46.2008. Zeitschrift für Recht, Steuern und Wirtschaft. www.betriebs-berater.de. Verlag Recht und Wirtschaft



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Transkript:

Zeitschrift für Recht, Steuern und Wirtschaft 46.2008 63. Jahrgang // 10.11.2008 // Seiten 2469-2524 www.betriebs-berater.de // WIRTSCHAFTSRECHT Dr. Sebastian Apfelbaum Das Merkmal der Zurechenbarkeit beim gutgläubigen Erwerb von GmbH-Anteilen 2470 Dr. Thomas Kapp, LL.M., RA, und Angelika Schlump Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich relevanten) Unternehmensunterlagen zulässig? 2478 // STEUERRECHT Dr. Rainer Hartmann, RA/StB Bestandsschutz für die Gewerbesteuer 2490 Dr. Björn Demuth, RA/StB, und Dr. Daniel Kaiser, RA Die Folgen der Zinsschranke auf PPP-Projekte nach dem neuen BMF-Schreiben vom 4.7.2008 2497 BFH: Einleitung eines Strafverfahrens nach Eingang einer Selbstanzeige BB-Kommentar von Dr. Marcus Geuenich, RA/StB 2502 // BILANZRECHT & BETRIEBSWIRTSCHAFT Dr. Bernd Stibi, WP/StB, und Prof. Dr. Stefan Thiele IFRS und Zinsschranke nach dem BMF-Schreiben vom 4.7.2008 Ausweg oder Irrweg? 2507 BFH: Voraussetzungen des Verlusts der wirtschaftlichen Identität einer GmbH BB-Kommentar von Dr. Kurt Gratz, WP/StB 2511 // ARBEITSRECHT Dr. Andreas Schönhöft, RA/FAArbR/FAStR, und Anke Lermen Der Gemeinschaftsbetrieb im Vergleich zur Arbeitnehmerüberlassung eine Alternative zur Personalkostensenkung? 2515 BAG: Ethikrichtlinie keine Mitbestimmung am Gesamtwerk BB-Kommentar von Ulrich Sittard 2520 // BB-MAGAZIN Dr. Anke Freckmann, RA/FAArbR Mitbestimmungsrecht: Ethikrichtlinien eine klare Wegweisung durch das Bundesarbeitsgericht Björn Rohde-Liebenau, RA Eine Hotline allein ist noch kein Whistleblowing-System M1 M16 Verlag Recht und Wirtschaft Schwerpunktheft BMF-Schreiben zur Zinsschranke

Dr. Thomas Kapp, LL.M., RA, und Angelika Schlump Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich relevanten) Unternehmensunterlagen zulässig? Im Rahmen einer Compliance Due Diligence werden oftmals belastende Unterlagen aufgedeckt (z. B. Gesprächsnotizen, aber auch interne und externe E-Mails), und zwar besonders häufig Unterlagen mit kartellrechtlicher Relevanz. In einem solchen Fall muss das Unternehmen natürlich für eine sofortige Abstellung von Verstößen sorgen. Es stellt sich jedoch für den Compliance Officer und seine Berater (Rechtsabteilung, Anwälte etc.) auch die Frage, wie mit den aufgefundenen Unterlagen zu verfahren ist und inwieweit solche Unterlagen zur Verbesserung der Beweissituation des Unternehmens (auch im Hinblick auf künftige Durchsuchungen) vernichtet werden dürfen. Dieses Problem ist bisher für das deutsche Recht nur wenig beleuchtet worden. Der vorliegende Beitrag untersucht daher die rechtliche Zulässigkeit der Vernichtung von belastenden Unterlagen (einschl. E-Mails), wobei neben den allgemeinen Vorschriften des HGB und der AO die spezifischen kartellrechtlichen, die allgemeinen strafrechtlichen sowie die zivilprozessualen Vorschriften geprüft werden. Damit ist allerdings für die Praxis noch nicht alles erledigt. Vielmehr muss zusätzlich der Frage nachgegangen werden, ob eine solche Vernichtung (technisch) überhaupt praktikabel ist und (rechtlich) wirklich dem Unternehmensinteresse dient. Am Schluss geht der Beitrag noch auf die Konsequenzen der Untersuchung für die künftige Umsetzung der Compliance im Unternehmen ein. I. Einleitung Im Rahmen der Compliance werden in Unternehmen oftmals belastende Unterlagen aufgedeckt. Dies wirft im Unternehmen sehr bald die Frage auf, inwieweit solche Unterlagen vernichtet werden dürfen. Dieser Aufsatz untersucht diese bisher wenig geprüfte Frage 1, wobei sich die Untersuchung aus Platzgründen auf Unterlagen mit kartellrechtlicher Relevanz beschränkt 2 (II.). Anschließend wird der Frage nachgegangen, inwieweit eine (zulässige) Unterlagenvernichtung überhaupt praktikabel ist (III.), um anschließend kurz auf die Konsequenzen für die Compliance im Unternehmen einzugehen (IV.) 3. II. Zulässigkeit der Vernichtung von Unterlagen 1. Aufbewahrungspflichten In erster Linie können handels- oder steuerrechtliche Aufbewahrungspflichten einer Vernichtung kartellrechtlich relevanter Unterlagen entgegenstehen. a) Aufbewahrungspflichten nach dem Handelsrecht Zunächst ein Wort zu den Begriffen Unterlagen, Datenträger, Akten, und Urkunden : Eine rechtliche Definition des Begriffes Unterlagen gibt es nicht, 257 HGB zählt lediglich die aufbewahrungspflichtigen Unterlagen auf. Aus 261 HGB ergibt sich allerdings, dass Unterlagen auch auf Datenträgern bestehen und nicht nur in Papierform vorliegen können. Daher umfasst der Begriff sowohl Schriftstücke (einschließlich Notizzettel, Bierdeckel, Konzepte usw.) als auch Datenträger. Der Datenträger dient zur dauerhaften Speicherung von Daten bzw. Informationen jeglicher Art. Dabei geht das Gesetz von Schrift-, Bild- oder anderen Datenträgern aus ( 238 Abs. 2 HGB). Die Speicherung kann mittels diverser technischer Verfahren (elektronisch, magnetisch, optisch etc.) erfolgen. Eine einheitliche Definition der Akte besteht nicht. Man könnte sie z. B. als Zusammenstellung von sachlich zusammengehörigen Dokumenten, die als Einheit behandelt werden, bezeichnen 4. Der Begriff der Urkunde wird jeweils an gegebener Stelle beim materiellen und prozessualen Urkundenbegriff im Einzelnen erörtert. Handelsbriefe gem. 257 Abs. 2 HGB sind im vorliegenden Zusammenhang sicherlich die wichtigsten Unterlagen. Es sind Schriftstücke, die ein Handelsgeschäft betreffen, d. h. Schriftstücke mit Außenwirkung, welche mit der Vorbereitung, dem Abschluss, der Durchführung oder der Rückgängigmachung eines Handelsgeschäfts in Zusammenhang stehen 5. Dabei ist die Frage der rechtlichen Relevanz weit auszulegen 6. Der Austausch allgemeiner Informationen oder erfolglose Angebote sind nicht erfasst 7. Die Art und Weise der Herstellung und Versendung des Schriftstücks ist gleichgültig, auch elektronische Nachrichten wie E-Mails fallen unter diesen Begriff 8. Damit sind z. B. der Bierdeckel und auch der Notizzettel, auf welchen kartellrechtliche Absprachen als Erinnerungsstütze festgehalten werden, nicht vom Begriff des Handelsbriefes erfasst, da es schon an der Absendung fehlt. Dies gilt ebenso für innerbetriebliche Korrespondenz wie z. B. rein firmeninterne E-Mails. E-Mails hingegen, welche eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung enthalten wie z. B. ein Vertriebsvertrag, Auftrag oder eine Auftragsbestätigung werden vom Begriff des Handelsbriefs erfasst 9. Bei Telefonnotizen, welche eine rechtsgeschäftliche Erklärung betreffen, gehen die Meinungen auseinander 10. 1 Vgl. allerdings Hilgard, ZIP 2007, 985 mit ähnlicher Fragestellung im Hinblick auf E-Mails. 2 Natürlich sind diese Überlegungen grundsätzlich auch in anderen Bereichen (Umweltrecht, Wirtschaftsstrafrecht, Lebensmittelrecht, Produkthaftung, Außenwirtschaftsrecht etc.) von Bedeutung; dort sind aber ggf. jeweils weitere Besonderheiten zu beachten, die den Rahmen dieser Darstellung sprengen würden. Sondervorschriften gibt es z. B. auch für Banken oder im Rahmen des Geldwäschegesetzes, vgl. Hilgard, ZIP 2007, 985, 987. 3 Das Ziel dieses Aufsatzes ist es, eine Diskussion zu diesem Thema anzustoßen. Die Autoren sind sich der Tatsache bewusst, dass dieses komplexe Thema im Rahmen eines solchen Aufsatzes nicht umfassend behandelt werden kann. 4 Vgl. z. B. http://www.olev.de/a/akte.htm. 5 Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, 257 Rn. 23; Walz, in: Heymann, HGB, 2. Aufl. 1999, 257 Rn. 5. Gemäß 343 HGB sind Handelsgeschäfte alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehören. 6 Kirnberger, in: Heidelberger Kommentar, HGB, 7. Aufl. 2007, 257 Rn. 2. Zweck der Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht ist die verständliche und beweiskräftige Darlegung der Rechnungslegung und der Schutz der Gläubiger (vgl. Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 HGB Rn. 1; Trappmann, DB 1990, 2437, 2438; Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, 257 Rn. 1.). 7 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 HGB Rn. 34; Trappmann, DB 1990, 2437; Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, 257 Rn. 23. 8 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 HGB Rn. 34; Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, 257 Rn. 22; Trappmann, DB 1990, 2437. 9 Vgl. Rath/Hausen, K&R 2007, 113 ff. 10 Vgl. Wiedmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 2001, 257 Rn. 15. Nach Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 HGB Rn. 34 und Kirnberger, in: Heidelberger Kommentar, HGB, 7. Aufl. 2007, 257 2478 Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008

