Netzwerke als Erfolgsfaktor im beschäftigungsorientierten Fallmanagement Barsinghausen, 2. November 2012 Institut für Stadt- und Regionalentwicklung Fachhochschule Frankfurt am Main csreis@fb4.fh-frankfurt.de
Die Organisation sozialer Dienstleistungen im Jobcenter
Fallmanagement im SGB II Zur schnellstmöglichen Überwindung der Hilfebedürftigkeit bedarf es einer maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen auf den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Kernelement der neuen Leistung soll deshalb das Fallmanagement sein. Im Rahmen des Fallmanagements wird die konkrete Bedarfslage des Betroffenen erhoben; darauf aufbauend wird dann ein individuelles Angebot unter aktiver Mitarbeit des Hilfebedürftigen geplant und gesteuert (BT-Drs.15/1516: 44).
Neufassung des 16a SGB II Zur Verwirklichung einer ganzheitlichen und umfassenden Betreuung und Unterstützung bei der Eingliederung in Arbeit können die folgenden Leistungen, die für die Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in das Erwerbsleben erforderlich sind, erbracht werden: 1.die Betreuung minderjähriger oder behinderter Kinder oder die häusliche Pflege von Angehörigen, 2.die Schuldnerberatung, 3.die psychosoziale Betreuung, 4.die Suchtberatung.
Wie Aufgaben in einem Jobcenter definiert werden Natürlich ist unser oberstes Ziel hier die Integration in Arbeit, aber ich bin nur zu 20 oder 30 Prozent mit Vermittlungsaufgaben beschäftigt, weil sehr viele Vermittlungshemmnisse, soziale Probleme, persönliche Rahmenbedingungen erst einmal zu bearbeiten sind, bevor man daran denken kann, dass die Kunden mal einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen oder auch einer Arbeitsgelegenheit nachgehen können (fm13, 3). Aber: Als explizites Ziel ist Integration in Erwerbsarbeit definiert, was sich auch im Zielsystem niederschlägt.
Die Realität in diesem Jobcenter Ich bin als pap für ca. 400 Kunden zuständig. Von diesen Kunden sind nach meiner persönlichen Einschätzung, positiv ausgedrückt, ca. 10 bis 15 Prozent für eine Vermittlung brauchbar. Aus dieser Zahl ergibt sich die Problematik meiner Arbeit, denn die anderen 85 bis 90 Prozent haben vielfältige Probleme, für die also eine Arbeitsvermittlung nicht primäres Ziel sein kann. In diesen Fällen müssen viele Probleme gelöst werden, bevor eine Vermittlung denkbar ist (fm11, 3).
Weniger Anreize für Kooperation Dazu gab es auch mal eine Diskussion im KreistagsSitzungssaal. Da wurde zu den flankierenden Leistungen gesagt: Zu den Netzwerkpartnern vermitteln, und ab da ist das nicht mehr unser Job. Das ist nicht gewollt und gefordert, dass wir das nachhalten und nachfragen, wie es läuft in der Zusammenarbeit mit der Einrichtung (fm13, 22-25).
