Vorlesung Vertragsgestaltung im Gesellschaftsrecht WS 2015/2016 Aktiengesellschaft Teil 2 (Vorstands-Anstellungsvertrag, Abberufung, Kündigung und Aufsichtsratsbeschlüsse) B. Kapitalgesellschaftsrecht II. Recht der Aktiengesellschaft Literatur: Hüffer, AktG, 11. Auflage, München 2014; Grigoleit, AktG, 1. Auflage, München 2013; Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4: Aktiengesellschaft, 4. Auflage, München 2015; Happ, Aktienrecht (Handbuch, Mustertexte, Kommentar), 4. Auflage, Köln 2015; Hölters, Aktiengesetz, 2. Auflage, München 2014; Reichard, Abberufung und Kündigung von Vorstandsmitgliedern: Aktuelle Rechtsprechung und Handlungsempfehlungen, GWR 2012, 506; Hoffmann-Becking/Rawert, Beck sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht, 11. Auflage, München 2013; van Kann/Keiluweit, Nachvertragliches Wettbewerbsverbot und Karenzentschädigung bei Organmitgliedern einer Gesellschaft ein Überblick, BB 2010, 2050. Übersicht zu Teil 2: 4. Der Vorstands-Anstellungsvertrag a) Allgemeines b) Aufgaben und Pflichten c) Wettbewerbsverbot, 88 AktG d) Vergütung e) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot 5. Abberufung und Kündigung von Vorstandsmitgliedern a) Abberufung eines Vorstandsmitglieds durch Beschluss des Aufsichtsrats b) Kündigung des Vorstands-Anstellungsvertrags 1
Aktiengesellschaft Teil 2 4. Der Vorstands-Anstellungsvertrag a) Allgemeines Welche Ebenen sind bei den Rechtsbeziehungen zwischen Vorstandsmitglied und Gesellschaft zu unterscheiden? Welchen rechtlichen Status haben Vorstandsmitglieder einer AG? Was ist zu beachten, wenn eine im Unternehmen bereits als Arbeitnehmer beschäftigte Person zum Vorstandsmitglied bestellt wird? b) Aufgaben und Pflichten des Vorstandsmitglieds Wo sind die Pflichten des Vorstandsmitglieds gesetzlich geregelt? Was sind der rechtliche Sinn und die Auswirkungen einer Ressortverteilung in Vertrag oder Geschäftsordnung? Formulierungsbeispiel: 1 Aufgaben und Pflichten (1) Herr Keller ist durch Beschluss des Aufsichtsrats der Gesellschaft vom 7. Dezember 2015 für die Zeit vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2020 zum ordentlichen Mitglied des Vorstands der Gesellschaft bestellt worden. (2) Herr Keller führt die Geschäfte der Gesellschaft nach Maßgabe der Gesetze, der Satzung, der Geschäftsordnung für den Vorstand und dieses Anstellungsvertrages. (3) Herrn Keller obliegen insbesondere die Aufgaben, die im Sinne des jeweiligen Geschäftsverteilungsplans zum Geschäftsbereich des kaufmännischen Vorstandsmitglieds der Gesellschaft gehören. (4) Herr Keller wird auf Wunsch des Vorstands Aufsichtsrats- und ähnliche Organfunktionen in Unternehmen, an denen die Gesellschaft beteiligt ist, sowie eine Tätigkeit in Verbänden, denen die Gesellschaft angehört, übernehmen und auf Wunsch des Vorstands auch niederlegen. 2
c) Wettbewerbsverbot, 88 AktG Welchen Umfang hat das Wettbewerbsverbot des 88 AktG? Kann der Aufsichtsrat eine Befreiung vom Wettbewerbsverbot erteilen? Wo findet sich eine Regelung für Interessenkonflikte von Vorstandsmitgliedern? Formulierungsbeispiel: 2 Nebentätigkeiten/Wettbewerbsverbot (1) Herr Keller wird seine ganze Arbeitskraft, fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen der Gesellschaft widmen. Die Übernahme einer entgeltlichen oder unentgeltlichen Nebentätigkeit, von Ehrenämtern sowie von Aufsichtsrats-, Beirats- oder ähnlichen Mandaten bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Personalausschusses des Aufsichtsrats. Die Niederlegung von Mandaten im beruflichen Bereich ist dem Aufsichtsratsvorsitzenden schriftlich mitzuteilen. (2) Für Herrn Keller gilt das Wettbewerbsverbot des 88 