Unter den Handelsbriefen können sich damit durchaus kartellrechtlich relevante Unterlagen befinden, welche einer Aufbewahrungspflicht gem. 257 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 HGB unterliegen. Für empfangene Handelsbriefe und Wiedergaben von abgesandten Handelsbriefen besteht gem. 257 Abs. 4 HGB die Pflicht, diese Unterlagen für sechs Jahre geordnet aufzubewahren 11. Es stellt sich somit die Frage, welche Konsequenzen sich aus der Vernichtung von Unterlagen vor Fristablauf ergeben können. Handelsrechtlich sind keine Sanktionen vorgesehen 12, es wird jedoch durch die strafrechtlichen Insolvenztatbestände ( 283 Abs. 1 Nr. 6, 283b Abs. 1 Nr. 2 StGB) dazu unten II.3.d) ein indirekter Zwang zur Einhaltung der Vorschrift bewirkt. Zudem wird die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung tangiert, sodass der Abschlussprüfer erwägen kann, ob Konsequenzen für den Bestätigungsvermerk zu ziehen sind 13. Außerdem können sich prozessuale Nachteile ergeben: Wenn z. B. auf einen Vorlegungsantrag des Prozessgegners nach 421 ZPO erklärt werden muss, dass die Urkunde nicht mehr vorhanden sei, kann das Gericht gem. 444 ZPO auch ohne förmliches Beweisverfahren den behaupteten Inhalt als bewiesen ansehen 14. Nach Fristablauf können die Unterlagen grundsätzlich vernichtet werden, ohne dass sich hieraus Rechtsnachteile nach dem HGB ergeben 15. Es gilt jedoch zu bedenken, dass sich aus prozessrechtlichen Vorschriften (z. B. wiederum nach 444 ZPO) ein Nachteil zu Lasten des Vernichtenden ergeben kann, was jedoch nur im konkreten Einzelfall geklärt werden kann 16. PRAXISHINWEIS: Trotz der grundsätzlichen handelsrechtlichen Zulässigkeit der Unterlagenvernichtung nach Ablauf der handelsrechtlichen Aufbewahrungsfristen empfiehlt sich eine solche Maßnahme daher frühestens, wenn mit einer Verwendung der Unterlagen in einem Prozess nicht mehr zu rechnen ist 17. b) Aufbewahrungspflichten nach der Abgabenordnung Die steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen sind in 147 AO geregelt und an 257 HGB angelehnt, wobei jedoch der Kreis der aufzubewahrenden Unterlagen weiter gefasst ist 18. Nach 147 Abs. 3 i.v. m. Abs. 1 AO ist für Handels- und Geschäftsbriefe grundsätzlich von einer Aufbewahrungsfrist von sechs Jahren auszugehen 19. Bei den Geschäftsbriefen im Sinne des 147 Abs. 1 Nr. 2 AO handelt es sich um die geschäftliche Korrespondenz der übrigen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichtigen, die keine Kaufleute im Sinne des HGB sind 20. Zudem werden sonstige Aufzeichnungen, die steuerlich relevante Vorgänge erfassen, von 147 Abs. 1 Nr. 5 AO erfasst 21. Hierunter könnten z.b. Auftrags- und Bestellunterlagen fallen 22, aus denen wiederum auch kartellrechtlich relevante Sachverhalte hervorgehen. Die Aufbewahrungspflicht nach 147 AO ist Teil der Buchführungsund Aufzeichnungspflicht 23. Verstöße gegen 146, 147 AO und die hierzu bereits in 2001 vom Bundesfinanzministerium verabschiedeten Grundsätze des Datenzugriffs und der Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU) 24 können demnach zur Aberkennung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung, zur Schätzung der Besteuerungsunterlagen ( 162 Abs. 2 S. 2 AO), zur Versagung von Steuerbegünstigungen und zu Zwangsmaßnahmen ( 328 ff. AO) führen. Außerdem kann grundsätzlich eine straf- oder bußgeldrechtliche Ahndung in Betracht kommen, und zwar für Verstöße in Form von Steuerhinterziehung nach 370 AO oder leichtfertiger Steuerverkürzung nach 378 AO. Einer Vernichtung nach Fristablauf stehen diese Vorschriften demgegenüber nicht entgegen, wobei die oben angesprochenen prozessrechtlichen Aspekte gleichermaßen in Betracht zu ziehen sind (s. II.1.a)). 2. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) besteht keine Norm, welche sich explizit mit der Zulässigkeit der Vernichtung von Unterlagen befasst 25. Nach 81 Abs. 2 Nr. 6 GWB handelt allerdings ordnungswidrig, wer unter anderem entgegen 59 Abs. 2 GWB Unterlagen nicht vollständig herausgibt 26 oder geschäftliche Unterlagen 27 nicht zur Einsichtnahme und Prüfung vorlegt 28. Wenn nun im Unternehmen Unterlagen im Vorfeld vernichtet werden, welche bei einem Verlangen der Kartellbehörde dann nicht mehr herausgegeben oder vorgelegt werden können, stellt sich die Frage, auf welchen Zeit- Rn. 2 sind Telefonnotizen aufbewahrungspflichtig, wenn eine rechtsgeschäftliche Erklärung telefonisch abgegeben oder empfangen wurde, soweit diese bereits Rechtswirkungen erzeugt und keine schriftliche Bestätigung folgt. Nach Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, 257 Rn. 22 soll eine Aufbewahrungspflicht hingegen nur entstehen, wenn eine Aufbewahrung als Buchungsbeleg erforderlich ist. 11 Gemäß 239 Abs. 4 HGB können diese Aufzeichnungen auch auf Datenträgern geführt werden. Einzelheiten hierzu: Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 HGB Rn. 60 ff. Zudem sind Handelsbücher, Inventare, Eröffnungsbilanzen, Jahresabschlüsse, Einzelabschlüsse nach 325 Abs. 2a HGB, Lageberichte, Konzernabschlüsse, Konzernlageberichte sowie die zu ihrem Verständnis erforderlichen Arbeitsanweisungen und sonstigen Organisationsunterlagen als auch sämtliche Buchungsbelege für die Dauer von zehn Jahren aufzubewahren. Gemäß 257 Abs. 5 HGB entsteht die Aufbewahrungspflicht mit dem Schluss des Kalenderjahres, in welchem die jeweiligen Unterlagen erstellt, abgesandt oder empfangen werden. Zu beachten ist, dass die Rechtsprechung bei anhängigen Rechtsstreitigkeiten 147 Abs. 3 S. 2 AO analog auf 257 HGB anwendet und sich demnach die Frist verlängern kann (Kirnberger, in: Heidelberger Kommentar, HGB, 7. Aufl. 2007, 257 Rn. 2; OLG Düsseldorf, DB 1993, 325). 12 Wiedmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 2001, 257 Rn. 33; Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 HGB Rn. 78; Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, 257 Rn. 46; Koller/Roth/Morck, HGB, 6. Aufl. 2007, 257 Rn. 6. 13 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 HGB Rn. 80; Staub/Hüffer, HGB, 4. Aufl. 2002, 257 Rn. 47. 14 OLG Düsseldorf, MDR 1973, 592; Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 HGB Rn. 79; Walz, in: Heymann, HGB, 2. Aufl. 1999, 257 Rn. 3; Wiedmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 2001, 259 Rn. 11; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl. 2008, 257 Rn. 4. 15 Wiedmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 2001, 257 Rn. 32. Zu beachten sind aber ggf. besondere Aufbewahrungsfristen wie z. B. nach 9 VPÖA und 31 BKFT 75, die für öffentliche Aufträge gelten (vgl. Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 HGB Rn. 75). Teilweise wird sogar davon ausgegangen, dass sich im Zivilprozess für einen Kaufmann keine Nachteile ergeben, wenn dieser seine Unterlagen zulässigerweise unter Beachtung der Aufbewahrungspflichten vernichtet hat, vgl. Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 HGB Rn. 74; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl. 2008, 257 Rn. 4; OLG Bamberg, WM 1995, 918; BGH, WM 1972, 281, 282. A. A. Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, 257 Rn. 48. 16 Teilweise wird von einer Unanwendbarkeit des 444 ZPO ausgegangen, wenn eine Vernichtung ohne Entziehungsabsicht im Zuge der allgemeinen Vernichtung älterer Unterlagen stattfindet (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl. 2007, 444 Rn. 4). 17 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 HGB Rn. 77. 18 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 HGB Rn. 5. 19 Für die vornehmlich steuerrelevanten Unterlagen gilt nach 147 Abs. 3 AO eine zehnjährige Frist. Bei allen Fristen der AO ist zu beachten, dass grundsätzlich eine kürzere Aufbewahrungsfrist in Abweichung von der AO gelten kann, wenn sie in anderen Steuergesetzen zugelassen ist. Nach Sondervorschriften kann der Beginn der Aufbewahrungsfrist auch abweichen oder gehemmt werden (z. B. gemäß 147 Abs. 3 S. 2 AO) (Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 HGB Rn. 73; Brockmeyer, in: Klein, AO, 9. Aufl. 2006, 147 Rn. 7). 20 Brockmeyer, in: Klein, AO, 9. Aufl. 2006, 147 Rn. 3. 21 Brockmeyer, in: Klein, AO, 9. Aufl. 2006, 147 Rn. 5; Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 HGB Rn. 42; Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, 257 Rn. 24. 22 Kirnberger, in: Heidelberger Kommentar, HGB, 7. Aufl. 2007, 257 Rn. 4. 23 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, 257 Rn. 6. 24 Vgl. hierzu Taeger/Rath, IT-Compliance als Risikomanagementinstrument, 2007, S. 16 ff. 25 Das Bundeskartellamt hat zum Thema Aktenvernichtung nach einer inoffiziellen Auskunft noch keine dezidierte Position, sieht aber auch keinen speziellen Verbotstatbestand im Kartellrecht. Es hat jedoch darauf hingewiesen, dass für die Aktenvernichtung natürlich die allgemeinen Regeln gelten und dass die eventuellen Nachteile bei einem späteren Kronzeugenantrag zu bedenken sind (s. hierzu unten III. 3). 26 Die Herausgabepflicht erstreckt sich auf alle Unterlagen, aus denen sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens ergeben (Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, 59 Rn. 11; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, 59 Rn. 25 ff., 42a). 27 Geschäftliche Unterlagen sollen Unterlagen über das gesamte Geschäftsgebaren der betroffenen Unternehmen sein, im Zweifel alle Unterlagen, die sich in den Geschäftsräumen befinden, also auch private Notizkalender und auch in sonstiger Weise gespeicherte Informationen (vgl. Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, 59 Rn. 43; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht, Bd. 2, 2006, 59 Rn. 9; Werner, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 1999, 52 Rn. 32), wobei umstritten ist, ob alle vorhandenen Unterlagen erfasst werden oder eine Beschränkung auf die eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse eingreift (Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, 59 Rn. 16). 28 Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, 81 Rn. 14; Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB 2005, 81 Rn. 171; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht, Bd. 2, 2006, 59 Rn. 11. Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008 2479

