Früh übt sich - Neuere Ergebnisse aus der LOGIK-Studie zum Lösen mathematischer Textaufgaben



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Transkript:

116 Entwicklungen im Grundschulalter EZsbeth Stern Früh übt sich - Neuere Ergebnisse aus der LOGIK-Studie zum Lösen mathematischer Textaufgaben Sach- und Textaufgaben Die Fähigkeit zur Anwendung mathematischen Wissens wird in so genannten eingekleideten Aufgaben geprüft. Quantitative Information wird in Sätze integriert und aus der vorgegebenen kurzen Geschichte - dem Situationsmodell- kann neue Information erschlossen werden. Es können zudem Vorhersagen über zukünftige Ereignisse gemacht werden. In der Mathematikdidaktik werden Textaufgaben von Sachaufgaben abgegrenzt. Letztere zeichnen sich durch eine Einbettung in einen realistischen Alltagskontext aus, der bei Ersteren nicht gegeben sein muss. Sachaufgaben bedürfen keiner besonderen Rechtfertigung. Aus dem Kontext geht hervor, dass es sich um Anforderungen handelt, die auch im Alltagsleben auftreten können. Bei Textaufgaben ist der Kontext nebensächlich, er wird so sparsam wie möglich gehalten und kann artifiziell bis absurd sein. Es gibt inzwischen ein ganzes Arsenal an kuriosen Textaufgaben, die zwar eine mathematisch sinnvolle Lösung erlauben, deren Übertragung auf Alltagskontexte jedoch wenig sinnvoll ist. Zwei Beispiele:»Auf einem Baum sitzen 15 Vögel. Peter schießt mit seinem Luftgewehr 5 Vögel vom Baum. Wie viele Vögel sitzen danach noch auf dem Baum?«, oder:»20 Musiker spielen ein Musikstück in 60 Minuten. Wie schnell spielen 30 Musiker das Stück?«Diese Aufgaben erlauben zwar eine mathematische Lösung, ergeben aber kein sinnvolles episodisches Situationsmodell, das heißt, sie modellieren keine Abläufe in der realen Welt. Nach dem ersten Schuss aus Peters Luftgewehr werden die überlebenden Vögel die Flucht ergriffen haben, und zusätzliche Musiker können die Lautstärke erhöhen, nicht aber die Zeit verkürzen. Gleichzeitig ist bekannt, dass Schüler sich recht schnell an die unrealistischen Gegebenheiten anpassen und Lösungen produzieren, die wenig Sinn machen. So lautet eine häufige Antwort auf die Aufgabe»51 Personen möchten einen Ausflug machen. Es gibt 2 Busse. Wie viele Personen sind in den beiden Bussen?25 Ih.«Dass Schüler sogar noch weiter gehen und Aufgaben»lösen«, die selbst mathematisch keinen Sinn mehr ergeben, zeigen Untersuchungen zu sogenannten Kapitänsaufgaben wie zum Beispiel:»Ein Boot ist 9 Meter lang und 3 Meter breit. Wie alt ist der Kapitän?«Antworten wie»27 Jahre«sind nicht selten. Das Errechnen der durchschnittlichen Personenzahl pro Bus kann unter bestimmten Bedingungen sinnvoll sein, auch wenn sich in der konkreten Situation die 51. Person für einen der beiden Busse entscheiden muss. Hingegen kann man sich kaum eine sinnvolle Situation vorstellen, in der aus den Abmessungen eines Bootes das Alter des Kapitäns zu ermitteln ist.

