Akupunktur bei. Schlüsselwörter: Akupunktur, chronischer Schmerz, Schmerztherapie, Rückenschmerz, Kopfschmerz, Ersatzkasse.



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Transkript:

Dieter Melchart 1, 2 Andrea Streng 1, Andrea Hoppe 1 Susanne Jürgens 1, Wolfgang Weidenhammer 1, Klaus Linde 1 Akupunktur bei chronischen Schmerzen Ergebnisse aus dem Modellvorhaben der Ersatzkassen Zusammenfassung Ziel der wissenschaftlichen Begleitung des Modellvorhabens Akupunktur der Ersatzkassen war die Untersuchung der Wirksamkeit und Therapiesicherheit der Akupunktur bei chronischen Kopfschmerzen, Schmerzen der Lendenwirbelsäule und Arthroseschmerzen unter kontrollierten und unter Alltagsbedingungen. Dafür wurden fünf randomisierte Studien, eine große Beobachtungsstudie, eine Arztbefragung sowie drei systematische Übersichtsarbeiten durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Akupunktur in allen drei Indikationsbereichen gegenüber einer Nichtbehandlung zu einer deutlichen und mindestens mehrere Monate anhaltenden Besserung führt. Jedoch ist eine punktspezifische Wirksamkeit der Akupunktur im Sinne eines eindeutigen Vorteils gegenüber Sham- Akupunktur nur bei der Behandlung der mit Kniegelenkarthrose verbundenen Schmerzen belegt. Die deutlichen Gesamteffekte der Akupunktur einerseits und die bis auf eine Indikation fehlende Überlegenheit im Vergleich zur Sham-Akupunktur andererseits lassen einen erheblichen Interpretationsspielraum. Schlüsselwörter: Akupunktur, chronischer Schmerz, Schmerztherapie, Rückenschmerz, Kopfschmerz, Ersatzkasse Summary Acupuncture for chronic pain results from the research program of ten health insurance funds As part of a reimbursement-related assessment named "Modellvorhaben Akupunktur," a group of German health insurance companies investigated the safety and efficacy of acupuncture in chronic headache, chronic low back pain and chronic osteoarthritic pain. The program included three systematic reviews, five randomized trials, a large observational study, and a survey of physicians providing acupuncture. The results overall suggest measurable clinical improvements for a period of at least six months compared to no treatment. However, sham acupuncture-controlled studies only showed an effect for oteoarthritis of the knee. The discrepancy between the strong overall effect and the limited evidence of efficacy in sham acupuncture-controlled studies makes a straightforward interpretation of the findings difficult. Key words: acupuncture, chronic pain, pain therapy, low back pain, headache, health insurance fund 1 Zentrum für naturheilkundliche Forschung der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik (Leiter: Priv.-Doz. Dr. med. Dieter Melchart), Technische Universität München 2 Institut für Naturheilkunde, Department für Innere Medizin (Leiter: Prof. Dr. med. Reinhard Saller), Universitätsspital Zürich Die Akupunktur ist ein weit verbreitetes komplementärmedizinisches Verfahren, das allein in Deutschland von schätzungsweise 40 000 Ärzten angewendet wird. In seinem Beschluss vom 16. Oktober 2000 hat der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt Gemeinsamer Bundesausschuss) festgelegt, dass aufgrund der vorliegenden Evidenz eine Erstattung der Akupunktur durch die gesetzlichen Krankenkassen ausschließlich im Rahmen von wissenschaftlich begleiteten Modellvorhaben und begrenzt auf die Indikationen chronische Kopfschmerzen, chronische Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) und chronische Schmerzen aufgrund degenerativer Gelenkserkrankungen möglich ist. Derzeit werden in Deutschland drei große Modellvorhaben zur Akupunktur durchgeführt. In diesem Artikel wird über die Ergebnisse aus dem Modellvorhaben der Ersatzkassen berichtet. Methodik Das wissenschaftliche Begleitprogramm des Modellvorhabens Akupunktur der Ersatzkassen das Programm zur Evaluation der Patientenversorgung mit Akupunktur PEP-AK (1) umfasste vier Komponenten (Grafik 1), um die Evidenzlage zur Wirksamkeit der Akupunktur zu verbessern und gleichzeitig eine Reihe relevanter Versorgungsfragen unter Praxisbedingungen zu überprüfen. Komponente I Wirksamkeit im Vergleich zu Minimalakupunktur und Nichtbehandlung Ziel der Komponente I (ART, acupuncture randomised trial ) war die Untersuchung der Wirksamkeit der Akupunktur im Vergleich zu Minimalakupunktur (einer Art Sham-Akupunktur