Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen



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Transkript:

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen Herausgegeben von Herbert Obenaus In Zusammenarbeit mit David Bankier und Daniel Fraenkel unter Mitwirkung von Andrea Baumert, Marlis Buchholz, Uwe Hager, Jürgen Rund und Christiane Schröder in Hannover und Tamar Avraham, Almuth Lessing und Antje C. Naujoks in Jerusalem Textauszüge WALLSTEIN VERLAG

Mollenfelde (heute Friedland-Mollenfelde) Fürstentum (Calenberg-)Göttingen bis 1692, Kurfürstentum Hannover 1692-1807, Königreich Westfalen 1807-1813, Königreich Hannover 1814-1866, preußische Provinz Hannover 1866-1945; Landdrostei Hildesheim 1823-1885, Regierungsbezirk Hildesheim 1885-1945; Amt Friedland bis 1859, Amt Reinhausen 1859-1885, Kreis Göttingen 1885-1945; Hedemünden: Amt Münden bis 1885, Kreis Münden 1885-1945; heute: Regierungsbezirk Braunschweig, Landkreis Göttingen. Synagogengemeinde im Landrabbinat Hannover, seit 1845 im Landrabbinat Hildesheim, angeschlossene Orte: Hedemünden, Klein Schneen. 1913 Anschluß von Mollenfelde an die Synagogengemeinde Göttingen. Einwohner/darunter Juden: Mollenfelde: 1836: 326/83; 1871: 350/84; 1895: 258/10. Hedemünden: 1861: 834/14; 1864: 830/15; 1871: 978/8; 1885: 878/8; 1895: 875/1; 1905: 882/8; 1925: 938/3. Klein Schneen: 1871: 500/2. Das Dorf Mollenfelde wurde erstmals 1032 urkundlich erwähnt. 1370 übertrug Herzog Otto der Quade das halbe Dorf an die Herren von Stockhausen, die den Besitz 1459 an die Familie von Bodenhausen aus Hessen verlehnten. 1462 wurde diese Hälfte der Ortschaft an Sittich von Berlepsch verkauft; die Belehnung erfolgte jetzt durch die Landgrafen von Hessen, die das Obereigentum mittlerweile von den von Stockhausen erworben hatten. Jahrhundertelang stritten Hessen und Hannover um den Besitz Mollenfeldes, das 1832 zu Hannover kam. Hedemünden, erstmals 1017 urkundlich als Königshof erwähnt, war bis 1527 im Besitz des Klosters Kaufungen und gehörte seit dem 14. Jh. zum Fürstentum Göttingen. Abwechselnd als Dorf und als Flecken bezeichnet, entwikkelt es sich im 17. Jh. zu einer kleinen Landstadt, die 1973 nach Münden eingemeindet wurde. Die Anfänge der jüdischen Gemeinde im teils hessischen, teils hannoverschen Dorf Mollenfelde sind im einzelnen noch nicht ermittelt. 1795 erhielt Mannes Katz einen Schutzbrief im hannoverschen Teil, er wurde zum Stammvater zahlreicher Katz-Familien in Mollenfelde. Mit den Juden im hessischen Hermannrode bildete Mollenfelde bis in die 1830er Jahre eine Synagogengemeinde. Beide Orte besaßen je einen eigenen Friedhof, aber ein gemeinsames, beim Gastwirt in Mollenfelde angemietetes Synagogengebäude. Ob und wo es eine Mikwe gab, ist unbekannt. Die Vorsteher wechselten alle zwei Jahre. 1785 erhielt der Pferdehändler Meyer Jonas aus Moringen gegen das im Fürstentum Göttingen übliche Schutzgeld von 4 Tlr. einen zunächst einjährigen Schutzbrief für Hedemünden, da das Amt dort die 49