Früh übt sich - Neuere Ergebnisse aus der LOGIK-Studie zum Lösen mathematischer Textaufgaben 117 Wegen des weitgehend sinnfreien Umgangs der Schüler mit Textaufgaben wurde deren Verwendung im Unterricht häufig kritisiert. Während die Behandlung von Sachaufgaben als eine sinnvolle Vorbereitung auf außerschulische Anforderungen gesehen wird, gelten Textaufgaben häufig als Beispiele einer sinnfreien Mathematik. Im internationalen Kontext werden Sachaufgaben unter dem Schlagwort»Realistic Mathematics«diskutiert (Verschaffel et al. 2000). Es wird dafür plädiert, mathematische Aufgaben in einen komplexen, alltagsnahen Kontext einzubetten, aus dem heraus sich die Sinnhaftigkeit der durchzuführenden mathematischen Operationen ergibt. Hierzu gibt es inzwischen multimedial gestylte Unterrichtsprogramme wie zum Beispiel die»jasper-woodburry«serie der Vanderbilt Universität (Cognition and Technology Group at Vanderbilt 1992). Hier werden für Kinder ansprechende Abenteuergeschichten verfilmt und mit mathematischen Aufgaben vorwiegend zum proportionalen Denken angereichert. Der interessante und herausfordernde Kontext lässt bestimmte komplizierte mathematische Operationen als sehr einsichtig erscheinen. Die Erfolge solcher Lernprogramme wurden hinreichend diskutiert, und es besteht kein Zweifel daran, dass sie eine sinnvolle Ergänzung zum bestehenden Mathematikunterricht darstellen. In diesem Artikel möchte ich dennoch dafür plädieren, den Wert der klassischen Textaufgabe sowohl als Übungsgelegenheit als auch als Instrument zur Wissensdiagnose nicht zu unterschätzen. Für bestimmte Zwecke kann es durchaus sinnvoll sein, Schüler mit Aufgaben zu konfrontieren, die von ihrer persönlichen Lebenssituation sowie von interessanten Kontexten losgelöst sind, weil sie ein bestimmtes mathematisches Prinzip verdeutlichen. Intuitive und kulturelle Mathematik Zu den spektakulären Ergebnissen der Entwicklungspsychologie gehören die Befunde zum kompetenten Säugling. Während Piaget noch davon ausging, dass angeborene lebensnotwendige Reflexe die Grundlage für geistige Entwicklung darstellen, wissen wir heute, dass die universell verfügbare genetische Ausstattung des Menschen vielfältiger ist (Sodian 1995; Stern, in Druck). Menschen werden mit einem modularisierten Gehirn auf die vielfältigen Anforderungen ihrer Umgebung vorbereitet und können deshalb Lernangebote aus der Umgebung schnell und ohne Umwege nutzen. Da das menschliche Gehirn auf die Grundstruktur der Sprache vorbereitet ist, können Kinder auch ohne systematische Instruktion die in ihrer Umgebung gebräuchliche Sprache erwerben. Die grundlegenden Arbeiten von Chomsky wurden inzwischen weiterentwickelt und in manchen Aspekten modifiziert. Der inzwischen am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie tätige Sprachforscher Michael Tomasello hat hierzu ein sehr lesenswertes Buch geschrieben (Tomasello 1998). Auch Wissen über grundlegende physikalische und mathematische Gesetzmäßigkeiten scheint genetisch prädisponiert zu sein, wie zahlreiche Habituationsversuche mit Säuglingen zeigen (Wynn 1992). Bei Stern (1998, 2002) werden klassische Arbeiten zur intuitiven Mathematik zusammengefasst, die zeigen, dass

118 Entwicklungen im Grundschulalter Menschen mit einer angeborenen Fähigkeit ausgestattet sind, die externe Umgebung nach quantitativen Kriterien zu analysieren. Neuere Studien von Xu un~ Carey (1996) sprechen dafür, dass die Fähigkeit zur Quantifikation sogar zu einem früheren Zeitpunkt entwickelt ist als die Fähigkeit zur Individuierung von Objekten. Die bereits im Säuglingsalter zu beobachtenden intuitiven mathematischen Kompetenzen bilden die Grundlage für den Erwerb des quantitativen Verständnisses und der ZäWfertigkeit im Vorschulalter. Die Leichtigkeit, mit der Kinder es lernen, im kleineren ZaWenbereich zu zählen und die Veränderung von Mengen zu modellieren, steht im Widerspruch zu den Ergebnissen, die die immensen Schwierigkeiten belegen, die Mathematik als Schulfach bereiten kann. Aus der kulturvergleichenden Forschung wissen wir, dass alle - selbst die illiteraten - menschlichen Kulturen Zählwörter entwickelt haben. Hingegen gibt es zahlreiche menschliche Kulturen mit Schrift, die keine eigenen Symbole für Zahlwörter entwickelt haben. Es sind aber gerade die Symbolsysteme, die die Grundlage für die Entwicklung der kulturellen Mathematik boten. Auch der intelligenteste Römer dürfte kaum in der Lage gewesen sein, CIV : XXVI = zu rechnen, während die Aufgabe 104 : 26 = auch von Grundschülern gelöst wird. Der Aufbau des Römischen Zahlensystems erlaubte keine Bruchrechnung und bot damit auch nicht die Möglichkeit zur konzeptuellen mathematischen Erweiterung. Kulturelle Mathematik Die Inhalte des schulischen Mathematikunterrichtes fielen nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis einer kulturellen Entwicklung. Einige Gebiete der Schulmathematik wurden erst vor wenigen Jahrhunderten entwickelt, wie zum Beispiel die Trigonometrie. Dies gilt auch für die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die Herausforderung des schulischen Lernens besteht darin, dass durchschnittlich begabte Schüler in wenigen Jahren Inhalte erwerben müssen, an deren Entwicklung hoch begabte Wissenschaftler über mehrere Jahrhunderte arbeiteten. Intuitives mathematisches Verständnis bedeutet die Übertragung der mathematischen Sprache auf Situationen der wahrnehmbaren Welt. Eine Menge von Gegenständen oder Ereignissen wird quantifiziert. Im obere Teil der Abbildung 1 ist diese Ebene des mathematischen Verständnisses dargestellt. Darüber hinaus kann sich mathematisches Verständnis durch Wissen über Beziehungen zwischen Mengen ausdrücken. Das Verständnis von Zahlen als Abschnitt auf dem ZaWenstrahl geht in diese Richtung. Der Zahlenstrahl selbst kann als eine kulturelle Erfindung gesehen werden. Bei der intuitiven Mathematik wird eine Verbindung zwischen mathematischen Symbolen und der realen Welt hergestellt, während in der kulturellen Mathematik unterschiedliche Symbole miteinander verknüpft werden. Im Folgenden wird deutlich, dass sich mathematische Textaufgaben in ihren Anforderungen an die kulturelle Mathematik unterscheiden.