AktG. Während der Dauer dieses Vertrages wird sich Herr Keller auch nicht an Unternehmen beteiligen, die mit der Gesellschaft im Wettbewerb stehen oder mit denen die Gesellschaft Geschäftsverbindungen unterhält, und zwar weder unmittelbar noch mittelbar, es sei denn, der Aufsichtsrat hat vorher seine schriftliche Einwilligung erteilt. (3) Herr Keller hat Interessenkonflikte unverzüglich dem Aufsichtsrat gegenüber offen zu legen und die anderen Vorstandsmitglieder hierüber zu informieren. d) Vergütung Welche Vorgaben machen Gesetz und Kodex hinsichtlich der Vorstandsvergütung? Wer ist für die Festsetzung der Vergütung des Vorstands zuständig? Kann der Aufsichtsrat die Vergütung des Vorstands ohne dessen Zustimmung herabsetzen? 3
Formulierungsbeispiel: 3 Tätigkeitsvergütung (1) Herr Keller erhält für seine Tätigkeit folgende Vergütungen: a) Herr Keller erhält eine feste Tätigkeitsvergütung in Höhe von jährlich brutto EUR Diese Tätigkeitsvergütung wird in zwölf gleichen Monatsraten nachträglich zum Monatsende gezahlt. b) Herr Keller erhält eine variable Tantieme, deren Höhe der Aufsichtsrat jeweils vor Feststellung des Jahresabschlusses nach seinem billigen Ermessen festsetzt. Bei der Ausübung seines Ermessens hat der Aufsichtsrat zu berücksichtigen, in welchem Grad die Gesellschaft im betreffenden Geschäftsjahr Unternehmensziele erreicht hat, die spätestens zu Beginn eines jeden Geschäftsjahres zwischen Herrn Keller und dem Aufsichtsrat schriftlich vereinbart worden sind. Diese Tantieme ist zehn Tage nach ihrer Festsetzung fällig. (2) Der Aufsichtsrat kann Herrn Keller auch nach Beendigung dieses Anstellungsvertrags für besondere Leistungen eine Vergütung bewilligen. Diese Vergütung kommt nach ihrer Festsetzung zur Auszahlung. (3) Aufsichtsrats-, Verwaltungsrats- oder Beiratsvergütungen, die Herr Keller von Unternehmen erhält, an denen die Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar mit mindestens 25 % beteiligt ist, werden zu 75 % auf die Bezüge, die Herrn Keller gemäß Abs. 1 zustehen, angerechnet. e) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot Gilt 74 II HGB auch für Vorstandsmitglieder? Welche sonstigen Maßstäbe sind bei Formulierung eines (wirksamen) nachvertraglichen Wettbewerbsverbots zu beachten? Formulierungsbeispiel: 11 Nachvertragliches Wettbewerbsverbot (1) Herr Keller verpflichtet sich, für die Dauer von zwei Jahren nach Beendigung dieses Anstellungsvertrages nicht für ein Unternehmen tätig zu werden, das in der Bundesrepublik Deutschland im Wettbewerb mit der Gesellschaft steht. Unzulässig ist auch eine Beteiligung an einem solchen Unternehmen sowie eine freiberufliche oder beratende Tätigkeit oder eine Tätigkeit für eigene Rechnung. Eine Beteiligung im Rahmen der privaten Vermögensverwaltung, die keinen Einfluss auf die Organe des betreffenden Unternehmens er- 4
möglicht, gilt nicht als Beteiligung im Sinne dieser Bestimmung. Das Wettbewerbsverbot gilt nicht, wenn der Anstellungsvertrag wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit gemäß 9 Abs. (3) endete. (2) Die Gesellschaft zahlt Herrn Keller für die Dauer des Wettbewerbsverbots eine Entschädigung in Höhe von monatlich 50 % der an Herrn Keller zuletzt gemäß 3 Abs. (1) gezahlten Tätigkeitsvergütung. Beruht die Beendigung des Vertrages darauf, dass die Gesellschaft den Vertrag vor Erreichen der Altersgrenze entweder aus Gründen nicht verlängert, die Herr Keller nicht zu vertreten hat oder wegen eines wichtigen, von Herrn Keller nicht zu vertretenden Grundes kündigt, so erhöht sich die Entschädigung auf 100 v.h. der festen Tätigkeitsvergütung. Herr Keller muss sich auf die Entschädigung anrechnen lassen, was er