GESPRÄCH: WAS GEHT DAS UNS AN?

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Transkript:

GESPRÄCH: WAS GEHT DAS UNS AN? Ich darf mich kurz vorstellen. Mein Name ist Theresa Kempter, ich bin 19 Jahre alt und Studentin. Vermutlich fragen Sie sich, warum ich hier stehe. Keines der Opfer war ein Angehöriger meiner Vorfahren, aber ich bin eine Baienfurterin und Geschichte hat mich schon immer sehr interessiert. Als ich zum ersten Mal durch das Heimatbuch blätterte, schockierte es mich sehr, dass die Gräueltaten der Nationalsozialisten sich auch in meiner Heimat ereignet hatten. Noch schockierender aber empfand ich, dass die letzten 80 Jahre niemand darüber berichtet hatte. Zum ersten Mal konnte ich selbst erleben, wie einfach es ist, die Vergangenheit zu verdrängen. Einwand (gesprochen von Jenja Pantoffelmann) Antwort (gesprochen von Theresa Kempter) Aber warte mal! Was geht das eigentlich uns an? Ja, Jenja! Was meinst Du denn damit? Na, das ist doch alles schon so lange her, das Es geht doch nicht um Schuld sondern um unsere Verantwortung. Und spielt doch heute keine Rolle mehr. Das lenkt aus der ziehst Du Dich gerade heraus. Wir wollen nicht im Entsetzen doch nur von den aktuellen Problemen ab. stecken bleiben und Schuldgefühle pflegen, sondern ehrlich Lehren aus Und überhaupt: Wir hier sind doch nicht schuld diesem Teil unserer Geschichte ziehen. daran, was damals passiert ist. Wo kämen wir Wir können aus unserer Geschichte lernen, wozu der Mensch fähig. Es ist denn hin, wenn wir ewig die Schuld unserer wichtig, immer wachsam zu sein, wenn Menschenrechte gefährdet sind Vorfahren mitschleppen müssten? und Totalitarismus beginnt wie heute in der Türkei. Wenn wir uns erinnern, dass von den Nationalsozialisten verfolgte Menschen damals vor geschlossenen Grenzen standen, werden wir das Grundrecht auf Asyl bewahren. Denken wir an die Euthanasie - Morde, werden wir uns wehren, wenn Leben heute als nicht mehr lebenswert angesehen wird und werden es als unsere Aufgabe verstehen, alles zu tun,

um die Menschenwürde von Behinderten, Kranken und alten Menschen in Heimen zu wahren. Wenn wir sehen, wie damals jedes abweichende Verhalten als anormal gebrandmarkt und unterdrückt wurde, werden wir uns um Toleranz bemühen. Wir kennen aus unserer Geschichte besonders gut die Mechanismen, mit denen durch Propaganda, totalitäre Erziehung, Terror die Anpassung der Menschen erzwungen wurde. Heute brauchen wir keine Angst mehr vor dem Verlust des Lebens zu haben, aber auch Angst vor Ansehensverlust und Jobverlust macht uns gefügig. Ebenso kennen wir aber auch die Mechanismen, mit denen die Menschen damals aus Angst weggeschaut haben. Deswegen kennen wir den Wert von Zivilcourage. So ist unsere furchtbare Geschichte auch eine Chance für uns. Und eben deshalb ist es endlich Zeit, mit der Vergangenheit abzuschließen. Wir reißen nur alte Wunden auf durch diese Erinnerungen, indem wir wieder alles aufwühlen, was sich so beruhigt hat. Das bringt doch nur eine Verlängerung des Leidens. Aber es gibt noch einen zweiten Punkt, warum diese Geschichte gerade auch Dich etwas angeht. Überleg mal! Du bist Teil einer Familie. Deine Urgroßeltern, Großeltern haben diese Zeit erfahren. Ihre Erfahrungen haben indirekt auch Dein Leben mitgeprägt. Gab es keine gefallenen Soldaten in Deiner Familie, keine Verwundungen, keine Traumata aufgrund von Kriegserlebnissen, Flucht und Vertreibung, kein Schweigen nach dem Krieg und keine Entfremdung? Das denkst Du vielleicht, aber es kann keine Gerechtigkeit, keine Heilung der Wunden und keine Aussöhnung mit Schicksal und Tätern geben, bevor Unrecht und Verbrechen nicht beim Namen genannt worden sind. Dass man auch nach dem Krieg nicht über die Verbrechen der Nationalsozialisten reden wollte, kann als zweite Schuld im Nachkriegsdeutschland bezeichnet werden. Unter ihr litten in einer Art