punkt für die Beurteilung der Nichtvollständigkeit der Unterlagen abzustellen ist. Grundsätzlich ist dies der Zeitpunkt des förmlichen Ersuchens der Kartellbehörde 29. In diesem Zeitpunkt entsteht die Pflicht, die bezeichneten Unterlagen aufzubewahren 30, woraus folgt, dass nach Beginn des der herausgabe- oder vorlagepflichtigen Person bekannt gegebenen Verfahrens aus den geschäftlichen Unterlagen nichts mehr entfernt werden darf 31. Demnach kann eine Vorwirkung vor diesen Zeitpunkt nicht angenommen werden, so dass im Umkehrschluss jedenfalls auf Grundlage des GWB eine Vernichtung von Unterlagen vor diesem Zeitpunkt zulässig ist. Es ist also unschädlich, wenn die vorhandenen Unterlagen bereits vor Zustellung der Verfügung unvollständig sind: Die entsprechend unvollständige Herausgabe oder Vorlage ist nicht ordnungswidrig 32. In der Praxis bedient sich die Kartellbehörde jedoch ganz überwiegend des formlosen Auskunftsersuchens. Es werden schriftlich bestimmte Auskünfte oder Unterlagen angefordert, die mit dem Hinweis versehen sind, dass die freiwillige Herausgabe erwartet wird und nur ggf. ein formaler Beschluss ergehen wird 33. Dieses formlose Auskunftsverlangen löst aber nach Ansicht der Literatur keine Auskunftspflicht und damit auch keine gesetzliche Herausgabe- oder Vorlagepflicht gegenüber der Kartellbehörde aus 34. Dies bedeutet, dass das formlose Auskunftsersuchen eine Vernichtung von Unterlagen nicht präkludiert 35. PRAXISHINWEIS: Vor Zugang eines förmlichen Auskunftsersuchens ist jedenfalls aus kartellrechtlichen Gründen die Vernichtung von Unterlagen nicht sanktioniert. Im Falle eines förmlichen Auskunftsverlangens bleibt jedoch noch zu prüfen, inwieweit eine Aktenvernichtung nach Zugang eines förmlichen Auskunftsverlangens im Falle eines Auskunftsverweigerungsrechts nach 59 Abs. 5 GWB zulässig sein könnte. Nach 59 Abs. 5 GWB kann die Auskunft gegenüber der Kartellbehörde verweigert werden, wenn hierdurch eine Selbstbelastung oder eine Belastung eines Angehörigen erfolgt 36. Hieraus könnte in der Konsequenz gefolgert werden, dass auch hinsichtlich eines Herausgabe- bzw. Vorlageverlangens ein Verweigerungsrecht im Falle einer Selbstbelastung besteht. Ein solches Herausgabeverweigerungsrecht könnte der Bebußung einer Aktenvernichtung selbst nach Zugang eines förmlichen Auskunftsverlangens eventuell entgegenstehen. Die vorgelagerte Frage der Zulässigkeit der Verweigerung der Herausgabe von Unterlagen wird allerdings unterschiedlich bewertet. Einerseits wird angeführt, dass in den Fällen, in denen sich aus den herauszugebenden oder vorzulegenden geschäftlichen Unterlagen die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung oder eines Bußgeldverfahrens ergibt, die Herausgabe oder Vorlage eine aktive Mitwirkung an der eigenen Verfolgung bedeuten würde, was nicht Inhalt einer bußgeldbewehrten Rechtspflicht sein könne 37. Von der überwiegenden Ansicht in der Literatur wird eine Übertragbarkeit des Rechts zur Auskunftsverweigerung auf ein Herausgabe- oder Vorlageverlangen jedoch verneint 38. Dies wird damit begründet, dass spezielle Regelungen für das Verwaltungsverfahren fehlen und die Mitwirkungspflichten der Herausgabe bzw. Vorlage sich von der Auskunftspflicht gemessen an ihrem Inhalt und ihrer Intensität maßgeblich unterscheiden 39. Demzufolge ist nach herrschender Auffassung die Vernichtung von Unterlagen ab dem Zeitpunkt der Zustellung der förmlichen Verfügung nach 81 Abs. 2 Nr. 6 GWB mit Bußgeld bedroht. PRAXISHINWEIS: Nach Zugang eines förmlichen Auskunftsersuchens ist aus kartellrechtlichen Gründen die Vernichtung von Unterlagen unzulässig und mit Sanktionen bedroht. 3. Strafrechtliche Vorschriften a) Urkundenunterdrückung gem. 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB 40 aa) Vernichtung einer Urkunde Die Vernichtung von Unterlagen könnte den Tatbestand der Urkundenunterdrückung gem. 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllen. Demnach macht sich insbesondere strafbar, wer eine Urkunde, welche ihm nicht gehört, mit Nachteilszufügungsabsicht vernichtet. Eine Urkunde im Sinne des 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist jede verkörperte menschliche Gedankenerklärung, die objektiv zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und subjektiv hierzu bestimmt ist und ihren Aussteller erkennen lässt 41. Eine Urkunde wird in diesem Sinne vernichtet, wenn sie so zerstört wird, dass anschließend das ursprüngliche Beweismittel nicht mehr existiert (z.b. durch Schreddern) 42. Als verkörperte Gedankenerklärungen kommen im vorliegenden Fall sowohl schriftliche Aufzeichnungen (auch Notizen mit Bleistift) als auch abgekürzte Schriftzeichen in Betracht, solange diese für einen der Beteiligten verständlich sind 43. In Kartellsachverhalten wird nun im Regelfall aber keine klassische Urkunde (z. B. in Form eines Vertrags) erstellt. Damit stellt sich die Frage, ob auch eine Urkunde entsteht, wenn die Beteiligten z. B. ein Quotenkartell vereinbaren und einer der Beteiligten das Besprechungsergebnis auf einem Bierdeckel niederschreibt, so dass sich hierauf später alle Beteiligten berufen 29 Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, 81 Rn. 14; Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB 2005, 81 Rn. 162. 30 Werner, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 1999, 52 Rn. 32. 31 Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB 2005, 81 Rn. 171; Werner, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 1999, 52 Rn. 32; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, 81 Rn. 229, 59 Rn. 53. Auf handels- und steuerrechtliche Aufbewahrungspflichten kommt es hingegen für die Vollständigkeit nicht an. 32 Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, 81 Rn. 14; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, 81 Rn. 229; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht, Bd. 2, 2006, 59 Rn. 17; Wiedemann/Werner, Handbuch des Kartellrechts, 1999, 52 Rn. 32. Dies ergibt sich auch aus Sinn und Zweck des 81 Abs. 2 Nr. 6 GWB, einen Verstoß gegen eine wesentliche Verfahrensregel zu sanktionieren. 33 Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, 59 Rn. 13; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, 59 Rn. 3, 3a: Für ein nachfolgendes förmliches Auskunftsersuchen muss dann ein begründeter Verdacht bestehen, dass die formlose Auskunft nicht richtig oder nicht vollständig erteilt wurde. 34 Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB 2005, 81 Rn. 162; Wiedemann/Werner, Handbuch des Kartellrechts, 1999, 52 Rn. 1; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, 81 Rn. 218; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht, Bd. 2, 2006, 59 Rn. 18. 35 Hier liegt möglicherweise eine vom Gesetzgeber insofern nicht beabsichtigte Gesetzeslücke vor. 36 Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, 59 Rn. 36. 37 Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, 81 Rn. 230. 38 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht Bd. 2, 2006, 59 Rn. 12; Werner, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 1999, 52 Rn. 33; Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB 2005, 81 Rn. 172; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, 59 Rn. 54. 39 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht Bd. 2, 2006, 59 Rn. 12; Wiedemann/Werner, Handbuch des Kartellrechts, 1999, 52 Rn. 33; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, 59 Rn. 54: Dies ließe sich nur auf eine entsprechende Anwendung des 97 StPO stützen, was jedoch nicht geboten sei. 40 Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich aus Platzgründen auf den Grundtatbestand des 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Die Problemlage ist jedoch bei elektronisch gespeicherten beweiserheblichen Daten nach 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB grundsätzlich entsprechend zu sehen; vgl. hierzu im Einzelnen Hilgard, ZIP 2007, 985, 987 ff. 41 Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, 267 Rn. 2. 42 Erb, in: Münchener Kommentar, StGB, 2006, 274 Rn. 40; Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl. 2001, 274 Rn. 26. 43 Gribbohm, in: Leipziger Kommentar,StGB, 11. Aufl. 2001, 267 Rn. 11 f.; Erb, in: Münchener-Kommentar, StGB, 2006, 267 Rn. 40f. Gemäß 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird auch die technische Aufzeichnung erfasst. Gemäß 268 Abs. 1 StGB lehnt sich dieser Begriff an dem der Urkunde an, inhaltlich muss jedoch die Aufzeichnung weder eine Gedankenerklärung verkörpern, noch auf einen Aussteller hinweisen (Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder,StGB, 27. Aufl. 2006, 268 Rn. 6). 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB bezieht sich auf beweiserhebliche Daten. Die Verweisung auf 202 a Abs. 2 StGB enthält insofern eine Einschränkung auf Daten, die nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden (Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, 274 Rn. 5). 2480 Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008