mit oberflächlicher Nadelung von Nichtakupunkturpunkten) und einer Wartelistenkontrollgruppe mit jeweils circa 300 Patienten mit Migräne, Spannungskopfschmerzen, chronischen LWS- und Gonarthroseschmerzen. Diese entsprechend internationaler Standards ( good clinical practice ) durchgeführten, randomisierten, kontrollierten, teilweise verblindeten Studien sind gleichzeitig auch Bestandteil des Modellvorhabens der Techniker Krankenkasse und wurden gemeinsam mit dem Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité, Universitätsmedizin Berlin, durchgeführt (weitere Informationen zur Methodik in diesem Heft im Artikel von Witt et al. sowie in [2, 3]). Komponente II Wirksamkeit im Vergleich zur Standardbehandlung Ziel der Komponente II war der möglichst alltagsnahe Vergleich der Akupunktur mit einer leitliniengestützten Standardbehandlung unter den Bedin- Deutsches Ärzteblatt Jg. 103 Heft 4 27. Januar 2006 A 187

gungen einer hochwertigen randomisierten Studie. Aufgrund begrenzter Ressourcen konnte dies nur für die Indikation Migräne erfolgen. Einschlusskriterien und Methodik entsprachen weitgehend den Vorgaben der International Headache Society (4). Die Patienten wurden streng zufällig entweder einer individuellen Behandlung mit Akupunktur oder einer medikamentösen Prophylaxe mit Metoprolol (100 bis 200 mg) zugeteilt. Hauptzielkriterium war die Abnahme der Migränetage. Ursprünglich wurde angestrebt, 480 Patienten in die Studie aufzunehmen. Die Rekrutierung von Patienten erwies sich jedoch als außerordentlich schwierig, da ein großer Teil der potenziellen Patienten eine deutliche Präferenz für die Akupunkturbehandlung hatte. Außerdem brachen unter Metoprolol deutlich mehr Patienten die Behandlung ab als unter Akupunktur. Daher wurde die Rekrutierung nach der Randomisierung von 114 Patienten vorzeitig beendet. Komponente III Routineversorgung und Therapiesicherheit Ziele der Komponente III waren: die Erfassung von Arzt-/Behandlungsmerkmalen, Patientencharakteristika und Behandlungsergebnissen die Untersuchung von Prädiktoren und Zusammenhängen zwischen Arztmerkmalen und Behandlungsergebnissen die Erfassung von Nebenwirkungen und Komplikationen. Dies erfolgte durch eine Arztbefragung sowie einer großen Beobachtungsstudie mit einer verpflichtenden Basisdokumentation aller Behandlungsfälle und einer erweiterten Dokumentation bei einer Stichprobe. Von Juni 2001 bis November 2005 nahmen 11 022 Ärzte am Modellvorhaben teil (Teilnahmevoraussetzung mindestens A-Diplom entsprechend 140 Stunden Akupunkturausbildung). Im Dezember 2001 wurde allen zu diesem Zeitpunkt für das Modellvorhaben akkreditieren 9 182 Ärzten ein Fragebogen zugesandt, um detailliertere Informationen über die Teilnehmer zu erhalten ( Arztbefragung ). Für die Basisdokumentation erfassten die behandelnden Ärzte auf einem Grafik 1 Gesamtkonzept des Programms zur Evaluation der Patientenversorgung mit Akupunktur (PEP-AK) im Rahmen des Modellvorhabens der Ersatzkassen einseitigen Dokumentationsblatt (5) für alle am Modellvorhaben teilnehmenden Patienten basale Informationen zu Person, Behandlung und Behandlungsergebnis sowie unerwünschte Therapiewirkungen. Als Einschlusskriterien wurden definiert: seit mindestens sechs Monaten dauernde Kopf-, LWS- oder Arthroseschmerzen, bereits erfolgte Vorbehandlung, aber keine Akupunktur in den letzten sechs Monaten. Zugelassen waren nur Versicherte der beteiligten Ersatzkassen. Somit wurden Überschneidungen mit Teilnehmern an den Modellvorhaben der Techniker Krankenkasse und der AOK vermieden. Für die erweiterte Dokumentation (zusätzliches Einschlusskriterium: Alter mindestens 18 Jahre) vermerkten die Ärzte bei einer Stichprobe von Patienten detailliertere Angaben zur Diagnose,Anamnese und Behandlung und erfassten die notwendigen Informationen zur Bewertung des Chronifizierungsgrades entsprechend der Mainzer Stadieneinteilung (6). Die Patienten füllten vor und nach der Akupunkturbehandlung sowie sechs Monate nach Beginn der Behandlung eine modifizierte Version des Deutschen Schmerzfragebogens aus (7). Dieser umfasst unter anderem Skalen zu Schmerzintensität, schmerzbedingter Behinderung, sensorischen und affektiven Aspekten der Schmerzen, depressiver Symptomatik und Lebensqualität. Details zu den Methoden der Basisdokumentation und der erweiterten Dokumentation inklusive Stichprobenziehung wurden bereits