hessischen Händler verdrängen wollte. Schlachten war für den Eigenbedarf, der Verkauf der für Jonas unbrauchbaren Teile nur vor Ort gestattet. Noch im selben Jahr soll er das Bürgerrecht der Stadt Hedemünden erworben haben. Seit 1802 bezahlte er wegen Armut kein Schutzgeld mehr. 1791 erhielt auch sein jüngerer Bruder Elias Jonas Schutz, nachdem der Mündener Schutzjude Lazarus mitgeteilt hatte, daß Jonas eine reiche Heirat plane. 1792 erhielt der vermögende Händler und Lotteriekollekteur Wolff Loeb einen Schutzbrief. Seit 1785 sind in den Kämmereirechnungen Gebühren für eine Mikwe, später auch für den Friedhof außerhalb der Stadt überliefert. Der älteste Grabstein stammt von 1821. Der Platz der Betstube ist nicht ermittelt. Die drei Familien trugen später die Namen Stamm, Elkan und Adler, sie waren Manufakturwarenhändler und Lotteriekollekteure. In Klein Schneen ließen sich wohl nach 1813 zwei Judenfamilien nieder. Sie nahmen 1828 die Familiennamen Neuhaus und Meyer an. Mollenfelde und Hedemünden gehörten in westfälischer Zeit zum Israelitischen Konsistorial-Syndikat Göttingen. 1820 lebten vier jüdische Familien im hannoverschen und fünf im hessischen Teil Mollenfeldes. 1818 stellte der Kaufmann Klettwig aus Göttingen bei einem für die Göttinger Kaufgilde unternommenen Kontrollbesuch fest, daß Wolf Katz in Mollenfelde verbotenen Tuchhandel betrieb. Als 1818 die Juden Mollenfeldes im Garten des Jacob Katz eine Synagoge bauen wollten, protestierte der Schulze des hessischen Teils beim Amt Witzenhausen wegen der nahen Nachbarschaft: Er wollte nachts vom»geschrei«der Juden verschont bleiben und schlug einen anderen Bauplatz vor. Trotz Genehmigung der hessischen Regierung wurde der Bau nicht ausgeführt, weil die hannoversche Regierung 1820 den vier hannoverschen Juden verbot, sich daran zu beteiligen. 1832 wurde der Plan wieder aufgenommen, jetzt erhoben der evangelische Pfarrer und seine Gemeinde wegen zu großer Nähe zur Kirche Einspruch: Sie befürchteten, daß durch den Lärm der Juden während und nach dem Besuch des Bethauses»die Ruhe und stille Feier unserer kirchlichen Gottesverehrungen gestört werden könnte«. Nur außerhalb des Dorfes wollten sie eine Synagoge dulden und baten um»erhaltung und Beschützung unserer Religions-, Glaubens- und Gewissensfreiheit«. Vorsteher Jacob Hirsch Katz führte dagegen an, daß schon in westfälischer Zeit das Konsistorium der Israeliten in Kassel»mehrere Ceremonial-Gebräuche, die dem laufenden Zeitgeiste nicht entsprechen«, beseitigt habe, und verwies auf weitere Angleichungen durch die hannoversche Synagogenordnung von 1832. Der Bau außerhalb des Ortes hier bezog sich Katz auf den Eruw sei gegen das mosaische Gesetz, das»das dahin tragen des mindesten Gewichtes«am Sabbat verbiete, auch bestehe Einbruchs- und Beschädigungsge- 50