Früh übt sich - Neuere Ergebnisse aus der LOGIK-Studie zum Lösen mathematischer Textaufgaben 119 r Kardinalzahl A. Relationszahl.A. r "" "' 0 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Ordinalzahl Abb. 1: Die Repräsentation von»5«in der intuitiven (oberer Teil) und der kulturellen (unterer Teil) Mathematik Das Lösen mathematischer Textaufgaben auf der Grundlage intuitiver und kultureller Mathematik Zu den herausragenden und immer wieder replizierten Ergebnissen der Forschung zum Lösen mathematischer Textaufgaben gehört, dass sich Aufgaben mit gleicher mathematischer Struktur massiv in ihrer Schwierigkeit unterscheiden können (Stern 1998). Vorschulalter Die Aufgabe:»5 Vögel haben Hunger. Sie finden 3 Würmer«, kann von kaum einem Vorschulkind gelöst werden, wenn sie mit der Frage endet:»wie viel mehr Vögel als Würmer gibt es?«, während fast alle Kinder die Aufgabe lösen, wenn die Frage lautet:»wie viele Vögel bekommen keinen Wurm?«Ähnliche Effekte zeigen sich bei so genannten Angleichungsaufgaben:»Hans hat 8 Murmeln. Peter hat 3 Murmeln. Wie viele Murmeln muss Peter noch bekommen, damit er genauso viele Murmeln hat wie Hans?«Diese Aufgabe ist für Vorschulkinder sehr einfach zu lösen, während die Aufgabe:»Wie viele Murmeln hat Peter weniger als Hans?«, sehr schwer ist.

120 Entwicklungen im Grundschulalter Frühes Grundschulalter Im Grundschulalter wurden deutliche Abweichungen in der Lösungsrate bei drei Aufgabentypen zur Addition und Subtraktion von Zahlen gefunden. Austauschaufgaben (Maria hatte 6 Murmeln. Dann gab sie Hans 4 Murmeln. Wie viele Murmeln hat Maria jetzt?) sind eher einfach zu lösen, während Aufgaben zum Vergleich von Mengen (Maria hat 9 Murmeln. Sie hat 4 Murmeln mehr als Hans. Wie viele Murmeln hat Hans?) sehr schwer sind. Die Lösungsrate von Aufgaben zur Kombination von Mengen (Maria und Hans haben zusammen 6 Murmeln. Maria hat 4 Murmeln. Wie viele Murmeln hat Hans?) liegt zwischen denen von Vergleichs- und Austauschaufgaben. Wie kommt es zu den vehementen Unterschieden in der Lösungsrate? Warum sind Aufgaben zum Vergleich von Mengen so schwer? Stern und Lehrndorfer (1992) und Stern (1993) konnten zeigen, dass die Diskrepanz nicht mit Unterschieden im Sprachverständnis zu erklären ist. Vielmehr lässt sich die Antwort aus Abbildung 1 ablesen. Vergleichsaufgaben erfordern ein fortgeschrittenes Zahlverständnis, das über die Zählfunktion von Zahlen hinausgeht. Die im Satz:»Hans hat 5 Murmeln mehr als Peten<, gegebene Information bezeichnet keine konkrete, existierende Menge, sondern beschreibt die Relation zwischen zwei Mengen. Man muss ein mentales Modell - also eine von den konkreten Dingen abstrahierte geistige Vorstellung - von der in der Textaufgabe beschriebenen Situation entwickeln. Wer beispielsweise mit der Zahl»5«immer nur 5 Gegenstände verbindet, der wird den Satz nicht verstehen. Wer hingegen»5«als einen Abschnitt auf dem Zahlenstrahl versteht, der die Relation zwischen zwei anderen Zahlen markiert - zum Beispiel zwischen»2«und»7«oder zwischen»4«und»9«-, der kann Vergleichsaufgaben verstehen. Spätes Grundschulalter Unterschiedliche Schwierigkeiten bei isomorpher mathematischer Struktur zeigten sich auch bei Aufgaben zur Multiplikation und zur Division. So genannte Aufteilungsaufgaben, zum Beispiel: a) Jedes von vier Kindern soll 3 Kekse bekommen. Wie viele Kekse werden benötigt?, werden problemlos von allen Drittklässlern gelöst. Schwieriger hingegen sind Aufgaben zum multiplikativen Vergleich, z.b: b) In Peters Portmonee sind 4 DM. In dem Portmonee von Hans ist dreimal so viel Geld. Wie viel Geld ist in dem Portmonee von Hans? Diese Aufgabe wird nur von der Hälfte der Probanden gelöst. Nur eine sehr geringe Lösungsrate hat hingegen die Aufgabe: c) Es gibt 4 Wege von A nach Bund 3 Wege von B nach C. Wie viele Wege gibt es von A nach C über B? Ein intuitives Verständnis von Multiplikation (und bei entsprechender Umformulierung auch von Division) drückt sich in Aufgabe a) aus. Multiplikation ist als wiederholte Addition zu verstehen, und Division bedeutet die Aufteilung in gleiche Teile. Kinder, deren Verständnis von Addition und Subtraktion sich auf die genannten Handlungen beschränkt, werden die Regel aufstellen, dass Multiplikation immer