Schlaglichter auf die Realität des 16a SGB II
Ergebnisse der Evaluation nach 6c SGB II Quelle: Brussig/Knuth: Die Zukunft der Grundsicherung, FES 2011, S.33, Daten aus 2007/2008
Zugang bei Beratungseinrichtungen 2 (Stadt(Stadt-zkT) 88 180 Sucht 181 2010 583 101 156 2009 577 129 vom Jobcenter zugewiesen 148 2008 532 Personen mit Bezug von ALG 2 Klienten gesamt 120 318 Sucht 12 2010 613 101 335 2009 608 53 336 2008 555 0 100 200 300 400 500 600 700
Zugang bei Beratungseinrichtungen (Kreis-ARGE) 30 138 Sucht 9 2010 376 31 125 2009 385 45 122 2008 375 11 Sucht 3 vom Jobcenter zugewiesen 73 2010 322 Personen mit Bezug von ALG 2 Klienten gesamt 8 104 2009 343 13 98 2008 337 0 100 200 300 Quelle: Eigene Erhebungen 400 500 600 700 800 900
Die Gestaltung von Kooperation
Kooperation ein Verfahren ( ), bei dem im Hinblick auf geteilte oder sich überschneidende Zielsetzungen durch Abstimmung der Beteiligten eine Optimierung von Handlungsabläufen oder eine Erhöhung der Handlungsfähigkeit bzw. Problemlösungskompetenz angestrebt wird. ( ) = geteilte Ziele = Nutzen für alle Beteiligten Van Santen/Seckinger 2003
Die Praxis hat noch Entwicklungsbedarf
Eisberge erschweren die Kooperation 1 Corbett, T. u.a.: 2005, p. 33
Eisberge erschweren die Kooperation 2 Corbett, T. u.a.: 2005, p. 33
Die Aufgabenstellung für Nachhaltigkeit Corbett, T. u.a.: 2005, p. 33
Steuerungsprobleme Bedarfslagen werden nicht erkannt Ein Zielkonsens muss erarbeitet werden Die fachlichen Orientierungen sind unterschiedlich (z.b. Beratungsstellen) Es existieren rechtliche Hürden (z.b. Datenschutz) Eingefahrene institutionelle Routinen erschweren bedarfsgerechte Angebote
Verbindlichkeit absichern auf der Ebene der individuellen Fallsteuerung durch den Einsatz von Instrumenten (Verfahren). auf der Ebene der einzelnen Organisation durch Anreize für Kooperation; auf der Ebene des kommunalen Netzwerks durch verbindliche Kooperationsstrukturen;
Anforderungen an Kooperation Ziele der Beteiligten überschneiden sich. Spielregeln und Strukturen sind geschaffen. Verfahren der Aushandlung werden praktiziert. Vertrauen wird entwickelt und bestätigt.
Produktionsnetzwerke eine Lösung?
Was sind organisationale Netzwerke soziale Systeme, die vornehmlich aus Interaktionen und Beziehungen zwischen (autonomen) Organisationen zusammengesetzt sind, die diese überwiegend mit Blick auf den Beziehungszusammenhang zwischen sich reflexiv koordinieren. (angelehnt an Windeler 2001) = Autonomie der Akteure, aktive Koordination
Grundlegende Aufgabe Netzwerke funktionieren nur auf der Basis wechselseitigen Vertrauens. Insofern besteht die grundlegende Aufgabe bei der Bildung und Stabilisierung eines Netzwerks darin, dieses Vertrauen aufzubauen und aufrecht zu erhalten = Sicherung der Verlässlichkeit. Verlässlichkeit ist aber nur zu gewährleisten, wenn der jeweilige Nutzen der Mitarbeit deutlich wird.
Kooperation verspricht Nutzen Die Eigenmotivation ist wichtig, aber diese kann auch extern begünstigt werden. Ein sanfter Druck kann von Bedeutung sein, wenn die [Grundsicherungsstelle] sich darauf einlässt und die Menschen mehr vermittelt und nachfragt. Ich bin überzeugt davon, dass wir bei einer guten Kooperation viele Menschen gewinnen können und z.b. von Therapie oder Betreuung überzeugen können (ex012, 28).
Der Reha-Verbund Sucht im Lahn-Dill-Kreis
Ein erster Schritt: Diagnose der Abläufe
Schritte der Bildung eines offenen Produktionsnetzwerks 1 Perspektive auf die Zielgruppe Von allen Akteuren wird gemeinsam die Zielgruppe und die für diese Zielgruppe gewünschten Wirkungen festgelegt. Analyse der aktuellen Leistungskette Danach wird gemeinsam der aktuelle Leistungsprozess in seinem Ablauf rekonstruiert, ohne die Leistungen im Detail zu diskutieren. Perspektive auf Leistungen Darauf folgt die Beschreibung der einzelnen Leistungen, die die Zielgruppe benötigt, damit sich die gewünschten Wirkungen ergeben. Hierzu wird ein potenzieller Leistungsprozess rekonstruiert: Wie sehen die benötigten Leistungen aus der Perspektive der NutzerInnen aus?