fahr. 1836 erbat Vorsteher Israel Katz die Hilfe von Landrabbiner Dr. Adler für den Bau. Der Platz werde unentgeltlich zur Verfügung stehen, das Bauholz sei schon gekauft. Adler unterstützte ihn, da dem vorhandenen Betzimmer jede Würde eines Gotteshauses fehle. Das Amt Friedland bestritt das Bedürfnis grundsätzlich nicht, war aber gegen eine Genehmigung und für eine größere räumliche Trennung von Kirche und Synagoge. So begann man am östlichen Rand des Dorfes, wo Vorsteher Israel Katz 1836 einen Hof erworben hatte, amtlicherseits zunächst unbemerkt mit dem Synagogenbau. Wieder protestierte die Kirchengemeinde, die»im Judendorf«mit über 25 % jüdischen Einwohnern ihre Identität bedroht sah. Es sei auffallend in einer kleinen Ortschaft, daß Juden»förmliche Kirchen wie die christlichen Gemeinden erbauen und anlegen«. Dennoch erteilte die Landdrostei Hildesheim 1840 die nachträgliche Genehmigung unter der Bedingung, daß das Gebäude Eigentum der Synagogengemeinde sein solle und bei Verkauf des Hofes an einen Christen eine erneute Erlaubnis für die Benutzung des Gebäudes als Synagoge erforderlich sei. 1862 erhielt die Synagoge für weitere Frauenplätze einen Anbau. Nach der im Königreich Hannover staatlich verordneten Konstituierung von Synagogenbezirken bildeten 1844 Mollenfelde mit Hedemünden und Klein Schneen einen Synagogen- und Schulverband; spätestens zu diesem Zeitpunkt gehörten die Juden in Hermannrode der Gemeinde nicht mehr an. Es gab 1844 laut amtlichem Bericht keine Stiftungen, nur eine Armenbüchse in der Synagoge, deren Gelder auch»zur Vermehrung der mosaischen Rollen verwandt«wurden. 1846 bestand der Verband aus 24 Familien, vier lebten in Hedemünden, zwei in Klein Schneen. Gottesdienste und Schule fanden in der Synagoge in Mollenfelde statt, doch scheint von 1847 bis 1877 auch eine Betstube bei Meyer Stamm in Hedemünden existiert zu haben. Der Friedhof in Hedemünden wurde bis 1895 belegt, für den Friedhof in Mollenfelde liegen keine weiteren Angaben vor. Für die Mikwe in Hedemünden bezahlten zuletzt 1843 vier Familien, die Gebühren entfielen 1847, weil»der Reinigungsbrunnen von den Israeliten nicht mehr benutzt«wurde. Etwa um dieselbe Zeit wurde eine Kellermikwe im Haus des Meyer Stamm eingerichtet, die bis 1877 bestanden hat. 1852 nahm der Synagogenverband ein vom Landrabbiner erarbeitetes Regulativ an. Es legte fest, daß dem Vorsteher und dem Rechnungsführer ein fünfköpfiger Ausschuß beigegeben wurde, der u. a. die Aufgabe hatte, die drei Schätzer und Schiedsrichter für die Beitragserhebung zu wählen. Der Schächter, Vorsänger und Lehrer Joseph Siemon Cahn aus Eschwege ist seit 1835 in Mollenfelde nachweisbar. Er unterrichtete die Kinder in seiner Wohnung. Auch 1842 übernahm er den gesetzlich 51