publiziert (8). Komponente IV systematische Übersicht randomisierter Studien Um die Ergebnisse der Komponenten I und II in den Kontext publizierter Daten zu stellen, wurden systematische Übersichtsarbeiten erstellt. Eingeschlossen wurden ausschließlich randomisierte Studien mit mindestens acht Wochen Beobachtungsdauer und Messung klinischer Zielkriterien, in denen die Wirksamkeit der Akupunktur mit einer Kontrollgruppe (keine Akupunktur, Sham-Interventionen, andere Behandlungen) bei Patienten mit chronischen Kopfschmerzen, chronischen LWS-Schmerzen und Arthroseschmerzen untersucht wurde. Die Literatursuche erfolgte über publizierte systematische Übersichtsarbeiten, in PubMed und in der Cochrane Library. Die Qualität der eingeschlossenen Studien wurde standardisiert, unter anderem mit dem Jadad Score (9), bewertet. Nach Möglichkeit wurden für die einzelnen Studien Effektgrößen (standardisierte Mittelwertdifferenzen beziehungsweise relative Risiken) berechnet. Gepoolte Effektmaße (Metaanalyse) wurden nur dann A 188 Deutsches Ärzteblatt Jg. 103 Heft 4 27. Januar 2006

Grafik 2 Komponente II Wirksamkeit im Vergleich zur Standardbehandlung In dieser Studie zeigte sich unter Akupunktur und Metoprolol ein ähnlicher Rückgang der Migränetage, jedoch traten unter Akupunktur deutlich weniger unerwünschte Therapiewirkungen auf. Im Follow-up (Woche 21 bis 24) waren die Ergebnisse in der Akupunkturgruppe tendenziell günstiger. Aufgrund der begrenzten Fallzahl und der hohen Abbrecherquote unter Metoprolol muss die Studie mit großer Zurückhaltung interpretiert werden. Außerdem ist zu bedenken, dass sich eine unterschiedliche Erwartungshaltung der Patienten gegenüber Akupunktur und Metoprolol auf das Ergebnis ausgewirkt haben könnte. Ein Manuskript mit den detaillierten Ergebnissen wurde zur Veröffentlichung eingereicht, ein publizierter Abstract einer Kongresspräsentation ist verfügbar (14). Komponente III Routineversorgung und Therapiesicherheit Dargestellt sind Mittelwerte und 95-Prozent-Vertrauensintervalle der Tage mit Kopfschmerzen mittlerer oder starker Intensität in ART Migräne (n = 302) und der Tage mit Kopfschmerzen allgemein in ART Spannungskopfschmerz (n = 270) jeweils bezogen auf 4-Wochen-Zeiträume. Die Erhebung erfolgte mit Tagebüchern. Die Patienten der Warteliste wurden nach Woche 12 mit Akupunktur behandelt. Komponente I Ergebnisse der Studien ART Migräne (11) und ART Spannungskopfschmerz (12) als interpretierbar angesehen, wenn die Studien aus klinischer Sicht vergleichbar waren oder keine statistische Heterogenität bestand. Ergebnisse Komponente I Wirksamkeit im Vergleich zu Minimalakupunktur und Nichtbehandlung Die Studien der Komponente I (ART) zeigten bei allen vier Diagnosen, bezogen auf den primären Zielparameter, eine signifikante Überlegenheit (p < 0,001; t-test beziehungsweise Kovarianzanalyse; siehe Artikel von Witt et al. in diesem Heft) der Akupunkturgruppe gegenüber der Wartelistenkontrolle. Bei circa der Hälfte aller Akupunkturpatienten wurde eine Besserung bezüglich des Hauptzielkriteriums um mindestens 50 Prozent beobachtet. Ein signifikanter Unterschied zwischen Akupunktur- und Minimalakupunkturgruppe war nur bei der Diagnose Gonarthroseschmerzen ersichtlich (10), nicht jedoch bei Migräne (11), Spannungskopfschmerzen (12) und LWS- Schmerzen (13). Grafik 2 zeigt die Ergebnisse der beiden Kopfschmerzstudien in Bezug auf die Häufigkeit von Kopfschmerzen. 42 Prozent der für das Modellvorhaben der Ersatzkassen akkreditierten Ärzte waren Allgemeinmediziner, 19,5 Prozent Orthopäden, 10,7 Prozent praktische Ärzte, 9,4 Prozent Internisten, 4,3 Prozent Anästhesisten, 3,7 Prozent Gynäkologen, 3,7 Prozent HNO- Fachärzte und 2 Prozent Neurologen. Die übrigen 4,7 Prozent verteilten sich auf andere Facharztgruppen. 5 217 Ärzte (56,8 Prozent) beantworteten die im Rahmen der Arztbefragung im Dezember 2001 zugesandten Fragebögen. Dabei zeigte sich, dass es sich bei den Teilnehmern des Modellvorhabens in der Regel um Vertragsärzte mit langer Praxiserfahrung handelt. Die Akupunktur ist bei den meisten Ärzten offensichtlich nur ein Verfahren unter vielen (Tabelle 1). Zwischen Juni 2001 und November 2005 erhielten etwa eine Million Versicherte der beteiligten Ersatzkassen eine Akupunkturbehandlung im Rahmen des Modellvorhabens. Für alle in den ersten zwei Jahren dokumentierten 503 397 Behandlungsfälle liegt eine abgeschlossene Auswertung der Basisdokumentation vor (Tabelle 2). Ergebnisse einer Zwischenauswertung nach circa A 190 Deutsches Ärzteblatt Jg. 103 Heft 4 27. Januar 2006

