Das vielfältig gegliederte bayerische Schulsystem ein Zukunftsmodell



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Transkript:

Ein Service der Hanns-Seidel-Stiftung für politische Entscheidungsträger +++ Ausgabe vom 22. Februar 2008 +++ Das vielfältig gegliederte bayerische Schulsystem ein Zukunftsmodell Das Thema "Bildung" ist seit geraumer Zeit in den Mittelpunkt der politischen Diskussionen gerückt. Durch die verschiedenen PISA-Studien wurden die Debatten weiter forciert. Auch die Diskussionen der sechziger Jahre über die "richtige" Schulstruktur Einheitsschule/Gesamtschule versus mehrgliedriges Schulsystem werden wieder heftig geführt. Dabei ist es wenig zielführend, bei der Verbesserung der Qualität unseres Bildungswesens Struktur- bzw. Organisationsfragen einseitig in den Vordergrund zu stellen. Gemessen wird die Qualität eines Schul- und Bildungswesens vornehmlich an der Bildungsbeteiligung und an der Qualität der Abschlüsse. Das vielfältig gegliederte bayerische Schulsystem zeigt dabei seine besonderen Stärken.

Das vielfältig gegliederte bayerische Schulsystem ein Zukunftsmodell Paula Bodensteiner 1. Anmerkungen zur Strukturdebatte ein- oder vielgliedrig? Nach einer Phase relativer Ruhe entbrannte Anfang Dezember 2007 erneut eine intensive Diskussion über die deutschen Schulen und insbesondere wieder über ihre Struktur. Die Schlüsselfrage lautete: Sind die deutschen Schulen nun tatsächlich besser geworden? Anlass gab die Veröffentlichung der neuesten PISA-Ergebnisse. Diese Ergebnisse der dritten, 2006 durchgeführten PISA-Studie waren der Auslöser eines in Politik und Medien ausgetragenen Streits. Die Kultusminister der 16 Länder lobten Fortschritte und fühlten sich in ihren Reformen bestätigt. Der Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK) betonte am 4. Dezember 2007 in Berlin bei der Vorstellung der PISA- Ergebnisse, dass man auf dem richtigen Weg sei. Im Gegensatz dazu warf der PISA- Koordinator der OECD, Andreas Schleicher, Deutschland unzureichende und zu langsame Reformen vor. Ferner wiesen die OECD-Bildungsforscher darauf hin, dass für Deutschland die Leistungszuwächse bei der Basiskompetenz Lesen als statistisch nicht gesichert gelten könnten. Bei der Leistungsmessung Mathematik stagniere Deutschland. Vor allem aber bei der Chancengerechtigkeit gelte es, große Defizite abzubauen. Diese kontroversen Diskussionen hier (exemplarisch) die Kultusministerkonferenz, dort die OECD liegen insbesondere darin begründet, dass die OECD den Grund für das relativ schlechte Abschneiden Deutschlands bei PISA in der Mehrgliedrigkeit und seiner frühen Differenzierung des deutschen Schulsystems sieht. Dieser Ansatz greift jedoch zu kurz, wie sich leicht aus den bayerischen PISA- Ergebnissen ableiten lässt. Ausgehend von den nationalen PISA-Ergebnissen (PISA- E) aus dem Jahr 2000, sind Baden-Württemberg und Bayern eindeutig die deutschen PISA-Sieger. Wäre Bayern ein eigenständiger nationaler PISA-Teilnehmer, dann wäre seine Platzierung in der internationalen PISA-Rangliste je nach Testbereich Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften über alle Schulformen hinweg zwischen Platz vier und zehn. Bayern hat nicht nur wegen seiner angeblich "selektierten" Gymnasiasten so gut abgeschnitten, sondern weil auch Bayerns Hauptschüler und Realschüler gute Leistungen erbringen. Bei PISA-E 2003 konnte Bayern seinen Spitzenplatz weiter ausbauen. Bayern belegte in den getesteten Kompetenzen in Mathematik, Naturwissenschaften, Lesen und Problemlösen durchweg deutschlandweit die ersten Plätze. In Mathematik, dem Untersuchungsschwerpunkt, drangen die Bayern sogar in die Weltspitze vor. Als nationaler Partner rückte Bayern nach Finnland, Südkorea, den Niederlanden und Ja- 1