während der Dauer des Wettbewerbsverbots durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt, soweit die Entschädigung unter Hinzurechnung der anderweitigen Einkünfte die gemäß 3 Abs. (1) lit. a) bezogene feste Tätigkeitsvergütung übersteigen würde. Bezieht Herr Keller Ruhegeld von der Gesellschaft, so wird die Wettbewerbsentschädigung auf dieses von der Gesellschaft geschuldete Ruhegeld angerechnet. (3) Die Gesellschaft kann vor oder gleichzeitig mit dem Ende des Anstellungsvertrages durch schriftliche Erklärung auf die Einhaltung des Wettbewerbsverbots mit der Wirkung verzichten, dass sie mit Ablauf von sechs Monaten seit dem Zugang der Erklärung von der Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung nach Abs. (2) frei wird. Wenn der Anstellungsvertrag mit oder nach Vollendung des 65. Lebensjahres oder durch eine von der Gesellschaft erklärte Kündigung aus wichtigem Grund endet, wird die Gesellschaft sofort von der Entschädigungspflicht frei, falls sie vor oder gleichzeitig mit dem Ende des Anstellungsvertrages auf die Einhaltung des Wettbewerbsverbots verzichtet hat. (4) Im Fall der Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsverbot ist die Gesellschaft von der Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung frei und außerdem berechtigt, Ansprüche auf Unterlassung und Schadenersatz geltend zu machen. Für die Dauer einer Zuwiderhandlung entfällt ein Anspruch auf Ruhegeld. (Quelle der oben zitierten Vertragsklauseln: Happ, Aktienrecht, 4. Aufl. 2015, Muster Nr. 8.08) 5. Abberufung und Kündigung von Vorstandsmitgliedern a) Abberufung eines Vorstandsmitglieds aa) Zuständigkeit, Form und Frist Wer ist zuständig für die Abberufung eines Vorstandsmitglieds? 5
Kann die Entscheidung über die Abberufung auf einen Ausschuss übertragen werden? Was ist bei der Beschlussfassung im Aufsichtsrat zu beachten? Was sind die Besonderheiten bei paritätisch mitbestimmten Gesellschaften? Wird die Vorschrift des 84 III 4 AktG bei fehlerhaften Abberufungsbeschlüssen angewendet? (OLG Stuttgart, AG 1985, 193 = BeckRS 1985, 31365674; OLG Köln, NZG 2008, 635) Wie können etwaige formelle Fehler geheilt werden? Muss gegenüber dem Vorstandsmitglied ein Abberufungsgrund genannt werden? (Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, 84 Rn. 125 m.w.n.) Welches prozessuale Mittel kann die Gesellschaft ergreifen, um eine einstweilige Verfügung zu verhindern? bb) Erklärung der Abberufung Wann wird die Abberufung nach außen wirksam? (OLG Düsseldorf, AG 2012, 511 = BeckRS 2012, 11650; OLG Stuttgart, AG 2003, 211, 212 = BeckRS 2002, 30246665) Bedarf der Aufsichtsratsvorsitzende einer gesonderten Ermächtigung zu Erklärung der Kündigung? (OLG Düsseldorf; NZG 2004, 141, 142 f.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, 84 Rn. 97). Was ist zu Beweiszwecken zu empfehlen? Welche Vorgehensweise sollte der Berater empfehlen, um formelle Mängel zu vermeiden? cc) Abberufungsgrund, 84 III 1 AktG Was sind wichtige Gründe für die Abberufung? (BGH, NZG 2007, 189 Tz. 2; zur Kasuistik z.b. Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, 84 Rn. 28) 6
Ist bei der Prüfung des Abberufungsgrundes eine Abwägung der Interessen der Gesellschaft mit den Interessen des Vorstandsmitglieds vorzunehmen? (Fleischer, in: Spindler/Stilz, 2. Aufl. 2010, 84 Rn. 101 f. m.w.n.,; KG, AG 2007, 745 = BeckRS 2007, 12065; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, 84 Rn. 26 m.w.n.) Ist ein Beitrag zum Abberufungsgrund durch ein Verhalten des Aufsichtsrats oder seiner Mitglieder schädlich? dd) Wirkung der Abberufung Wie wirkt sich 84 III 4 AktG bei der Abberufung praktisch aus? b) Kündigung des Vorstands-Anstellungsvertrags durch den Aufsichtsrat aa) Allgemeines Wie wirkt sich die Abberufung auf den Vorstands-Anstellungsvertrag aus? Hat die Abberufung Einfluss auf schuldvertragliche Zahlungsansprüche? Formulierungsvorschlag: 1. Die Bestellung von Frau/Herrn... zum Vorstandsmitglied wird aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung widerrufen. 