Der Terror von Paris, die UN-Charta und das Recht auf Selbstverteidigung VERANSTALTUNG: VÖLKERRECHT I AL EXANDER SCHWARZ 13. JANUAR 2016 1
Lernziele Begründen die Anschläge von Paris (13.11.2015) ein Recht auf Selbstverteidigung? Die Voraussetzungen des Gewaltverbotes gem. Art. 2(4) UN-Charta Die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts gem. Art. 51 UN-Charta Das Verhältnis zw. Art. 39 (Bruch des Friedens) und Art. 51 UN-Charta Gibt es ein Recht auf Selbstverteidigung gegen nicht-staatliche Akteure? 2
Gliederung 1. Die Anschläge von Paris und ihre Folgen 1. Rückblick: 13. November 2015 2. Präsident Hollande und der Beistandsfall nach Art. 42 Abs. 7 EUV 3. Der Syrien-Beschluss des Bundestages vom 4. Dezember 2015 2. Das völkerrechtliche Gewaltverbot gem. Art. 2 Nr. 4 UN-Charta 1. Inhalt des Gewaltverbots 2. Ausnahmen des Gewaltverbots 3. Ausnahme 1: Das Recht auf Selbstverteidigung gem. Art. 51 UN-Charta 1. Der bewaffnete Angriff als Schlüsselbegriff 2. Intensität des Angriffs 3. Zurechnung zu einem Staat erforderlich? 4. Problem: Selbstverteidigung gegen nicht-staatliche Akteure? 4. Ausnahme 2: Die UN-Resolutionen 2249 (2015) 5. Alternative: Die humanitäre Intervention? 6. Fazit & Diskussion 3
Paris, 13. November 2015 Am 13.11.2015 wurden an fünf verschiedenen Orten in Paris Terroranschläge verübt bei denen 132 Menschen getötet und 350 Menschen verletzt wurden. Zu den Anschlägen bekannte sich der sog. "Islamische Staat. Fünf der neun Attentäter waren Franzosen, zwei Belgier, zwei unbekannter Staatsangehörigkeit. Quelle: Der Spiegel, 9.12.2015 4
Reaktionen Frankreichs Mes chers compatriotes, ce qui s'est produit hier à Paris c'est un acte de guerre qui a été commis par une armée terroriste. ( ) La France agira avec tous les moyens, dans le cadre du droit.» François Hollande, 14.11.2015 5
Reaktionen Europas: Bündnis- oder Beistandsfall? Art. 5 NATO-Vertrag Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird. Einziger Anwendungsfall: 12. September 2001 Art. 42 Abs. 7 EU-Vertrag Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung. Erster Anwendungsfall: 16. November 2015 6
Mandatstext des Bundestages zum Syrien-Einsatz vom 4.12.2015 Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen in Verbindung mit Art. 42 Abs. 7 des Vertrags über die Europäische Union sowie den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. BT-Drucksache 18/6866 vom 1.12.2015 Zwei völkerrechtliche Rechtsgrundlagen: 1. (Kollektive) Selbstverteidigung Frankreichs gem. Art. 51 UN-Charta 2. UN-Resolution 2249 des UN-Sicherheitsrates Die beiden Ausnahmen des Gewaltverbotes gem. Art. 2(4) UN-Charta! 7
Das Gewaltverbot Art. 2(4) UNCh verbietet jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt Genauer Inhalt: Art. 3 Aggressionsdefinition (1974), Friendly Relations Declaration (1970) Militärische Waffengewalt (nicht wirtschaftliche) zwischen Staaten Niedrige Intensitätsschwelle reicht bereits aus, aber nicht jede Gebietsverletzung Invasion, Angriff oder gewaltsame Besetzung eines anderen Staates Organisierung, Anstiftung oder Unterstützung gewaltsamer Terrorhandlungen in einem anderen Staat und die Teilnahme daran (indirekte Gewalt). Bsp.: USA in Nicaragua (1986) eigenmächtige Änderung oder Verlängerung eines vereinbarten militärischen Einsatzes auf fremdem Hoheitsgebiet, Bsp.: Russische Schwarzmeerflotte auf der Krim (2014) Gewaltverbot richtet sich nur an Staaten, nicht-staatliche Gewalt ist kein Fall des Art. 2(4) 8