pan auf den fünften Platz vor Kanada. Diese Erfolge sprechen nicht gegen, sondern für das vielgliedrige bayerische Schulsystem. 2. Bewertung der Schulsysteme hinsichtlich sozialer Disparitäten und Leistungspotenziale Größte Schwäche des vielgliedrigen Schulsystems ist laut OECD die angebliche Chancenungerechtigkeit. Jede der drei bisherigen PISA-Studien fachte deshalb erneut eine Debatte über die Chancengerechtigkeit der unterschiedlichen Schulsysteme an. Die Debatten wurden und werden dabei ähnlich geführt wie in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Da im vielgliedrigen Schulsystem die Differenzierung der Schüler in möglichst homogene Lerngruppen sehr früh geschehe, bestehe keine Chance, Leistungsunterschiede auszugleichen, so die Kritik. Was für viele vereinfacht heißt: Die Guten bleiben gut, die Schlechten schlecht. Da eine äußere Differenzierung im Gesamt- bzw. Einheitsschulsystem wegfällt bzw. nur marginal vorgenommen wird, wird behauptet, dort könnten die Schüler Leistungsunterschiede besser ausgleichen, würden also mehr Chancengerechtigkeit in ihrer schulischen Entwicklung erfahren. Die Politik, der Staat werden deshalb aufgefordert, diese Ungleichheit aufzuheben. Diese Forderungen werden der schulischen Realität nicht gerecht. Wer jemals mit Kindern gearbeitet hat, weiß, dass es Begabungsunterschiede, Leistungsunterschiede und ein nie gleiches Anregungsumfeld im Elternhaus gibt und geben wird. Unterschiede bestehen also in der Sozialisation, geprägt durch ein individuelles z.b. bildungsförderndes Umfeld, der individuellen Bildungs- und Leistungsbereitschaft und dem ererbten Begabungspotenzial. Daraus ergibt sich folgende Frage: Welches Schulsystem kann erfolgreich auf Sozialisationsunterschiede Einfluss nehmen und bestehende Leistungsdefizite am erfolgreichsten ausgleichen? 2.1 Soziale Disparität Familiäre Unterschiede und sich daraus ergebende Vor- und Nachteile wird es immer geben. Helmut Fend, Pädagogikprofessor (em.) an der Universität Zürich, bestätigt in seiner "Life-Studie" 1, dass unabhängig von der Schulstruktur die soziale Herkunft der Kinder für einen langfristigen Bildungserfolg ausschlaggebend sei. Seine Probanden besuchten zu je einem Drittel Gesamtschulen, das dreigliedrige Schulsystem oder Schulen mit Förderstufe, in denen erst nach der sechsten Klasse in unterschiedliche Schularten gewechselt wird. Er kam zu dem Ergebnis, dass sich im Punkt Bildungsgerechtigkeit eine Gesamtschule von einem gegliederten Schulsystem nicht unterscheide. Unterschiedliche Schulsysteme hätten nicht Einfluss auf die Bildungskarriere des Einzelnen. 2 Ausschlaggebend für Bildungsgerechtigkeit ist danach nicht die Struktur eines Schulsystems, sondern die elterliche Förderung im Zusammenspiel mit vielen anderen 2