können 44. Eine Erklärung liegt in einem Schriftstück nach Auffassung des BGH nur dann vor, wenn es zur Kenntnisnahme durch einen Dritten bestimmt ist 45. Hierfür muss der Hersteller sich grundsätzlich der Notizen durch Übergabe entäußern und dadurch zum Ausdruck bringen, dass der Inhalt der Notizen wahr sei 46. Demnach müsste der Bierdeckel also zumindest an einen anderen Kartellanten übergeben werden. Es kann aber auch genügen, dass die Notiz mit dem Bewusstsein angefertigt wird, dass sie anderen zur Verfügung stehen wird, worin dann der Erklärungswille liegen soll 47. Demnach kann der Bierdeckel auch dann erfasst werden, wenn einer der Kartellanten diesen anstelle aller anfertigt, dies jedoch mit dem Bewusstsein tut, dass er später auf Verlangen der anderen den Bierdeckel jederzeit vorzulegen haben wird. Private Notizen und bloße Entwürfe für den Eigengebrauch scheiden demgegenüber aus 48. Die Beweisbestimmung setzt außerdem eine subjektive Zwecksetzung dahingehend voraus, dass über eine rechtserhebliche Tatsache Beweis erbracht werden soll 49. Eine solche ist gerade in Fällen wie dem obigen Bierdeckel gegeben dieser wird angefertigt, damit sich die Beteiligten untereinander auf die jeweilige Vereinbarung berufen können. Eine Beweisbestimmung kann einer Gedankenerklärung aber auch erst nach deren Entstehung in einer sog. Zufallsurkunde gegeben werden 50. Dies geschieht einerseits durch den Aussteller selbst, wenn er sich etwa auf eine private Notiz besinnt, die nun den Nachweis eines bestimmten, rechtlich bedeutsamen Vorgangs liefert 51. Die Beweisbestimmung kann jedoch sogar auch durch eine andere Person als den Aussteller getroffen werden 52, so dass die Entstehung einer Zufallsurkunde z.b. auch erst im Zeitpunkt von Ermittlungen durch die Kartellbehörde grundsätzlich denkbar wäre. Demnach ist davon auszugehen, dass in den Fällen des Niederschreibens kartellrechtlich problematischer Abreden eine Urkunde im Sinne des 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB entstehen kann. Davon getrennt ist allerdings zu untersuchen, ob auch ein Beweisführungsrecht eines Dritten besteht. bb) Beweisführungsrecht Gem. 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB muss ein Beweisführungsrecht eines Dritten bestehen. Hinsichtlich kartellrechtlich relevanter Unterlagen könnte einerseits die Kartellbehörde ein Beweisführungsrecht haben, andererseits aber auch ein an der Absprache Beteiligter oder ein durch die Absprache geschädigter Dritter. Hierfür ist erforderlich, dass ein Anspruch auf Beweisbenutzung oder auf Vorlage der Urkunden besteht, wobei gesetzliche Vorlagepflichten grundsätzlich ausreichen 53. (1) Einleitung eines Verwaltungsverfahrens nach 59 Abs. 2 GWB Wie dargelegt besteht nach 59 Abs. 2 GWB eine Pflicht des Unternehmensinhabers bzw. des gesetzlichen Unternehmensvertreters, Unterlagen vorzulegen oder herauszugeben, wenn ein förmliches Verlangen der Kartellbehörde gemäß 59 Abs. 1 GWB geäußert wurde. Ein Beweisführungsrecht der Kartellbehörde kann also allenfalls ab dem Zeitpunkt eines formellen Auskunftsverlangens nach 59 Abs. 2 GWB entstehen. Über das Entstehen eines Beweisführungsrechts bei Bestehen von öffentlich-rechtlichen Vorlegungspflichten, welche bloßen Überwachungsaufgaben dienen, besteht aber Uneinigkeit in Rechtsprechung und Literatur. Nach vorherrschender Auffassung genießt eine Urkunde selbst dann nicht den strafrechtlichen Schutz des 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn sie im Interesse öffentlich-rechtlicher Verwaltungsund Überwachungsaufgaben vorzulegen ist und wenn die Nichtvorlage der Urkunde als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße geahndet werden kann 54. Demnach kann davon ausgegangen werden, dass selbst durch ein formelles Auskunftsverlangen der Kartellbehörde nach 59 Abs. 2 GWB kein Beweisführungsrecht entsteht 55. (2) Zivilrechtliche Vorlage- und Herausgabepflichten Es ist ferner in Betracht zu ziehen, dass die Beteiligten kartellrechtlich problematischer Absprachen oder auch Dritte unter dem Gesichtspunkt zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche ein Recht auf Herausgabe bzw. Vorlage von Unterlagen haben können und damit ein Beweisführungsrecht an den Unterlagen entsteht. Hierbei wäre zuerst an eine Herausgabe- bzw. Vorlagepflicht nach 422 ff. ZPO i.v. m. 810 BGB zu denken. Diese Pflicht entsteht jedoch erst, wenn im Zivilprozess ein Vorlegungsantrag nach 421, 424 ZPO gestellt wird und daraufhin eine Anordnung der Vorlage gem. 425 ZPO durch das Gericht erfolgt. Gleiches wird gelten, wenn das Gericht eine Anordnung nach 142 ZPO erlässt 56. Ein Anspruch auf Vorlage kann sich aber auch materiellrechtlich also unabhängig von einem Zivilprozess aus 810 BGB ergeben 57. Für einen Anspruch gem. 810 BGB muss es sich zum einen um eine Urkunde im prozessualen Sinne handeln 58. Urkunden in diesem Sinne sind durch Niederschrift verkörperte Gedankenerklärungen, gleichgültig, in welcher Weise die Niederschrift erfolgt ist 59. Zudem muss die Urkunde nach ihrem Zweck oder Inhalt der Rechtsposition des Anspruchstellers dienen. Dies wird dann angenommen, wenn die Urkunde (1) in seinem Interesse errichtet worden ist (z. B. der von einem anderen erstellte Bierdeckel ), (2) ein zwischen dem Anspruchsteller und einem anderen bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet (z. B. eine Quotenvereinbarung) oder (3) Verhandlungen über 44 Dass diese Vereinbarung nichtig ist ( 134 BGB), ist unerheblich, da auch nichtige Erklärungen Gegenstand einer Urkunde sein können (Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, 267 Rn. 12; Erb, in: Münchener Kommentar, StGB, 2006, 267 Rn. 63). 45 BGHSt 3, 82, 85. 46 BGHSt 3, 82, 85. 47 BGHSt 3, 82, 85: Dies bejaht der BGH für den Fall, dass eine Notiz angefertigt wird, welche Dritten aufgrund von bestehenden Herausgabepflichten zugänglich gemacht werden muss. 48 Im Schrifttum wird jedoch zum Teil ausdrücklich die Einbeziehung privater Notizen gefordert, wenn ein anderer diese findet und nunmehr zu Beweiszwecken verwendet (vgl. Erb, in: Münchener Kommentar, StGB, 2006, 267 Rn. 34). 49 Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, 267 Rn. 13. 50 BGHSt 3, 82, 85; BGHSt 4, 284, 285. Diese Rechtsfigur wird im Schrifttum teilweise abgelehnt (Erb, in: Münchener Kommentar, StGB, 2006, 267 Rn. 34 ff.). 51 Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl. 2001, 267 Rn. 70. 52 Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl. 2001, 267 Rn. 70. 53 BGH, NJW 1980, 1057, 1058, Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl. 2001, 274 Rn. 6. 54 Nach OLG Zweibrücken, GA 1978, 316, 317, OLG Düsseldorf, NZV 1989, 477, Freund, in: Münchener Kommentar, StGB, 2006, 274 Rn. 24 und Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl. 2001, 274 Rn. 7 f. soll in diesen Fällen für einen derart ausgedehnten strafrechtlichen Schutz kein Bedürfnis bestehen. A. A. Schneider, NStZ 1993, 16 ff., der es für wenig überzeugend hält, die beweisrechtliche Verfügungsgewalt über das Beweismittel allein dem jeweiligen Eigentümer zuzuweisen, wenn sich staatliche Stellen eine Urkunde zu Überwachungszwecken vorlegen lassen können. Zur Stützung dieser Ansicht könnten inzwischen auch die seit 1.1.2002 geltenden neuen Vorschriften zur Archivierung und Prüfung von Daten (vgl. ausführlich: Graf Kerssenbrock/Riedel, BC 2002, 109 ff.) herangezogen werden. Demnach dürfen originär digital erstellte Daten für Steuerzwecke nur noch digital archiviert werden und müssen bis zum Ende der Aufbewahrungsfrist bzw. der steuerlichen Außenprüfung elektronisch unverzüglich lesbar und elektronisch auswertbar vorgehalten werden. Die Behörde hat demnach jederzeit ein Zugriffsrecht, was jedoch im Rahmen kartellrechtlicher Fragestellungen im Regelfall nicht einschlägig sein wird. 55 Es sollte allerdings beachtet werden, dass ab der Zustellung eines formellen Auskunftsverlangens die Sanktion des 81 Abs. 2 Nr. 6 GWB greift und ab dem Zeitpunkt der öffentlich-rechtlichen Verstrickung, zum Beispiel durch Beschlagnahme, die Vernichtung der verstrickten Unterlagen zusätzlich den Straftatbestand des Verstrickungsbruchs nach 136 Abs. 1 StGB erfüllen kann. 56 Vgl. auch Hilgard, ZIP 2007, 985, 988 f. 57 Denn es genügt für ein Beweisführungsrecht, dass nach bürgerlichem Recht die Herausgabe, die Vorlage oder das Bereithalten zur Einsichtnahme verlangt werden kann (Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, 274 Rn. 2). 58 Heckelmann, in: Erman, BGB, 11. Aufl. 2004, 810 Rn. 2. 59 Hüffer, in: Münchener Kommentar, BGB, 4. Aufl. 2004, 810 Rn. 3. Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008 2481

ein Rechtsgeschäft enthält, die zwischen dem Anspruchsteller und einem anderen gepflegt worden sind (wie z. B. ein Protokoll). Einseitige Aufzeichnungen wie Notizen oder der Bierdeckel, die als Erinnerungsstütze dienen sollen, sind demgegenüber nicht erfasst 60. Bei einem Beteiligten ist also ein Anspruch nach 810 BGB je nach Lage des Falles und damit ein Beweisführungsrecht nicht von vornherein auszuschließen. Ein Beweisführungsrecht aus 810 BGB ist aber in der Praxis (auch in Verbindung mit 422ff. ZPO) wohl eher selten anzunehmen 61. Der geschädigte Dritte selbst kann sich demgegenüber im Regelfall nicht auf die Vorlagepflicht berufen; er ist weder an den Verhandlungen noch dem Rechtsverhältnis unmittelbar beteiligt. cc) Nachteilszufügungsabsicht Die Vernichtung muss zudem in Nachteilszufügungsabsicht erfolgen, wobei unter einem Nachteil die Beeinträchtigung fremder Beweisführungsrechte zu verstehen ist. Die Vereitelung des staatlichen Strafund Bußgeldanspruches stellt nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur keinen Nachteil in diesem Sinne dar, da dadurch gerade kein anderer benachteiligt werde 62. Jedoch kann unter dem Gesichtspunkt der Erschwerung möglicher zivilrechtlicher Klagen (z. B. auf Schadenersatz) eine Nachteilszufügungsabsicht bestehen 63. dd) Ergebnis zur Urkundenvernichtung nach 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB Es kann somit festgehalten werden, dass eine Verwirklichung des 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Einzelfällen in Betracht kommen kann, wenn kartellrechtlich relevante Unterlagen von den unmittelbar an der Absprache Beteiligten zu Beweismittelzwecken erstellt wurden und eine Vernichtung zur Erschwerung der Beweisführung erfolgt. b) Urkundenfälschung gem. 267 StGB Teilweise wird als Folge der