Ausnahme 1: Selbstverteidigung, Art. 51 UN-Charta Individuelle & kollektive Selbstverteidigung Bewaffneter Angriff als Schlüsselbegriff des Art. 51 1. Intensität des Angriffs Intensität muss über Art. 2 Nr. 4 hinaus gehen, Art. 51 ist enger als 2(4)! Es besteht also eine Lücke zwischen Art. 2 Nr. 4 und Art. 51 UN-Charta Telos = Deeskalationsrecht: soll unilaterale Gewalt begrenzen IGH Nicaragua-Case (1986): most grave forms of the use of force Muss mit staatlichen Armeen/Angriffen vergleichbar sein: keine Grenzscharmützel accumulation of events -Theorie (Israel) (-) 11. September 2001 (+) : nicht nur wegen hoher Opferzahlen (ca. 3000), Ziele der Angriffe richteten sich auch gegen Pentagon und Weißes Haus (Staatlichkeit) Paris: Anschläge richteten sich primär gegen Zivilisten. Aber auch Hollande und Steinmeier im Stade de France Intensität ist fraglich und umstritten, eher (-) 9
Ausnahme 1: Selbstverteidigung, Art. 51 UN-Charta Bewaffneter Angriff als Schlüsselbegriff 2. Staatlichkeit des Angreifers erforderlich gemäß Art. 51? Wortlaut benennt Staaten als Adressaten des Angriffs, sagt aber nichts über Angreifer aus Dafür (Systematik): Regel-Ausnahme-Verhältnis zum Gewaltverbot aus Art. 2(4) UN-Charta Dafür (Historisch): Entstehungsgeschichte der Norm: 1945 klar staatszentriertes Völkerrecht Dafür: Art. 1, 3 Aggressionsdefinition: durch einen Staat Dafür: ständige Rspr. des IGH Der Islamische Staat ein Staat im Sinne des Völkerrechts? 3 Elemente-Lehre / Montevideo-Konvention (1933): Definiertes Staatsgebiet (-), zumindest kein gesichertes Gebiet Ständiges Staatsvolk (-), nicht dauerhaft verbunden Staatsgewalt (+), staatsähnliche Strukturen wohl vorhanden Fähigkeit, in Beziehung mit anderen Staaten zu treten (-) 10
Selbstverteidigung, Art. 51 UN-Charta 3. Zurechnung der Handlungen des IS zum syrischen Staat Allgemeine völkerrechtliche Zurechnungsregeln Grundsatz: Staat ist für privates Handeln nicht verantwortlich Art. 8 Regeln zur Staatenverantwortlichkeit: unter Kontrolle des Staates Hier: IS nicht unter Kontrolle Syriens (-) Safe-Haven-Doktrin Gewährung eines sicheren Zufluchtsorts wird zum Zurechnungstatbestand Bsp.: Afghanische Regierung bot 2001 Taliban sicheren Hafen, die wiederum Al-Qaida beherbergten Hier: Aufenthaltsstaat (Syrien) müsste IS willentlich sicheren Hafen gewähren (-) 11
Selbstverteidigung, Art. 51 UN-Charta Ist ein bewaffneter Angriff nicht-staatlicher Akteure auch ohne Zurechnung zu einem Staat möglich? Befürworter argumentieren: UN SR Res. 1368 (12.09.2001) / UN SR Res 1373 (28.09.2001) bezeichnen Terrorismus als Bedrohung des Friedens Aber: Bedrohung des Friedens betrifft Art. 39 UN-Charter, nicht Art. 51 UN-Charter Art. 39, 42 ermächtigen zu wünschenswerten multilateralen Sanktionen, nicht zu unilateraler staatlicher Gewalt, zu letzterem ermächtigt Art. 51 (als ultima ratio) Achtung: Bedrohungen des Friedens ist nicht gleich bewaffneter Angriff! Teleologisches Argument für Staats-Erfordernis: Selbstverteidigung gegen nichtstaatliche-akteure gerät zwangsläufig in Konflikt mit Souveränität anderer Staaten IGH: Mauer-Gutachten, Rn. 139; Kongo-Fall: Rn. 146-147 12
Dilemma: Staatliche Souveränität vs. Recht auf Selbstverteidigung Oberstes Friedensziel durch Achtung staatlicher Souveränität und Nichteinmischung Recht auf Selbstverteidigung als ultima ratio 13
Völkerrechtliche Rechtfertigungsansätze de lege ferenda Ist ein bewaffneter Angriff nicht-staatlicher Akteure auch ohne Zurechnung zu einem Staat möglich? Die unable and unwilling - Doktrin Neue Rechtsfigur US-amerikanischer Völkerrechtler_innen Terroristische Angriffe sollen einem Staat zurechenbar sein, wenn dieser entweder unable oder unwilling ist, gegen diese vorzugehen Teilbegründung der USA für ihren Syrien-Einsatz Syrien: Assad ist zwar nicht unwilling aber unable Gegen Doktrin spricht zumindest noch dass die Rechtsfigur als neuer Zurechnungstatbestand gewohnheitsrechtlich noch nicht anerkannt ist, vgl. Art. 38 I(b) IGH-Statut. 14
Selbstverteidigung, Art. 51 UN-Charta 4. Zwischenergebnis Der Islamische Staat ist kein Staat Seine terroristischen Aktivitäten lassen sich Syrien nicht zurechnen Ein Selbstverteidigungsrecht gegen nicht-staatliche Akteure ist umstritten und steht auf völkerrechtlich dünnem Eis Aber: es gibt in der Staatenpraxis eine zunehmende Tendenz, Selbstverteidigungshandlungen gegen Terrorgruppen zu akzeptieren, trotz hohem Missbrauchs- und Eskalationspotential Eine Berufung Frankreichs auf das Selbstverteidigungsrecht gem. Art. 51 UN-Charta ist fraglich 15
