Grußwort zur Eröffnung der Ausstellung Neue Anfänge nach 1945?

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Transkript:

Grußwort zur Eröffnung der Ausstellung Neue Anfänge nach 1945? Kirche am Rockenhof, Volksdorf, 10. Mai 2019 Meine sehr geehrten Damen und Herren, willkommen zur Eröffnung der Ausstellungseröffnung hier in der Kirche am Rockenhof, zu der ich Sie im Namen des Kirchenkreises Hamburg-Ost in Vertretung meiner Kollegin Pröpstin Isa Lübbers herzlich begrüße. Der Titel dieser Wanderausstellung lautet: Neue Anfänge nach 1945? und das wichtigste daran ist vielleicht das Fragezeichen am Schluss. Denn in vielen Fällen gab es auch in der evangelischen Kirche nach 1945 keine wirklichen radikalen Neuanfänge, sondern eine Kontinuität der Personen und Denkmuster, verbunden mit einer Verdrängung und Verleugnung der Vergangenheit. Dies wird durch die Ausstellung an exemplarischen Themen und Personen deutlich; damit versucht sie eine Antwort auf die Frage, die sie in ihrem Untertitel formuliert: Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit ihrer NS-Vergangenheit umgingen. Dies teilt die Kirche mit der Gesellschaft insgesamt, auch hier hat es bekanntlich beides gegeben: Verleugnung und Kontinuität: eine Verleugnung, die mit dem treffenden Begriff von Ralph Giordano zu einer Zweiten Schuld geführt hat. Und eine Kontinuität, mit der viele belastete NS- Funktionäre in der Bundesrepublik öffentliche Ämter, etwa in der Politik, bekleiden konnten. Daher leistet diese Ausstellung einen wichtigen Beitrag zur kirchlichen Erinnerungsarbeit. Denn in der Kirche herrschte lange Zeit das Selbst-Bild, nach 1945 an die Tradition der Bekennenden Kirche anzuknüpfen, die sich dem Nationalsozialismus entgegengestellt hatte. Die eigene Verstrickung in die Machtverhältnisse des Nazi-Regimes wurde in weiten Teilen geleugnet bzw. überhaupt nicht in den Blick genommen. Auf diese Weise konnten berufliche Biographien in vielen Fällen in großer Kontinuität weitergeführt werden: Pastoren, die die nationalsozialistische Ideologie und den Antisemitismus befürworteten und während der Nazi-Zeit hohe kirchliche Ämter innehatten, fanden auch nach 1945 ein kirchliches Gemeindeamt, ohne sich mit ihrer braunen Vergangenheit auseinandersetzen zu müssen. Neben diesen beruflichen Kontinuitäten gab es aber auch unheilvolle Fortsetzungen in Themen und Tendenzen: etwa den Antisemitismus, der wiederaufkommen konnte oder nie ganz verschwunden war. 1

