -4- Die Basis des Wissens bilden Zeichen. Unter Berücksichtigung definierter Syntaxregeln können daraus Daten gebildet werden. Wird diesen Daten eine Bedeutung zugesprochen, entwickeln sich dadurch konkrete Informationen. 5 Durch eine anschließende Bündelung, entsteht Wissen welches zur finalen Aktion bzw. Entscheidung führt. 6 Eine ausführliche Grafik zu dem genauen Aufbau und Zusammenhang geht aus Anlage 1 hervor. 2.2 Arten von Wissen Wissen kann in verschiedenen Arten vorliegen. Dabei können drei verschiedene Begriffspaare unterschieden werden: explizit implizit, extern intern und individuell kollektiv. Ist Wissen an Personen gebunden, so handelt es sich um individuelles Wissen. Gleichzeitig ist Wissen, welches sich an Prozessen, Praktiken und Normen von Organisationseinheiten oder Arbeitsgruppen orientiert, kollektiv. In diesem Zusammenhang ist auch häufig von organisationalem Wissen die Rede. 7 Das Fundament des Wissens bildet das implizite Wissen. Diese Wissensart zeichnet sich dadurch aus, dass das Wissen an das Individuum gebunden und daher häufig unbewusst und intuitiv wahrgenommen wird. Zudem ist es schwer formalisierbar. 8 Dagegen kann das explizite Wissen schriftlich niedergelegt werden. Es ist daher häufig als Sachwissen in Büchern oder innerhalb von Organisationen, als Verfahrensanweisungen, Organisations- und Qualitätshandbüchern oder Vorschriften, festgehalten. 9 Darüber hinaus kann Wissen intern, zum Beispiel bei Mitarbeitern und Experten, oder extern, zum Beispiel bei Kooperationsunternehmen oder Beratern, vorhanden sein. 10 2.3 Wissen als Produktions- und Wettbewerbsfaktor Wissen wird in der heutigen Zeit zunehmend als vierter dispositiver Produktionsfaktor neben den klassischen Faktoren Arbeit, Werkstoffe und Betriebsmittel gesehen. Ihm obliegt die 5 Vgl. Bodendorf 2005, S.1. 6 Vgl. Kühner/König 2005, S. 20. 7 Vgl. Mittelmann 2004. 8 Vgl. Wysussek 2004, S. 29. 9 Vgl. North 1998, S. 51; Vgl.. Kreidenweis/Steincke 2006, S. 25. 10 Vgl. Mittelmann 2004.

EU-Projekt MATURE Seite -5- Aufgabe eine zielgesteuerte Kombination der klassischen Produktionsfaktoren im betrieblichen Leistungserstellungsprozess zu gewährleisten. Dabei müssen durch Wissen, die über das gesamte betriebswirtschaftliche Geschehen entstandenen Informationen, sinnvoll miteinander vernetzt werden. Es handelt sich daher um eine planende, orientierende und koordinierende Tätigkeit. 11 Unternehmen können jedoch durch den gezielten Einsatz der Ressource Wissen Vorteile erlangen. Wissen stellt daher nicht nur einen Produktionsfaktor dar, sondern bietet dem Unternehmen die Möglichkeit Wettbewerbsvorteile zu generieren. 12 Wissen über Kunden ermöglicht es dem Unternehmen, die Bedürfnisse der Kunden zu erkennen und die langfristige Bindung zu erhöhen. Zudem kann durch Wissen über Wettbewerber das eigene Unternehmen strategisch besser positioniert werden. Deshalb sollte Wissen eher als Wettbewerbsfaktor, anstatt als Produktionsfaktor gesehen werden. Um Wissen als Wettbewerbsfaktor nutzen zu können, muss diese Ressource gezielt eingesetzt und gefördert werden. Bei diesem gezielten Umgang mit Wissen spricht man von Wissensmanagement. 13 3. Wissensmanagement Während das Management klassischer Produktionsfaktoren ausgereizt zu sein scheint, hat das Management von Wissen seine Zukunft noch vor sich. 14 In den vergangenen Jahren scheint Wissensmanagement, aufgrund der Verschärfung des Wettbewerbs, ein unverzichtbarer und überlebensnotwendiger Bestandteil eines jeden Managementkonzepts geworden zu sein. 15 3.1 Definition und Begriffsverständnis In der Literatur gibt es kein einheitliches Begriffsverständnis von Wissensmanagement. Es gibt zwar viele Definitionen, aber keine, die alle Facetten der Thematik erfasst. Das Europäische Institut für Normung definiert Wissensmanagement als planned and ongoing man- 11 Vgl. Rebhäuser o.j., S. 10. 12 Vgl. North 1998, S. 64 13 Vgl. North 1998, S. 2. 14 Probst et al. 2003, S.1. 15 Vgl. Howaldt et al. 2005, S.8.

EU-Projekt MATURE Seite -6- agement of activities and processes for leveraging knowledge to enhance competitiveness through better use and creation of individual and collective knowledge resources. 16 Für Probst et al. ist Wissensmanagement ein integriertes Interventionskonzept, das der Gestaltung der organisationalen Wissensbasis dient. 17 Bei Wissensmanagement geht es somit primär nicht um die Wissensinhalte. Vielmehr geht es darum, den Umgang von Individuen und Organisationen mit allen Arten von Wissen effektiver und effizienter zu gestalten. 18 3.2 Anwendungsebenen des Wissensmanagements Im Wissensmanagement muss zwischen verschiedenen Anwendungsebenen unterschieden werden. Wissensmanagement findet sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene statt. Durch organisationales Wissensmanagement soll der Einsatz des Wettbewerbsfaktors Wissen in der gesamten Organisation optimal gestaltet werden. Dabei liegt in der Regel der Schwerpunkt auf den zentralen Wertschöpfungsprozessen, welche einen großen Einfluss auf die Qualität und die Nachhaltigkeit der Arbeitsergebnisse haben. Die Einführung von Wissensmanagement auf dieser Ebene ist eng mit dem Einsatz von Informationstechnologie verknüpft. 19 Individuelles Wissensmanagement konzentriert sich auf das konkrete Handeln eines einzelnen Mitarbeiters in einer bestimmten Arbeitssituation. Hierbei steht die Frage im Mittelpunkt, welches Wissen für den einzelnen Mitarbeiter notwendig ist um die Ziele zu erreichen und wie die damit verbundenen Prozesse organisiert werden sollen. Der Schwerpunkt liegt also auf der persönlichen Arbeitsorganisation. 20 3.3 Wissensmanagement-Modelle In der Praxis gibt es viele Wissensmanagement-Modelle, jedoch konnten sich nur wenige davon durchsetzen. In diesem Kapitel wird auf zwei Modelle eingegangen, die breite Zustimmung gefunden haben das Modell von Probst et al. und das Münchener Modell. Für Probst et al. muss ein Wissensmanagementkonzept Unternehmensprobleme in Wissensprobleme übersetzen und die Auswirkungen von Entscheidungen auf Ebene der Wissensbe- 16 Europäisches Institut für Normung 2003, S.11. 17 Vgl. Probst et al. 2003, S. 36. 18 Vgl. Kreidenweis/Steincke 2006, S.30. 19 Vgl. Kreidenweis/Steincke 2005, S.30. 20 Vgl. Kreidenweis/Steincke 2005, S.30.