Früh übt sich - Neuere Ergebnisse aus der LOGIK-Studie zum Lösen mathematischer Textaufgaben 121 zur Vergrößerung und Division immer zur Verkleinerung von Mengen führt. Diese Regel trifft jedoch nur für natürliche Zahlen zu, und deshalb kann es beim Rechnen mit nicht-natürlichen Zahlen zu massiven Verständnisschwierigkeiten kommen. Diesen Schwierigkeiten könnte man möglicherweise vorbeugen, indem man bereits in der Grundschule Aufgaben zum multiplikativen Vergleich, wie zum Beispiel Aufgabe b), vorgibt und diese mit Repräsentationsformen kombiniert, bei denen gestauchte und gestreckte Zahlenstrahlen in Beziehung gesetzt werden, wie zum Beispiel in Abbildung 2c). Auch ein Faden-Modell des Zahlenstrahles, wie in Abbildung 2d) angedeutet, erlaubt eine größere Flexibilität im Verständnis von Multiplikation und Division. Die Häufigkeit, mit der man den ZaWenstrahlfaden um etwas wickeln kann, modelliert Multiplikation und Division. Kinder, die bereits in der Grundschule eine große Vielfalt an Möglichkeiten kennen gelernt haben, Multiplikation und Division zu modellieren, sind vielleicht in höheren Klassen kurzfristig überrascht, dass Multiplikation mit einer Zahl < 1 die multiplizierte Zahl verkleinert. Wenn sie sich jedoch an ihren Zahlenstrahl-Faden erinnern, werden sie einsehen, dass man ja auch ein ganz kurzes Stück, das kleiner als die Einhheit» 1«auf dem Zahlenstrahl ist, um einen Gegenstand legen kann, und werden dann einsehen, dass man damit den Gegenstand nur teilweise abbildet. Aufgaben zum kartesischen Produkt wie die Aufgabe c) erfordern ein genuin mathematisches Verständnis von Multiplikation als Verknüpfung zwischen den Elementen einer Gruppe. Die Abbildungen 2a) und 2b) drücken die Struktur des kartesischen Produktes aus. Gleichzeitig bilden diese Abbildungen die Grundlagen für das Verständnis der Matrizenrechnung, die später nur von sehr wenigen Schülern beherrscht wird. Möglicherweise könnte man den späteren Zugang zur Matrizenrechnung maßgeblich erleichtern, wenn man bereits in der Grundschule Aufgaben zum kartesischen Produkt mit den entsprechenden Veranschaulichungen vorgäbe. a) b) c) H--H--1 H-+-+---1 ~-I-I-Id) Abb. 2: Grafische Veranschaulichungen von anspruchsvollen Modellen der Multiplikation.

122 Entwicklungen im Grundschulalter Sekundarstufe Auch in der Sekundarstufe kommt es nicht spontan zum Transfer zwischen mathematisch isomorphen Aufgaben. Bassok und Holyoak (1989) konnten in einer Gruppe von Neuntklässlern mit überdurchschnittlicher mathematischer Kompetenz zeigen, dass Aufgabe (2) zwar leichter war, wenn zuvor Aufgabe (1) gelöst wurde, dass aber ein entsprechender Erleichterungseffekt nicht zu beobachten war, wenn die Aufgaben in umgekehrter Reihenfolge vorgegeben wurden. Aufgabe 1: Ein Junge bekommt an seinem sechsten Geburtstag ein wöchentliches Taschengeld von 30 Cents (al). An jedem folgenden Geburtstag wird sein Taschengeld um 10 Cents (d) erhöht. Wie hoch wird sein wöchentliches Taschengeld an seinem 15. Geburtstag sein? Aufgabe 2: Ein Schnellzug fährt 6 Sekunden nach dem Start 30 Stundenkilometer (al). Danach nimmt die Geschwindigkeit konstant um 10 Stundenkilometer pro Sekunde (d) zu. Wie schnell wird der Zug nach 15 Sekunden fahren? Wie kommt es zu diesen asymmetrischen Transfereffekten, die für mathematisch halbwegs gebildete Personen nur schwer nachvollziehbar sind? Greeno, Smith und Moore (1993) heben zwei Unterschiede zwischen dem Geschwindigkeitskontext und dem Finanzkontext hervor: Die asymmetrischen Transfereffekte werden damit erklärt, dass zwar jede ganze Zahl auch als rationale Zahl verstanden werden kann, aber nicht jede rationale Zahl in eine ganze Zahl umgewandelt werden kann. Wurde man zunächst mit dem Finanzkontext konfrontiert, kann man den Geschwindigkeitskontext mit ganzen Zahlen konstruieren. Wurde man hingegen zuerst mit dem Physikkontext konfrontiert, wurde bereits Wissen über rationale Zahlen aktiviert, das dann nicht auf den anschließend vorgegebenen Finanzkontext angewendet werden kann. Es besteht ein weiterer Unterschied zwischen dem Konzept der Geschwindigkeit und den Einnahmen pro Zeiteinheit: Letztere lassen sich zu einer sinnvollen Größe aufaddieren und zu Durchschnittswerten umrechnen, während dies für Geschwindigkeit nicht der Fall ist. Solange man nicht über eine elaborierte und gut vernetzte Wissensbasis verfügt, fällt es selbst intelligenten Sekundarstufenschülern schwer, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Konzepten Geschwindigkeit und Einkommen zu explizieren und damit das Transferpotenzial zu optimieren. Es kann erwartet werden, dass der Aufbau einer elaborierten Wissensbasis zur Multiplikation und Division durch die Vorgabe von Textaufgaben mit unterschiedlichen Situationsmodellen und entsprechenden Veranschaulichungsmöglichkeiten gefördert werden kann. Bei Greer (1992) sowie bei Vergnaud (1983) finden sich sehr gute Anregungen.