Tabelle 1 1 Komponente III: Ergebnisse der Befragung der teilnehmenden Ärzte Parameter Prozent (Median: 25., 75. Perzentile) Alter 46 (41, 52) Geschlecht weiblich 36,2 % Tätigkeit als Arzt seit (Jahre) 19 (14, 25) Tätigkeit als niedergelassener Arzt seit (Jahre) 10 (6, 14) Praxisgröße Scheine/Quartal 1 200 (800, 1 600) Privatpatienten/Quartal 100 (50, 200) Besitz B-Diplom (mind. 350 Stunden Akupunkturausbildung) 28,0 % Umfang der Ausbildungszeit (Stunden) 220 (140, 350) Anwendung der Akupunktur seit (Jahre) 1 (4, 10) Anteil der akupunktierten Patienten in Prozent 5 (3, 10) Anteil der für Akupunktur verwendeten Zeit in Prozent 10 (5, 20) Häufig/immer Auswahl der Akupunktur nach chinesischer Diagnostik 48,7 % / 35,6 % Mitgliedschaft in einer Akupunktur-Fachgesellschaft 83,1 % Geführte Zusatzbezeichnungen Chirotherapie 32,9 % Naturheilverfahren 25,8 % physikalische Therapie 11,2 % Homöopathie 9,3 % Verwendung weiterer naturheilkundlicher/komplementärer Verfahren Neuraltherapie 63,8 % klassische Naturheilverfahren 42,6 % manuelle Medizin/Chirotherapie 40,8 % Homöopathie 33,1 % chinesische Phytotherapie 12,5 % Angeschrieben: 9 182, auswertbare Fragebögen eingegangen: 5 217, Rücklaufquote 56,8 % 100 000 Patienten wurden ausführlicher publiziert (5, 15). Die häufigste Indikation waren chronische LWS-Schmerzen gefolgt von chronischen Kopfschmerzen. Es ist davon auszugehen, dass unter den Behandlungsfällen auch Patienten sind, bei denen die Indikationsangabe nicht zutreffend ist, das heißt, die Akupunktur erfolgte zur Behandlung einer anderen Erkrankung. Um jedoch eine Erstattung zu ermöglichen, wurde eine der im Modellvorhaben zugelassenen Indikationen als Behandlungsanlass genannt. In 76,4 Prozent der Fälle wurde die therapeutische Wirksamkeit vom behandelnden Arzt als sehr gut oder gut beurteilt. Bei Kopfschmerzen war die Beurteilung etwas günstiger als bei den übrigen Indikationen. Insgesamt wurde in 7,8 Prozent aller Behandlungsfälle von den Ärzten eine unerwünschte Wirkung beziehungsweise eine Komplikation dokumentiert. Nadelschmerz wurde in 3,9 Prozent der Fälle angegeben, ein Hämatom an der Einstichstelle in 2,3 Prozent, eine Blutung in 1,6 Prozent, Kreislaufprobleme in 0,4 Prozent und vergessene Nadeln in 0,3 Prozent. Bis zum 31. Dezember 2004 wurden außerdem 17 schwerwiegende unerwünschte Therapiewirkungen oder Komplikationen gemeldet: sechsmal ausgeprägte Kreislaufreaktionen wie Kollaps, fünfmal ein Pneumothorax, zweimal ein Erysipel, je einmal Kniegelenkinfektion, Auslösung eines Krampfanfalles oder eines ausgeprägten Asthmaanfalls sowie Suizidalität bei bekanntem Borderline-Syndrom. Für 6 140 Patienten, dokumentiert von 2 793 Ärzten, liegen die wesentlich detaillierteren Angaben der erweiterten Dokumentation vor (Tabelle 3). Diese Stichprobe kann nicht als repräsentativ für alle Teilnehmer am Modellvorhaben angesehen werden; Hinweise auf eine Positivselektion gibt es jedoch nicht (8). 51 Prozent der Patienten bewerten den Therapieerfolg als sehr gut oder gut, weitere 29,9 Prozent als zufriedenstellend. Ähnlich wie bei der Arztbeurteilung in der Basisdokumentation ist auch bei der Patientenbewertung die Erfolgseinschätzung bei Kopfschmerzen am höchsten. Die Ergebnisse zu schmerzbedingter Funktionseinschränkung, sensorischen und affektiven Aspekten der Schmerzen, depressiver Symptomatik und Lebensqualität zeigten in allen Indikationsgruppen deutliche Verbesserungen nach der Akupunktur. Da in die Auswertung nur Patienten einbezogen wurden, für die alle Fragebögen vorlagen, könnten bessere Ergebnisse ermittelt worden sein, als tatsächlich bestanden. Die Behandlungsergebnisse von Ärzten mit kürzerer (weniger als 350 Stunden) und längerer Akupunkturausbildung unterschieden sich nicht. Detaillierte Analysen zu Zusammenhängen zwischen Behandlermerkmalen und Behandlungsergebnis werden in Kürze publiziert (16). Komponente IV systematische Übersicht randomisierter Studien Der vollständige Bericht zu Komponente IV ist im Internet (www.muemo.med. tu-muenchen.de/pub/cont_pub.htm) im Volltext zugänglich. Zur Indikation Deutsches Ärzteblatt Jg. 103 Heft 4 27. Januar 2006 A 191