EU-Projekt MATURE Seite -7- stände einer Organisation beurteilen können. Außerdem soll es sich immer an konkreten Problemen orientieren, sowie ein handlungsorientiertes Analyseraster bieten und erprobte Instrumente zur Verfügung stellen. 21 Dabei sollen Pauschallösungen vermieden werden und Kriterien für die Erfolgsmessung bereitgestellt werden. Anhand dieser Annahmen identifizieren Probst et al. sechs Kernprozesse des Wissensmanagements: Wissensidentifikation, Wissenserwerb, Wissensentwicklung, Wissensverteilung, Wissensnutzung und Wissensbewahrung, die alle voneinander abhängen und somit ein ganzheitliches Wissensmanagement erfordern (siehe Abbildung 2). 22 Abbildung 2: Bausteine des Wissensmanagement Quelle: Probst et al. 2003, S. 56 Zur Wissensidentifikation muss das Wissensumfeld analysiert und beschrieben werden. Nur durch eine hinreichende interne und externe Transparenz kann Wissensmanagement effektiv betrieben und der einzelne Mitarbeiter bei seinen Suchaktivitäten unterstützt werden. Um Wissen zu erwerben, können die Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Partnern sowie Konkurrenten genutzt werden. Außerdem kann Know-how durch den Zukauf von besonders innovativen Unternehmen gewonnen werden. Im Mittelpunkt der Wissensentwicklung steht die Produktion neuer Fähigkeiten und Produkte, sowie besserer Ideen und leistungsfähigerer 21 Vgl. Probst et al. 2003, S. 50f. 22 Vgl. Probst et al. 2003, S. 52.

EU-Projekt MATURE Seite -8- Prozesse. Diese Aufgabe fällt im Modell von Probst et al. neben der Forschung und Entwicklung oder der Marktforschung, auch anderen Organisationsbereichen zu. Bei diesem Baustein muss daher untersucht werden, wie im Unternehmen mit neuen Ideen umgegangen wird und wie die Kreativität der Mitarbeiter genutzt wird. 23 Die Wissensverteilung beschäftigt sich damit, wer was in welchem Umfang wissen oder können sollte und wie der Prozess der Wissensverteilung erleichtert werden kann. Besonders der Übergang von Wissensbeständen von der individuellen auf Gruppen- oder Organisationsebene muss hier analysiert werden. Der produktive Einsatz organisationalen Wissens, also die Wissensnutzung, ist Ziel und Zweck von Wissensmanagement. Eine erfolgreiche Identifikation und Verteilung zentraler Wissensbestände, stellt deren Nutzung im Unternehmensalltag nicht sicher. Eine Reihe von Barrieren beschränkt die Nutzung fremden Wissens. Diese Nutzung der wertvollen Wissensbeständen und Fähigkeiten muss daher sichergestellt werden. 24 Außerdem muss sichergestellt werden, dass das vorhandene Wissen auch zukünftig im Unternehmen bleibt. Um dieses Konzept zu ergänzen und Wissensmanagement auf Ebene der Unternehmensleitung zu festigen, wird diesem Modell noch eine Kontrollmöglichkeit anhand von Wissenszielen und bewertung gegeben. Auf diese Kontroll- und Messinstrumente wird in Kapitel 3.4 eingegangen. Das Münchener Modell baut auf einem eigenen Wissensverständnis auf. Informations- und Handlungswissen werden als zwei Extreme interpretiert, zwischen denen viele Wissensvariationen möglich sind. 25 Auch gibt es dabei zwei Denkmodelle zum Verständnis von Management. Im Sinne von Organisationsführung folgt Management weitestgehend den Gesetzen berechenbarer technischer Systeme. Im Sinne von Mitarbeiterführung, also der menschlichen Seite der Organisation, stößt dieses Denkmodell jedoch an seine Grenzen. Es folgt zwar den Gesetzen biologischer und ökologischer Systeme, deren Verhalten festgelegt, jedoch nicht vorhersehbar ist. Daher ist es mit Unsicherheit behaftet. Hier ist eher ein Denken in Faustregeln von Vorteil. Da man 23 Vgl. Probst et al. 2003, S. 52. 24 Vgl. Probst et al. 2003, S. 54. 25 Vgl. Reinmann-Rothmeier 2001, S. 16.

EU-Projekt MATURE Seite -9- es bei Wissensmanagement mit beiden Managementarten zu tun hat, ist es nahe liegend, dass beide Ansätze kombiniert werden müssen. 26 Dazu stehen beim Münchner Modell vier so genannte Phänomenbereiche im Mittelpunkt, welche die verschiedenen Wissensprozesse bündeln. Dabei handelt es sich um die Repräsentation, die Nutzung, die Kommunikation und die Generierung von Wissen (siehe Anlage 2). Diese Bereiche enthalten neben technischen und organisatorischen Gesichtspunkten auch häufig vernachlässigte, psychologische Voraussetzungen und pädagogische Begleitprozesse. 27 Bei der Wissensrepräsentation geht es darum, Wissen sichtbar, zugänglich, transportierbar und begreifbarer zu machen. Bei diesem Prozess geht das Begriffsverständnis von Wissen in die Richtung von Information. Dabei müssen die Menschen bereit sein, ihr Wissen zu teilen. Dies kann jedoch durch Angst, Macht- und Kompetenzverlust verhindert werden. Bei Prozessen im Bereich der Wissensnutzung geht es darum, Wissen anwendbar zu machen. Hierbei geht das Begriffsverständnis von Wissen in die Richtung von Handeln. Dazu muss die potentielle Trägheit des Wissens überwunden werden. Die Überwindung von Routinen, Motivation zum Handeln aber auch das Wahrnehmen und Ausschöpfen von Handlungsspielräumen ist hierbei nötig. 28 Wissenskommunikation beschäftigt sich mit dem Austausch, der Teilung und der Vernetzung von Wissen. Um diese Prozesse zu ermöglichen, müssen Menschen das Gefühl haben, dass mit dem Austausch persönlicher Nutzen verbunden ist. Dabei handelt es sich um ein Geben und Nehmen. Von großer Bedeutung sind hierbei Motivation und Anreizsysteme, sowie Vertrauen, Sympathie und soziale Fähigkeiten. Durch die Verarbeitung von Informationen zu handlungsrelevantem Wissen und neuen Ideen wird Wissen generiert. Aus diesem Grund ist Wissensgenerierung die Basis jeder Wissensbewegung. Dies wird durch Kreativität, Denken und Lernen, sowie Wertvorstellungen beeinflusst. Die erwähnten Wissensprozesse lassen sich in der Praxis nicht erzwingen, allerdings kann durch das Gestalten von Rahmenbedingungen 26 Vgl. Reinmann-Rothmeier 2001, S. 16. 27 Vgl. Reinmann-Rothmeier 2001, S. 22. 28 Vgl. Reinmann-Rothmeier 2001, S. 24f.