Früh übt sich - Neuere Ergebnisse aus der LOGIK-Studie zum Lösen mathematischer Textaufgaben 123 Zusammenfassung: Das Potenzial von Textaufgaben für die Erweiterung des mathematischen Verständnisses Im Lösen bestimmter Textaufgaben drückt sich auf allen Altersstufen ein anspruchsvolles mathematisches Verständnis aus. Bei gleicher zugrunde liegender Formel sind einige Textaufgaben einfach, weil sie an ein intuitives Verständnis anknüpfen, während andere schwierig sind, weil das zugrunde liegende Situationsmodell nur über die kulturelle Mathematik zu erschließen ist. An anderer Stelle (Stern/Staub 2000; Stern 1997, 1998) wurde am gegenwärtigen deutschen Mathematikunterricht ausgiebig Kritik geübt. Es wurde gezeigt, dass das Potenzial mathematischer Textaufgaben in der Schule nicht genutzt wird. Wenn überhaupt mathematische Textaufgaben vorgegeben werden, dann sind es solche, die an das intuitive mathematische Verständnis anknüpfen. Die Möglichkeit, mit Hilfe von Textaufgaben das mathematische Verständnis zu erweitern, bleibt ebenso wie das Potenzial grafisch-visueller Veranschaulichungen weitgehend ungenutzt. Beachtenswert ist, dass trotz fehlender systematischer Lerngelegenheiten ein Teil der Schüler beachtenswerte mathematische Kompetenzen erwirbt, die sich im Lösen anspruchsvoller mathematischer Textaufgaben ebenso niederschlagen wie in der Nutzung grafisch-visueller Veranschaulichungen. Langfristige Effekte des Lösens von Textaufgaben: Ergebnisse aus der LOGIK-Studie Die am Münchener Max-Planck-Institut für psychologische Forschung in den 80er- Jahren initiierten Längsschnittstudien LOGIK (Weinert 1998; Weinert/Schneider 1999) und SCHOLASTIK (Weinert/Helmke 1997) geben Auskunft über die langfristige Entwicklung interindividueller Unterschiede mathematischer Kompetenzen. In der Individualstudie LOGIK, an der ca. 200 Kinder über einen Zeitraum von 14 Jahren teilnahmen, wurden bereits in der Vorschulzeit numerische Basiskompetenzen erhoben. Eine letzte Erhebung wurde vorgenommen, als die Schüler 17 Jahre alt waren. Die Ergebnisse zu diesem Alterszeitpunkt stehen hier im Mittelpunkt. In der Schulstudie SCHOLASTIK wurden die Kinder der Individualstichprobe LOGIK zusätzlich zusammen mit ihren Klassenkameraden unterschiedlichen Leistungstests unterzogen. Der kombinierte Datensatz aus LOGIK und SCHOLASTIK erlaubt es, Aussagen über die Entwicklung interindividueller Kompetenzunterschiede sowie über die Vorhersagbarkeit von Leistungsunterschieden zu machen. Eine Frage, die in diesem Zusammenhang natürlich von großem Interesse ist, ist die Vorhersagbarkeit der Mathematikleistung in der 11. Klasse aus früheren Messzeitpunkten. Mit anderen Worten, werden bereits in der Grundschule die Weichen für die spätere mathematische Leistung gestellt? Eine weitere wichtige Frage betrifft die Inhalte der Prädiktoren. Welche Rolle spielt die allgemeine Intelligenz und welche Rolle spielt spezifisches Vorwissen in Mathematik?