Tabelle 2 2 Komponente III Basisdokumentation durch den Arzt. Dargestellt sind Prozentangaben bzw. Mittelwerte (Standardabweichungen) Gesamtzahl dokumentierter Behandlungsfälle (1. 6. 2001 bis 30. 6. 2003) 503 397 Diagnosegruppe chronische Kopfschmerzen 36,3 % chronische LWS-Schmerzen 46,2 % Arthroseschmerzen 12,4 % Mehrfachindikation 5,0 % Anteil Frauen 80,5 % Alter (Jahre) 53,9 (15,7) Patient kommt wegen Akupunktur 19,8 % früher bereits Akupunktur 26,7 % Anzahl Akupunktursitzungen 8,4 (2,9) Anzahl Nadeln 12,6 (5,1) Behandlungsabbruch 9,6 % zusätzliche Therapie 34,5 % Wirksamkeitsurteil Arzt sehr gut 22,1 % gut 54,3 % gering 15,7 % schlecht 3,7 % nicht beurteilbar 4,1 % Kopfschmerzen wurden 29 randomisierte Studien mit 5 574 Patienten einbezogen (Selektionsprozess in Grafik 1 Internet). Die 29 Studien umfassten 32 relevante Vergleiche von Akupunktur mit einer Kontrollgruppe (drei Studien waren dreiarmig): 6 mit Nichtbehandlung oder keiner Akupunktur, 16 mit Sham-Interventionen und 10 mit anderen Therapien. Die Qualität der Studien war sehr variabel. Im Vergleich zu nicht mit Akupunktur behandelten Kontrollgruppen ist ein statistisch signifikanter und klinisch relevanter Effekt der Akupunktur gut belegt (Grafik 3). Im Vergleich zu Sham-Interventionen sprechen die vorliegenden Studienergebnisse bezüglich der Therapieerfolgsraten (Response) zum Teil zwar ebenfalls für eine moderate Überlegenheit der Akupunktur. Die Ergebnisse sind jedoch sehr heterogen. Größere und methodisch bessere Studien zeigen weniger deutliche Effekte oder keine Überlegenheit im Vergleich zu Sham-Interventionen. Die Studien zum Vergleich von Akupunktur und anderen Therapien deuten darauf hin, dass Akupunktur ähnlich wirksam ist wie beispielsweise eine medikamentöse Prophylaxe. 17 Studien mit 5 429 Patienten und insgesamt 23 Vergleichen (6 dreiarmige Studien) entsprachen den Einschlusskriterien für die Übersichtsarbeit zu chronischen LWS-Schmerzen (Grafik 2 Internet). In 9 Studien wurde Akupunktur mit Nichtbehandlung oder keiner Akupunktur verglichen, in 10 mit Sham- Interventionen und in 4 mit anderen Therapien. Die Qualität der Studien war ebenfalls sehr variabel. Neuere Studien waren qualitativ meist deutlich besser. Durch konsistente Studienergebnisse gut belegt ist ein Effekt der Akupunktur im Vergleich zur Nichtbehandlung sowohl in Bezug auf die Schmerzintensität (Grafik 3 Internet) als auch hinsichtlich der Funktion und Globalbeurteilung. Im Vergleich zu Sham-Interventionen spricht zwar die Mehrheit der Studien ebenfalls für eine moderate Überlegenheit der Akupunktur; die Ergebnisse sind jedoch sehr heterogen und größere, bessere Studien zeigen weniger deutliche Effekte. Die wenigen Vergleiche mit anderen Therapien erbrachten widersprüchliche Ergebnisse. Für den Bereich Arthroseschmerzen wurden 13 Studien (10 bei Gonarthroseund 3 bei Coxarthrosepatienten) mit 2 623 Patienten und 19 relevanten Vergleichen einbezogen (Grafik 4 Internet). In 5 Studien wurde Akupunktur mit Nichtbehandlung oder keiner Akupunktur verglichen, in 8 mit Sham-Interventionen und in 6 mit anderen Therapien. Die meisten hatte gute oder befriedigende Qualität. Durch konsistente Studienergebnisse belegt ist ein Effekt der Akupunktur im Vergleich zur Nichtbehandlung (Grafik 5 Internet). Allerdings gibt es kaum Daten zu Langzeiteffekten. Im Vergleich zu Sham-Interventionen sprechen die meisten Studienergebnisse bei der Gonarthrose ebenfalls für eine Überlegenheit der Akupunktur. Vorläufige Ergebnisse aus dem dritten großen Modellvorhaben (GERAC-Studie) bestätigen dies allerdings nicht (17). Im Vergleich zu Beratungsprogrammen oder medikamentöser Therapie schneidet die Akupunktur in allen 5 Studien zur Gonarthrose besser ab; eine kleine Studie fand ähnliche Effekte wie unter Hydrotherapie bei Coxarthrose. Diskussion Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Modellvorhabens der Ersatzkassen zeigen, dass Patienten mit chronischen Kopf-, LWS- und Osteoarthroseschmerzen deutlich und für die Dauer von mindestens 6 Monaten von der Behandlung mit Akupunktur profitieren. Jedoch ist eine punktspezifische Wirksamkeit der Akupunktur im Sinne eines eindeutigen Vorteils gegenüber Minimalakupunktur nur bei der Behandlung der mit Kniegelenkarthrose verbundenen Schmerzen belegt. Die Studiendaten zu Migräne sowie die Ergebnisse der Literaturauswertung weisen darauf hin, dass die Akupunktur zumindest ähnlich wirksam ist