EU-Projekt MATURE Seite -10- und durch das Fördern der beteiligten Mitarbeiter die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöht werden. 29 In beiden Konzepten führt ein integratives Wissensmanagementkonzept zum Erfolg. Außerdem berücksichtigt sowohl das Münchner Modell als auch Probst, neben der organisationalen, auch die individuelle Ebene des Wissensmanagements. Das Konzept kann nur den Rahmen bilden, für den Erfolg zuständig sind jedoch die einzelnen Mitarbeiter des Unternehmens. Beide Konzepte unterscheiden sich jedoch in einem Punkt grundlegend. Während Probst et al. eher auf betriebswirtschaftlicher Ebene ansetzen, werden beim Münchner Modell stärker pädagogische und psychologische Aspekte betrachtet. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird das weit verbreitete Modell von Probst et al. verwendet. Dabei werden auch die psychologischen und pädagogischen Aspekte des Münchner Modells berücksichtigt. 3.4 Wissensbewertung Außer den sechs Kernprozessen beinhaltet das Wissensmanagement-Modell von Probst et al. auch eine Möglichkeit der Kontrolle und der Erfolgsmessung. Die Erfolgsmessung ist von enormer Bedeutung, da es sonst unmöglich ist, Fehlentwicklungen zu entdecken und Gegenmaßnahmen einzuleiten. 30 Dies gestaltet sich allerdings schwierig, da die kontextgebundene Ressource Wissen, objektiv messbar gemacht werden muss um den Erfolg beurteilen zu können. 31 Auf zwei Möglichkeiten der Wissensbewertung und Erfolgskontrolle soll nun genauer eingegangen werden. Da Wissen erst dann einen Wert erlangt, wenn es angewandt wird, 32 wird häufig mit Wissenszielen gearbeitet. Dies ist der Beginn des Wissensmanagementprozesses, weil erfolgreiche Wissensmanagement-Aktivitäten eine klare Zielsetzung und eindeutige Bewertungen voraussetzen. 33 Wissensziele gibt es sowohl auf normativer, strategischer und operativer Ebene. Normative Wissensziele sind auf der Ebene der grundlegenden unternehmenspolitischen Vision angesiedelt. Es handelt sich in der Regel um kulturelle Zielsetzungen. Strategische Wis- 29 Vgl. Reinmann-Rothmeier 2001, S. 25f. 30 Vgl. Bodendorf 2005, S.141. 31 Vgl. Probst, et al. 2003, S. 317. 32 Vgl. Kreidenweis/Steincke 2006, S. 51. 33 Vgl. Kreidenweis/Steincke 2006, S. 49.

EU-Projekt MATURE Seite -11- sensziele werden für langfristige Programme festgelegt, die zur Verfolgung des Unternehmensleitbildes festgelegt wurden. Operative Wissensziele sichern die Umsetzung der normativen und strategischen Programme auf der Ebene der täglichen Aktivitäten des Unternehmens. Bei der Zielformulierung ist dabei zu beachten, dass diese so konkret wie möglich formuliert wird damit die Ziele überprüft werden können. Zur Erfolgskontrolle werden die formulierten Ziele mit dem erreichten Zustand verglichen und ausgewertet. Bei Abweichungen ist unbedingt die Ursache zu klären, um neue Maßnahmen einleiten zu können. 34 Eine weitere Möglichkeit der Wissensbewertung ist die so genannte Wissensbilanz. Mit einer Wissensbilanz können die immateriellen Vermögenswerte eines Unternehmens erfasst, bewertet und in strukturierter Form ausgewiesen werden. Dies sind beispielsweise Produktinnovationen, der Erfahrungsschatz der Mitarbeiter oder gute Beziehungen zu Kunden. 35 Dieses intellektuelle Kapital lässt sich in die Teilbereiche Humankapital, Strukturkapital und Beziehungskapital unterteilen. Humankapital beschreibt die Fähigkeiten und Kompetenzen der Mitarbeiter genauer. Beispiele sind hierfür Fachkompetenz (Qualifikation und Erfahrung), Führungskompetenz, soziale Kompetenz sowie Motivation. Strukturkapital fokussiert die Organisationsstrukturen oder prozesse. Darunter versteht man die Unternehmenskultur, Kommunikation und Organisation, sowie Produkt- und Verfahrensinnovationen. Unter Beziehungskapital versteht man Kapital, dass durch die Beziehung zu Stake- und Shareholdern wie Anteilseigner, Lieferanten oder Kunden, generiert wird. 36 Durch die Einbeziehung dieser bisher vernachlässigten Faktoren, wird eine umfassendere, zukunftsorientierte Analyse und Bewertung des Unternehmens ermöglicht. Dies soll die Transparenz von Wissen und Kompetenzen erhöhen und eine Basis zur Optimierung des Wissensmanagements im Unternehmen schaffen. 37 34 Vgl. Kreidenweis/Steincke 2006, S. 51. 35 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (1) 2008, S. 6. 36 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2) o. J. 37 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (3) o. J.