Oder die Frage der NS-Täter und Kriegsverbrecher im Schutz der Kirche, oder auch Antikommunismus und Diffamierung politisch aktiver Pastoren. Mit all diesen Themen war das kirchliche Leben nach 1945 aufgeladen und belastet, aber ohne dass darüber auf kritische oder befreiende Weise gesprochen werden konnte. Diese Sprachlosigkeit hatte vielfach etwas Beklemmendes. Eben diese Sprachlosigkeit wird durch die Ausstellung unmissverständlich dargestellt und damit zugleich auch auf eindrucksvolle Weise überwunden: Denn sie behandelt in sechs Themenfeldern die kirchliche Zeitgeschichte von 1945 bis 1985 und lässt sie in Bildern und Texten anschaulich werden. Dabei wird die Verstrickung kirchlicher Amtsträger und Denkweisen in eine Haltung deutlich, die der kritischen Auseinandersetzung aus dem Weg geht: weite Teile der Kirche wie der Gesellschaft waren in den Jahrzehnten nach 1945 nicht in der Lage, einen selbstkritischen Blick auf die eigene Nazi-Vergangenheit zu werfen und waren auf diese Weise dazu verdammt, alte Verhaltensmuster zu wiederholen: nicht so genau hinsehen, vieles unter den Teppich kehren, eigene Schuldanteile verdrängen und neue Feindbilder aufbauen. In welchem Maße die Landeskirchen Nordelbiens hier in den Fehlern der Geschichte stecken geblieben sind, wird durch diese Ausstellung auf eindrucksvolle und manchmal beklemmende Weise deutlich. Zugleich wird diese damalige Sprachlosigkeit aber auch überwunden, denn wir können heute einen nüchternen historischen Blick werfen auf die Kontinuitäten vor und nach 1945 und damit dem damaligen Schweigen etwas entgegensetzen. Wer in welcher Funktion auch nach 1945 noch die kirchlichen Geschicke lenkte, das kann und soll ausführlich zur Sprache kommen. Die Ausstellung und ihr Rahmenprogramm erweitern unseren Horizont: Statt Verdrängung und Verleugnung stehen sie für Transparenz und die Suche nach der historischen Wahrheit. Und zu dieser historischen Wahrheit gehört offenbar auch die Einsicht, dass ein schlichtes Entweder-oder an vielen Stellen zu kurz greift. Die Ausstellung lehrt uns, Ambivalenzen zu verstehen und vielleicht auch zu ertragen. Und nirgends wird Widersprüchliches so deutlich wie an der einzelnen Lebensgeschichte. Deshalb hat, finde ich, die Darstellung der Biographien, die auch zu dieser Ausstellung gehörten, eine besondere Bedeutung: Hier werden unterschiedliche exemplarische Lebensgeschichten vorgestellt. Und dabei wird an vielen Stellen deutlich, dass diese Biographien auch von Widersprüchen geprägt sind 2

und deshalb nicht auf eine einfache Formel gebracht werden können, weil sie sich schlichten Zuweisungen entziehen: Etwa Wilhelm Halfmann, der einerseits als Führungsmitglied der Bekennenden Kirche einer deutschchristlichen und arisierten Kirche entgegentrat, und andererseits Zeit seines Lebens einen christlich begründeten Antijudaismus vertrat. Oder auch Gerhard Gülzow, der Vater des späteren Hamburger Professors für Kirchengeschichte, der ebenfalls der Bekennenden Kirche nahestand und nach 1945 für einen wirklichen Neuanfang plädierte. Andererseits rückte ihn sein großer Einsatz für die Belange der Vertriebenen und sein Plädoyer gegen den Verzicht auf deren Heimatgebiete in die Nähe von revanchistischen Positionen. Auch in dieser Hinsicht kann die Ausstellung unseren Horizont erweitern. Für die Lokalgeschichte hier in Volksdorf lässt sich diese Ambivalenz an der Person von Propst Peter Hansen Petersen illustrieren, der ja als eine der zentralen Figuren der jüngeren Volksdorfer Kirchengeschichte gelten kann. Über ihn ist vor zwei Jahren eine ausgezeichnete lokalgeschichtliche Schülerarbeit erschienen. Sie wurde verfasst von Katinka Kalusche, damals Abiturientin am Gymnasium Buckhorn. Die Arbeit trägt den Titel Konformität und Nonkonformität im Nationalsozialismus am Beispiel des Pastors des Evang.-Luth. Kirchspiels Bergstedt und wurde im Rahmen des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten ausgezeichnet. Anhand der Biographie des späteren Propstes Peter Hansen Petersen untersucht Frau Kalusche die Frage von konformem und nonkonformem Verhalten im Nationalsozialismus. Sie nimmt anhand von konkreten Verhaltensbeispielen individuelle Lebenssituationen des Pastors in den Blick und beschreibt seine Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Regime. An zwei Beispielen aus dieser Arbeit lässt sich kurz erläutern, dass sich das Verhalten Hansen Petersens nicht auf einen einfachen Begriff bringen lässt: Im Jahre 1936 führte er eine briefliche Auseinandersetzung mit dem örtlichen HJ- Führer Helmuth Laumann über die Frage, ob dieser die Mitglieder seines Jungvolks vom Konfirmandenunterricht beurlauben könne. Dagegen verwahrt sich Hansen Petersen mit scharfen Worten. Zugleich wird aber beim genaueren Hinsehen deutlich, dass dies weniger als politischer Protest gegen das Unrechtsregime zu verstehen ist, weil es ihm offenbar in erster Linie um seine Glaubwürdigkeit 3

