Zur Früherkennung von Störungen aus dem autistischen Spektrum Dr. phil. Maria Schubert Dipl.-Psych. Leiterin der Autismusambulanz Region
Notwendigkeit der Früherkennung Je früher Diagnose, desto früher Intervention Je früher Intervention, desto früher der Eingriff in den gestörten Entwicklungsprozess (Ziel: Abmilderung eines sekundären Schädigungsprozesses)
Was ist früh? 12. bis 24. Lebensmonat Checklisten (z.b. Autismusverband Deutschland umfassende Übersicht) Ab 6. Lebensmonat spezifische typische Auffälligkeiten (retrospektiv) benennbar Abweichende Entwicklung teilweise ab Geburt
Probleme der Früherkennung Problem Retrospektive: im nachhinein große Mehrzahl der Autisten, aber prospektiv erhält nicht jedes Kind die Diagnose bei Vorhandensein der Auffälligkeiten (große Vielfalt kindlicher Entwicklungsabläufe) Besonders bei Asperger-Syndrom und Atypischen Autismus: später einsetzende Abweichungen vom normalen Entwicklungsprozess
Realität In Deutschland Diagnosestellung 3. bis 6. Lebensjahr Asperger-Syndrom teilweise viel später (Durchschnitt 11.LJ) USA: Reihenuntersuchungen 18. bis 24. Lebensmonat vorgeschlagen (nicht realisiert, aber immerhin Problem erkannt)
Ursachen (in Anlehnung an den Autismusverband Deutschland) In den U1 bis U8 der Kinderärzte keine Items für Autismus enthalten Checklisten = Früherkennungsmerkmale reichen nicht aus, diagnostische Instrumente nicht vorhanden (ADOS ab 30. LM) Autismus vergleichsweise selten Eltern werden als überängstlich bezeichnet, nicht ernst genommen, Kindern äußerlich nichts anzusehen
Ursachen Angst der Fachleute, sich zu früh auf die Diagnose festzulegen (Angst sich zu irren?), zu frühe Stigmatisierung Gezielte Interventionskonzepte und spezifische Therapien für so frühe Kindheit fehlen oder sind nicht finanzierbar (z.b. Lovaas, Dr. Cordes Bremen) oder überfordern das Kind Eltern registrieren im ersten LJ meist noch keine Auffälligkeiten ihres autistischen Kindes Vollbild des autistischen Syndroms im 4. und 5. LJ
Ambivalenz der Diagnostiker So früh wie möglich, um den größtmöglichen Interventionserfolg zu erzielen (Stichwort Plastizität des kindlichen Gehirns) Je früher, desto größer die Stigmatisierung und je größer die Wahrscheinlichkeit für falsch Positive
Sensitivität und Spezifität Merkmal liegt in Wahrheit vor nicht vor Diagnostikergebnis sagt: Positiv Richtig positiv Falsch positiv negativ Falsch negativ Richtig negativ
Folgen einer falsch positiven Diagnose Stigmatisierung: Krankheit versus Behinderung Kosten für die Gesellschaft, Auswirkungen auf richtig positiv Diagnostizierte Abwertung als Modediagnose Auswahl der Intervention als Grund und Ziel der Diagnostik: Diagnose bestimmt Therapie
Folgen einer falsch positiven Diagnose Fallbeispiel Kevin Als Asperger Syndrom diagnostiziert im Grundschulalter Autismustherapie: Umfeldarbeit, besonders Nachteilsausgleiche in der Schule Symptomatik (vor allem Nichtsprechen in ausgewählten Situationen) veränderte sich nicht, in Pubertät eindeutige Verschlechterung
Fallbeispiel Kevin Nachdiagnostik in der Ambulanz, Ergebnis Ausschluß ASS, dringender V.a. Elektiven Mutismus Empfehlung kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik und Behandlung inclusive Psychotherapie => Besserung der Symptomatik konnte nicht mehr erreicht werden
Merkmalslisten www.unimarburg.de/fb20/kjp/forschung/aut/msa/frueh sympt http://www.autismusmagdeburg.de/index.php?f=diagfrueh http://behinderung.org/autismus.htm Checklisten für die U-1 bis 8 (4.LJ), Einsatz für Kinderärzte nicht verbindlich
Projekt Früherkennung Uni Bochum www.autismus-frueherkennung.de Jochen Busse, Kinderarzt Schnelltests entwickelt für 6, 12 und 18 Monate alte Kinder Sofortige Auswertung und Angebot zur Untersuchung
Sensitive Items kein Brabbeln, kein Zeigen mit dem Finger oder andere Gestik mit 12 Monaten keine sozialen Gesten (Zeigen, Winke-winke mit 12 Lebensmonaten) keine einzelnen Worte mit 16 Monaten keine spontanen Zweiwortsätze mit 24 Monaten der Verlust von bereits erworbenen sprachlichen oder sozialen Fähigkeiten in jedem Alter => je mehr, desto höher die Wahrscheinlichkeit
Früherkennung in der Autismusambulanz Bislang eine Anfrage bezüglich eines 9 Monate alten Säuglings Diagnostik ab 3. LJ, einige Fälle Fachgerechte Autismusdiagnostik grundsätzlich möglich ab 30. LM (ab da Einsatz der Goldstandard- Instrumente) Vorstellung und Begutachtung/Stellungnahme in jedem Lebensalter Zusammenarbeit mit Kinderärzten und Kinder- und Jugendpsychiatern (ambulant, teilstationär, stationär)