EU-Projekt MATURE Seite -12-4. Wissensreifung und informelle Lernprozesse Der Prozess der Wissensreifung von Schmidt besteht aus fünf Bausteinen, der Entstehung von Ideen, der Bildung von Communities, der Formalisierung, der Ad-hoc-Weiterbildung und der formellen Bindung (siehe Abbildung 3). 38 Abbildung 3: Wissensreifungsprozess Quelle: Schmidt 2008, S. 10 Das Hauptziel des ersten Bausteins ist die Entwicklung neuer Ideen und die Ausschöpfung der eigenen Kreativität. Die Lernformen dabei sind Brainstorming und Kreativitätstechniken. Mit der Bildung von Communities sollen Erfahrungen ausgetauscht und Neues erarbeitet werden. Dies geschieht durch Imitation, also dem Lernen von anderen, sowie durch Diskussion und kollaboratives Arbeiten. Diese informellen Lernformen sollen dann formalisiert werden, indem existierende Dokumente als Unterstützung zur Lösung von Problemen und zur Weitergabe von implizitem Wissen bereitgestellt werden. Als Lernform wird hierbei die Informationssuche genannt. Die Ad-hoc-Weiterbildung soll dann Fortgeschrittenen in zentralen Bereichen aktualisiertes und vertieftes Wissen vermitteln. Dazu werden Kurzschulungen, Lernobjekte und Tutorials genutzt. Bei der formellen Bildung soll Anfängern ein breiteres Themenfeld effizient vermittelt werden. In diesem traditionellen Weiterbildungsbereich werden klassische Lernformen wie Schulungen genutzt. Die informellen Prozesse sind in diesem Modell für Experten zu einem Themenbereich geeignet, die formellen sollen Anfängern ein Thema vermitteln. Dieser Prozess findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Neue Ideen wer- 38 Vgl. Schmidt 2008, S.5ff.

EU-Projekt MATURE Seite -13- den auf individueller Ebene entwickelt. Die Bildung von Communities und teilweise die Formalisierung finden auf Gruppenebene statt, der andere Teil der Formalisierung, die Ad-hoc- Weiterbildung, sowie die formelle Bildung finden dagegen auf organisationaler Ebene statt. Kernelement im Wissensreifungsprozess ist ein partizipativer Führungsstil. Durch eine verstärkte Partizipation der Mitarbeiter sollen motivationale, konzeptionelle und technische Barrieren abgebaut werden. Führung soll dazu die entsprechenden Rahmenbedingungen setzen. 39 Da in diesem Modell informelle Lernprozesse und Communities eine große Rolle spielen, sollen diese nun genauer betrachtet werden. 4.1 Informelle Lernprozesse Der eine googlet, der Andere fragt den Kollegen und der Dritte geht seine Notizen durch, wenn er eine Lösung braucht. Informelles Lernen heißt diese Methode, zu der auch die Diskussion in einer Arbeitspause gehört. Immer mehr Firmen aber formalisieren diesen unsystematischen Wissenserwerb. 40 Informelles Lernen kann als eine situationsabhängige Art der Wissensaneignung verstanden werden, die durch folgende Faktoren gekennzeichnet ist: 41 Bestandteil der täglichen Routine und Arbeitsabläufen Ausgelöst durch inneren und äußeren Anstoß Unbewusster Prozess Häufig zufällig beeinflusst und veranlasst Eng verbunden mit dem Lernen Anderer Ist es einem Unternehmen wichtig diese Art der Wissensaneignung zu fördern, sollte es gewisse Rahmenbedingungen bzw. Maßnahmen veranlassen, die einer Vertiefung entgegenkommen. Diese Maßnahmen können zum Beispiel sein: 42 39 Vgl. Schmidt 2008, S. 5ff. 40 Stengel 2008, S.1. 41 Vgl. Overwien 2004, S.54. 42 Vgl. Overwien 2004, S.54.

EU-Projekt MATURE Seite -14- Zeit und Raum für das Lernen ermöglichen Lernprozesse stärker zu fokussieren Vertrauensbasis schaffen Umfeld auf bereits bestehende (Lern-) Gelegenheiten zu überprüfen Informelles Lernen kann als Lernform verstanden werden, die sowohl das unbewusste, beiläufige Lernen als auch das absichtliche Lernen beinhaltet. Wobei der unbewusste Teil als problematischer Bereich angesehen werden kann, da sich Missverständnisse und Irrtürmer bilden können oder Vorurteile weiter bekräftigt werden. Generell versteht man unter informellem Lernen, alles Wissen welches ein Individuum in seinem unmittelbaren Lebens- und Erfahrungszusammenhängen außerhalb des formalen Bildungswesens selbst erlernt. 43 4.2 Communities of Practice Eine besondere Form informeller Lernprozesse stellen Communities of Practice (CoP) dar. In diesen Gemeinschaften treffen Menschen aufeinander, die durch ein gemeinsames Vorhaben oder Interesse miteinander verbunden sind. 44 Sie bieten den Mitarbeitern eine Plattform, auf der sie sowohl ihre Kreativität entfalten, als auch ihre persönlichen Fähigkeiten entwickeln können. 45 Dabei stehen bereichs- und hierarchieübergreifende Gruppen im Vordergrund, welche sich mit einer bestimmten Thematik beschäftigen. 46 Bei diesen Communities geht es nicht um die Vermittlung von explizitem Wissen, welches in der Regel erfasst ist, sondern um den Austausch von implizitem Erfahrungswissen. Dies kann allerdings nur dann funktionieren, wenn zwischen den Teilnehmern Analogien und Querverbindungen hergestellt werden können. CoPs können als experimentelle Lernorte verstanden werden, in denen verschiedene Sichtweisen gespiegelt werden. Sie dienen dazu implizites Wissen auszutauschen und explizit zu machen. Eine vertrauensvolle und offene Atmosphäre ist die Voraussetzung, dass dies erfolgreich durchgeführt werden kann. 47 Im Vergleich zu Datenbanken kann mit CoPs das Wissen auf dem neuesten Stand gehalten werden und an die 43 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, S.19 ff. 44 Vgl. Lübcke/Ahrens 2003, S. 2. 45 Vgl. Raub/Probst o. J. 46 Vgl. Lübcke/Ahrens 2003, S. 2. 47 Vgl. Lübcke/Ahrens 2003, S. 3.