124 Entwicklungen im Grundschulalter Methode In der folgenden Auswertung werden 58 Schüler berücksichtigt, die zum letzten Messzeitpunkt der LOGIK-Studie in der 11. Klasse auf dem Gymnasium oder einer Fachoberschule waren. Es nahmen mehr als 90% der LOGIK-Teilnehmer an der letzten Erhebung teil. Ich werde mich auf die Elftklässler in weiterführenden Schulen beschränken, weil in dieser Teilstichprobe besonders überzeugende Befunde zu beobachten sind. Zum letzten Messzeitpunkt, also im Alter von 17 Jahren, wurden allen Teilnehmern Aufgaben aus dem in der Mittelstufe vorgegebenen Test der Third International Mathematics and Science Study (TIMSS, Baumert et al. 1997) gestellt. Da dieser Test vorwiegend den Schulstoff der 8. Klasse erfasste, sind die Aufgaben natürlich zu einfach für die 17- Jährigen. Andererseits hätte die Vorgabe eines Tests, der den Schulstoff der 11. Klasse erfasst den Nachteil, dass dieser Stoff bis zum Testzeitpunkt möglicherweise nicht in allen Klassen der teilnehmenden Schüler behandelt worden ist. Wir entschlossen uns deshalb, die TIMSS-Aufgaben der 8. Klasse unter Zeitdruck vorzugeben. In Box 1 sind 2 Beispiele angegeben, die zeigen dass die Lösung dieser Aufgaben unter Zeitdruck auch für mathematisch gebildete Personen nicht trivial ist, sondern durchaus mathematisches Problemlösevermögen erfordert. Box 1: Welcher x-wert erfüllt die Gleichung x 2-14x + 49 = 0 a) 7 und 0 b)7 c) -14 d) 7 und-7 e) 14 und 0 Ein Buch hat 120 Seiten und 45 Zeilen auf jeder Seite. Die Autorin möchte ihr Buch auf 150 Seiten ausweiten, ohne zusätzlichen Text zu schreiben. Wie viele Zeilen pro Seite hat das Buch unter dieser Voraussetzung? a) 36 b) 34 c) 30 d) 40 e) 38

Früh übt sich - Neuere Ergebnisse aus der LOGIK-Studie zum Lösen mathematischer Textaufgaben 125 Insgesamt wurden 20 Aufgaben vorgegeben, für die 10 Minuten Zeit vorgesehen waren. Auch für einen Experten in Mathematik ist es unmöglich, in dieser Zeit alle Aufgaben zu lösen. Die Anzahl der gelösten Aufgaben kann deshalb als ein valider Indikator für die mathematische Problemlösekompetenz gesehen werden. Inwiefern nun lassen sich Leistungsunterschiede im TIMSS-Test durch frühere Leistungsunterschiede vorhersagen? Folgende Maße wurden einbezogen: 1. Allgemeine Intelligenz In LOGIK wurde in (fast) jedem Jahr ein Intelligenztest durchgeführt. In der 2. und 4. Klasse handelte es sich um einen nicht-sprachlichen Test und in der 3. und 6. Klasse wurde ein sprachlicher Test vorgegeben. In der 11. Klasse wurden beide Arten von Tests vorgegeben, die in dieser Analyse zu einem Wert zusammengefasst wurden, weil eine getrennte Auswertung zu gleichen Ergebnissen führte. 2. Rechenfertigkeit in der Grundschule In den Klassenstufen 2,3 und 4 wurden einfache Rechenaufgaben mit zwei Zahlen vorgegeben, die den Anforderungen der jeweiligen Klassenstufe entsprachen. 3. In den Klassenstufen 2, 3, 4, 5 und 6 wurden Textaufgaben vorgegeben, deren Lösung ein anspruchsvolles mathematisches Verständnis erforderte. In Box 2 sind Beispiele dieser Aufgaben angegeben. Box 2: Mathematikaufgaben, Grundschule messen. die erweitertes mathematisches Verständnis in der 2. und 3. Klasse: Komplexe Vergleichsaufgaben Peter hat 5 Murmeln. Susanne hat 3 Murmeln mehr als Peter. Wie viele Murmeln haben Susanne und Peter zusammen? 4. Klasse: Kartesisches Produkt Es gibt 3 Wege von A nach Bund 4 Wege von B nach C. Wie viele Wege gibt es von A nach C über B? 5. und 6. Klasse: Proportionale Beziehungen Es gibt 2 Kaugummiautomaten. Im linken Automaten sind 23 schwarze und 19 rote Kaugummis, im rechten Automaten sind 37 schwarze und 33 rote Kaugummis. Peter möchte lieber einen schwarzen Kaugummi haben. Bei welchem Automaten hat er die größeren Chancen, einen schwarzen Kaugummi zu bekommen?