gegenüber seinen Konfirmanden ging, und er sich in seiner Ehre angegriffen fühlte (Kalusche S. 23). Eine weitere Begebenheit stellt Hansen Petersens Weigerung dar, die Aufbahrung eines aus der Kirche ausgetretenen SA-Mannes auf dem Bergstedter Friedhof zu gestatten. Dabei ist zu beachten, dass es allein um die Aufbahrung ging, nicht aber um eine Trauerfeier oder Bestattung. Mit dieser Entscheidung zog sich Hansen Petersen nicht nur den Zorn des NS-Ortsgruppenleiters zu, sondern er musste seinen Entschluss auch gegenüber seinem Propst Dührkop rechtfertigen (vgl. Kalusche S. 25f). Auch hier wird aber deutlich, dass Hansen Petersens Haltung nicht gegen das NS-Regime selbst gerichtet war: dass es sich um ein Mitglied der SA handelte, war ihm zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gar nicht bewusst. Vielmehr ging es Hansen Petersen allein um die Einhaltung kirchlicher Bestimmungen. Ob Hansen Petersen selbst Mitglied der NSDAP war, lässt sich, so das Ergebnis der Forschungen von Katinka Kalusche, weder beweisen noch widerlegen: Er selbst bezeichnet sich im Jahre 1938 in einem Schreiben an das Landeskirchenamt als Parteigenosse (vgl. Kalusche S. 28 und S. 25 Anm. 66). Eine Mitgliedschaft lässt sich aber nicht belegen und wurde von ihm später auch geleugnet (vgl. Kalusche S. 28). Eine Weigerung, der NSDAP beizutreten, ist aber in Volksdorf anderweitig aktenkundig geworden: Der Hamburger Schulrat Gustav Schmidt, der seit 1928 in Volksdorf lebte, verweigerte sich als überzeugter Christ dem Drängen seiner Vorgesetzten, in die NSDAP einzutreten. Aufgrund dieser Weigerung wurde er vom Dienst suspendiert und erhielt Berufsverbot. Er kann als Beispiel dafür gelten, dass die persönliche Integrität auch zu Verweigerungshaltungen gegenüber dem NS- Regime geführt hat, die auch gravierende persönliche Nachteile in Kauf genommen hat. Neue Anfänge nach 1945? So fragt diese Ausstellung. An der Biographie des Volksdorfer Propstes Peter Hansen Petersen kann deutlich werden, dass sich nur in wenigen Fällen eine eindeutige Ablehnung des Nationalsozialismus findet, die als Verweigerung oder gar Widerstand gedeutet werden könnte. Und dass daher auch die Neuanfänge mit einem großen Fragezeichen zu versehen sind. Auch in der Kirche ist eine bleibende Ambivalenz festzustellen aufgrund ihrer Anfälligkeit für die 4

Nazi-Ideologie und aufgrund ihrer vielfach fehlenden Bereitschaft zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld. Die Ausstellung leitet an, die Sprachlosigkeit an dieser Stelle zu überwinden, indem sie in vielen einzelnen exemplarischen Fällen die Ambivalenzen beschreibt, die im Verhalten der meisten kirchlichen Funktionäre zu finden ist. Und so wünsche ich der Ausstellung viele Besucherinnen und Besucher, die sich zum Nachdenken und zur Diskussion anregen lassen. Denn der Umgang mit der eigenen Vergangenheit ist eine bleibende Aufgabe, hier in Volksdorf wie in allen anderen Kirchengemeinden. Matthias Bohl, Propst im Kirchenkreis Hamburg-Ost, Propstei Wandsbek-Billetal; im Mai 2019 auch vertretend auch für die Propstei Bramfeld-Volksdorf 5