EU-Projekt MATURE Seite -15- Arbeitsprozesse des Unternehmens angepasst werden. Daher eignen sich diese um neue Mitarbeiter in die Organisation einzugliedern. Darüber hinaus können sie Kompetenzen weiter entwickeln, sowie neue Ideen und Entwicklungen in die Organisation einbringen. 48 Jedoch sind konkrete Zielsetzungen bei CoPs durch den informellen Charakter und der teilweise spontanen Entstehung der Gemeinschaften nicht immer eindeutig. Daher sind aus Unternehmenssicht nicht immer eindeutige Ergebnisse zu erkennen. Die Mitglieder von CoPs fühlen sich häufig von den Vorgesetzen unter Druck gesetzt, kurzfristig Ergebnisse präsentieren zu müssen. 49 5. Grundlegende Einflussfaktoren auf den Wissensaustausch Für die Ausführungen und Erklärungsansätze in den nachfolgenden Gliederungspunkten ist es notwendig zuvor ein einheitliches Grundverständnis für das Vorgehen und die Inhalte zu schaffen. Dabei sind die Leitgedanken, die der Arbeit zugrunde liegen vorzustellen und Eingrenzungen vorzunehmen. Darüber hinaus ist ein zentrales Menschenbild zu fokussieren und die Betrachtung von Barrieren im Wissensaustausch zu spezifizieren sowie detaillierter herauszuarbeiten. Nachfolgend können Interdependenzen zwischen einzelnen Perspektiven und Theorien vorgestellt und beschrieben werden. 5.1 Leitgedanken und Eingrenzungen Grundlage der Arbeit stellen die Betrachtungsdimensionen Individuum, umgebende Situation und interpersonelle Ebene dar. Die Ausführungen der Arbeit belegen, dass ein technikzentriertes Wissensmanagement deutlich zu kurz greift. Die Faktoren Mensch und Organisation stellen ebenfalls zentrale Einflussgrößen dar. Diese Arbeit fokussiert daher Verhaltensmuster des Menschen aufgrund personeller, struktureller und kooperationaler Einflussfaktoren. Eine detaillierte Beschreibung dieser Thematik enthält Gliederungspunkt 5.2. In Anlehnung an Ahlert et al. besteht der Leitgedanke der Arbeit nicht darin einen Zielzustand für ein erfolgreiches Wissensmanagement aufzuzeigen, sondern Barrieren zu identifizieren, 48 Vgl. Lübcke/Ahrens 2003, S. 5. 49 Vgl. Lübcke/Ahrens 2003, S. 5.

EU-Projekt MATURE Seite -16- die als Störfaktoren ein erfolgreiches Wissensmanagement behindern. 50 Der Ansatz Barrieren zu beleuchten, steht in engem Zusammenhang mit dem zugrunde liegenden Menschenbild. 51 Nach Sprenger verfügen Individuen über eine innere Motivation. 52 Dabei wird diese innere Eigensteuerung durch äußere Einflüsse in Form von Anreizen gestört. 53 Sprenger geht davon aus, dass das Individuum grundsätzlich zur Leistungserbringung motiviert ist. Demotivationsfaktoren können diese Leistungsbereitschaft behindern. 54 Dieses Verständnis kann auf Wissensmanagement transferiert werden. In Anlehnung an die Ausführungen Sprengers sind Mitarbeiter demnach grundsätzlich zur Wissensteilung bereit. Jedoch ergeben sich Barrieren durch unterschiedliche Einflussfaktoren, die den Wissensaustausch behindern. Die Arbeit fundiert auf dem Leitgedanken, dass durch die Identifikation und die Beseitigung der Barrieren erfolgreiche Wissensmanagementaktivitäten möglich sind. In der Literatur lassen sich zahlreiche Klassifizierungsansätze und Verständnisse von Barrieren finden. 55 In dieser Arbeit werden unter Barrieren sowohl individuelle Verhaltensweisen als auch durch die organisatorische und technische Infrastruktur bedingte Hemmnisse sowie Widerstände auf kooperationaler Ebene verstanden. Diese bewirken, dass sich der Austausch von Wissen nicht automatisch einstellt. 56 Grundsätzlich lassen sich Barrieren in allen von Probst et al. definierten Bausteinen identifizieren. 57 Die Arbeit konzentriert sich jedoch auf eine differenzierte Untersuchung der Barrieren im Wissensaustausch, da es sich hierbei um den erfolgskritischsten Prozess im Wissensmanagement handelt. Der Wissensaustausch beinhaltet einen Wissenssender und einen Wissensempfänger (siehe Abbildung 4). 58 50 Vgl. Ahlert et al. 2006, S. 22. 51 Vgl. Bendt 1996, S. 59. 52 Vgl. Sprenger 1998, S. 24. 53 Vgl. Sprenger 1998, S. 73. 54 Vgl. Sprenger 1998, S. 198-203. 55 Vgl. Eberle 2003, S. 18-24 mit einer Zusammenfassung verschiedener Klassifizierungsansätze. 56 Vgl. Kenning/Blut 2005, S. 20f. 57 Vgl. Klabunde 2003, S. 98-110 mit Barrieren innerhalb der definierten Bausteine von Probst et al. 58 Vgl. Kenning/Blut 2005, S. 20.

EU-Projekt MATURE Seite -17- Abbildung 4: Grundmodell des Wissensaustauschprozesses Kodierung Information Wissenssender Wissensempfänger Problemlösungspotenzial Wollen + Können Instrument + Darbietung (Modell) Lernprozess Quelle: Ahlert et al. 2006, S. 71 Der Wissensaustauschprozess beginnt mit der Preisgabe des Wissens durch den Sender. Dieser übermittelt das Wissen in Form von Informationen an den Empfänger, welches dieser rekonstruiert und in Problemlösungsfähigkeit umsetzt. 59 Durch die Zusammenführung des übermittelten Wissens mit dem individuellen Erfahrungsschatz des Empfängers kann sich folglich Wissen verbessern und organisational entwickeln. 60 Wissensmanagement kann nicht funktionieren, wenn der Baustein der Wissensteilung nicht vorhanden ist (siehe Abbildung 5). Abbildung 5: Bausteine des Wissensmanagements Wissensziele Wissensgenerierung Wissensteilung Wissensnutzung Wissensspeicherung Wissensbewertung Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Ahlert/Blaich 2004, S. 284, in Ahlert et al. 2006, S. 56 Das generierte Wissen kann durch das Fehlen der Wissensteilung nicht genutzt und gespeichert werden. Eine Eingrenzung der Thematik auf den Wissensaustausch setzt voraus, dass das Wissen bereits im Unternehmen vorhanden ist. Im Folgenden werden die Begriffe Wissensaustausch, Wissensteilung, Wissenskooperation und Wissenstransfer synonym verwendet. 59 Vgl. Kenning/Blut 2005, S. 20. 60 Vgl. Ahlert et al. 2006, S. 71.