Verletzung der Aufbewahrungspflichten nach 257 HGB und 147 AO auf eine Strafbarkeit gem. 267 StGB verwiesen. Denkbar ist eine Urkundenfälschung bei der Vernichtung kartellrechtlich relevanter Unterlagen dahingehend, dass z. B. durch die Entnahme einzelner Seiten aus einer Akte der Gesamtsinn verändert wird und so eine Gesamturkunde verfälscht wird. Eine Gesamturkunde liegt aber nur dann vor, wenn die darin enthaltenen Schriftstücke zu einer Gesamterklärung vereinigt sind und eine selbständige Gedankenäußerung verkörpern 64. Dies wird z.b. hinsichtlich der Handakte eines Rechtsanwalts verneint, aber für Handelsbücher bejaht. In einer EDV-Anlage gespeicherte Daten werden grundsätzlich nicht erfasst, da es an einer dauerhaften Verkörperung fehlt 65. Anders ist dies jedoch, wenn eine Computermanipulation zu einem Ausdruck mit Urkundenqualität führt 66. Damit wird der Tatbestand der Urkundenfälschung im vorliegenden Zusammenhang wohl nur in Einzelfällen relevant werden. c) Strafvereitelung gem. 258 Abs. 1 StGB Die Vernichtung von Unterlagen könnte weiterhin eine Strafvereitelung nach 258 Abs. 1 StGB darstellen. Dies setzt als Vortat eine Tat nach dem StGB voraus. Kartellrechtsverstöße stellen mit Ausnahme des Submissionsbetrugs nach 298 StGB nach deutschem Recht lediglich Ordnungswidrigkeiten dar. Soweit also 258 Abs. 1 StGB überhaupt anwendbar wäre, müsste die Vernichtung der Unterlagen vereiteln, dass ein anderer bestraft oder einer Maßnahme unterworfen wird, wofür bei Ermittlungshandlungen eine nicht unerhebliche Verzögerung der Aburteilung gefordert wird 67. Vor der Aufnahme von Ermittlungen durch die Strafverfolgungsorgane liegt dieser Erfolg noch in der Ferne, so dass zunächst die Vernichtung von Unterlagen als unmittelbarer Eingriff in die Beweislage lediglich einen Versuch darstellt 68, solange mangels der Aufnahme von Ermittlungen eine spätere Verzögerung oder Vereitelung der Aburteilung nicht eintritt. Wenn Ermittlungen aufgenommen werden, muss die Verzögerung bzw. Vereitelung der Strafverfolgung zudem gerade aufgrund der Vernichtung eingetreten sein 69. Im Regelfall wird eine Bestrafung des Täters aber oft schon an der strafbegrenzenden Vorschrift des 258 Abs. 5 StGB scheitern. Ein Vorgesetzter, der eine Tat nach 298 StGB begangen hat und entweder die Akten selbst vernichtet oder seiner Sekretärin die Anweisung erteilt, bestimmte Unterlagen zu vernichten, macht sich selbst daher nicht strafbar 70. Die vorsätzlich handelnde Sekretärin bleibt in diesem Fall ebenso straffrei, wenn sie (zumindest auch) ihre eigene Beteiligung an der Vortat verdecken will 71. Problematisch könnte die Aktenvernichtung nur für diejenigen Personen werden, die am Submissionsbetrug nicht beteiligt waren. Für die Submissionsfälle wird somit eine Strafvereitelung nur in Einzelfällen, für die klassischen Kartellabsprachen außerhalb des Bereichs der Submissionsabsprache überhaupt nicht in Betracht kommen. d) Bankrott bzw. Verletzung der Buchführungspflicht gem. 283, 283b StGB Wer aufbewahrungspflichtige Unterlagen während der Aufbewahrungsfrist nicht aufbewahrt und dadurch die Übersicht über seinen Vermögensstand erschwert, kann gem. 283 Abs. 1 Nr. 6, 283b Abs. 1 Nr. 2 StGB bestraft werden. 283 Abs. 1 StGB setzt (im Gegensatz zu 283b StGB) eine wirtschaftliche Krise in Form von bestehender oder drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung voraus. Die Strafbarkeit gem. 283, 283b StGB hängt allerdings von weiteren objektiven Strafbarkeitsbedingungen ab (z.b. Einstellung der Zahlungen oder der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. der Ablehnung des Eröffnungsbeschlusses mangels Masse). Eine Strafbarkeit gem. 283, 283b StGB wird demzufolge nur in diesen speziellen Fällen in Betracht kommen. 4. Rechtslage im europäischen Recht Spezielle Normen, welche sich auf die Zulässigkeit der Vernichtung von Unterlagen vor der Aufnahme von behördlichen Ermittlungen 60 Hüffer, in: Münchener Kommentar, BGB, 4. Aufl. 2004, 810 Rn. 9; BGHZ 60, 275, 292. Bei diesen handelt es sich aber mangels Beweisbestimmung schon nicht um eine Urkunde im Sinne des 274 StGB. 61 Vgl. so auch Lübbig, WRP 2006, 1209, 1215. Daneben besteht der materiell-rechtliche Auskunftsanspruch nach 242 BGB, der zur Vorbereitung eines späteren Prozesses oder in einem laufenden Verfahren als akzessorischer Anspruch erhoben werden kann. Dieser unterliegt aber sehr engen Voraussetzungen, die hier nicht weiter untersucht werden sollen. 62 Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, 274 Rn. 16; BayObLG, NZV 1989, 81; OLG Düsseldorf, NZV 1989, 477, 478. 63 OLG Düsseldorf, NZV 1989, 477, 478. 64 BGH, NJW 1953, 514, 515; Erb, in: Münchener Kommentar, StGB, 2006, 267 Rn. 56. 65 Allerdings kommt hier die Verwirklichung der Spezialnormen in 268f. StGB (Fälschung technischer Aufzeichnungen oder beweiserheblicher Daten) in Betracht. 66 Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, 267 Rn. 5, 7. 67 Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, 258 Rn. 4. 68 Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, 258 Rn. 31. 69 Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, 258 Rn. 4. 70 Von 258 Abs. 5 StGB wird auch die Teilnahme eines Vortäters an der Strafvereitelung erfasst, die ein an der Vortat Unbeteiligter zu seinen Gunsten begeht (BayObLG, JR 1979, 252; Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, 258 Rn. 38). 71 Das Bestreben der Selbsthilfe braucht gegenüber dem der Fremdhilfe nicht zu überwiegen (Lackner/ Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, 258 Rn. 16). 2482 Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008

oder prozessualen Verfügungen beziehen, bestehen auf der Ebene des Europarechts mit Ausnahmen von prozessualen Sondernormen zu e- Discovery in manchen Jurisdiktionen (vgl. dazu noch Ziffer 5 lit. b) ebenfalls nicht. Nach Art. 18 Kartellverfahrensverordnung ( VO 1/ 2003 ) 72 hat die Kommission die Möglichkeit, entweder einfache Auskunftsverlangen oder förmliche Auskunftsentscheidungen zu erlassen 73. Art. 18 VO 1/2003 umfasst auch die Verpflichtung zur Vorlage von Unterlagen 74. Das Unternehmen muss allerdings auf ein einfaches Auskunftsverlangen nicht antworten 75. Bei einem förmlichen Auskunftsverlangen hingegen hat das Unternehmen nicht das Recht, die Vorlage belastender Unterlagen zu verweigern, es besteht jedoch keine Pflicht, ein Geständnis abzulegen 76. Konsequenterweise kann ein Bußgeld oder Zwangsgeld gem. Artt. 23 Abs. 1 lit. b), 24 Abs. 1 lit. d) VO 1/ 2003 bei einer unvollständigen Vorlage von Unterlagen nur aufgrund einer förmlichen Entscheidung der Kommission verhängt werden 77. Demzufolge kann davon ausgegangen werden, dass als Anknüpfungspunkt für das Entstehen einer Verpflichtung grundsätzlich entsprechend dem deutschen Recht der Zeitpunkt der förmlichen Entscheidung maßgeblich ist. Infolgedessen wäre eine Vernichtung von Unterlagen vor Zugang einer förmlichen Entscheidung durch die Kommission nach europäischem Recht nicht unzulässig 78. Nach Zugang einer förmlichen Entscheidung würde man wohl anders als nach deutschem Recht danach differenzieren müssen 79, ob die Herausgabe von Unterlagen von der Kommission verlangt werden kann oder ob eine solche Herausgabe einem Geständnis gleichkäme, welches ja nicht abgegeben werden muss. Einem Geständnis soll es gleichkommen, wenn die Kommission ein Unternehmen auffordert, z. B. Protokolle von Treffen, vorbereitende Unterlagen, handschriftliche Aufzeichnungen, Notizen oder Entwürfe zur Durchführung von Preiserhöhungen vorzulegen. Denn hieraus gehen der Gegenstand, Ablauf sowie Ergebnisse (bzw. Schlussfolgerungen) von Treffen hervor, sodass dieses Verlangen geeignet sein soll, das Unternehmen zu verpflichten, seine Teilnahme an einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zuzugeben 80. Somit kann ggf. mit diesem Argument die Vernichtung von Unterlagen auch noch nach Zugang einer förmlichen Auskunftsentscheidung gerechtfertigt werden. In der Praxis wird sich das Problem jedoch eher selten stellen, da die Kommission bei entsprechendem Anfangsverdacht im Regelfall auf das Mittel der Nachprüfung zurückgreifen wird, um Unternehmen die Möglichkeit einer Bereinigung des Aktenbestandes zu nehmen. 5. Rechtslage im US-amerikanischen Recht a) Sarbanes-Oxley Act Bis zum Erlass des Sarbanes-Oxley Act in 2002 81 wurde eine Vernichtung von Dokumenten unter dem Gesichtspunkt der obstruction of justice (Behinderung der Justiz) lediglich nach 18 U.S.C. 1512(b) mit Strafe bedroht 82. 1512(b) setzt voraus, dass eine Person eine andere mit missbräuchlichen Absichten zur Vernichtung von Unterlagen bestimmt 83. Im Fall Arthur Andersen stellte der Supreme Court ferner klar, dass eine Verknüpfung zwischen dem Verhalten des Angeklagten und einem offiziellen Verfahren bestehen muss 84. Durch den Sarbanes Oxley Act 2002 wurde zum einen in 1512 die Ziffer (c) eingeführt. Demnach ist nun die Vernichtung von Unterlagen mit Missbrauchsabsicht ( corruptly ) für die handelnde Person selbst unter Strafe gestellt, wodurch das sog. individual shredder problem gelöst wurde. Zum anderen wurde mit 1519 ein weitergehender Tatbestand eingeführt. Demnach macht sich nun strafbar, wer bewusst Dokumente mit der Absicht vernichtet, Ermittlungen zu behindern oder zu beeinflussen 85. Eine Missbrauchsabsicht im Hinblick auf ein Verfahren braucht nun nicht mehr vorzuliegen 86. Vielmehr genügt es, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass Ermittlungen einer staatlichen Behörde bevorstehen ( contemplated investigation ) 87. Kenntnis von einem konkret bevorstehenden Verfahren ist aufgrund der Offenheit des Gesetzeswortlauts und des sich daraus ergebenden weiten Schutzbereichs gerade nicht erforderlich 88. Dies hat einige Kritik dahingehend hervorgerufen, dass nun angesichts dessen die Gefahr bestehe, dass unschuldige Unternehmen Sanktionen unterworfen werden 89. Inzwischen wird daher teilweise einschränkend von dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit oder einer Verknüpfung zu einem bevorstehenden Verfahren ausgegangen 90. 