126 Entwicklungen im Grundschulalter,. I Wie korrelieren diese Maße mit der Mathematikleistung in der 11. Klasse? Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 aufgeführt. Tabelle 1: Korrelationen zwischen der Mathematikleistung in der 11. Klasse und anderen Maßen. 2.58 **.22.04 3.45 **.21.45 ** 4.42 **.25.44** 5.46 ** 6.49 **.42 ** 11.41 ** Als wichtigste Ergebnisse lassen sich festhalten: Das Lösen von Textaufgaben in der 2. Klasse korreliert mit r =.58 rein deskriptiv höher als alle anderen Maße mit der Mathematikleistung der 11. Klasse. In Abbildung 3 ist diese Korrelation als Scatterplot dargestellt. Diesem ist einerseits zu entnehmen, dass der Zusammenhang nicht auf Ausreißer zurückzuführen ist, sondern dass von einem sehr großen Teil der Stichprobe zum Zusammenhang beigetragen wird. Gleichzeitig zeigt sich auch - und die Bedeutung dieses Ergebnisses kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden -, dass alle Probanden, die nicht zum Zusammenhang beitragen, eine ähnliche Entwicklung nehmen. Dem Scatterplot ist zu entnehmen, dass die linke obere Hälfte völlig unbesetzt ist. Mit anderen Worten, kein Teilnehmer der LOGIK-Studie, der nicht bereits in der 2. Klasse überdurchschnittliche Leistung im Lösen von Textaufgaben zeigte, erreichte in der 11. Klasse gute bis sehr gute Werte. Hingegen ist die rechte untere Hälfte mit einigen Probanden besetzt, die zwar in der 2. Klasse noch überdurchschnittliche Leistung erbrachten, später aber in den durchschnittlichen oder gar unterdurchschnittlichen Bereich zurückfielen. Aus den Daten geht hervor, dass ein frühes mathematisches Verständnis, das sich im Lösen anspruchsvoller Textaufgaben ausdrückt, eine notwendige, aber keinesfalls hinreichende Voraussetzung für spätere mathematische Kompetenzen ist.

Früh übt sich - Neuere Ergebnisse aus der LOGIK-Studie zum Lösen mathematischer Textaufgaben 127 16 14 12 - "~ 10 12.S 8 bl),5 " 6 -' 4 01.-- _ W W ~ Leistung in Klasse 2 Abb. 3: Die Beziehung zwischen der Mathematikleistung in der 2. und 11. Klasse im Scatterplot. Überaus bemerkenswert ist, dass die in der 11. Klasse gemessene Intelligenzleistung niedriger mit der Mathematikleistung der 11. Klasse korreliert als die Mathematikleistung der 2. Klasse. Mathematische Problemlösekompetenz in der Sekundarstufe ist demnach eher das Ergebnis des akkumulierten mathematischen Wissens als der aktuellen Intelligenz. Dies wird insbesondere in der Kommunalitätenanalyse deutlich, die in Abbildung 4 dargestellt ist. Diese ergab, dass der Anteil der»reinen«intelligenz an den interindividuellen Unterschieden im mathematischen Problemlösen nur sehr gering ist. Der Einfluss der Intelligenz macht sich vorwiegend in der so genannten konfundierten Varianz bemerkbar. Diese sagt aus, dass sich Kinder mit einer höheren Intelligenz auf Dauer mehr mathematisches Wissen aneignen und deshalb bessere Leistung erbringen. Der durch Intelligenzunterschiede vermittelte Varianzanteil des mathematischen Vorwissens ist jedoch deutlich geringer als der von der Intelligenz unabhängige Varianzanteil. Defizite in der Intelligenz können durch Vorwissen offensichtlich kompensiert werden, Defizite im mathematischen Vorwissen hingegen nicht. Mathe 2. Klasse IQ 11. Klasse D konfundiert D nicht erklärt Abb. 4: Ergebnis der Kommunalitätenanalyse: Anteile der erklärten Varianz.

128 Entwicklungen im Grundschulalter Zwei weitere Befunde bleiben festzuhalten: Sprachliche und nicht-spracwiche Intelligenz unterscheiden sich nicht in ihrer Vorhersagekraft, und die Rechenleistung in der Grundschule sagt die spätere Mathematikleistung nicht vorher. Fazit Den Daten ist zu entnehmen, dass ein frühes Verständnis der kulturellen Mathematik für das spätere mathematische Verständnis unabdingbar ist. Die Ergebnisse aus der LOGIK-II-Studie zeigen, dass die frühe Beherrschung von Textaufgaben, die anspruchsvolle mathematische Strukturen abbilden, für die spätere Kompetenzentwicklung entscheidend ist. Bereits in der 2. Klasse zu wissen, dass Zahlen nicht nur zur Modellierung der Mächtigkeit und der Veränderungen von Mengen genutzt werden können, sondern auch zur Abbildung von Relationen zwischen Mengen, scheint eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für eine hohe mathematische Leistungsfähigkeit in der späten Sekundarstufe zu sein. Die LOGIK-Daten zeigen sogar, dass frühe Versäumnisse im Erwerb der kulturellen Mathematik später nicht mehr kompensiert werden können. Dieses Ergebnis könnte fatalistische Einstellungen auslösen. So könnte man meinen, wenn die»kritische Periode«für den Zugang zur kulturellen Mathematik versäumt wurde, sei»der Zug abgefahren«. Oder aber man könnte ein frühes Verständnis der kulturellen Mathematik mit einer genetisch determinierten mathematischen Begabung gleichsetzen. Beide Interpretationen erscheinen jedoch gegenwärtig aus einem einfachen Grund verfrüht. In unterschiedlichen Studien zum Mathematikunterricht der Grundschule zeigt sich nämlich, dass hier das Potenzial nur unzureichend genutzt wird. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass gerade anspruchsvolle Textaufgaben zum Vergleich von Mengen und später zum kartesischen Produkt so gut wie nie vorkommen (Stern 1993, 1997, 1998; Stern/Staub 2000). Möglichkeiten in der Nutzung und Veranschaulichung von Textaufgaben sind in der Lehrerausbildung bisher wenig verankert (dazu insbesondere Stern/Staub 2000). Gleichzeitig zeigen Ergebnisse der SCHOLASTIK-Studie, dass selbst bei dem gegenwärtig suboptimalen Ausbildungsstand bereits ein deutlicher Lehrereffekt zu beobachten ist. Dieser konnte insbesondere bezüglich des so genannten pädagogischen Inhaltswissens nachgewiesen werden. In Klassen von Lehrern, die eine eher konstruktivistische Grundhaltung zum Lernen einnehmen, das heißt, die eher mathematisches Verständnis als den Erwerb von Rechenstrategien in den Mittelpunkt stellen, ist ein größerer Lerngewinn beim Lösen von Textaufgaben zu beobachten als in Klassen von Lehrern mit einer so genannten rezeptiven Einstellung zum Lernen. Letztere besagt, dass Lernen eher als die Übernahme des vom Lehrer Gezeigten verstanden wird. Aus diesem Ergebnis kann die Hoffnung geschöpft werden, dass mit einer Verbesserung des frühen Mathematikunterrichtes mehr Kinder als bisher an die kulturelle Mathematik herangeführt werden und damit die Chance zur intelligenten Akkumulation von Wissen erhalten.