Ausnahme 2: Die UN-Resolution 2249 (2015) als Rechtsgrundlage? Grds. werden im akklamativen Teil von UN-Resolutionen allgemeine Bekundungen geäußert Nur im operativen Teil trifft der SR üblicherweise Maßnahmen nach Kapitel VII, die gem. Art. 25 UN-Charta für alle Staaten bindend sind Res 2249: Calls upon Member States that have the capacity to do so to take all necessary means, in compliance with international law, in particular with the United Nations Charter ( ) to coordinate their efforts to prevent and suppress terrorist acts ( ). Res 2249 verweist nicht, wie sonst, auf Kapitel VII, kein acting under chapter VII calls upon ist mit fordert auf zu übersetzen, nicht mit ermächtigt : keine Ermächtigung nach Kapitel VII Die Resolution fordert also die Staaten auf, Maßnahmen im Rahmen des Völkerrechts vorzunehmen, ohne deren Handlungsspielraum auszudehnen 16
Alternative : Die Humanitären Intervention? Begriff der Humanitären Intervention meint: die militärische Gewaltanwendung durch Staaten im Hoheitsgebiet eines anderen Staates zum Schutz vor massiven Menschenrechtsverletzungen, ohne das Bestehen eines Rechts auf Selbstverteidigung und ohne vorherige Legitimation durch den Sicherheitsrat (sog. unilaterale humanitäre Intervention). 17
Völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung der Humanitären Intervention Gewohnheitsrecht = von Rechtsüberzeugung (opinio iuris) getragene Praxis der Staaten (consuetudo), Art. 38 Abs. 1 b) IGH-Statut. Gemeinsame Erklärung der Gruppe der 77 (2000): We reject the so-called right of humanitarian intervention, which has no legal basis in the United Nations Charter or in the general principles of international law. Gruppe der 77 umfasst 130 Staaten, darunter China. Bisherige Anwendungsfälle (Somalia, Haiti, Irak) sind (außer Kosovo) klassische Kapitel VII-Fälle Es gibt keine ausreichende Staatenpraxis, die HI befürwortet Die Humanitäre Intervention ist kein im Völkerrecht anerkannter Interventionstitel Alternative: (-) 18
Ausweg Intervention auf Einladung? = Zustimmung eines Staates zu militärischen Maßnahmen, die ein anderer Staat auf dem Gebiet des ersteren Staates durchführt Anerkannt durch den IGH im Nicaragua-Fall Bsp.: USA an der Seite des Irak (2015), Russland an der Seite Syriens (2015-16), Deutschland in Mali (2014-16) Problem: Intervention im Bürgerkrieg auf Seiten einer Bürgerkriegspartei (und sei dies, wie hier, die Regierung) wird als unzulässig gesehen. 19
Ergebnis Resolution 2249 als Rechtsgrundlage für einen Militäreinsatz in Syrien heranzuziehen, ist nur schwer vertretbar Ob die Intensität des Anschlags in Paris für Art. 51 UN-Charter ausreicht, ist zweifelhaft Das Selbstverteidigungsrecht auf nicht-staatliche Akteure auszudehnen, wäre völkerrechtliches Neuland, wird aber zunehmend vertreten 20
Literaturhinweise Kai Schadtle, Das völkerrechtliche Gewaltverbot und seine Ausnahmen, in: JURA, 2009, S. 686-695 (online erhältlich). Graf Vitzthum/Alexander Proelß (Hrsg.) Völkerrecht, 6. Aufl., S. 581-594. Stephanie Schiedermair/Alexander Schwarz, Gezielte Tötungen im Drohnenkrieg, in: Juristische Schulung (JuS), 2013, S. 1104-111. Alexander Schwarz, Die Terroranschläge in Frankreich ein Fall für das Recht auf Selbstverteidigung?, in: JuWiss, 17. November 2015, unter: http://www.juwiss.de/83-2015/ Andreas Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 1100-1114; 309-311. UN Sicherheitsrat, Resolution 1368 (2001), 12. September 2001, unter: http://www.un.org/depts/german/sr/sr_01-02/sr1368.pdf UN Sicherheitsrat, Resolution 1373 (2001), 28. September 2001, unter: http://www.un.org/depts/german/sr/sr_01-02/sr1373.pdf 21