2. Der Anstellungsvertrag mit Frau/Herrn... wird aus wichtigem Grund fristlos gekündigt. bb) Zuständigkeit, Form und Frist Kann die Entscheidung über die Kündigung an einen Ausschuss des Aufsichtsrats delegiert werden? Wie wird die Kenntnis gemäß 626 II BGB beim Gremium Aufsichtsrat bestimmt? Genügt die Kenntniserlangung durch den Vorsitzenden oder einzelne Mitglieder außerhalb von Aufsichtsratssitzungen? (BGH, WM 2001, 2118 ff.; OLG München, AG 2012, 753 = BeckRS 2012, 13795; OLG München, WM 2006, 526, 529) 7
Welche Frist gilt für die Einberufung des Aufsichtsrats? (OLG München, AG 2012, 753, 757 = BeckRS 2012, 13795; Hölters, AktG, 2011, 84 Rn. 104 m.w.n) cc) Erklärung der Kündigung Gibt es ein Formerfordernis für die Erklärung der Kündigung? (OLG Düsseldorf, AG 2012, 511, 513 = BeckRS 2012, 11650; Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1250) Was sind jeweils die Vor- und Nachteile der Beauftragung eines Boten bzw. eines Erklärungsvertreters? Formulierungsvorschlag: Variante für die Einschaltung eines Boten: 3. Der Aufsichtsratsvorsitzende wird beauftragt und bevollmächtigt, Frau/Herrn... die Beschlüsse über die Abberufung und über die Kündigung bekanntzugeben. Variante für einen Erklärungsvertreter: 3. Der Aufsichtsratsvorsitzende wird beauftragt und bevollmächtigt, die Abberufung und die fristlose Kündigung gegenüber Frau/Herrn... zu erklären. Müssen Kündigungsgründe im Aufsichtsratsbeschluss oder in der Kündigungserklärung angegeben werden? (Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, 84 Rn. 163) dd) Anhörung und Abmahnung Ist die vorherige Anhörung des Vorstandsmitglieds eine Wirksamkeitsvoraussetzung der außerordentlichen Kündigung? (Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, 84 Rn. 164 m.w.n.) Muss eine Abmahnung gemäß 314 Abs. 2 BGB vor der Kündigung erfolgen? (BGH, NZG 2007, 674) ee) Kündigungsgrund 8
Rechtfertigt ein wichtiger Grund für die Abberufung eines Vorstandsmitglieds auch die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrags? (OLG München, AG 2012, 753, 755 = BeckRS 2012, 13795) Was gilt bei sogenannten Gleichlauf- oder Koppelungsklauseln im Anstellungsvertrag, die die Abberufung aus dem Vorstandsamt mit einer Beendigung des Anstellungsvertrags verknüpfen? (Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 85, 87 f.; BGH WM 1989, 1246; NZG 1998, 347; ZIP 1999, 1669; Hoffmann-Becking, ZIP 2007, 2101 m.w.n.) Warum hält der BGH die Koppelungsklausel im Aktienrecht (im Gegensatz zum GmbH-Recht) für grundsätzlich zulässig? (BGH NJW 1981, 2748; BGH NJW 1999, 3263) Darf der Widerruf der Bestellung die sofortige Beendigung des Anstellungsvertrags bewirken oder ist eine Frist einzuhalten? (Hölters, AktG, 2. Aufl. 2014, 84 Rn. 107). Formulierungsvorschlag: Falls die Bestellung zum Mitglied des Vorstands vorzeitig endet, ist die Gesellschaft unbeschadet eines etwa gegebenen Rechts zur außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund berechtigt, den Anstellungsvertrag durch ordentliche Kündigung unter Beachtung der analog 622 Abs. 2 BGB bestimmten Frist vorzeitig zu beenden. Bei der Berechnung der Frist ist die gesamte Dauer des Anstellungsverhältnisses mit der Gesellschaft einschließlich einer Anstellung vor dem Eintritt in den Vorstand zu berücksichtigen. RA Dr. Christoph Knapp 12. Januar 2016 9