Früh übt sich - Neuere Ergebnisse aus der LOGIK-Studie zum Lösen mathematischer Textaufgaben 129 Leseempfehlungen Karmiloff-Smith, A. (1992): Beyond Modularity. A Developmental Perspective on Cognitive Science. Cambridge, MA: MIT/ Bradford Books. Stern, E. (1998): Die Entwicklung des mathematischen Verständnisses im Kindesalter. Lengerich: Pabst Publisher. Weinert, EE. (1998) (Hrsg.): Entwicklung im Kindesalter. Weinheim: Psychologie Verlags Union. Weinert, EE., Helmke, A. (1997) (Hrsg.): Entwicklung im Grundschulalter. Weinheim: Psychologie Verlags Union. Literatur Bassok, M./Holyoak, K.J. (1989): Interdomain transfer between isomorphic topics in algebra and physics. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory,/Cognition, 15(1), pp. 153-166. Baumert, J./Gruehn, S./Heyn, S./Köller, O.,/Schnabe1, K. (1997): Bildungsverläufe und psychosoziale Entwicklung im Jugendalter. Dokumentation (Vol. 1). Berlin: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Cognition and Technology Group at Vanderbilt (1992): The Jasper Experiment: An exploration of issues in learning and instructional design. Educational Technology Research and Deve1opment, 40, pp. 65-80. Greeno, J.G./Moore, Joyce L./Smith, D.R. (1993): Transfer of situated learning. In: Detterman, D.K., Sternberg, R.J. et al. (Eds.), Transfer on trial: Intelligence, cognition, and instruction (pp. 99-167). Norwood, NJ: Ablex Publishing Corp. Greer, B. (1992a): Extending the meaning of multiplication and division. In: G. Honel/T. Cobfrey (Eds.), Multiplicative concepts. New York: Suny Press. Sodian, B. (1995): Entwicklung bereichsspezifischen Wissens. In: Oerter/Montada, Entwicklungspsychologie (S. 622-653). Weinheim: Psychologie Verlags Union. Staub, EC./Stern E. (2002): The Nature of Teacher's Pedagogical Content Beliefs Matters for Students' Mathematics. Journal of Education. Stern, E./Lehrndorfer, A. (1992): The role of situational context in solving word problems. Cognitive Deve1opment, 7, pp. 259-268. Stern, E. (1993): What makes certain arithmetic word problems involving the coparison of sets so hard for children? Journal of Educational Psychology, 85, pp. 7-23. Stern, E. (1997): Das Lösen mathematischer Textaufgaben: Wie Kinder lernen, was sie nicht üben. In: EE. Weinert/A. Helmke (Hrsg.), Entwicklung im Grundschulalter (S. 157-170). Weinheim: Psychologie Verlags Union. Stern, E. (1998): Die Entwicklung des mathematischen Verständnisses im Kindesalter. Lengerich: Pabst Publisher. Stern, E./Staub, E (2000): Mathematik lernen und verstehen: Anforderungen an die Gestaltung des Mathematikunterrichts. In: E. Inckermann/J. Kahlert/A. Speck-Hamdan, Sich Lernen leisten (S. 90-100). Grundschule vor den Herausforderungen der Wissenschaft. Neuwied. Stern, E. (2002): Wie abstrakt lernt das Grundschulkind? Neuere Ergebnisse der entwicklungspsychologischen Forschung. In: H. Petillon (Hrsg.), Handbuch Grundschulforschung Band 5: Individuelles und soziales Lernen - Kindperspektive und pädagogische Konzepte (S. 27-42). Leverkusen: Leske + Budrich 2001. Tomasello, M. (Ed.) (1998): The New Psychology of Language: Cognitive and Functional Approaches to Language Structure. Hillsdale/Hove: Lawrence Erlbaum.

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