Das mag ja sein, aber es ist doch schon so viel gemacht worden. In der Schule wird der Nationalsozialismus bis zum Erbrechen im Geschichtsunterricht durchgenommen. Es gibt so viele Denkmäler! Warum muss die Suppe immer wieder aufgekocht werden? Die Menschen werden doch der Sache überdrüssig. Man muss doch mal einen Schlussstrich ziehen. Wieso müssen wir uns immer nur daran erinnern? Immer wird auf uns Deutschen zweitem Leid die Opfer und ihre Angehörigen. Sie schämten sich. Das allgemeine Schweigen stellte sie miteinander ins Abseits. Erinnerung aber heilt. In Baienfurt ist das jetzt zum ersten Mal aufgearbeitet worden, seit 80 Jahren. Da gab es jahrzehntelang keine offizielle Erinnerung. Fast hätte man die Schicksale der 10 NS- Opfer vergessen. Da kann man nicht sagen, es ist schon so viel gemacht worden. Und gerade die Geschichte vor Ort ist sehr anschaulich und eindrücklich. Sie fordert uns Baienfurter zum Erinnern auf. Und überhaupt, wer kocht denn die braune Suppe wieder auf? Gerade heute sieht man, dass viele Menschen zu wenig aus der Nazi- Zeit gelernt haben. Wer generalisiert seine Meinung Wir sind das Volk! - und diffamiert Andersdenkende als Volksverräter? Als man in Baienfurt bei der Volksabstimmung 1936 unter Bruch des Wahlgeheimnisses die 7 Personen herausbekam, die mit Nein gestimmt hatten, stellten die Nazis ein paar Tage später einen Galgen mit Puppen für diese Personen auf. Darüber schrieben sie: Gemein und dumm und feig dabei, da hängt die ganz Verräterei! Wer hängt heute eine Puppe der Kanzlerin bei seinen Veranstaltungen als Verräterin der Volksinteressen am Galgen auf? Wer ahmt die Gewalttätigkeit der damaligen Nazi- Sprache gegenüber Gegnern heute nach? Du weißt, wen ich meine. Dabei können wir aus den damaligen Vorgängen lernen, dass man zuerst mit Worten tötet. Da ist es doch offensichtlich, wie wichtig auch heute noch die Erinnerung ist. Jetzt übertreib mal nicht so! Du schwenkst bei der Fußball- WM die deutsche Fahne und bist stolz

herumgehackt! Wir können doch auch mal stolz sein. Wir sind Fußballweltmeister, haben die Wiedervereinigung erreicht. Warum sollen wir denn immer im Büßerhemd durch die Welt gehen? Ja, völlig zu Recht. Doch Du übersiehst, dass diese Erinnerungskultur manchmal auch missbraucht wird. Da darf man dann nichts Schlechtes mehr über Flüchtlinge sagen, weil man dann gleich ein Nazi ist. Da stimme ich Dir zwar zu, aber was ist, wenn die Angehörigen der Opfer das Gedenken gar nicht wollen? darauf! O.K. Aber merkst Du nicht? Du bist ein Schönwetterdeutscher, stolz auf die guten Seiten unseres Landes, aber die negativen Seiten unserer Geschichte willst Du nicht annehmen. Die Ereignisse im 3. Reich gehören aber zu unserer deutschen Identität, auch zu Deiner. Stelle Dir vor, in Israel mit einem jungen Menschen zu sprechen, dessen Großeltern in Auschwitz ermordet wurden. Da kannst Du nicht sagen: Wir sind aber Fußballweltmeister! Da musst Du als Deutscher Stellung beziehen zu der Geschichte Deines Volkes. Sie ist wie eine Erbschaft, für die Du nun Verantwortung trägst. Und Du bist vielleicht froh, wenn Du sagen kannst, dass in Deinem Heimatort ein Denkmal für die NS- Opfer aufgestellt wurde. Übrigens haben wir als Deutsche durch die Bereitschaft, unsere Vergangenheit aufzuarbeiten, viel Glaubwürdigkeit und Vertrauen in der Welt zurückgewonnen - sogar akzeptiert von vielen ausländischen Opfern und ihren Nachkommen. Darüber bin ich froh. Vielleicht gibt es solche Fälle, das kann ich nicht ausschließen. Natürlich muss man sagen können, dass es auch unter den Flüchtlingen wie unter allen Menschen schwarze Schafe gibt. Wichtig ist es, den individuellen Menschen zu sehen und nicht in eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu geraten. Das ist natürlich schade, vor allem für sie selber. Vielleicht könnte es ihnen helfen, den Schmerz nicht alleine tragen zu müssen. Außerdem geht es zuerst einmal um die Gerechtigkeit für die Opfer selbst. Die steht ihnen zu. Darauf kann auch kein Angehöriger verzichten. Darüber hinaus ist es für unsere staatliche Gemeinschaft wichtig, dass sie durch die Verurteilung der Vorgänge damals deutlich macht, was ihr moralischer Kompass ist.

Mensch, jetzt hast Du mich ganz schön zugetextet. Ich werde mir das noch mal gut über- legen müssen, was Du gesagt hast. Vielleicht reden wir später noch mal in Ruhe über diese Sache, wenn nicht so viele Menschen dabei sind. Wir Baienfurter bekennen uns mit dem Denkmal zu unseren Werten: Menschenwürde, Recht auf Leben, Freiheit, Gleichheit, Toleranz, Rechts- staatlichkeit. Sie sollen gelten für jeden, der hier lebt. Das ist unser aller Auftrag, wie es Joachim Gauck gesagt hat: Schützt und bewahrt die Mit- menschlichkeit. Schützt und bewahrt die Rechte eines jeden Menschen. Ich verstehe, dass man dieses schwierige Thema nicht so einfach abhandeln kann. Wir tragen eine Verantwortung für unsere Geschichte, die man niemals ablegen kann. Meine Großeltern haben mir von den dunkelsten Zeiten des 20. Jahrhunderts berichtet, die sie am eigenen Leib erfahren haben. Ich möchte später, genau wie sie, meinen Enkeln berichten, was damals passiert ist, und wie es so weit kommen konnte. Damit sie davor geschützt sind, die Fehler der Vergangenheit erneut zu begehen. Und vielleicht kann ich ihnen auch dann noch den Klangstein auf dem Marktplatz zeigen und erklären, dass er für 10 ganz normale Menschen steht, denen es verwehrt blieb, ihr Leben zu leben. Weil sie unter einem Regime litten, in dem es verboten war, anders zu sein, sich zu verlieben, in wen man wollte, oder einfach nur aus einem anderen Land stammte. Baienfurt, 5. November 2017