72 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. EG L 1/1 v. 4.1.2003. 73 Nach der VO 17/62, der alten Fassung der Kartellverfahrensverordnung, war die Kommission gehalten, zunächst ein formloses Auskunftsverlangen durchzuführen, welches keine Verpflichtung auslöst. Ob dieses Stufenverhältnis nach neuer Rechtslage noch gilt, ist fraglich, (s. hierzu Sura, in: Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 18 VO Nr. 1/2003, Rn. 1 ff.). Nach überwiegender Ansicht wird davon ausgegangen, dass dieses Stufenverhältnis nicht mehr besteht (so Dannecker, FS für Ulrich Immenga, 2004, S. 61, 68; Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2005, Art. 18 VO 1/2003 Rn. 5; de Bronett, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht, 2005, Art. 18 Rn. 1; Schnelle/Bartosch/Hübner, Das neue EU-Kartellverfahrensrecht, 2004, S. 135). 74 Sura, in: Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 18 VO Nr. 1/2003, Rn. 13: Dies war nach alter Rechtslage unter Bezug auf den effet-utile-grundsatz umstritten, aber gängige und vom EuGH gebilligte Praxis der Kommission. Nach neuer Rechtslage besteht im Hinblick auf Erwägungsgrund 23 zur VO 1/2003 eine eindeutige Verpflichtung hierzu. 75 Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2005, Art. 23 VO 1/2003 Rn. 15; de Bronett, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht, 2005, Art. 18 Rn. 8. 76 EuGH, Orkem/Kommission, 374/87 Slg. 1989, 3283 Rn. 35; de Bronett, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht, 2005, Vor Art. 17 bis 22 Rn. 7; Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2005, Art. 18 VO 1/2003 Rn. 9; Dannecker, FS für Ulrich Immenga, 2004, S 61, 69; Sura, in: Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 18 VO Nr. 1/2003 Rn. 14f.: Die hier vorzunehmende Abgrenzung ist äußerst problematisch, denn es ist in der Regel von den Formulierungen der Kommission abhängig, ob mit einer Frage bereits unzulässigerweise ein Geständnis eingefordert wird oder ob sich die Frage lediglich auf zulässige, allerdings das Unternehmen später belastende Tatsachenfeststellungen bezieht. Für ein generelles Auskunftsverweigerungsrecht daher z. B. Schwarze, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, 4 Rn. 34 ff. 77 Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2005, Art. 23 VO 1/2003 Rn. 15. 78 Insofern darf EuG, FEG u. FU/Kommission, T-5/00 u. T-6/00, Urteil v. 16.12.2003, Rn. 87 nicht falsch verstanden werden: Dort soll ab einem Auskunftsverlangen der Kommission erst recht eine Aufbewahrungspflicht bestehen. Hieraus könnte zu schließen sein, dass die dort erwähnte allgemeine Obliegenheit, die Geschäftstätigkeit des Unternehmens betreffende Unterlagen aufzubewahren, auch schon vor Auskunftsverlangen bestehen kann. In diesem Fall ging es aber darum, dass das betroffene Unternehmen geltend gemacht hatte, aufgrund der langen Verfahrensdauer Unterlagen verloren zu haben. Diesen Einwand hat das EuG nicht gelten lassen. Hieraus können jedoch keine Schlussfolgerungen für die hier interessierende Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit der aktiven Vernichtung von Unterlagen gezogen werden. 79 Diese Differenzierung ergibt sich daraus, dass im europäischen Recht nicht zwischen Verwaltungs- und Bußgeldverfahren unterschieden wird. 80 de Bronett, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht, 2005, Art. 18 Rn. 7. 81 Auslöser für den Erlass des Sarbanes-Oxley Acts war der Skandal um Enron. Im Laufe der diesbezüglichen Ermittlungen kam zum Vorschein, dass durch Enrons Wirtschaftsprüfer Arthur Andersen trotz bereits begonnener Ermittlungen durch die SEC Tausende von Dokumenten in großem Stil vernichtet worden waren. 82 1512(b) hat folgenden Wortlaut: Whoever knowingly uses intimidation, threatens, or corruptly persuades another person, or attempts to do so, or engages in misleading conduct toward another person, with intent to (2) cause or induce any person to (A) withhold a record, document, or other object, from an official proceeding. 83 Stanger, 5 U.C. Davis Bus. L.J. 13 (2005), II. C.; Miller, Washington Legal Foundation, Legal Backgrounder, Vol. 20 No. 26, S. 2. 84 Arthur Andersen LLP v. United States, 433 U.S. 696 (2005); Miller, Washington Legal Foundation, Legal Backgrounder, Vol. 20 No. 26, S. 3. 85 1519 hat folgenden Wortlaut: Whoever knowingly destroys any record, document, or tangible object with the intent to impede, obstruct, or influence the investigation or proper administration of any matter within the jurisdiction of any department or agency of the United States or any case filed under title 11, or in relation to or contemplation of any such matter or case, shall be fined under this title, imprisoned not more than 20 years, or both. 86 Akin, Gump, Strauss, Hauer & Feld, L.L.P., Corporate Governance Alert, August 12, 2002, S. 2. 87 Zuckerman, Association Management, July 2004, (http://www.asaecenter.org/publicationsresources/am MagArticleDetail.cfm?ItemNumber=6847); Brownstone, Kevane, Orellana, The National Law Journal, March 20, 2008, (http://www.law.com/jsp/legaltechnology/pubarticlelt.jsp?id=1205923895814). 88 U.S. v. Ionia Management S.A., No. 3:07 CR 134, 2007, S. 18. 89 Stanger, 5 U.C. Davis Bus. L.J. 13 (2005), IV. B. 3.; Akin, Gump, Strauss, Hauer & Feld, L.L.P., Corporate Governance Alert, August 12, 2002, S. 2, 3; Brownstone, Kevane, Orellana, The National Law Journal, March 20, 2008, (a. a. O.); Barr, New York Law Journal, Vol. 238 No. 99, S. 2. 90 So die Anklage im Fall U.S. v. Russell, No. 3:07 CR 00031-AHN-1 (D. Conn. 2007); ebenso soll aus der Entscheidung U.S. v. Aguilar, 515 U.S. 593 (1995) hervorgehen, dass das intent -Element im Zusammenhang mit der Vernichtung von Beweismitteln und damit auch im Rahmen des 1519 als Vorhersehbarkeit auszulegen ist (Stanger, 5 U.C. Davis Bus. L.J. 13 (2005), IV. A.). Zudem gehen untere Bundesgerichte davon aus, dass eine Verknüpfung zwischen der Vernichtung und einem Verfahren ( nexus ) ebenso im Rahmen des 1519 erforderlich ist (Miller, Washington Legal Foundation, Legal Backgrounder, Vol. 20 No. 26, S. 4). 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In den USA kann somit eine Vernichtung von Unterlagen auch schon vor der Einleitung eines offiziellen Untersuchungsverfahrens unzulässig sein. Im Einzelnen erscheint die Rechtslage aber noch nicht endgültig geklärt und birgt daher nicht unerhebliche Risiken. b) (e-)discovery Neben den Regelungen des Sarbanes-Oxley Acts gibt es noch weitere, prozessuale Anforderungen an die (digitale) Informationsverwaltung und Vernichtung solcher Dokumente. Discovery bzw. neuerdings e-discovery 91 ist die in manchen Prozessordnungen (wie z.b. in den USA) vorgesehene Beweissammlung von (elektronisch gespeicherten) Informationen. Anders als im deutschen Prozessrecht erfolgt dort die Sachverhaltsfeststellung in einem gerichtlichen Vorverfahren, der sog. Pre-Trial Discovery. In diesem Vorverfahren haben die Parteien die Möglichkeit, von der Gegenseite umfassende Informationen zu allen Tatsachen einzufordern, die für den behaupteten Klageanspruch oder die Verteidigung relevant sein können. Dabei werden die Begriffe Relevanz und Dokumente weit ausgelegt. So werden z. B. auch alle Entwürfe, Anmerkungen und Notizen zu Dokumenten sowie ggf. unterschiedliche Bearbeiterversionen dieser Dokumente von der Discovery umfasst 92. Die prozessuale Pflicht zur Offenlegung relevanter Dokumente und Daten betrifft zunächst allein diejenigen Informationen, die sich im Besitz der in den USA beklagten Parteien befinden. Eine Prozesspartei ist zur Herausgabe der für einen Prozess relevanten Unterlagen verpflichtet, die sie in Besitz, Verwahrung oder unter Kontrolle hat. Allerdings kann sich diese Offenlegungspflicht auch auf solche Dokumente erstrecken, die sich im Besitz einer Konzerngesellschaft befinden, selbst wenn diese nicht Partei des Verfahrens ist. Von den US- Gerichten wird oftmals eine Herausgabepflicht auch nicht am Prozess beteiligter ausländischer Gesellschaften hergeleitet, sofern eine rein tatsächliche Kontrollmöglichkeit bezüglich dieser Daten besteht. Dies gilt selbst dann, wenn dieser faktischen Kontrollmöglichkeit geltendes (Datenschutz-)Recht entgegen steht 93. Die Nichteinhaltung einer Discovery Order kann nach der Doctrine of Spoliation zu erheblichen Sanktionen für die am Prozess beteiligte Konzerngesellschaft führen. Danach drohen jedenfalls der Prozesspartei in den USA (und zwar auch bei der Weigerung einer europäischen Konzerngesellschaft, bei dem Auskunftsverlangen mitzuwirken) neben dem Ausschluss eigener Beweismittel und einer Art Beweislastumkehr bei absichtlicher Vorenthaltung von Beweisen ein Unterliegen im Rechtsstreit in den USA oder finanzielle Sanktionen wegen Contempt of Court. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Beweisvereitelung nach Ansicht des Gerichtes in Bad Faith, also mit Vereitelungsabsicht, erfolgte. Viele Gerichte lassen aber auch schon den nur fahrlässigen Umgang mit Beweismaterial genügen, um entsprechende Sanktionen zu verhängen 94. So wird vielfach bereits ab dem Zeitpunkt, in dem die (spätere) Prozesspartei Kenntnis von dem bevorstehenden Rechtsstreit hat, eine sanktionierbare Verpflichtung zur Sicherung von Unterlagen und elektronischen Daten bejaht. Spätestens ab Zustellung einer formellen Discovery Order jedoch wird die Vernichtung von Unterlagen auf jeden Fall sanktioniert. Zumindest mittelbar können sich daher die Vorschriften rund um (e-)discovery auch auf in Deutschland ansässige Unternehmen auswirken. Hier kann ggf. eine organisierte Schriftgutverwaltung zur Verteidigung herangezogen werden (s. dazu unten IV. 3.). III. PRAXISHINWEIS: Ein deutsches Unternehmen kann somit durchaus vor die schwierige Frage gestellt werden, ob es bestimmte Unterlagen vernichten darf, wenn eine Vernichtung nach deutschem und auch europäischem Recht zulässig, in den USA aber aufgrund der weitergehenden Vorschriften mit Sanktionen bedroht wäre. Praktikabilität der (zulässigen) Unterlagenvernichtung Selbst wenn eine Aktenvernichtung rechtlich zulässig ist, stellen sich darüber hinaus verschiedene praktische Fragen, insbesondere wie eine zulässige Unterlagenvernichtung praktisch wirksam durchgeführt wird, ob eine Aktenvernichtung überhaupt den beabsichtigten Zweck der Informationsvernichtung erfüllen kann und ob es für das betroffene Unternehmen insgesamt sinnvoll ist, Unterlagen zu vernichten. 1. Technische Aspekte Selbst wenn man zulässigerweise Daten löschen darf, ist dies technisch nicht so einfach umsetzbar. Es ist weitgehend bekannt, dass weder durch einfachen Löschbefehl noch durch die Formatierung und Neupartitionierung der Festplatte Daten unwiederbringlich vernichtet werden 95. Als eine Methode der Datenlöschung wird die physikalische Zerstörung der Festplatte genannt, was einerseits mechanisch 96, andererseits thermisch 97 erfolgen kann. Außerdem gibt es die Möglichkeit, die Festplatte einem starken Magnetfeld auszusetzen 98. Diese Methoden haben aber größtenteils zur Folge, dass die Festplatte nicht mehr weiter genutzt werden kann. Für Festplatten, die einsatzfähig bleiben sollen, wird das Überschreibverfahren genannt 99. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und das US-Verteidigungsministerium empfehlen Methoden mit drei- bis siebenfacher Überschreibung der Daten, wobei eine siebenfache Überschreibung allgemein als sicher gilt 100. Je nach technischem Aufwand können aber auch diese Daten ggf. rekonstru- 91 Vgl. speziell zur ediscovery: Klinger, RIW 2007, 108 ff.; Sankol, K&R 2008, 279 ff.; Rath, ComplianceReport 6/2008; 4; Hilgard, ZIP 2007, 985 ff.; Junker, Electronic Discovery gegen deutsche Unternehmen, 2008, passim; Rath/Klug, K&R 2008, 596. 92 Vgl. Rath, ComplianceReport 6/2008, 4. Zu den elektronisch gespeicherten Informationen gehören schließlich auch die Metadaten, also alle Zusatzinformationen zu den Dokumenten wie Name des Bearbeiters, Datum der Erstellung und der letzten ¾nderung etc. 93 Vgl. Rath, ComplianceReport 6/2008, 4. 94 Vgl. Geissl, DAJV Newsletter 2/2008, S. 74 (77); vgl. ferner z. B. Silvestri v. Gen. Motors Corp., 271 F 3d 583, 591 (4th Cir. 2001). 95 Dadurch werden die Einträge im Dateiverzeichnis gelöscht bzw. die Dateizuordnungstabelle wird geleert oder neu angelegt, die eigentlichen Daten verbleiben vollkommen intakt auf der Festplatte und lassen sich mit Recoverytools rekonstruieren (http://www.sicherheitsforum-bw.de/prae vention/praevention_it-sicherheit.htm; http://www.zendas.de/themen/vernichtung/festplatten/index.html). Außerdem besteht die Möglichkeit, dass sich automatisch angelegte Sicherungskopien der Daten in anderen Verzeichnissen befinden. 96 Z. B. durch Abschleifen der magnetischen Beschichtung aller Magnetscheiben oder durch Zerkleinern, Schreddern oder Einschmelzen. 97 Durch ein Erhitzen mindestens auf die sog. Curie-Temperatur (ab dieser Temperatur verschwindet die ferromagnetische bzw. ferroelektrische Ordnung (bei Eisen 7668C)) verliert die Festplatte ihre magnetische Eigenschaft und die Daten werden unwiderruflich gelöscht. 98 Dies wird wegen der unterschiedlichen Dämpfungseigenschaften von Festplatten und dem Risiko, dass die Festplatte dauerhaft beschädigt wird, teilweise als nicht geeignet angesehen (http://www.sicher heitsforum-bw.de/praevention/praevention_it-sicherheit.htm). 99 Dabei wird die Festplatte mit spezieller Software mit bis zu 35 unterschiedlichen Bitmustern gezielt nach einem speziellen Muster so überschrieben, dass alle Kodierungen ausgenutzt werden und aus dem entstandenen Restmagnetismus keine brauchbaren Dateifetzen mehr zu rekonstruieren sind, z. B. anhand der Gutmann-Methode. Diese gilt als die sicherste, aber zeitaufwändigste Methode der softwaregesteuerten Datenlöschung (Grunwald, Blitzblank Sicheres Löschen von Speichermedien, ix 05/ 2003, S. 72). Hierfür gibt es eine Vielzahl von Softwareprogrammen, welche einerseits für das Löschen einzelner Dateien im Filesystem konzipiert sind und andererseits die Löschung der kompletten Festplatte oder Partition vornehmen. 100 Bitkom, Leitfaden zum sicheren Datenlöschen, S. 3 (http://www.bitkom.org/de/themen_gremien/ 36342_27735.aspx). 2484 Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008

iert werden. Dies ist jedenfalls dann möglich, wenn ein Rückgriff auf Backups dieser Daten möglich ist. 2. Korrespondenz bei Dritten Es stellt sich die weitere Frage, inwieweit die Informationsvernichtung im eigenen Unternehmen zu einer verlässlichen Informationsvernichtung insgesamt führt und somit der beabsichtigte Zweck, die Offenlegung von Informationen zu verhindern, überhaupt erreicht werden kann. Es muss im Auge behalten werden, dass belastende Unterlagen auch bei Dritten vorhanden sein können, insbesondere solche, die durch gegenseitige Korrespondenz entstehen. Dies gilt insbesondere für den heutzutage zunehmend ausufernden E-Mail-Verkehr, aber ebenso für entsprechende Niederschriften oder Kopien, welche für mehrere Beteiligte erstellt oder an diese versandt ( cc to everybody ) wurden. Wenn man darauf abstellt, dass eine Vernichtung den Zweck haben soll, kartellrechtlich problematische Unterlagen zu beseitigen, kann dieser Zweck gerade nicht erfüllt werden, wenn auf diese Unterlagen von der Kartellbehörde ohnehin bei Dritten zurückgegriffen werden kann. 3. Bonusregelung Zu beachten ist ferner der mögliche Zusammenhang der Unterlagenvernichtung mit den Bonusregelungen der Kartellbehörden 101. Die Bonusregelungen ermöglichen es den kartellbeteiligten Unternehmen, durch Kooperation mit den Kartellbehörden dazu beizutragen, ein Kartell aufzudecken, um dadurch selbst einen Erlass oder eine Reduzierung der Geldbuße zu erlangen 102. Kooperation bedeutet dabei, dass die Kartellbehörde durch vollständige Vorlage der verfügbaren Informationen und Beweismittel in die Lage versetzt wird, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken oder die Tat nachzuweisen oder dass die Informationen und Beweismittel zumindest wesentlich dazu beitragen, die Tat nachzuweisen 103. Durch eine gezielte Vernichtung von Unterlagen kann es daher dazu kommen, dass ein Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt die Vorteile einer Bonusregelung möglicherweise nicht mehr in Anspruch nehmen kann, da es sich selbst seiner Beweismittel beraubt hat. Die Entscheidung zur Unterlagenvernichtung wird für das Unternehmen dadurch erschwert, dass es sich in vielen Fällen nicht völlig ausschließen lässt, dass ein Unternehmen zwar nicht jetzt, aber eventuell in der Zukunft die Bonusregelung in Anspruch nehmen möchte. So kann es durchaus sein, dass ein Unternehmen von sich aus nicht die Bonusregelung in Anspruch nehmen würde, jedoch aufgrund von Hinweisen, dass andere Unternehmen evtl. von der Bonusregelung Gebrauch machen werden, sich nunmehr doch für einen Bonusantrag entscheidet, um sich im sog. Windhundrennen den ersten Platz und damit die größtmöglichen Vergünstigungen zu sichern. In einem solchen Fall kann sich eine gezielte Vernichtung von Unterlagen letztlich als Pyrrhus-Sieg erweisen. IV. Konsequenzen für die Compliance Es stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich aus den vorstehenden Erkenntnissen für das künftige Verhalten der Mitarbeiter eines Unternehmens ergeben. Im Rahmen der Compliance-Maßnahmen eines Unternehmens möchten wir drei Aspekte herausgreifen: Vermeidung von Fehlverhalten, verantwortungsvolle Unternehmenskommunikation und Vermeidung einer unzulässigen Vernichtung von Unterlagen. 1. Vermeidung von Fehlverhalten Das Wort Compliance ist derzeit in aller Munde 104. Im Rahmen einer kartellrechtlichen Compliance muss im Unternehmen sichergestellt werden, dass Rechtsverstöße des Unternehmens nicht vorkommen. Die Vermeidung von Fehlverhalten macht die heikle Frage nach der Zulässigkeit der Vernichtung von Unterlagen schlicht obsolet. Angesichts der in der Praxis häufig angetroffenen fehlerhaften Vorverständnisse von Mitarbeitern (z. B.: Kartellrecht betrifft doch nur die Großen Das haben wir doch schon seit Jahrzehnten so gemacht etc.) hinsichtlich der grundsätzlichen und konkreten Bedeutung des Kartellrechts für ihr Geschäft, ist eine effektive und nachhaltige Schulung der Mitarbeiter unumgänglich. So ist auch eine Enthaftung des Managements ohne ausreichende Schulungsmaßnahmen heute kaum mehr denkbar. Durch diese Schulung der Mitarbeiter muss einerseits ein Risikobewusstsein hinsichtlich unternehmensspezifischer Gefahrenbereiche im Kartellrecht geschaffen und andererseits die Kenntnis der materiellrechtlichen Grundlagen des Kartellrechts und insbesondere der Grenzen zwischen rechtskonformem und unrechtmäßigem Verhalten vermittelt werden. Besonders effektiv sind Schulungen, wenn in diese auch die konkreten, unternehmensspezifischen Ergebnisse einer Compliance Due Diligence 105 einfließen. Hier können auch spezielle EDV-Programme bei der präventiven Entdeckung kartellrechtlich relevanter Sachverhalte helfen. 