wie andere als wirksam angesehene Interventionen. Die Akupunktur ist gut verträglich. Schwerwiegende unerwünschte Wirkungen kamen bei den im Rahmen des Modellvorhabens dokumentierten Patienten nur sehr selten vor. Die Studienergebnisse werfen aber grundsätzliche Interpretationsprobleme auf. Aus Sicht der Versorgungsforschung steht primär der vom Patienten selbst empfundene Nutzen im Vordergrund. Aus wissenschaftlicher Sicht sollte sich dieser Nutzen jedoch als spezifische Wirksamkeit einer Intervention im Sinne einer Überlegenheit gegenüber einer Placebokontrolle erweisen. Dieses Wirksamkeitsmodell ist möglicherweise nur dort vollumfänglich gültig, wo die spezifische Komponente einer Intervention eindeutig definierbar ist (beispielsweise der phar- A 192 Deutsches Ärzteblatt Jg. 103 Heft 4 27. Januar 2006

makologisch aktive Wirkstoff in einem Arzneimittel) und/oder zu erwarten ist, dass die verwendete Placebokontrolle diesen spezifischen Effekt selbst nicht auslöst. Im Fall der Akupunktur sind beide Bedingungen nicht eindeutig zutreffend. Die Punktlokalisation ist ein wichtiges, aber nicht das einzige, spezifische Charakteristikum der Akupunktur. Darüber hinaus lösen Minimalakupunktur und andere Sham- Verfahren mit Penetration der Haut physiologische Effekte aus. Zusätzlich sind Behandlungsverfahren wie die Akupunktur, bei denen traditionell noch manuell interveniert wird und durch die invasive Technik (schmerzhafte Hautverletzungen) sowie durch Interaktionselemente wie Berührung und Gespräch, mit starken Kontextfaktoren assoziiert. Dies kann zu hohen unspezifischen Wirkungen führen. Ziel von alltagsnahen Modellvorhaben ist der Nachweis von Patientennutzen und die Schaffung einer Entscheidungsbasis hinsichtlich der Übernahme der Kosten innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung. Ob sich der nachgewiesene und reproduzierbare Gesamtnutzen für die Patienten durch eine Akupunkturbehandlung in den untersuchten Anwendungsgebieten aus einem mehr oder weniger hohen unspezifischen oder spezifischen Effektanteil zusammensetzt, ist vorwiegend eine wissenschaftliche Frage. Gemeinsam mit den parallel durchgeführten Studien anderer Krankenkassen hat das Modellvorhaben der Ersatz- Tabelle 3 3 Komponente III Erweiterte Dokumentation durch Arzt und Patient. Dargestellt sind Prozentangaben beziehungsweise Mittelwerte (Standardabweichungen) Chronischer Chronischer Chronischer Mehrfach- Gesamt Kopfschmerz LWS-Schmerz Arthroseschmerz indikation n 2 513 2 606 736 285 6 140 Anteil (%) 40,9 42,4 12,0 4,6 Anteil Frauen (%) 87,7 78,7 79,9 80,7 82,6 Alter (Jahre) 48,9 (14,1) 57,7 (14,0) 62,9 (12,5) 57,7 (13,1) 54,7 (14,7) Chronifizierungsgrad* 1 (%) I gering 56,4 38,6 42,9 30,2 46,4 II mittel 39,3 47,9 42,2 52,1 43,7 III hoch 4,3 13,6 14,9 17,7 9,9 Beschwerdedauer > 10 Jahre (%) 38,9 34,3 20,8 32,5 34,4 Zahl Akupunktursitzungen 8,5 (3,0) 8,7 (2,9) 8,7 (3,1) 8,6 (2,9) 8,6 (3,0) Schmerzstärke* 2 vor Akupunktur 5,6 (1,9) 5,6 (1,9) 5,7 (1,9) 5,7 (1,9) 5,6 (1,9) nach Akupunktur 3,0 (2,4) 3,6 (2,3) 3,8 (2,3) 3,7 (2,3) 3,4 (2,3) nach 6 Monaten 3,2 (2,4) 3,5 (2,3) 3,5 (2,4) 3,6 (2,3) 3,4 (2,4) Schmerzbedingte Behinderung* 3 (%) vor Akupunktur 30,8 (16,8) 29,2 (14,5) 28,9 (14,5) 30,2 (15,3) 30,0 (15,6) nach Akupunktur 16,3 (16,0) 19,5 (15,1) 19,7 (14,8) 20,7 (15,5) 18,2 (15,6) nach 6 Monaten 15,4 (15,8) 17,8 (15,6) 18,4 (15,7) 18,4 (15,4) 16,9 (15,7) Globalurteil Patient nach 6 Monaten (%) sehr gut 26,0 18,5 17,8 18,7 21,5 gut 31,6 28,9 26,6 23,4 29,5 zufriedenstellend 27,2 31,7 31,0 34,8 29,9 weniger gut 11,0 14,3 16,1 15,0 13,2 schlecht 4,2 6,7 8,4 8,1 5,9 * 1 entsprechend der Mainzer Stadieneinteilung (5) * 2 durchschnittliche Schmerzstärke während der letzten 4 Wochen; numerische Rating-Skala von 0 (kein Schmerz) bis 10 (stärkster vorstellbarer Schmerz) * 3 deutsche Version des Pain-Disability-Index (niedrigere Werte günstiger) Deutsches Ärzteblatt Jg. 103 Heft 4 27. Januar 2006 A 193