EU-Projekt MATURE Seite -18-5.2 Generelles Verständnis und Abhängigkeiten beim Wissensaustausch Das folgende Kapitel beschreibt das generelle Verständnis der Arbeit im Wissensaustauschprozess. Hierbei wurde, in Anlehnung an das Verhaltensmodell von Comelli/Rosenstiel, das Diagnoseraster für Barrieren im Wissensmanagement von Kenning/Blut und das forschungstheoretische Modell der Analysefelder in der Wissensteilung von Seidel, ein modifiziertes Erklärungsmodell für Verhaltensweisen und Barrieren im Wissensaustauschprozess entwickelt. Dieses Modell, welches in Abbildung 6 dargestellt ist, wird in der Arbeit als grundlegend zur Erklärung von Verhaltensweisen und Barrieren betrachtet. Zur besseren Visualisierung ist das Modell in Anlage 3 hinterlegt. Abbildung 6: Erklärungsmodell im Rahmen des Wissensaustauschprozesses Quelle: Eigene Darstellung

EU-Projekt MATURE Seite -19-5.2.1 Modellvorstellung Im Folgenden werden die drei wesentlichen Einflussfaktoren vorgestellt, welche für einen funktionieren Wissensaustausch zwischen dem Individuum und der Organisation betrachtet werden müssen. Diese Einflussfaktoren stellen in Bezug auf Abbildung 6 das Verhalten, die Barrieren und die theoretischen Ansätze innerhalb des Wissensaustausches dar. In Anlehnung an das Bausteinmodell von Probst et al. muss eine Eingrenzung auf den Baustein der Wissensverteilung vorgenommen werden, da dieser Ausschnitt den Wissensaustausch darstellt. Als definierte Rahmenbedingung der Arbeit wird in Anlehnung an Seidel das explizit vorhandene Wissen beim Wissensträger betrachtet. Der Wissensträger ist sich seines Wissens bewusst, welches es mit anderen Wissensempfängern auszutauschen gilt. Innerhalb dieses Austauschprozesses können fördernde oder behindernde Verhaltensweisen von Seiten des Wissenssenders, sowie des Wissensempfängers auftreten. 61 Ziel ist es diese Barrieren abzubauen und den aktiven Austausch von Wissen zu fördern. Hierbei soll das entwickelte Erklärungsmodell aus Abbildung 6 helfen. Wie bereits in Kapitel 5.1 beschrieben beruht das Grundverständnis dieser Arbeit auf der Annahme, dass ein Abbau der Barrieren ausreichend ist um den Wissenstransfer in einem Unternehmen erfolgreich zu sichern. Ursache von Barrieren sind Spannungsfelder innerhalb und zwischen den Verhaltensdimensionen, welche in Wechselwirkung zueinander stehen. In Anlehnung an Comelli/Rosenstiel werden diese Verhaltensdimensionen durch das Individuum und die umgebende Situation dargestellt. 62 Lewin erklärte sich die Entstehung von Verhalten gleichermaßen anhand der Gleichung V=f(LR)=f(P, U). Das bedeutet das Verhalten (V) kann als Produkt gesehen werden, welches durch die Interaktion der Faktoren Person (P) und Umwelt (U) entsteht. Die Faktoren Person (P) und Umwelt (U) stehen in gegenseiter Abhängigkeit und ergeben den Lebensraum (LR). 63 Die Verhaltensdimensionen Individuum und umgebende Situation lassen sich weiter unterteilen, worauf im folgenden Gliederungspunkt 5.2.2 näher eingegangen wird. In Anlehnung an Wunderer/Küpers wird der Arbeit eine weitere wichtige Verhaltensdimension hinzugefügt, die interpersonelle Ebene. 64 Zwischen und innerhalb dieser drei Verhaltensdimensionen Individuum, umgebende Situation und interpersonel- 61 Vgl. Seidel 2003, S. 89. 62 Vgl. Comelli/Rosenstiel 2003, S. 4. 63 Vgl. Gairing 1996, S.45 zitiert in Lewin 1963, S. 69. 64 Vgl. Wunderer/Küpers 2003, S. 78f.

EU-Projekt MATURE Seite -20- ler Ebene können Störungen entstehen, die als personelle, strukturelle und kooperationale Barrieren bezeichnet werden. Der Erfolg des Wissenstransfers (W) kann in dieser Arbeit demnach als Funktion aus den personellen (P), den kooperationalen (K) und den strukturellen (S) Bedingungen betrachtet werden, die den Erfolg des Transfers prägen. Dieses Verständnis konnte in Anlehnung an Lewin entwickelt werden (siehe Anlage 5). 65 Treten in der personellen Ebene Barrieren auf die so stark sind, dass der Beitrag des Individuums null wird (P=0) oder führen organisatorische Hindernisse zu einer Reduktion des situativen Beitrags auf null (S=0), findet kein Wissenstransfer statt. Dasselbe gilt auf der Ebene der kooperationalen Einflussfaktoren. Deshalb dürfen in keiner der drei Ebenen Barrieren entstehen, die den Beitrag einer Ebene null werden lassen. Die Ursachen für Barrieren lassen sich nach Seidel mit Hilfe forschungstheoretischer Ansätze erklären. 66 Abbildung 6 veranschaulicht den Einfluss der Macht-, Wettbewerbs-, und Spieltheorie sowie psychologischer Verhaltenstheorien auf das Verhalten von Individuen und liefert so die forschungstheoretischen Erklärung für die Ursache von Verhaltensweisen, welche zu Barrieren im Wissensaustausch führen. 5.2.2 Interdependenzen der Einflussfaktoren auf den Wissensaustausch In diesem Gliederungspunkt wird das in Abbildung 6 dargestellte Erklärungsmodell vertieft und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Dimensionen herausgearbeitet. Hierzu werden die drei Einflussfaktoren beleuchtet und sinngemäß von innen nach außen vorgestellt, damit sich der logische Kontext der drei Faktoren Verhalten, Barrieren und theoretische Grundlagen erschließen lässt. Der Wissensaustausch wird grundlegend durch das Verhalten des Individuums und der umgebenden Situation geprägt. In Anlehnung an Comelli/Rosenstiel wird die aktive Beteiligung an einem Wissenstransfer dabei von vier Determinanten und deren Interdependenzen bestimmt. 67 Auf Seiten des Individuums sind das persönliche Können und das individuelle Wollen ausschlaggebend für das Verhalten. Die Situation gliedert sich in soziales Dürfen und Sollen so- 65 Vgl. Gairing 1996, S.45 zitiert in Lewin 1963, S. 69. 66 Vgl. Seidel 2003, S. 81 84. 67 Vgl. Comelli/Rosenstiel 2003, S. 1 4; siehe auch Przygodda 2005, S. 52.