106 Ferner ist im Rahmen von Compliance-Programmen zu verdeutlichen, dass die Unternehmensleitung selbst großen Wert auf die Einhaltung der (kartell)rechtlichen Vorschriften legt (und sich auch selbst daran hält!) und dass bei Unklarheiten die Rechtsabteilung oder der Compliance-Beauftragte zu kontaktieren ist. 2. Unternehmenskommunikation a) Extern Im Hinblick auf die externe Kommunikation (insbesondere mit Wettbewerbern, Lieferanten und Kunden) sollte darauf geachtet werden, dass Mitteilungen eindeutig, unmissverständlich und mit gebührender Professionalität formuliert sind. Es muss (ggf. auch mit Hilfe von entsprechenden Softwareprogrammen, die eine entsprechende Überwachung der Unternehmenskommunikation ermöglichen) verhindert werden, dass diese später z. B. im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Kartellbehörde falsch ausgelegt werden können und Verfahren eingeleitet werden, obwohl ein Verstoß gar nicht vorliegt. Es wird 101 Diese gibt es in Deutschland (Bek Nr. 9/2006 des Bundeskartellamts v. 7.3.2006), auf EU-Ebene (ABl. 2006/C 298/11 v. 8.12.2006) sowie in zahlreichen europäischen und außereuropäischen Ländern. Vgl. z. B. Hetzel, EuR 2005, 735 ff. und die Liste der nationalen Bonusprogramme unter http://ec.europa.eu/ comm/competition/antitrust/legislation/authorities_with_leniency_programme.pdf. 102 Sura, in: Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 23 VO 01/2003 Rn. 54; Dannecker, FS für Ulrich Immenga, 2004, S. 61, 76 f.; Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2005, Art. 23 VO 1/2003 Rn. 76 ff. 103 Sura, in: Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 23 VO 01/2003 Rn. 58 ff.; Dannecker, FS für Ulrich Immenga, 2004, 61, 76 f. 104 Vgl. z. B. nur Hauschka, Corporate Compliance, 2007; Wecker/van Laak, Compliance in der Unternehmenspraxis, 2008; Wissmann/Dreyer/Witting, Kartell- und regulierungsbehördliche Ermittlungen im Unternehmen und Risikomanagement, 2008, S. 340ff.; Kapp, Kartellrecht in der Unternehmenspraxis, 2005, S. 225ff.; Lampert, BB 2002, 2237; Dreher, ZWeR 2004, 75; Stadler, Schwerpunkte des Kartellrechts 2004 (FIW-Schriftenreihe, Heft 206), 2006, S. 67ff.; Pampel, BB 2007, 1636; Rodewald/Unger, BB 2007, 1629. 105 Vgl. hierzu Umnuss (Hrsg.), Corporate Compliance-Checklisten: Compliance-Risiken erkennen und vermeiden (Compliance für die Praxis), 2008. 106 Vgl. zu solchen e-discovery-services etwa Rath, ComplianceReport 6/2008, 4. Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008 2485

in der Praxis nicht selten die Erfahrung gemacht, dass sich zunächst kartellrechtlich äußerst dubios klingende Formulierungen (z. B.: den putzen wir weg wir müssen dringend mehr Ruhe in den Großhandel bringen etc.) in der Korrespondenz bei näherem Hinschauen später in kartellrechtlicher Hinsicht als völlig harmlos erweisen. Hier gilt es, die Korrespondenz professionell zu führen und keinen falschen Schein zu setzen. b) Intern Auch bei der internen Kommunikation ist im Unternehmen darauf zu achten, dass eine Ausdrucksweise verwendet wird, die zumindest nicht zweideutig ist oder falsch ausgelegt werden kann. Dabei ist stets im Hinterkopf zu behalten, dass selbst Aktennotizen, Vermerke und E-Mails der Mitarbeiter untereinander Bestandteil der Unterlagen des Unternehmens sind. Es erscheint daher ratsam, im Unternehmen gewisse Grundregeln betreffend die Ausdrucksweise im Schriftverkehr aufzustellen, um zu vermeiden, dass allein eine unbedachte Wortwahl später zu einem gar nicht gerechtfertigten Verdacht eines Kartellrechtsverstoßes führt. Auch hier können Softwareprogramme, die bereits präventiv bei der Erstellung einer E-Mail solche Schwachstellen aufdecken können, Unterstützung leisten. Auf Einzelheiten kann in diesem Zusammenhang aufgrund der Schwerpunktsetzung dieses Beitrags nicht eingegangen werden 107. 3. Schriftgutverwaltung Für die interne Verwaltung von Dokumenten wird für größere Unternehmen inzwischen eine Schriftgutverwaltung ( Records Management System bzw. Dokumentenmanagement-System) 108 empfohlen. Dies bedeutet, dass im Unternehmen schriftliche Richtlinien (IT- Richtlinien) geschaffen werden, welche sowohl physische als auch elektronische Geschäftsunterlagen betreffen und unter Beachtung zwingender Vorgaben des Datenschutz- und Betriebsverfassungsrechtes 109 Aufbewahrungs- und Vernichtungsregeln aufstellen. Damit wird auch im Sinne von IT-Compliance verbindlich und unternehmensweit festgelegt, welche Unterlagen zu erhalten oder zu vernichten sind. Eine Vernichtung unter Einhaltung dieser Richtlinien wird protokolliert. Somit kann das Unternehmen den notwendigen Nachweis über alle gelöschten Unterlagen erbringen und die Einhaltung der für das Unternehmen geltenden Vorschriften belegen 110. Hierfür wurden verschiedene Standards entwickelt. z. B. die ISO 15489. Diese Norm gibt jedoch keine konkreten Handlungsanweisungen, sondern legt unter anderem fest, wie bei der Einführung eines Schriftgutverwaltungssystems vorzugehen ist 111. Der Standard MoReq 112 enthält demgegenüber eine sehr detaillierte Anforderungsliste 113. Er wurde im Auftrag der Europäischen Kommission erarbeitet und stellt exemplarische Anforderungen an elektronische Records Management Lösungen 114. Der Vorteil solcher schematischer Aktenvernichtungsprogramme ist eine strukturierte Schriftgutverwaltung, welche aufgrund ihrer Systematik über den Verdacht einer unzulässigen Aktenvernichtung erhaben ist. Damit kann in jedem Fall dem Vorwurf eines dolosen Handelns mit Benachteiligungs- oder Verdunklungsabsicht begegnet werden 115. Außerdem werden bei solchen regelmäßigen Reinigungsprozeduren in den Fällen, in denen keine regelmäßigen Compliance-Due-Diligence-Arbeiten durchgeführt werden, zumindest durch Zeitablauf auf lange Sicht ggf. bestimmte Aktenleichen im Keller entsorgt. V. Zusammenfassung Insgesamt kann keine generelle Aussage getroffen werden, inwiefern eine Vernichtung von Unternehmensunterlagen im Vorfeld von Ermittlungen zulässig ist. Es empfiehlt sich in jedem Fall, die handelsund steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen zu beachten. Ferner ist zu prüfen, ob die Unterlagen nicht später als Beweismittel für einen Prozess oder im Rahmen einer Bonusregelung benötigt werden könnten. Spezifische kartellrechtliche Sanktionen sind vor Zugang eines förmlichen Auskunftsverlangens der Kartellbehörde und gerade auch bei Zuwiderhandlung gegen ein formloses Ersuchen jedenfalls in Deutschland und im europäischen Recht nicht zu befürchten. Für andere Jurisdiktionen (z. B. USA oder Großbritannien) mag anderes gelten. Auf jeden Fall ist die Vernichtung von Unterlagen nach Zugang eines förmlichen Auskunftsverlangens einer Kartellbehörde äußerst problematisch. Strafrechtliche Vorschriften kommen demgegenüber nur in seltenen Einzelfällen in Betracht. Diese Untersuchung bestätigt erneut, wie wichtig es geworden ist, dass im Rahmen der Unternehmens-Compliance eine effektive und nachhaltige Schulung der Mitarbeiter erfolgt und entsprechende Compliance-Prozesse eingeführt werden. Hierdurch kann Fehlverhalten von vornherein vermieden werden, so dass sich die Frage nach einer Vernichtung von Unterlagen gar nicht mehr stellt. Außerdem sollte das Kommunikationsverhalten von Mitarbeitern geschult und auch kontrolliert werden, um auszuschließen, dass ein nicht gerechtfertigter Verdacht eines Kartellrechtsverstoßes aufkommen kann. Größere Unternehmen sollten zudem erwägen, in Anlehnung an die bestehenden Standards ein unternehmensindividuell angepasstes System für eine Schriftgutverwaltung bzw. Aktenvernichtung zu entwickeln. // Autoren h Dr. Thomas Kapp ist Rechtsanwalt und Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbh am Standort Stuttgart. Dort leitet er die Service Line International Trade & Anti-Trust. Dabei befasst er sich mit allen Fragen des nationalen und internationalen Kartellrechts, insbesondere aber mit Fusionskontrolle, Kartellbußgeldverfahren, Vertriebsrecht und Compliance. Angelika Schlump ist Rechtsreferendarin am LG Stuttgart und absolviert seit Juli 2008 ihre Wahlstation bei Dammholz & Co. in Sydney. Sie studierte von 2001 2006 Rechtswissenschaften an der Eberhard- Karls-Universität in Tübingen. 107 Vgl. hierzu insbesondere Kübler/Pautke, BB 2007, 390, 395. 108 Vgl. etwa Hilgard, ZIP 2007, 985, 990 f. 109 Siehe hierzu etwa Rath/Karner, K&R 2007, 446. 110 Smith Finnegan, LJN S Product Liability, December 2004, Volume 23, Number 6 (http://www.herrick.- com/upload/publication/articles/articlehf_0170.pdf). Zur geordneten E-Mail-Archivierung vgl. z. B. Lensdorf, CReport 2008, 332. 111 Fachbericht der Obfrau des DIN Arbeitsausschusses Archiv- und Schriftgutverwaltung, S. 6 (7) (http:// www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/25/fachinfo_vortrag_normung.pdf): Ein Faktor ist z. B. die Ermittlung der erforderlichen Aufbewahrungsdauer. 112 Model Requirements for the Management of Electronic Records. 113 Der am 13.2.2008 veröffentlichte MoReq2 ist herunterzuladen unter: http://www.cornwell.co.uk/mo req2/moreq2_body_v1_0.pdf. 114 Näheres hierzu unter: http://moreq.niniel.org/2007/08/02/moreq-standard/#more-6; s. hierzu auch Kampffmeyer/Risse, MoReq Update (http://downloads.brainguide.com/publications/pdf/pub78215.pdf). 115 Vgl. Geissl, DAJV Newsletter 2/2008, S. 74, 77. 2486 Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008