kassen die Evidenzlage zur Akupunktur im Bereich chronischer Schmerzen fundamental verbessert. Für die Entscheidung, ob und wenn ja wie die Akupunktur in die kassenärztliche Regelversorgung aufgenommen wird, bleibt jedoch ein erheblicher Spielraum. Danksagung:Für ihre engagierte Mitarbeit bedanken sich die Autoren bei Cornelia Aigner, Markus Kowasch, Susanne Hofmann, Jolin Fischer, den ärztlichen Mitarbeitern und den studentischen Hilfskräften des ZnF, den teilnehmenden Patienten, den beteiligten Prüfärzten, den beratenden Akupunkturärzten und Fachspezialisten sowie den Kollegen in den kooperierenden Einrichtungen (Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité, Berlin; Institut für medizinische Statistik und Epidemiologie der TU München). Förderung: Folgende Krankenkassen unterstützen das Modellvorhaben: Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK), Hamburg; Barmer Ersatzkasse (BEK), Wuppertal; Kaufmännische Krankenkasse (KKH), Hannover; Hamburg- Münchener Krankenkasse (HaMü), Hamburg; Hanseatische Krankenkasse (HEK), Hamburg; Gmünder Ersatzkasse (GEK), Schwäbisch Gmünd; HZK Krankenkasse für Bau- und Holzberufe, Hamburg; Brühler Ersatzkasse, Solingen; Krankenkasse Eintracht Heusenstamm (KEH), Heusenstamm; Buchdrucker Krankenkasse (BK), Hannover. Manuskript eingereicht: 22. 7. 2005, revidierte Fassung angenommen: 6. 12. 2005 Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht. Zitierweise dieses Beitrags: Dtsch Arztebl 2006; 103(4): A 187 95. Literatur 1. Melchart D, Streng A, Reitmayr S, Hoppe A, Weidenhammer W, Linde K: Programm zur Evaluation der Patientenversorgung mit Akupunktur (PEP-AC) Die wissenschaftliche Begleitung des Modellvorhabens der Ersatzkassen. Z Arztl Fortbild Qual Gesundhwes 2004; 98: 471 3. 2. Melchart D, Linde K, Streng A et al.:acupuncture randomized trials (ART) in patients with migraine or ten- Grafik 3 Forrest-Plot aller verfügbaren randomisierten Studien zur Behandlung von Patienten mit chronischen Kopfschmerzen mit Akupunktur im Vergleich zu Nichtbehandlung oder keiner Akupunktur, Sham-Interventionen oder medikamentöser Prophylaxe, in denen der Anteil der Patienten mit Therapieerfolg (Response) berichtet wird. Dargestellt sind die Anzahl der Responder und Patienten (n/n) in den einzelnen Vergleichsgruppen sowie das Verhältnis der Responder in den Vergleichsgruppen (relatives Risiko entspricht dem Anteil Responder in der Akupunkturgruppe/Anteil Responder in der Kontrollgruppe) mit dem zugehörigen 95-Prozent-Konfidenzintervall (95-%-KI).Auf die Berechnung gepoolter relativer Risiken wurde aufgrund der großen Heterogenität der Studien verzichtet. Die Literatur zu den Studien im Internet: www.aerzteblatt.de/lit0406 Komponente IV chronische Kopfschmerzen A 194 Deutsches Ärzteblatt Jg. 103 Heft 4 27. Januar 2006

sion-type headache design and protocols. Forsch Komplementarmed Klass Naturheilkd 2003; 10: 179 84. 3. Brinkhaus B, Becker-Witt C, Jena S et al.:acupuncture randomized trials (ART) in patients with chronic low back pain and osteoarthritis of the knee design and protocols. Forsch Komplementarmed Klass Naturheilkd 2003; 10: 185 91. 4. International Headache Society Clinical Trials Subcommittee: Guideline for controlled trials of drugs in migraine: second edition. Cephalalgia 2000; 20: 765 86. 5.Weidenhammer W, Streng A, Reitmayr S, Hoppe A, Linde K, Melchart D: Das Modellvorhaben Akupunktur der Ersatzkassen. Dtsch Z Akupunkt 2002; 45: 183 92. 6. Gerbershagen HU: Organisierte Schmerzbehandlung eine Standortbestimmung. Internist 1986; 27: 459 69. 7. Nagel B, Gerbershagen HU, Lindena G, Pfingsten M: Entwicklung und empirische Überprüfung des Deutschen Schmerzfragebogens der DGSS. Schmerz 2002; 16: 263 70. 8.Weidenhammer W, Streng A, Jürgens S, Hoppe A, Linde K, Melchart D: Aufbau, Realisierung und Datenübersicht einer Beobachtungsstudie im Rahmen des Programms zur Evaluation der Patientenversorgung mit Akupunktur (PEP-AK) des Modellvorhabens der Ersatzkassen. Gesundheitswesen 2005; 67: 264 73. 9. Jadad AR, Moore RA, Carroll D et al.: Assessing the quality of reports of randomized clinical trials: is blinding necessary? Control Clin Trials 1996; 17: 1 12. 10.Witt C, Brinkhaus B, Jena S et al.: Acupuncture in patients with osteoarthritis of the knee: a randomised trial. Lancet 2005; 366: 136 43. 11. Linde K, Streng A, Jürgens S et al.: Acupuncture for patients with migraine. A randomized controlled trial. JAMA 2005; 293: 2118 25. 12. Melchart D, Streng A, Hoppe A et al.: Acupuncture in patients with tension-type headache: randomised trial. BMJ 2005; 331: 376 9. 13. Brinkhaus B, Witt C, Jena S et al.: Acupuncture in patients with chronic low back pain a randomised controlled trial. Arch Intern Med 2006 (im Druck). 