vorgeschriebenen Religionsunterricht, für den allgemeinen Unterricht besuchten die Kinder die Ortsschule. Cahns Gehalt betrug 1846, als er zehn Kinder zu unterrichten hatte, 100 Tlr. und ca. 30 Tlr. Nebeneinkünfte. Nach der hannoverschen»schulordnung für jüdische Schulen«von 1854 wurde in Mollenfelde eine jüdische Elementarschule eingerichtet. Lehrer wurde im Mai 1856 der 20jährige Elieser (Louis) Gutkind aus Zierenberg/Kurhessen. Er war Absolvent der jüdischen Lehrerbildungsanstalt in Kassel und vorher schon als Seminarist in Mollenfelde tätig gewesen. Er mußte zusätzlich die für Hannover vorgeschriebene Prüfung bei Landrabbiner Landsberg ablegen. Gutkind erhielt 190 Tlr. Gehalt ohne Wohnung und Kost, er war auch Vorsänger und Schächter. Gutkind verließ Mollenfelde im Oktober 1857, ein halbes Jahr vor Vertragsende. Nach mehrmonatiger Vakanz wurde zum 1. Juni 1858 Salomon Aschenbrand aus Sontra sein Nachfolger; er erhielt 160 Tlr. Gehalt und einen größeren Anteil von den Schächtgebühren. 1860 erwarb die Gemeinde ein Haus für die Schule und die Wohnung des Lehrers. Auch in den folgenden Jahren blieben die Lehrer Leopold Dahl aus Koblenz, Hirsch Plaut aus Schenklengsfeld, David Katzenstein aus Rhina/Kurhessen, der das Lehrerseminar in Hannover ohne Examen verlassen hatte, und M. S. Kaufmann nur jeweils ein bis drei Jahre in Mollenfelde. Von 1872 bis zu seinem Umzug nach Göttingen Ostern 1876 amtierte als letzter Lehrer Joseph Lichtenfels, der 1874 bei freier Wohnung 150 Tlr. Gehalt und 25 Tlr. Nebeneinnahmen hatte. Mollenfelde erhielt von 1854 bis 1874 Unterstützungen von 32-50 Tlr. jährlich aus dem Provinzialfond. Innerhalb einer Generation verlor die Gemeinde die meisten ihrer Mitglieder an Göttingen. Fast alle als Vieh- und Getreidehändler tätigen Nachkommen der Familien Katz verließen seit Mitte der 1870er Jahre das Dorf. Als sich 1883 der praktische Arzt Dr. Daniel Flersheim, 64 Jahre alt, in Hedemünden niederließ, gab es weder Gottesdienst noch Religionsunterricht mehr. Dennoch verweigerte der Landrat die Zustimmung zu Flersheims 1885 erfolgtem Anschluß an die Synagogengemeinde Münden: Er müsse die Beiträge für Mollenfelde zahlen. Seine Absicht, bei doppelter Besteuerung aus»der religiösen Gemeinschaft«auszutreten, was seit dem preußischen Austrittsgesetz von 1876 möglich war, führte Flersheim nicht aus. Am 30. Dezember 1885 zeigte Vorsteher und Rechnungsführer Nathan Frank der Behörde an, daß er im Frühjahr 1886 wegen seines geplanten Umzuges zurücktrete. Am 16. Juni 1886 wählten die drei verbliebenen Mitglieder in Mollenfelde, Kaufmann Nathan Frank, Makler Samuel Katz und Kaufmann Marcus Katz, und die zwei in Hedemünden Marcus Katz zum Vorsteher. Ein Jahr später verzog Samuel Katz nach Göttingen, 52

Lageskizze der Synagoge von Mollenfelde aus dem Jahre 1840. Die Synagoge wurde 1907 abgerissen. 53