Faktoren. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Kinder frühzeitig zu fördern. Man muss alles daran setzen, dass Kinder, die in einem anregungsarmen Umfeld aufwachsen, optimal in einer vorschulischen Erziehung gefördert werden, um die vorherrschenden Lebenschancen von den Bildungschancen zu entkoppeln. Fazit: Auch eine Gesamtschule ist nicht in der Lage, die sozialen Disparitäten langfristig aufzuheben. 2.2 Leistungspotenziale Die Langzeitstudie des BIJU 3 konnte nachweisen, dass am Ende der 10. Jahrgangsstufe bei Gesamtschülern gegenüber Realschülern und Gymnasiasten Leistungsrückstände von zwei bis drei Jahren bestehen. Auch bei der internationalen PISA- Studie 2006, die bereits erste Daten zur Leistungsfähigkeit der deutschen Schüler in den Naturwissenschaften, Lesen und Mathematik, nach Schulart differenziert, enthält, schneidet die integrierte Gesamtschule (IGS) nicht gut ab. Obwohl ihre Schülerschaft mit der der Realschule hinsichtlich der Begabung und sozialen Herkunft vergleichbar ist, liegt die IGS mit 50 Punkten, was ungefähr einem Jahresabstand im Lernfortschritt entspricht, hinter der Realschule. Der Abstand zum Gymnasium beträgt weit über 100 Punkte, nur die Hauptschule schneidet schlechter als die integrierte Gesamtschule ab. 4 Fazit: Die Gesamtschule schafft es in der Regel nicht, die Leistungspotenziale aller Schüler auszuschöpfen, es besteht die eindeutige Tendenz einer Leistungsnivellierung nach unten. 3. Stärken des vielfältig gegliederten bayerischen Schulsystems Das bayerische Schulwesen ist aufgegliedert in: die allgemeinbildenden Schulen: Grundschule, Förderschule, Hauptschule, Realschule, Gymnasium, die berufsbildenden Schulen: Berufsschule, Wirtschaftsschule, Berufsfachschule, Fachoberschule, Fachschule, Fachakademie, Berufsoberschule (BOS) und die Schulen des zweiten Bildungswegs: Abendschule, Abendgymnasium, Kolleg. Es hat sich zu seiner jetzigen Form über Jahrzehnte entwickelt. An Bewährtem wurde festgehalten, Verbesserungen kontinuierlich wahrgenommen. Inhaltlich besteht dieses System aus verbindlichen Lehrplänen im inhaltlichen Kernbereich, einem transparenten Leistungsprinzip, einer, nach vierjähriger Grundschulzeit, frühen Differenzierung und gezielten Förderung nach Eignung, aus anspruchsvollen, zentralen Abschlussprüfungen. 3

Wert wird vor allem auf die horizontale als auch vertikale Durchlässigkeit gelegt. Insbesondere die vertikale Durchlässigkeit "Kein Abschluss ohne Anschluss" ist von großer Bedeutung. Erbringt ein Schüler die geforderten Leistungsvoraussetzungen, lässt dieses System jederzeit einen Schulformwechsel zu. Dieser hohen Flexibilität, die die Begabungen und Interessen der Schüler individuell aufgreift und fortentwickelt, hat die Einheitsschule nichts entgegenzusetzen. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass die Akzeptanz des mehrgliedrigen Schulsystems in der Bevölkerung sehr hoch ist. 5 4. Was kann man verbessern? Bayern hat mit seinem Schulsystem eine gute Basis für die Bildungsherausforderungen der Zukunft. Um seinen Spitzenplatz im Bildungswesen zu halten und weiter auszubauen, müssen jedoch weitere Anstrengungen unternommen werden. 4.1 Vorschulische Erziehung Im Rahmen der vorschulischen Erziehung kommt der Sprachförderung herausragende Bedeutung zu. Sprachkompetenz ist unbestritten ein ganz zentraler Schlüssel zu schulischem und beruflichem Erfolg. Da ca. zehn bis 15 Prozent der Kindergartenkinder Verzögerungen in der Sprachentwicklung zeigen, besteht hier dringender Handlungsbedarf. Bei Kindern mit Migrationshintergrund ist darauf zu drängen, dass auch die Eltern der Kinder sich unsere Sprache aneignen. Integration beginnt mit der Sprache, sie ist ein erster Schritt, um Parallelgesellschaften zu verhindern. 4.2 Akzeptanz der Hauptschulen Das bayerische Schulsystem ist sehr differenziert. Besondere Aufmerksamkeit gebührt dabei der Hauptschule. Schleichend, über Jahre, wurde diese Schulform ins Abseits gedrängt. Medien, Politik und auch manche Hauptschullehrer selbst haben tatkräftig das Negativimage unterstützt. Um so mehr bleibt nun die Politik gefordert, mittels ihrer Hauptschulinitiative diese Schulform zu stärken. Das Image der Hauptschule muss verbessert werden. Sie braucht ein eigenes Profil, spezifische Lehrerausbildung, Ausbau der Kernbereiche Deutsch, Mathematik, eine enge Zusammenarbeit mit Betrieben und berufsbildenden Schulen. Durch die sehr heterogene Zusammensetzung der Schülerschaft bedarf es einer verstärkt individuellen Förderung. Erfolgversprechend ist die Einführung eines rhythmisierten Ganztagesunterrichts. Dieser bietet neben besserer individueller Betreuung der Schüler zugleich die Chance einer intensiveren erzieherischen Arbeit, die insbesondere an sogenannten sozialen Brennpunkten unumgänglich ist. 4