14. Streng A, Linde K, Hoppe A et al.: Effectiveness and tolerability of acupuncture compared with metoprolol in migraine prophylaxis a randomised trial. FACT 2005; 10 (suppl. 1): 52. 15. Melchart D,Weidenhammer W, Streng A et al.: Prospective investigation of adverse effects of acupuncture in 97 733 patients.arch Intern Med 2004; 164: 104 5. 16.Weidenhammer W, Menz G, Streng A, Linde K, Melchart D: Behandlungsergebnisse der Akupunktur bei chronischen Schmerzpatienten welche Rolle spielt der Akupunkteur? Schmerz 2006 (im Druck). 17. Hackenbroch V: Die eingebildete Heilung. Der Spiegel 2004; 44: 196 8. Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit0406 weitere Grafiken: www.aerzteblatt.de/plus0406 Anschrift für die Verfasser: Priv.-Doz. Dr. med. Dieter Melchart Zentrum für naturheilkundliche Forschung II. Med. Klinik und Poliklinik Technische Universität München Kaiserstraße 9 80801 München E-Mail: Dieter.Melchart@lrz.tum.de Referiert Mögliches Dispositions-Gen für Adipositas und Typ-II-Diabetes Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die auf einen Zusammenhang zwischen Adipositas und Diabetes mellitus Typ II hinweisen. Das Zugrundeliegen einer komplex-genetischen (multifaktoriellen) Vererbung wird für beide Phänotypen postuliert. Die Autoren untersuchten ein Gen, das für das Protein ENPP1 (Ectonucleotide-pyrophosphatse-phosphodiesterase) kodiert. Das ENPP1-Gen liegt auf dem kurzen Arm von Chromosom 6, einem Genom-Abschnitt mit Hinweisen für Dispositions-Gene für beide Phänotypen. Bestimmte Varianten im ENPP1-Gen traten signifikant häufiger in einer Fallgruppe mit 1 225 adipösen Patienten auf als im Kontrollkollektiv mit 1 205 Normalgewichtigen. Die gleichen Gen-Varianten lagen auch in zwei unabhängigen Stichproben signifikant häufiger vor: Das eine Kollektiv bestand aus 184 Familien mit hoher Adipositas-Belastung, das andere aus 717 Probanden, mit einem BMI > 30. Je nach Kollektiv war das Adipositasrisiko für Variantenträger um das 1,37- bis 1,69fache erhöht. Eine Assoziation zu den ENPP1-Gen-Varianten bestand auch in einem Subkollektiv mit zusätzlichem Diabetes mellitus Typ II. Dies konnte ebenfalls an zwei weiteren Fall-Kontroll-Kollektiven bestätigt werden: Eine Stichprobe bestand aus 752 Patienten mit Diabetes mellitus Typ II und 556 Kontrollen, die andere aus 503 Patienten und 758 Normoglykämikern. Die kombinierte Auswertung aller Kollektive ergab ein 1,56fach erhöhtes Diabetes-Typ-II- Risiko für die ENPP1-Variantenträger. Die Autoren vermuten, dass ENPP1, das wahrscheinlich die Insulin-Rezeptor-Aktivierung unterdrückt, bei Betroffenen verstärkt exprimiert wird. shm Van Esch H, Bauters M, Ignatius J et al.: Duplication of the MECP2 region is a frequent cause of severe mental retardation and progressive neurological symptoms in males. Am J Hum Genet 2005; 77: 442 53. Hilde Van Esch, Centre for Human Genetics, University Hospital Gasthuisberg, Herestraat 49, 3000 Leuven, Belgien, E-Mail: Hilde.VanEsch@med.kuleuven.ac.be Primärprophylaxe der Varizenblutung? Die Behandlungsstrategie bei einer Varizenblutung ist weitgehend standardisiert; unklar ist bislang die Primärprophylaxe, weil die erste Blutung in bis zu 50 Prozent aller Fälle tödlich verläuft. Die Autoren berichten über eine Prophylaxestudie bei Patienten, bei denen eine Kontraindikation für die Einnahme von beta-blockern oder eine entsprechende Intoleranz bestand. Die Studie zur Gummibandligatur von Ösophagusvarizen war für 214 Patienten geplant, bei denen Varizen unterschiedlicher Größe diagnostiziert worden waren. Die Untersuchung wurde abgebrochen, nachdem in der Gruppe der Gummibandligatur-Patienten, die 52 Patienten umfasste, gehäuft Blutungen auftraten im Vergleich zu der Gruppe, bei denen auf diese Prozedur verzichtet worden war. Da 60 Prozent der beobachteten Blutungen iatrogener Natur waren, empfehlen die Autoren, auf eine Gummibandligatur zur Blutungsprophylaxe zu verzichten. Ähnliche Daten gibt es zur prophylaktischen Sklerotherapie, die dem Patienten eher schadet als nutzt. w Triantos C, Vlachogiannakos J, Avgerinos A et al.: Primary prophylaxis of variceal bleeding in cirrhotics unable to take-blockers: a randomized trial of ligation. Aliment Pharmacol Ther 2005; 21: 1435 43. Dr. A. Avgerinos, Second Department of Gastroenterology, Evangelismos Hospital,10 Kaplanon Street, 10680 Athen, Griechenland, E-Mail: alavger@hol.gr Deutsches Ärzteblatt Jg. 103 Heft 4 27. Januar 2006 A 195