Dr. Flersheim starb in Hedemünden. 1889 wurde Nathan Frank, der in Mollenfelde geblieben war, gegen seinen Willen wieder zum Vorsteher gewählt. Er stellte im August 1892 den Antrag auf Auflösung der Synagogengemeinde: Es gebe seit zehn bis zwölf Jahren keinen Gottesdienst mehr, er und Marcus Katz gingen zu den Hohen Festtagen ins hessische Hebenhausen. In Klein Schneen lebten keine Juden mehr, in Hedemünden halte sich Kaufmann Adler zur Synagogengemeinde Münden. Franks Absicht, die baufällige Synagoge auf Abbruch zu verkaufen, stieß auf Bedenken des Landrabbiners: Er verlangte eine Verpflichtung des Käufers,»die Materialien des Hauses, welches Jahrzehnte dem Gottesdienste geweiht gewesen«, nicht für entwürdigende Zwecke zu verwenden, auch dürfe der Erlös nur religiösen Zwecken dienen. So wurde eine Umfriedung des Friedhofs geplant. Was mit dem Inventar geschah, wie die letzten Gemeindeschulden getilgt wurden und wann das Schulhaus verkauft wurde, ist nicht ermittelt. Einen Anschluß von Katz und Frank an Hebenhausen lehnte die Regierung wegen der unterschiedlichen gesetzlichen Bestimmungen ab, nur Münden sei möglich. 1905 verzog auch Marcus Katz nach Göttingen. Die Synagoge wurde 1907 abgebrochen. Das Datum der Gemeindeaufhebung und die für die Friedhöfe in Hedemünden und Mollenfelde getroffenen Regelungen sind nicht ermittelt. Die letzte jüdische Familie in Mollenfelde wurde vor 1913 der Synagogengemeinde Göttingen angeschlossen, sie hat das Dorf 1917 verlassen. Die Enkelinnen Dr. Flersheims, Clara Flersheim und Hedwig Meyer, sind 1941 von Hannover aus nach Riga deportiert und ermordet worden. Der Gemeindearbeiter und Fellhändler Hermann Löwenheim und seine Frau in Hedemünden konnten sich vor SA- und Parteimitgliedern, die in der Pogromnacht in die Wohnung eindrangen, verstecken; sie zogen im Frühjahr 1939 nach Hannoversch-Münden und wurden im März 1942 deportiert und ermordet. Der Friedhof in Hedemünden am Hackelberge, 146 qm groß und von einer Sandsteinmauer eingefaßt, blieb im Besitz der politischen Gemeinde. 22 Grabstellen mit liegenden Platten aus rotem Sandstein sind erhalten. Von den 19 Inschriften sind 14 hebräisch, vier hebräisch und deutsch und der Grabstein Dr. Flersheims deutsch. Der Friedhof in Mollenfelde (Am Judenkirchhof bzw. Im Bruch) wurde 1934 eingeebnet, die Grabsteine wurden entfernt. Er umfaßt 2.653 qm und wurde 1953 Eigentum der JTC und ab 1959 des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen. 54

Quellen und Literatur Nds. HStA Hannover: Hann. 74 Münden 023, 060, 069, 094; Hann. 74 Reinhausen N 2; N 3; N 5; N 6; N 9; N 13; N 14; Hann. 80 Hild. N 147; Hann. 83b Nr. 5, 122. YVA: 037/136; A. Lipschütz: Die Judenverfolgung in Niedersachsen 1933-1945, Hannover 1948 (Ms). Hampe, Heinrich: Hedemünden. Aus der Geschichte einer kleinen Ackerbürgerstadt bis zu ihrem Verzicht auf die Stadtrechte 1930, Hann.-Münden 1992. Hampe, Heinrich: Judenbäder in Hedemünden und Münden, in: Sabelleck, Rainer (Hg.): Juden (s. Allgemeines Literaturverzeichnis), S. 185-189. Lücke, Heinrich: Leinholz, Ellerode, Mollenfelde, Reckershausen, Brackenberg. Beiträge zur Ortsgeschichte. Sonderdruck des Witzenhäuser Kreisund Tageblatts, Witzenhausen 1937. Reyer, Herbert: Der jüdische Friedhof bei Eichenberg. Die Judengemeinde Mollenfelde-Hermannrode im 19. Jahrhundert, in: Das Werraland 33, 1981, S. 55 f. Reyer, Herbert: Eichenberg und Hermannrode, in: Kollmann, Karl / Wiegand, Thomas: Spuren einer Minderheit. Jüdische Friedhöfe und Synagogen im Werra-Meissner-Kreis, o. O. 1996, S. 79 f. Schäfer-Richter, Uta / Klein, Jörg: Bürger (s. Allgemeines Literaturverzeichnis). Schaller, Bernd / Markus, Adelheid: Die Grabinschriften des jüdischen Friedhofs zu Hedemünden, in: Hampe, Heinrich: Hedemünden, Hann.-Münden 1992, S. 258-276, 373. 700 Jahre Juden in Südniedersachsen (s. Allgemeines Literaturverzeichnis). Sibylle Obenaus 55