Sprachwissenschaft und Literatur
Berliner Lehrbücher Sprachwissenschaft Band 3
Jesús Zapata González Sprachwissenschaft und Literatur Ein Einstieg in die Literaturtheorie
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Gewidmet meiner lieben Frau Heidrun und meinem verehrten Dozenten Herrn Brestyensky.
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 9 2. Eine vernünftige Einführung 11 2.1 Was ist Wahrheit 13 2.2 Von der Suche nach einer Methode 17 2.3 Die Sprache als Wesensmerkmal des Menschen 19 3. Was ist die Sprache? 21 3.1 Was ist natürliche Sprache? 27 3.2 Über die Bildung von Sätzen 35 3.3 Was ist Textkonstitution? 41 3.4 Wie viel Text braucht ein Text? 49 4. Was ist Kunst? 51 4.1 Ist Kunst immer schön? 55 5. Was ist Literatur? 59 5.1 Strömungen der Literaturtheorie 65 6. Schlusswort 75 7. Bibliographie 77 8. Der Autor 81 7
1. Einleitung Es gehört zu unserem Alltag von Freiheit, Kultur, Politik, Literatur usw. zu sprechen, diese allgemeinen Begriffe sind für uns oft selbstverständlich, man hat eine praktikable Vorstellung von ihnen und mehr oder weniger erkennt jeder, was wir damit meinen. Problematischer wird es sein, wenn wir den Alltag verlassen und eine Horizonterweiterung dieser großen Begriffe anstreben. Das Wesen des literarischen Werks ist nicht nur unzureichend definiert, sondern vor allem unklar und ungewiss. Man könnte meinen, es sei nur bei uns Laien so, die wir mit den literarischen Werken nur verkehren, aber kein theoretisches Wissen über sie besitzen. Aber die Antwort auf die Frage: Was ist denn die Literatur?, Welcher Art ist ihre Definition, ihre Natur, Geburt oder Genese im menschlichen Geist und damit ihre Funktion?, ist im Wesentlichen bei den Kritikern und Literaturhistorikern nicht besser. Deshalb bedeutete für mich methodische Untersuchungen zu finden, und damit die Heimzelle des literarischen Ausdrucks zu suchen, faktisch eine Offenbarung. Unser Ziel ist bescheiden. Das Ziel ist die Darstellung einer verständlichen Überlegung zu den ästhetischen und kunsttheoretischen Problemen der modernen Literaturtheorie, ohne dabei eine konkrete Literaturtheorie im Sinne eines Korpus von Theorien zu berücksichtigen. Keiner der hier in Umrissen vorgestellten Ansätze, von der Phänomenologie und der Semiotik bis hin zum Strukturalismus und der Rezeptionstheorie, befasst sich mit literarischen Texten. Ganz im Gegenteil, sie sind aus anderen geisteswissenschaftlichen Gebieten hervorgegangen und ihre Implikationen weisen über die Literatur hinaus. 9
2. Eine vernünftige Einführung Wenn eine Arbeit über ein schwieriges Fachthema zu verfassen ist, beginnt man oft mit der entsprechenden Begriffsdefinition. Wir wollen wissen, worüber wir sprechen; was beinhaltet unser Thema? Diese Frage beantworten zu können, würde aber bedeuten, dass ich die Antwort bereits kenne. Die erste Frage müsste also lauten, wie habe ich diese Kenntnisse erreicht und woher kamen sie? Keine Frage stellt sich aus reiner Ignoranz. Wüsste ich gar nichts, so hätte ich keine Frage stellen können. Ich frage aus meinen Kenntnissen, also aus dem heraus, was ich zu kennen glaube. Um beginnen zu können, sollte ich mich zuerst fragen, woher ich meine Kenntnisse bezogen habe, danach wie sicher ich meiner Kenntnisse sein darf. Anschließend lassen sich letztere erweitern oder durch bessere ersetzen. Ich weiß Dinge, weil ich sie durch andere erfahren habe, z. B. durch eine nette Unterhaltung mit einem Freund oder beim Lesen einer Zeitung. Weitere Kenntnisse erwarb ich in der Schule, wie beispielsweise, dass die Hauptstadt Brasiliens einst Rio de Janeiro war. Und anderes weiß ich, weil ich es selbst erfahren habe. Ich habe Gefühle, so weiß ich z. B., was warm und kalt ist. Ich erinnere mich an meine Kindheit und ich kann träumen. Meine Erfahrungen lehrten mich zu leiden, zu genießen, zu schlafen und zu fühlen. Aber wie sicher kann ich dieser Kenntnisse sein? Hat mein netter Freund die Wahrheit erzählt? Stimmen die Zeitungsberichte, die ich lese, überein? Übrigens, Rio de Janeiro ist nicht mehr die Hauptstadt Brasiliens. Kann ich überhaupt bei etwas sicher sein? Wie kann ich meine Kenntnisse erweitern, vergleichen und überprüfen? Mit einem Wort: Ich sollte neue Informationen nicht nur einfach aufnehmen, sondern sie durchleuchten und widerlegen. Aber wie? Unsere Erfahrungen und die Logik sind die Grundlage unserer deduktiven Fähigkeit, ein innerer Mechanismus, der die Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen den Gegenständen herstellt. Die- 11
ser intellektuelle Mechanismus wurde im 17. Jh. von Leibniz als Vernunft definiert. Durch ihn erhalte ich in manchen Fällen vernünftige Sicherheiten, die mir Kriterien zur Kenntniserweiterung bieten, auch Wahrscheinlichkeiten und Angeblichkeiten können mich zufrieden stellen, so kann ich vernünftigerweise sicher sein, dass es in Afrika Löwen gibt und vor 140 Jahren der Sezessionskrieg in Amerika stattfand. So ist die Vernunft kein Resultat meiner Erfahrung, Bildung oder von Belehrungen, sondern ein kritischer, intellektueller Prozess, der einsetzt, wenn ich etwas erlebe, lerne oder höre. Zunächst versucht unsere Vernunft unser subjektives Ich mit einer intersubjektiven Dimension zu verbinden, damit wir unsere äußere Realität verstehen können. Das eben ist das Hauptmerkmal der Vernunft: Die Verknüpfung meiner Vernunft mit der der anderen, die uns in Verbindung setzen mit der Realität. Platon und Descartes bezeichnen dies als Konzept der Universalität der Vernunft. 12