EU-Projekt MATURE Seite -21- wie situative Ermöglichung. 68 Die Einordnung der vier Determinanten in das Erklärungsmodell geht aus Anlage 4 hervor. Das persönliche Können beschreibt die Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche ein Individuum besitzt, wohingegen das individuelle Wollen auf das persönliche Interesse Bezug nimmt. Die persönlichen Wertvorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse des Individuums entscheiden über die Motivation zum Austausch von Wissen. Grundlegend ist hierbei für das Individuum, ob durch die Weitergabe des Wissens eine gegenseitige win-win-situation entsteht. 69 Damit ein bestimmtes Verhalten zu einem Ergebnis führt ist die gegenseitige Wechselwirkung zwischen beiden Einflussfaktoren persönliches Können und individuelles Wollen notwendig. 70 Personelle Störfaktoren können durch ein individuelles Nicht-Wollen und persönliches Nicht- Können entstehen, welche die kognitiven und motivationalen Barrieren darstellen. Dieses Zusammenspiel intrinsischer Faktoren spiegelt Abbildung 6 unter den personellen Einflussfaktoren wieder. Im Gegensatz zum Individuum beschäftigt sich die umgebende Situation mit extrinsischen Einflussfaktoren auf das Verhalten, welche in Abbildung 6 als strukturelle Einflussfaktoren definiert sind. Hier lässt sich das soziale Dürfen und Sollen, sowie die situative Ermöglichung unterscheiden. Erlaubtes oder erwartetes Verhalten wird durch das soziale Dürfen und Sollen beschrieben, was sich auf geschriebene oder ungeschriebene Normen und Regeln zurückführen lässt. Der Austausch von Wissen hängt somit auch davon ab, ob gewisse Aktionen in der Organisation erwünscht oder erlaubt sind. 71 Situative Rahmenbedingungen stellen ebenfalls eine Voraussetzung für einen erfolgreichen Wissensaustausch dar. Die Situation muss gewisse Rahmenbedingungen, beispielsweise in Form einer funktionierenden Datenbank zum Wissensaustausch, ermöglichen. Strukturelle Störfaktoren können durch ein soziales Nicht- Dürfen oder -Sollen und ein technisches oder organisatorisches Nicht-Haben entstehen. 72 68 Vgl. Comelli/Rostenstiel 2003, S.4; siehe auch Przygodda 2005, S. 53. 69 Vgl. Przygodda 2005, S. 53; siehe auch Comelli/Rosenstiel 2003, S. 2. 70 Vgl. Przygodda 2005, S. 54. 71 Vgl. Przygodda 2005, S. 54; siehe auch Comelli/Rosenstiel 2003, S. 3. 72 Vgl. Przygodda 2005, S. 54.

EU-Projekt MATURE Seite -22- Neben dem Individuum und der umgebenden Situation wird in dieser Arbeit angenommen, dass eine zusätzliche Verhaltensdimension den Wissensaustausch beeinflusst. Hierbei wird von der interpersonellen Ebene gesprochen, welche ebenfalls wesentlich zur Behinderung oder Förderung des Wissensaustausches im Unternehmen beitragen kann. In Anlage 6 ist das um die interpersonelle Ebene erweiterte Verhaltensmodell von Comelli/Rosenstiel dargestellt, dass die Einflussfaktoren auf das Verhalten beschreibt. Die interpersonelle Ebene stellt das Bindeglied zwischen dem Individuum und der Organisation dar. Interpersonelle Barrieren können auf struktureller sowie auch auf personeller Ebene auftreten. 73 Auf personeller Ebene zielen diese auf die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Kollegen oder Abteilungen ab, auf struktureller Ebene auf Themen wie Arbeitskoordination und -durchführung, welche zum Wissensaustausch motivieren oder demotivieren können. 74 Interpersonelle Störfaktoren können annahmegemäß in dieser Arbeit durch das Nicht-Anwenden aufgrund schwieriger persönlicher Beziehungen zum Management, Vorgesetzten, anderen Abteilungen oder zu Arbeitskollegen entstehen, welche als kooperationale Einflussfaktoren in Abbildung 6 beschrieben werden. Somit wird dem ursprünglichen Verhaltensmodell von Comelli/Rosenstiel in Anlage 6 die kooperationale Ebene, das Nicht-Anwenden, hinzugefügt. Unter Nicht- Anwenden wird in dieser Arbeit verstanden, dass trotz Vorhandensein aller Faktoren Können, Wollen, Sollen/Dürfen und Haben der Mitarbeiter den Austausch von Wissen wegen schwieriger interpersoneller Beziehungen verweigert. Dies veranschaulicht, dass die Einflussfaktoren personell, strukturell und kooperational in Interaktion zueinander stehen (siehe Abbildung 6). Auch die Abhängigkeit innerhalb dieser Dimensionen wird nochmals verdeutlicht. Nur durch das Zusammenspiel der Verhaltensdimensionen Können, Wollen, Dürfen/Sollen, Haben und Anwenden kann sich annahmegemäß der gewünschte Austausch von Wissen einstellen. Es stellt für Mitarbeiter beispielsweise eine unzureichende Situation dar, wenn trotz vorhandenem persönlichen Wollen und Können sowie funktionierenden zwischenmenschlichen Beziehungen, eine technische Plattform zum Wissensaustausch im Unternehmen fehlt. Ein wissenstransfergerechtes Verhalten wird also vom Individuum, der Situation und den interpersonellen Beziehungen beeinflusst. Barrieren innerhalb oder zwischen diesen Verhal- 73 Vgl. Wunderer/Küpers, S. 209 f. 74 Vgl. Wunderer/Küpers 2003, S. 209f.