Für "Spätzünder" sollte über eine flexible Einstiegsphase in das Gymnasium nach der 5. Jahrgangsstufe nachgedacht werden. Dies würde auch die Hauptschule stärken. Aber auch die Hauptschule beweist die Durchlässigkeit unseres Schulsystems. Ihre Abschlüsse sind Anschlüsse an anspruchsvolle berufliche Bildung und auch Anschlüsse an weiterführende Schulen, bis zum Erwerb der Hochschulreife. 4.3 Verbesserung des Schulklimas Alle sind gemeinsam verantwortlich für den schulischen Erfolg. Jeder muss seinen Beitrag dazu leisten, dass Schule funktioniert: die Lehrer, die Eltern und natürlich die Schüler. Dies geht aber nur durch konstruktive Zusammenarbeit. Die gern publizierte pauschale Lehrerschelte ist höchst abträglich. Gefällt es den Schülern in ihrer Schule, werden sie gerne hingehen, lieber lernen und sich für ihre Schule einsetzen. Das Schulklima steht und fällt mit der Wertschätzung der Schule und des Unterrichts. Das Bewusstsein, dass Lernen etwas Wertvolles, etwas Schönes und nicht nur leidvolle Pflichtübung ist, ist in unserer Gesellschaft nicht immer vorhanden. Ansetzen kann man hier in erster Linie mit Elternarbeit. Eltern haben Erziehungspflichten, die sie wahrnehmen müssen. Die Schule allein ist mit diesen Aufgaben überfordert. Deshalb muss zwischen Eltern und der Schule eine Art Erziehungspartnerschaft entstehen, mit klar verteilten Aufgaben. Die Aufgabe der Schule heißt primär Bildung, die Aufgabe der Eltern primär Erziehung. In diesem Punkt geht es auch um die gegenseitige Wertschätzung. Das Bild von der Schule hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt. Zunehmend häufiger kommen die Kinder aus Familien, die keine gesicherte gesellschaftliche Lebensform mehr darstellen. Umso mehr müssen sich Familie und Schule anstrengen und sich in ihrem gesellschaftlichen Erziehungsauftrag optimal ergänzen. Dies ist eine wesentliche Aufgabe und auch Ziel bayerischer Bildungspolitik. 4.4 Chancengerechtigkeit in der Bildung neu denken Was ist Chancengerechtigkeit, wie weit geht Chancengerechtigkeit? Die PISA- Studien definieren Chancen in der Bildung vornehmlich über bestimmte Schulabschlüsse. Chancengerechtigkeit ist danach vor allem dann gegeben, wenn möglichst viele Schüler studieren. Ein Schulsystem ist aber nicht schon per se gut, wenn es möglichst viele Abiturienten produziert. Chancengerechtigkeit bedeutet auch die Weiterentwicklung der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung: Inwieweit werden berufliche Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge angerechnet (vgl. Meister)? Auch Angebote von Übergangshilfen zum Ausgleich unterschiedlicher Ausbildungsschwerpunkte (Einführungs-, Vorklassen, etc.) bringen mehr Chancengerechtigkeit. 5