Schritte der Bildung eines offenen Produktionsnetzwerks 2 Perspektive auf Abläufe Die einzelnen Leistungen werden zu einer Dienstleistungskette verknüpft. Hieraus ergibt sich ein idealer Leistungsprozess. In diesem Kontext können Schnittstellen identifiziert werden. Abschließend kann in einem Vergleich mit dem gegenwärtigen Systemstand festgestellt werden, an welchen Stellen welche Veränderungen vorgenommen werden müssten, um diese ideale Leistungskette tatsächlich zu realisieren.
Beginn einer Dienstleistungskette (älterer Langzeitarbeitloser mit Suchtproblematik) Antrag Profiling Jobcenter Freier Träger (Suchtberatung) EV Assessment EV Therapie Therapie abgeschlos sen Arbeitsmarktliche Maßnahme
Erfolgsfaktoren der Netzwerkbildung Verbindlichkeit und Verlässlichkeit Sichtbarer Nutzen für die beteiligten Akteure klare Struktur und Netzwerkregeln Fokus auf Zielgruppe Gemeinsame Ziele (gemeinsame) strategische Ausrichtung Entwicklung eines Kooperationsmodells Autonomie der Akteure bleibt erhalten Anpassung innerorganisatorischer Abläufe Gemeinsame Weiterbildung ( cross-training ) Einbindung von Entscheidungsträgern Überzeugungsarbeit nach innen Anbindung an bestehende Netzwerke
Literatur Bürkle, Stefan und Expertengruppe Caritasverband Freiburg (2008): Kooperation zwischen den Trägern der Einrichtungen der Suchthilfe und den Trägern der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach 16 Abs. 2 SGB II: Handreichung für die Träger der Einrichtungen der Suchthilfe der Caritas, in: Henkel/Zemlin (Hrsg.), S. 361-388. Drabble, Laurie (2011): Advancing Collaborative Practice Between Substance Abuse Treatment and Child Welfare Fields: What Helps and Hinders the Process? In: Administration in Social Work, Bd. 35, S. 33106. Fahlbusch, Jonathan (2009): Eingliederungsleistungen nach 16a SGB II. Gutachten, Berlin: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, http://www.deutscher-verein.de/04gutachten/2009/pdf/g%2001-09.pdf, 04.05.2010. FIA u.a. (2009) FIA Forschungsteam Internationaler Arbeitsmarkt GmbH; Henkel, Dieter; Zoom Gesellschaft für prospektive Entwicklungen e. V. : Erhebung von Ansätzen guter Praxis zur Integration Suchtkranker ins Erwerbsleben im Rahmen des SGB II. Abschlussbericht, Berlin. Großmann, Ralph; Lobnig, Hubert; Scala, Klaus (2007): Kooperationen im Public Management. Theorie und Praxis erfolgreicher Organisationsentwicklung in Leistungsverbünden, Netzwerken und Fusionen, Weinheim/München. Henderson, Stuart; Dohan, Daniel; Schmidt, Laura A. (2006): Barriers to Identifying Substance Abuse in the Reformed Welfare System, in: Social Service Review, Bd. 80, Nr. 2, S. 217-238. Ludwig, Monika (2012): Die kommunalen Eingliederungsleistungen nach 16a SGB II: Kooperation, Organisation, Wirkungen, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Nr. 6 ZEW/IAQ/TNS Emnid Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ), TNS Emnid (2007): Erster Bericht durch den Forschungsverbund. Evaluation der Experimentierklausel nach 6c SGB II Vergleichende Evaluation des arbeitsmarktpolitischen Erfolgs der Modelle der Aufgabenwahrnehmung Optierende Kommune und Arbeitsgemeinschaft. Untersuchungsfeld 2: Wirkungs- und Effizienzanalyse, Mannheim u.a.
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