EU-Projekt MATURE Seite -23- tensweisen können mit Hilfe des in Anlage 7 beschriebenen Rasters zur Diagnose von Barrieren von Kenning/Blut identifiziert und klassifiziert werden. Auf der Individualebene lassen sich kognitive und motivationale Barrieren identifizieren, welche nach Comelli/Rosenstiel für das Verhalten des Individuums stehen. 75 Im Rahmen dieser Arbeit werden diese als personelle Einflussfaktoren klassifiziert. Auf der Organisationsebene lassen sich technologische und organisatorische Barrieren identifizieren, welche die umgebende Situation widerspiegeln. Diese werden im Rahmen dieser Arbeit als strukturelle Einflussfaktoren definiert. 76 Zuletzt lassen sich noch die kooperationsbedingten Einflussfaktoren nennen, welche Barrieren auf der interpersonellen Ebene darstellen. Nach Kenning/Blut sind die kooperationsbedingten Barrieren der Organisationsebene unterstellt, da diese unabhängig von den Fähigkeiten und der Motivation der Mitarbeiter auftreten können. In Anlehnung an Kenning/Blut liegt dieser Arbeit ein anderes Verständnis zugrunde, welches die kooperationsbedingten Barrieren nicht ausschließlich der Situation zuspricht. Gemäß Wunderer/Küpers lassen sie sich auch dem Individuum zuordnen. Diese stellen die direkten zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Kollegen, Vorgesetzten und dem Management dar, welche die Motivation der Mitarbeiter stark beeinflusst (siehe Anlage 8). 77 Daher wurde in dieser Arbeit die Annahme getroffen die kooperationsbedingten Barrieren als eigenständige Verhaltensdimension zu behandeln. Die fehlende Bereitschaft zur Wissensteilung kann mit Hilfe der Faktoren Macht, Wettbewerb und Unsicherheit/Risikoscheu erklärt werden. 78 Dazu bedient sich die vorliegende Arbeit, in Anlehnung an Seidel, der Macht-, Wettbewerbs- und Spieltheorie sowie psychologischer Verhaltenstheorien. Diese beschreiben die Ursachen für das Anhäufen von Wissen und die vermeidliche Systemkonformität, welche Mitarbeiter in einer von Macht, Wettbewerb und Unsicherheit geprägten Organisation bei der Vorenthaltung von Wissen verspüren. 79 Abbildung 6 arbeitet dabei deutlich den Bezug der theoretischen Ansätze auf den Einflussfaktor Verhalten heraus. In dieser Arbeit werden die Spiel- und Machttheorie als wesentliche Erklärungstheorien für Verhaltensweisen angesehen. Gliederungspunkt 6 beschreibt dies noch ausführlicher. Unabhängig davon wird auch der Einfluss der Wettbewerbstheorie und der Psy- 75 Vgl. Kenning/Blut 2005, S. 21. 76 Vgl. Kenning/Blut 2005, S. 21. 77 Vgl. Wunderer/Küpers 2003, S. 209f. 78 Vgl. Seidel 2003, S. 83. 79 Vgl. Seidel 2003, S.81-82.

EU-Projekt MATURE Seite -24- chologie zur Begründung von Verhalten als wichtig betrachtet und daher im Folgenden kurz näher erläutert. Für die Organisation ist, im Gegensatz zum Individuum, Wissen nicht abnutzbar. Die Organisation profitiert vom Wissenstransfer durch die Kumulation von Wissen. Aus Sicht des Individuums sieht dies anders aus. Durch die Weitergabe seines Wissens geht seine Einzigartigkeit verloren. Neben der Tatsache, dass das Wissen Anderen offenbart wurde, besteht auch die Tatsache, dass neue Träger des Wissens dieses auch wieder weiterverbreiten. Das Individuum hat keine außergewöhnlichen Informationen mehr wodurch der Marktwert des Individuums, welcher an dem Bedarf dieser Information im Unternehmen gemessen wird, sinkt. So kann früher einzigartiges Wissen durch Teilung und Verbreitung im Extremfall sogar zu einem freien Gut werden. 80 Die Wettbewerbstheorie beschreibt die Ursachen für das Zurückhalten von Wissen in einem wettbewerbsintensiven Umfeld. Werden in einem Unternehmen Grenzen von Gemeinschaften oder Abteilungen überschritten erwacht der Wettbewerbsinstinkt und der Wissensaustausch wird gestoppt. 81 Auch psychologische Verhaltenstheorien können Gründe für die Zurückhaltung beim Wissenstransfer beschreiben. Mitarbeiter kämpfen im Arbeitsleben mit Verlustängsten und Unsicherheiten. Durch die Zurückhaltung des Wissens werden Ängste vor Arbeitslosigkeit, verschlechterter Arbeitssituation, Blamage vor den Kollegen oder auch Unterschätzung des eigenen Wissens kompensiert. 82 80 Vgl. Seidel 2003, S. 102f. 81 Vgl. Seidel 2003, S. 104-106. 82 Vgl. Seidel 2003, S. 105f.

EU-Projekt MATURE Seite -25-6. Theoretische Grundlagen im Kontext von Wissensaustausch In diesem Kapitel werden mit Hilfe der Spiel- und Machttheorie die Ursachen für das Verhalten von Individuen im Wissensaustauschprozess näher betrachtet. 6.1 Spieltheorie Das Gefangenendilemma veranschaulicht als Standardmodell die Besonderheit der Kooperation zwischen zwei Spielern 83, die sich rational egoistisch verhalten. 84 Dabei führt ihr Verhalten zu einem suboptimalen Ergebnis. 85 Das rationale Handeln des Einzelnen führt zu einem schlechteren Ergebnis für das Kollektiv. 86 Das resultierende Nash-Gleichgewicht ist deshalb nicht pareto-effizient, nur bei einer Zusammenarbeit der beiden Spieler wird eine Pareto- Verbesserung möglich. 87 Wie beschrieben liegt dem Modell der homo oeconomicus, also der Eigennutzmaximierer zugrunde. Nicht in jeder Situation ist dieses Verhalten der Beteiligten zu beobachten, allerdings kann es nicht ausgeschlossen werden und wird deshalb als Erklärungsmodell herangezogen um die Kooperationsbereitschaft im Kontext der Wissensteilung zu erklären. 88 Hinsichtlich der Erklärung des Verhaltens einzelner Personen im Bezug auf die Wissensteilung, lässt sich die Spielsituation wie folgt charakterisieren: 89 Zwei Spieler treten auf, der Sender und der Empfänger des Wissens. Die Spieler entscheiden sich ganz bewusst für bestimmte Spielzüge, der Zufall spielt keine Rolle. Die Anzahl an Strategien die den Spielern dabei zur Verfügung stehen ist auf zwei mögliche Strategien beschränkt. 83 Vgl. Grandner 1996, S.1. 84 Vgl. Seidel 2003, S.108. 85 Vgl. Grandner 1996, S.1. 86 Vgl. Wilkesmann / Rascher 2004, S.23. 87 Vgl. Grandner 1996, S.1. 88 Vgl. Seidel 2003, S.108. 89 Vgl. Seidel 2003, S. 109 f.