Eine andere Frage ist die der Chancennutzung im weiteren Lebens- bzw. Berufsverlauf. Denn in einer Bildungs- und Ausbildungskarriere spielen auch viele andere Faktoren eine maßgebliche Rolle (z.b. Berufswünsche, Familienbindungen, Abwägen von Vor- und Nachteilen einer gymnasialen Ausbildung, allgemeine Leistungsfähigkeit etc.). 4.5 Bessere Ausbildung der Lehrer Neben dem fachwissenschaftlichen Studium muss deutlich stärkeres Gewicht auf die Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik in der Ausbildung gelegt werden. Zukünftige Lehrer müssen weit mehr als bisher mit Denkmustern, Emotionen, dem Verhalten und dem Handeln von Kindern und Jugendlichen unter der Berücksichtigung ihres jeweiligen sozialen Umfeldes und ihrer unterschiedlichen Lebenswelten vertraut gemacht werden. Der Umgang mit sozialer und kultureller Heterogenität muss geschult werden, was wiederum nur praxisnah geschehen kann. 5. Resümee Ein vielfältig gegliedertes Schulsystem gewährleistet hohe Durchlässigkeit, wie am bayerischen Schulsystem exemplarisch bewiesen werden kann. Eine einseitige Diskussion über Schulstrukturformen führt ins Nichts, sie verhärtet lediglich die Fronten. Es kommt auf die individuelle Förderung des einzelnen Kindes an. Das bayerische Schulsystem bietet eine frühe leistungsgerechte Förderung in einem homogenen Lernumfeld, womit sehr gute Ergebnisse erzielt werden. Übersehen werden darf auch nicht die Leistungsfähigkeit und die Qualität der beruflichen Bildung. Auf dem Weg über die Fachoberschule und Berufsoberschule können leistungsfähige und - willige Haupt- und Realschüler bis zu einem Hochschulstudium gelangen. Die Praxis beweist, dass dieser Weg erfolgreich ist. So werden in Bayern gut 43% aller Hochschulzugangsberechtigungen nicht über das Gymnasium erworben. Die Entscheidungs- und Bildungsfreiheiten, die eine offene, demokratische und plurale Gesellschaft bietet, befähigen unsere Kinder, vor allem in einem Schulalltag, der den Dialog mit den unterschiedlichsten Auffassungen, Weltanschauungen, Werten und Religionen fördert, ihren Platz zu finden. Anmerkungen 1 2 3 4 Life-Studie bezeichnet eine gemeinsame Langzeitstudie der Universität Zürich und der Universität Konstanz, in der die biographische Entwicklung einer ganzen Generation untersucht und detailliert aufgezeichnet wurde. Zwischen 1979 und 1983 wurden ca. 2.000 hessische Jugendliche befragt, um den Übergang von der Kindheit in das Jugendalter zu erforschen. 20 Jahre später wurden die damaligen Jugendlichen, nun zwischen 35 und 40 Jahre alt, erneut befragt. Dieser Datensatz erlaubt den Forschern darüber Aussagen zu machen, welche Faktoren in der Jugend für die Entwicklung im Erwachsenenalter entscheidend sind. Vgl. Die Zeit, 3.1.2008. Bildungsverläufe und psychosoziale Entwicklung im Jugend- und jungen Erwachsenenalter des Max-Planck-Instituts. PISA'06, 2007. 6

5 Nach der FORSA-Studie ist die Akzeptanz des mehrgliedrigen Schulsystems in der (deutschen) Bevölkerung groß. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts zur Schulstruktur (Erhebungszeitraum 20. bis 22. November 2007) kam zu folgendem Ergebnis: 60% der befragten Bundesbürger lehnen eine Einheitsschule ab, 63% glauben, ein einheitlicher Unterricht bis zur zehnten Klasse würde bei langsamen Schülern zu einer Überforderung, bei schnellen Schülern zu einer Unterforderung führen, 63% der Bundesbürger lehnen eine Verlängerung der Grundschulzeit bei gleichzeitig kürzerer Schulzeit in Realschulen und Gymnasien ab, und 68% der Befragten waren gegen eine Abschaffung der Hauptschule. Forsa-Studie im Internet:www.lehrerverband.de, www.dphv.de Literatur Baumert, Jürgen/Stanat, Petra/Watermann, Rainer (Hrsg.): Herkunftsbedingte Disparitäten im Bildungswesen: Differenzielle Bildungsprozesse und Probleme der Verteilungsgerechtigkeit, Wiesbaden 2006. Brenner, J. Peter: Schule in Deutschland. Ein Zwischenzeugnis, Stuttgart 2006. Knoll, Franz: Lehrerinfo 1 des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München 2006. Kraus, Josef: Der Pisa-Schwindel, Wien 2005. PISA-Konsortium Deutschland (Hrsg.): Pisa 03. Der Bildungsstandard der Jugendlichen in Deutschland Ergebnisse des zweiten internationalen Vergleichs, Münster 2004. PISA-Konsortium Deutschland (Hrsg.): Pisa 06. Die Ergebnisse der dritten internationalen Vergleichsstudie, Münster 2007. Schriften des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus: Schule und Bildung in Bayern, Heft 47, 2006. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung, Qualitätsagentur (Hrsg.): Bildungsberichterstattung 2006, München. Autorin Paula Bodensteiner: Referentin für Schul- und Bildungspolitik in der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung, München. 7